Es wird unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 16.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2010 festgestellt, dass die Beigeladene familienversichert ist. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers und der Beigeladenen zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um das Bestehen einer Familienversicherung.
Die Beklagte, bei der die am xxx geborene schwerbehinderte Beigeladene bis zur Vollendung ihres 23. Lebensjahres als über den Kläger familienversichert geführt worden ist, erklärte dem Kläger nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Westfalen-Lippe durch Bescheid vom 16.12.2009, den Fortbestand einer Familienversicherung für die Beigeladene nicht anerkennen zu können.
Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein, welchen er damit begründete, dass das Gesetz bei Vorliegen eines Schwerbehindertenausweises vorsehe, dass eine kostenlose Familienversicherung fortgeführt werden müsse.
Mit Bescheid vom 08.04.2010 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Beklagte begründete ihre Entscheidung damit, dass der MDK nicht habe bestätigen können, dass die Beigeladene außerstande sei, sich selbst zu unterhalten, was Voraussetzung für den Fortbestand der Familienversicherung sei. Von Bedeutung sei auch, dass die Schwerbehinderung zu einem Zeitpunkt festgestellt worden sei, zu dem die Beigeladene aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses selbst versichert gewesen sei.
Hiergegen ist am 05.05.2010 beim erkennenden Gericht Klage erhoben worden.
Der Kläger trägt vor, seine Tochter, die Beigeladene, sei von Geburt an schwer krank und außerstande, sich selbst zu unterhalten. Sie sei nur in der Zeit vom 13.12.2004 bis 12.03.2005 in einer evangelischen Jugendbildungsstätte kurzzeitig beschäftigt gewesen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 16.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2010 festzustellen, dass die Beigeladene familienversichert ist.
Die Beigeladene beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 16.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2010 festzustellen, dass sie familienversichert ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält ihre Entscheidung für rechtmäßig.
Das Gericht hat ein psychologisches Gutachten beigezogen, welches die Bundesagentur für Arbeit über die Beigeladene hat erstatten lassen. Das Gericht hat obendrein die beim Gemeinsamen Versorgungsamt der Städte Dortmund, Bochum und Hagen über die Beigeladene geführte Akte beigezogen. Das Gericht hat zudem vom dem Evangelische Schülerinnen- und Schülerarbeit in Westfalen e.V. Unterlagen zu der dort stattgehabten Beschäftigung der Beigeladenen beigezogen. Das Gericht hat im Übrigen von den behandelnden Ärzten der Beigeladenen xxx und xxx Krankenaufzeichnungen über die Beigeladene aus den Jahren 2008 bis 2011 sich übersenden lassen. Sodann hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, erstattet durch den Neurologen und Psychiater xxx aus xxx. Wegen der Inhalte und der Ergebnisse der genannten Unterlagen wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 16.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2010 ist mit der Rechtslage nicht in Einklang zu bringen. Die Beigeladene ist vielmehr weiterhin familienversichert.
Nach Maßgabe von § 10 Abs. 2 Nr. 4 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) sind Kinder ohne Altersgrenze familienversichert, wenn sie als behinderte Menschen im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) außerstande sind, sich selbst zu unterhalten. Voraussetzung ist, dass die Behinderung zu einem Zeitpunkt vorlag, in dem das Kind nach anderen Vorschriften familienversichert war. Die genannten Tatbestände sind hier erfüllt. Die Beigeladene ist schwerbehindert und auch außerstande, sich selbst zu unterhalten. Die Kammer folgert dies aus den medizinischen Befundbeschreibungen des gerichtlichen Sachverständigen xxx aus xxx. Herr xxx ist dem Gericht als erfahrener medizinischer Gutachter bekannt. Er hat auch das hiesige Gutachten in sich schlüssig und frei von Widersprüchen nach Sichtung der Akten und eingehender persönlicher Untersuchung der Beigeladenen erstattet. Der Sachverständige legt dar, dass der Gesundheitszustand der Beigeladenen mit dem früher üblichen Begriff der Debilität zu umschreiben sei. Nach Durchführung eines entsprechenden Testes hat der Sachverständige xxx einen bei der Beigeladenen vorliegenden Intelligenzgrad ermittelt, welcher nach seinen Angaben von knapp 100% der vergleichbaren Altersgruppe übertroffen wird. Herr Xxx kommt zu dem Ergebnis, dass die Beigeladene zwar eine rein körperlich ausgerichtete Tätigkeit verrichten könne, Arbeiten, welche mit Zeitdruck oder Ansprüchen an das geistige Leistungsvermögen oder die Konzentration einhergingen, jedoch nicht gewachsen sei. Das Gericht hat keine Veranlassung, an der Richtigkeit dieser gutachterlichen Einschätzung Zweifel zu hegen. Weshalb die Beklagte auf Grundlage des Gutachtens von Herrn Xxx der Auffassung ist, die Voraussetzungen einer Familienversicherung seien nicht erfüllt, vermag sich dem erkennenden Gericht nicht zu erschließen. Die Beklagte hat in ihrer schriftsätzlichen Stellungnahme zu dem Gutachten auch keine nachvollziehbare Begründung hierfür abgegeben. Der Schluss der Beklagten, die Beigeladene könne sich selbst unterhalten, weil sie eine Erwerbstätigkeit ausüben könne, ist augenscheinlich in Verkennung der seit einigen Jahren bestehenden Arbeitsmarktsituation und der in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Entlohnungspraxis gezogen worden. Im November 2012 haben 1,3 Millionen Menschen in Deutschland trotz Erwerbstätigkeit sich nicht selbst unterhalten können, vielmehr Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) bezogen (Bundesagentur für Arbeit, online-Tabellenanhang zu Geldleistungen an Bedarfsgemeinschaften mit Einkommen aus Erwerbstätigkeit). Etwa 330.000 Menschen haben dabei sogar ein Monatseinkommen von mehr als 800,00 EUR erzielt. Bestenfalls zu diesem Personenkreis würde auch die Beigeladene gehören, selbst wenn es ihr gelingen würde, einen Arbeitsplatz zu erlangen. Die fehlende geistige Leistungsfähigkeit der Beigeladenen erlaubt es zur Überzeugung des Gerichts nicht, eine Qualifikation zu erreichen, mit der sie ein Arbeitsentgelt erzielen könnte, welches Aufstockungen nicht erforderlich machen würde. Hieran ändert auch nichts der Umstand, dass die Beigeladene kurzzeitig in der Schülerarbeit bei der evangelischen Kirche eingesetzt gewesen ist. Eine nachhaltige Beschäftigung hat die inzwischen 27 Jahre alte Beigeladene jedenfalls zu keinem Zeitpunkt erlangen können. Im Übrigen verkennt die Beklagte die zutreffende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 18.05.2004, Az.: B 1 KR 24/02 R, SozR 4 2500 § 10 Nr. 4), wonach eine altersunabhängige Familienversicherung eines zum eigenen Unterhalt unfähigen Kindes durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung nur für deren Dauer überlagert und nicht endgültig beendet werde. Keine andere Bewertung ergibt sich aus einer anderen Aussage des Sachverständigen Xxx. Wenn der Sachverständige dargelegt, dass er in Rentenverfahren auch solche Personen begutachtet habe, deren geistiger Leistungsstand mit dem der Beigeladenen vergleichbar sei, die gleichwohl einer Erwerbstätigkeit nachgegangen seien, so trifft er doch damit gerade nicht die Aussage, dass diese Personen sich auch, ohne ergänzende Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu müssen, von dem betreffenden Entgelt hätten unterhalten können. Es kommt hinzu, dass der Arbeitsmarkt gerichtsbekannt zunehmend von geistig ausgeprägten Fähigkeiten bestimmt wird und körperlich ausgerichtete Tätigkeiten deutlich bedeutungsärmer geworden sind und weiter werden, verbunden mit einer hohen Spreizung von Einkommen in einer Weise, wie es bei heute potentiell rentenberechtigten Personen in deren Arbeitsleben bei Weitem noch nicht der Fall war. Entsprechend trifft auch der Sachverständige Xxx abschließend die unmissverständliche Aussage, dass die Beigeladene seiner Auffassung nach kein Einkommen erreichen könne, welches den heute diskutierten Mindestlöhnen entsprechen würde.
Nicht verständlich ist auch der Hinweis der Beklagten darauf, dass die Behinderung der Beigeladenen zu einem Zeitpunkt vorgelegen haben muss, in welcher sie anderweitig familienversichert war. Die Beklagte verkennt, dass die Behinderung der Beigeladenen von Geburt an bestanden hat.
Der Klage war damit stattzugeben, wobei sich die Kostenentscheidung aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes ergibt.
Erstellt am: 25.11.2013
Zuletzt verändert am: 25.11.2013