Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 01.08.2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über das Bestehen einer Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung ab April 2007 sowie in der Folge über die Rechtmäßigkeit des Beitragseinbehalts durch die Beklagte.
Der 1938 geborene Kläger war seit Juli 1975 arbeitslos, zuletzt 1979 Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse – der Beigeladenen zu 1). Danach bezog er Krankenhilfeleistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bzw. dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII). Seit dem 01.05.2001 ist der Kläger Altersrentner.
Mit Bescheid vom 24.08.2007 teilte die Beklagte dem Kläger unter Verweis auf eine Anhörung vom 27.07.2007 mit, dass er nach Mitteilung der Krankenkasse seit dem 01.04.2007 der Versicherungspflicht in der Kranken- sowie Pflegeversicherung der Rentner unterliege. Der Kläger müsse zukünftig Pflichtbeiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung und zudem einen zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrag zahlen und für die Zeit ab dem 01.04.2007 nachzahlen. In dem Bescheid verwies die Beklagte auf §§ 241a, 249a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) und § 20 Abs 1 Nr 11 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI), zudem auf § 255 SGB V, nach dessen Absatz 1 Beiträge vom Rentenversicherungsträger bei der Zahlung der Rente einzubehalten seien. Ausgehend von der (damaligen) Bruttorente i.H.v. 562,32 EUR verbliebe dem Kläger eine Nettorente i.H.v. 507,50 EUR. Die rückständigen Beiträge in Höhe von insgesamt 273,23 EUR werde von der noch zu zahlenden Rente einbehalten, hier erfolge eine Aufrechnung.
Der Kläger legte Widerspruch ein unter Hinweis darauf, dass keinerlei Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung erbracht worden seien, er als Obdachloser lebe, der Eigenanteil zweimal – nämlich von der Beklagten und auch der Krankenversicherung – erhoben werde, es faktisch zu einer Rentenkürzung komme, er aber eine Rentenerhöhung verlangen könne. Die Beklagte bat den Kläger in der Folge nachzuweisen, dass er durch die Aufrechnung hilfebedürftig im Sinne des SGB XII werde. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.01.2008 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Laut Mitteilung der Krankenkasse unterliege der Kläger seit dem 01.04.2007 der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner. Die Beklagte verwies wiederum auf § 249a SGB V und § 20 Abs 1 Nr 11 SGB XI. Die entstandene Überzahlung i.H.v. 273,23 EUR (für den Zeitraum vom 01.04.2007 bis 31.08.2007) sei gem. § 255 SGB V nachzufordern und einzubehalten.
Hiergegen hat der Kläger am 30.01.2008 Klage erhoben. Es bestünde keine Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 01.04.2007. Die Beigeladene zu 1) habe unterlassen, ihn gem. § 8 Abs 1 Nr 4 SGB V darauf hinzuweisen, dass er einen Antrag auf Befreiung von der Beitragspflicht stellen könne. Die Regelung verstoße gegen das Gesetz bzw. das Grundgesetz. Es gehe ihm nicht nur um den Nachzahlungsbetrag i.H.v. 273,23 EUR, sondern um eine gerechte Beteiligung aller, auch der Unternehmer. Die Regelungen der Satzung führten dazu, dass er einen zusätzlichen Beitrag auch von seiner Rente zahlen müsse und auf Sozialhilfeniveau abrutsche. Letztlich würde den Arbeitslosen die Schuld am Zustand der Erwerbslosigkeit gegeben. Im Übrigen erbrächten die Beigeladenen keinerlei Leistungen.
Der Kläger hat vor der protokollierenden Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Sozialgerichts am 30.01.2008 beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 24.08.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen festzustellen, dass keine Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 01.04.2007 bestand.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat zur Begründung auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.
Mit Blick auf den Ausgang im parallel vom Kläger angestrengten Klageverfahren gegen die Beigeladene zu 1) (Sozialgericht Düsseldorf, Az S 34 KR 340/07), welches gerichtet war auf die Feststellung, dass die rückwirkende Berechnung der monatlichen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 01.04.2007 nicht zulässig sei, hat das Sozialgericht das hiesige Verfahren am 10.01.2011 ruhend gestellt. Nach Entscheidung des Sozialgerichts Düsseldorf (Gerichtsbescheid vom 30.03.2011, mit dem die Klage abgewiesen wurde) und nachfolgend des Landessozialgerichts Essen (Zurückweisung der klägerseitigen Berufung am 21.07.2011 unter Az L 5 KR 225/11) hat das Sozialgericht das Verfahren wieder aufgenommen.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 01.08.2018 abgewiesen. Der streitgegenständliche Bescheid sei rechtmäßig, die Beklagte habe zu Recht ab dem 01.04.2007 Pflichtbeiträge zur Krankenversicherung der Rentner sowie zur sozialen Pflegeversicherung von der Rente einbehalten ebenso wie den zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrag. Das Sozialgericht hat sich den Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid angeschlossen. Die Rechtmäßigkeit der Erhebung von Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 01.04.2007 sei im parallelen Klageverfahren unter Az S 34 KR 340/07 rechtskräftig festgestellt worden.
Gegen diesen am 06.08.2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 03.09.2018 vor dem Sozialgericht Düsseldorf Berufung eingelegt. Die Entscheidungsgründe träfen nicht zu, sein Berufungsschreiben im Verfahren unter Az L 5 KR 777/17 (erstinstanzliches Verfahren vor dem Sozialgericht Düsseldorf unter Az S 11 KR 416/15; Streitgegenstand Versicherungspflicht und Beitragshöhe) vom 02.02.2018 würde für alle Verfahren gelten. Er habe hinsichtlich der Versicherungspflicht im April 2007 nur "über Täuschung des Sozialamtes [ ] eine Unterschrift geleistet".
Der im Termin zur mündlichen Verhandlung am 04.12.2019 nicht erschienene Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 01.08.2018 abzuändern, den Bescheid der Beklagten vom 24.08.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2008 aufzuheben und festzustellen, dass er keiner Beitragspflicht zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung ab dem 01.04.2007 unterliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die Ausführungen in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
Der Senat hat die Akte des Verfahrens vor dem Landessozialgericht Essen unter Az L 5 KR 777/17 und eine Aktenkopie des Verfahrens des Klägers gegen die Beigeladene zu 1) unter Az S 11 KR 416/15 (nachfolgend Az L 5 KR 777/17) von der Beigeladenen zu 1) sowie das Urteil des Landessozialgerichts vom 21.07.2011 unter Az L 5 KR 225/11 beigezogen, worauf verwiesen wird.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 04.12.2019 verhandeln und entscheiden, da der Kläger rechtzeitig und unter Hinweis auf diese Möglichkeit geladen worden ist, § 153 Abs 1 i.V.m. §§ 63, 110 Abs 1 S 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 24.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.01.2008 ist rechtmäßig. Der Kläger hat auch vor dem Senat keinen Erfolg mit seinem Begehren festzustellen, dass er keiner Beitragspflicht zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung ab dem 01.04.2007 unterliegt.
Ermächtigungsgrundlage des Bescheides ist vorliegend § 255 SGB V in der vom 01.01.2008 bis zum 31.05.2008 geltenden Fassung (a.F.) i.V.m. §§ 250 Abs 3, 228 Abs 1, 249a, 241a, 227, 240 SGB V a.F. i.V.m. §§ 57, 59 f. SGB XI a.F. i.V.m. § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V a.F. i.V.m. § 51 Abs 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) analog.
§ 255 Abs. 1, 2 SGB V a.F. lauten:
1) Beiträge, die Versicherungspflichtige aus ihrer Rente zu tragen haben, sind von den Trägern der Rentenversicherung bei der Zahlung der Rente einzubehalten und zusammen mit den von den Trägern der Rentenversicherung zu tragenden Beiträgen an die Deutsche Rentenversicherung Bund für die Krankenkassen mit Ausnahme der landwirtschaftlichen Krankenkassen zu zahlen. Bei einer Änderung in der Höhe der Beiträge nach Satz 1 ist die Erteilung eines besonderen Bescheides durch den Träger der Rentenversicherung nicht erforderlich.
(2) Ist bei der Zahlung der Rente die Einbehaltung von Beiträgen nach Absatz 1 unterblieben, sind die rückständigen Beiträge durch den Träger der Rentenversicherung aus der weiterhin zu zahlenden Rente einzubehalten; § 51 Abs. 2 des Ersten Buches gilt entsprechend. Wird die Rente nicht mehr gezahlt, obliegt der Einzug von rückständigen Beiträgen der zuständigen Krankenkasse. Der Träger der Rentenversicherung haftet mit dem von ihm zu tragenden Anteil an den Aufwendungen für die Krankenversicherung.
Die Beklagte hat keine Entscheidung über die Kranken- und Pflegeversicherungspflicht des Klägers getroffen, sondern auf Grundlage einer von den Beigeladenen mitgeteilten Versicherungspflicht eine Beitragszahlung bzw. einen Einbehalt bzw. eine Aufrechnung ausgesprochen. Hierfür ist sie sachlich zuständig, § 255 Abs 1, 2 SGB V a.F. Der streitgegenständliche Bescheid fußt auf einer Versicherungspflicht des Klägers nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V a.F. (und nicht der Versicherungspflicht als Rentner). Die Voraussetzungen dieser Auffangversicherung sind gegeben. Die Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V a.F. ist rechtskräftig durch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen festgestellt (vgl. Az L 5 KR 777/17, siehe auch Az L 5 KR 225/11). Dabei handelt sich um eine Versicherung, die kraft Gesetzes eintritt (vgl. auch § 186 Abs 11 S 1 SGB V a.F.; siehe dazu auch LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 28.06.2017 – L 1 KR 368/15 – juris Rn 29) und gerade keiner vertraglichen Grundlage bedarf. Die Vorstellung des Klägers, die Versicherungspflicht sei durch seine Unterschrift begründet worden, trifft nicht zu. Ob und inwieweit der Kläger im fraglichen Zeitraum ab 01.04.2007 tatsächlich Leistungen aus der gesetzlichen Kranken- und/oder Pflegeversicherung bezogen hat, spielt keine Rolle, da es sich um eine sogenannte solidarische Versicherung handelt und gerade kein Äquivalent zur Beitragszahlung eingefordert werden kann (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 24.02.2010 – L 16 B 49/09 KR NZB – juris Rn 4). Soweit der Kläger auf § 8 Abs 1 Nr 4 SGB V a.F. abstellt, ist nicht ersichtlich, welchen Bezug dies zur vorliegenden Streitfrage haben soll: Der Kläger ist nicht durch den Rentenantrag oder den Bezug der Rente versicherungspflichtig geworden, sondern durch die Einführung der Auffangversicherung nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V, wonach anderweitig nicht gegen Krankheit und Pflegebedarf Abgesicherte wieder verpflichtend versichert sein sollten, bei dem Kläger als zuletzt gesetzlich Krankenversicherten also durch eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (hier bei der Beigeladenen zu 1)). Mit Blick auf § 5 Abs 8a SGB V a.F. ist ergänzend zu betonen, dass der Kläger nach dem Fünften Kapitel des SGB XII versichert war (Krankenhilfeleistungen) und damit keinen Ausnahmetatbestand im Sinne dieser Vorschrift erfüllt (ausführlich hierzu bereits LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 21.07.2011 – L 5 KR 225/11). Klarstellend ist der Kläger auf § 250 Abs 3 SGB V a.F. hinzuweisen, wonach der Kläger mit Ausnahme der aus seiner Rente zu tragenden Beiträge seinen Beitrag grundsätzlich alleine trägt. Damit korrespondiert die Beitragszahlung, wobei die vom Kläger zu zahlenden Beiträge aus der Rente über § 255 Abs 1 SGB V a.F. durch die Beklagte einzubehalten sind (dies gilt gem. § 255 Abs 2 SGB V a.F. auch für rückständige Beiträge, dies unter Beachtung von § 51 Abs 2 SGB I). Folge dessen ist eine Situation, in der der Kläger zum einen einen Beitragseinzug durch die hier Beklagte hinzunehmen hat und bezüglich der dann noch offenen Beitragsforderung im Bereich SGB V und SGB XI (vgl. § 240 SGB V a.F.) eine Beitragszahlung gegenüber den hier Beigeladenen vorzunehmen hat. Es kommt nicht zu einer Doppelzahlung, sondern alleine zu einer ergänzenden Zahlung des Klägers direkt gegenüber den hier Beigeladenen (siehe hierzu auch BSG, Urteil vom 19.08.2015 – B 12 KR 8/14 R – juris Rn 20 f.). Bei Anwendung von § 255 SGB V a.F. kann kein Ermessen ausgeübt werden. Beiträge "sind von den Trägern der Rentenversicherung" einzubehalten (vgl. § 255 Abs 1 SGB V a.F.) bzw. es "sind die rückständigen Beiträge" einzubehalten (vgl. § 255 Abs 2 SGB V a.F.). Die Höhe der Beiträge wird vom Kläger nicht angegriffen. Trotz fehlerhafter Begründung der Versicherungspflicht auf Grundlage der Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner (und nicht der Auffangversicherung) ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte vorliegend unzutreffend Beiträge einbehalten hätte. Sowohl die Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V als auch die Beitragsforderung halten einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand (vgl. in diesem Zusammenhang etwa auch BVerfG Beschluss vom 22.05.2001 – 1 BvL 4/96 -, BVerfGE 103, 392-405; BSG Urteil vom 03.07.2013 – B 12 KR 27/12 R -, BSGE 114, 83-90, SozR 4-2500 § 240 Nr 18; BVerfG Urteil vom 10.06.2009 – 1 BvR 706/08 -, BVerfGE.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nr 1, 2 SGG) bestehen nicht.
Erstellt am: 02.07.2020
Zuletzt verändert am: 02.07.2020