Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 10.05.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die teilweise Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) und die Erstattung der entsprechend überzahlten Leistungen in Höhe von 4.190,55 EUR.
Die 1959 geborene Klägerin meldete sich am 06.12.2001 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Nach der Arbeitsbescheinigung war sie vom 01.01.1978 bis 31.12.2001 als Lagerhilfe bei der C GmbH & Co. KG in L beschäftigt und erzielte in der Zeit von Januar bis Dezember 2001 ein monatliches Nettoarbeitsentgelt von durchschnittlich 2.199,37 DM. Aufgrund einer Abfindung erhielt die Klägerin im Dezember 2001 ein Nettoarbeitsentgelt in Höhe von 29.462,44 DM. Das Arbeitsverhältnis endete durch arbeitgeberseitige Kündigung vom 20.06.2001 zum 31.12.2001.
Mit Bescheid vom 22.02.2002 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 01.01.2002 Alg für 360 Leistungstage in Höhe von 250,04 EUR wöchentlich (765,00 EUR Bemessungsentgelt, Leistungsgruppe A, allgemeiner Leistungssatz). Diese Leistung bezog die Klägerin bis 03.11.2002.
Nach ihrer von vornherein vom 04.11.2002 bis 27.06.2003 befristeten Beschäftigung als Produktionsmitarbeiterin bei der U GmbH in L bewilligte die Beklagte der Klägerin daraufhin ab 01.07.2003 Alg in Höhe von 153,51 EUR wöchentlich (390,00 EUR Bemessungsentgelt, Leistungsgruppe A, allgemeiner Leistungssatz). Nach Erschöpfung des Alg-Anspruchs bezog die Klägerin vom 23.08.2003 bis 31.10.2003 Arbeitslosenhilfe in Höhe von 130,62 EUR wöchentlich; ab 01.11.2003 war sie erneut in Arbeit.
Mit Schreiben vom 20.08.2003 hörte die Beklagte die Klägerin dazu an, dass sie in der Zeit vom 01.01.2002 bis 03.11.2002 aufgrund eines Fehlers ein wöchentliches Alg in Höhe von 250,04 EUR erhalten habe, obwohl ihr Leistungen lediglich in Höhe von 154,49 EUR wöchentlich zugestanden hätten und ihr daher insgesamt ein Betrag in Höhe von 4.190,55 EUR zu Unrecht gezahlt worden seien. Die fehlerhafte Zahlung sei zwar nicht durch die Klägerin, sondern dadurch verursacht worden, dass die der Leistung zugrunde liegenden Berechnungsdaten nicht von DM in Euro-Beträge umgerechnet worden seien. Am Betrag der bewilligten Leistung hätte die Klägerin jedoch leicht erkennen können, dass ihr die Leistung in dieser Höhe nicht zugestanden habe.
Die Klägerin nahm dazu dahingehend Stellung, dass sie nach 27 Jahren zum ersten Mal arbeitslos gewesen sei und daher nicht gewusst habe, wie Alg oder Alhi berechnet werde. Sie habe gedacht, "es sei richtig so." Sie habe das Geld für Miete und Lebensunterhalt verbraucht und könne es nicht zurückzahlen.
Mit Bescheid vom 18.11.2003 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 01.01.2002 bis 03.11.2002 teilweise auf und forderte die Erstattung der zu Unrecht gezahlten Leistungen. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe in dem genannten Zeitraum aufgrund eines Fehlers ein wöchentliches Alg in Höhe von 250,04 EUR erhalten, obwohl ihr nur Leistungen in Höhe von 154,49 EUR wöchentlich zugestanden hätten. Die Klägerin habe gewusst bzw. hätte wissen müssen, dass der ihr zuerkannte Anspruch zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen sei. Wenn sie dies nicht gewusst habe, weil sie das ihr ausgehändigte Merkblatt für Arbeitslose "Ihre Rechte – ihre Pflichten" nicht gelesen habe, sei dies als grob fahrlässig anzusehen.
Mit ihrem Widerspruch wies die Klägerin den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zurück. Sie sei Ende 2001 nach 27 Jahren Beschäftigung erstmals arbeitslos geworden und habe alle Angaben in ihrem Antrag auf Alg korrekt gemacht. Die Angaben seien von ihrer damaligen Arbeitgeberin durch Einreichen der Arbeitsbescheinigung bestätigt worden. Sie habe vorher keinerlei Erfahrungen mit der Arbeitsagentur gehabt und darauf vertraut, dass die Leistung richtig berechnet worden sei. Es habe für sie keinerlei Anlass gegeben, an der ihr zugestandenen Höhe der Leistung zu zweifeln und die Belehrung im Merkblatt nachzulesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2004 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Sie führte u.a. zur Begründung aus, die Fehlerhaftigkeit des Bewilligungsbescheides sei für die Klägerin ganz leicht ersichtlich gewesen. Nach der Euro-Umstellung zum 01.01.2002 sei der Klägerin am 22.02.2002 ein Bescheid erteilt worden, der die Berechnungsgrundlagen in Euro detailliert ausgewiesen habe. Dieser Bescheid habe nicht im Einklang mit dem letzten für die Bemessung des Alg maßgeblichen Verdienst der Klägerin gestanden, weil er ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 765,00 EUR ausgewiesen habe. Dem habe ein Arbeitsentgelt von ca. 700,00 bis 800,00 DM wöchentlich gegenüber gestanden. Auch wer kaufmännisch nicht gewandt sei, sei ca. acht Wochen nach der Euro-Einführung gewöhnt gewesen, zumindest DM-Beträge zu halbieren. Statt der "Halbierung" der Beträge habe der Bescheid vom 22.02.2002 aber offenkundig die Zahlen der von der Klägerin selbst abgegebenen Arbeitsbescheinigung übernommen, nunmehr aber als Euro-Betrag. Dies habe angesichts des früheren Einkommens und der vorherigen Bewilligung ein so auffälliges Missverhältnis ergeben, dass sich die Unrichtigkeit aufgedrängt habe. Gerade zum mit der Euro-Einführung verbundenen Jahreswechsel sei es von besonderem Interesse gewesen, die ab Januar 2002 bezogene Leistung im Gegensatz zum Lohn nunmehr in Euro ausbezahlt genauer zu betrachten. Die Klägerin habe daher wissen müssen oder zumindest leicht erkennen können, dass die Bewilligung der Leistung rechtswidrig gewesen sei. Die Rücknahme der Leistungsbewilligung habe zwingend ungeachtet eines Amtsverschuldens oder anderer Gründe, die in eine Ermessensentscheidung einfließen könnten, zu erfolgen. Auch sei der Verbrauch des überhöhten Geldes durch die Klägerin unbeachtlich, weil sie kein geschütztes Vertrauen habe.
Am 28.05.2004 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Köln Klage erhoben. Sie ist bei ihrer Auffassung geblieben, dass ihr grobe Fahrlässigkeit nicht vorgeworfen werden könne. Sie habe sich die Kenntnis von der Rechtswidrigkeit nicht durch einen Blick in das Merkblatt verschaffen können, da dort zu der konkreten Berechnung nichts ausgeführt sei. Im Übrigen scheitere die Rücknahme der Leistungsbewilligung, weil die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) nicht eingehalten sei. Der Bescheid vom 22.02.2002 beruhe auf der Bewilligungsverfügung vom 18.02.2002. Dort sei als Jahresarbeitsentgelt 39.829,60 als Zahl ohne Angaben der Währung eingetragen. Aufgrund der ab 01.01.2002 bereits erfolgten Umstellung auf Euro hätten 6 Wochen nach der gesetzlichen Umstellung die Mitarbeiter der Beklagten den in Euro umgerechneten Betrag, also konkret die Zahl 20.364,55, eintragen müssen. Dies sei nicht geschehen. Auch zwei weiteren Mitarbeitern der Beklagten sei der Fehler nicht aufgefallen. Hieraus folge, dass die Beklagte am 18.02.2002 alle Tatsachen gekannt habe, welche die Rücknahme des Verwaltungsakts nach ihrer Auffassung gerechtfertigt hätten. Da die Bewilligungsverfügung ihr mit Bescheid vom 22.02.2002 bekannt gegeben worden sei, habe die Frist zur Rücknahme am 22.02.2003 geendet. Unerheblich sei, dass der Beklagten der Fehler erst nach ihrer erneuten Arbeitslosmeldung am 27.06.2003 aufgefallen sei. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut des § 45 Abs. 4 SGB X komme es lediglich auf die Kenntnis der Tatsachen an, die die Rücknahme rechtfertigten, nicht jedoch auf das Bewusstsein über die daraus folgende Rechtswidrigkeit.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 18.11.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2004 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,,
die Klage abzuweisen.
Auch die Beklagte ist bei ihrer Auffassung geblieben und hat darauf hingewiesen, dass der Klägerin die weit überhöhte Leistung hätte auffallen müssen. Selbst eine nur grob über-schlägige Prüfung hätte ihr nämlich gezeigt, dass sie etwa 60 % ihres früheren Bruttolohns als Alg erhalte. Der Betrag dürfte – wenn überhaupt – nur geringfügig unter ihrem Netto-arbeitseinkommen gelegen haben. Da es als allgemein bekannt gelten könne, dass das Alg den Nettolohn erheblich unterschreite, hätten sich der Klägerin Zweifel an der Recht-mäßigkeit aufdrängen und sie veranlassen müssen, das ausgehändigte Merkblatt zu lesen. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei auch die Jahresfrist nicht verstrichen. Im Zeitpunkt der Bewilligung habe die Beklagte deren Rechtswidrigkeit nämlich nicht gekannt, da das Alg sonst nicht in dieser Höhe zuerkannt worden wäre. Vielmehr sei der Fehler erst aufgrund des Antrags der Klägerin vom 27.06.2003 festgestellt worden, so dass der ange-fochtene Bescheid rechtzeitig erlassen worden sei.
Mit Urteil vom 10.05.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Seine Entscheidung hat es wie folgt begründet:
"Der Bescheid der Beklagten vom 22.02.2003 ist teilweise rechtswidrig, weil er der Klägerin Alg ab dem 01.01.2002 in Höhe von 250,04 EUR wöchentlich bewilligt hat, obwohl ihr diese Leistung lediglich in Höhe von 154,49 EUR wöchentlich zugestanden hat. Das Bemessungsentgelt gem. § 132 Abs. 1 Satz 1 SGB III betrug 390,00 EUR (20.364,55 EUR: 52 = 391,66 EUR, gerundet 390,00 EUR). Dies ergibt nach der SGB III – Leistungsentgeltverordnung 2002 vom 20.12.2001 (BGBl I 4036) bei der Leistungsgruppe A, allgemeiner Leistungssatz eine wöchentliche Leistung in Höhe von 154,49 EUR.
Nach Auffassung der Kammer hätte die Klägerin auch erkennen müssen, dass ihr überhöhte Leistungen bewilligt worden waren. Hieran ändert auch nichts, dass sie erstmalig arbeitslos geworden war und ihr die Berechnung der Höhe des Alg nicht vertraut gewesen sein dürfte. Die Beklagte weist nämlich zu Recht darauf hin, dass sich der Klägerin im Hinblick auf die Höhe des zuletzt erzielten Arbeitsentgelts die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides hätte aufdrängen müssen. In dem Zeitraum von Januar bis November 2001 erzielte die Klägerin ein durchschnittliches monatliches Arbeitsentgelt in Höhe von 2.199,37 DM netto (24.193,03 DM: 11), also 1.124,52 EUR. Ab dem 01.01.2002 erhielt die Klägerin sodann ein Alg, das lediglich geringfügig unter diesem Nettoarbeitsentgelt gelegen hat; so erhielt sie im Januar 2002 Leistungen in Höhe von 1.107,32 EUR. Das monatliche Alg besaß daher beinahe die Höhe des durchschnittlich erzielten Nettoarbeitsentgelts. Da jedem Arbeitslosen – auch der Klägerin – bewusst sein muss, dass das Alg nicht in Höhe des Nettoarbeitsentgelts gezahlt wird, musste sich der Klägerin die fehlerhafte Bewilligung aufdrängen. Nach Auffassung der Kammer ist ihr daher insoweit eine grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vorzuwerfen.
Da somit die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorliegen, hatte die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 22.02.2002 gem. § 330 Abs. 2 SGB III teilweise zurückzunehmen. Unerheblich ist, dass ihr bei Erlass dieses Bescheides ein Bearbeitungsfehler vorzuwerfen ist.
Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Beklagte auch die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Gem. § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X wird nur in den Fällen von Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Gem. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X muss die Behörde dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X beginnt somit mit der Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Vorliegend war der Beklagten zwar das von der Klägerin im Bemessungszeitraum erzielte Arbeitsentgelt bekannt, dies hat sie jedoch fälschlicherweise nicht von DM in Euro umgerechnet und der Bewilligungsverfügung zugrunde gelegt. Dieser Umstand gehört jedoch zu den Tatsachen, die im Sinne der o. g. Vorschrift die Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 22.02.2002 mit Wirkung für die Vergangenheit rechtfertigen. Nur hierdurch ist nämlich der Bescheid rechtswidrig geworden. Erst nach der erneuten Arbeitslosmeldung der Klägerin am 27.06.2003 hat die Beklagte Kenntnis von der nicht erfolgten Umrechnung des DM-Betrages in den entsprechenden Euro-Betrag erlangt. Unerheblich ist, dass hier insoweit ein Bearbeitungsfehler vorzuwerfen ist. Der streitige Aufhebungsbescheid vom 18.11.2003 ist somit innerhalb der Jahresfrist ergangen.
Festzustellen ist außerdem, dass die Jahresfrist nicht bereits dann beginnt, wenn der Behörde Tatsachen bekannt werden, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des aufzuhebenden Verwaltungsaktes ergibt, vielmehr müssen auch die Tatsachen bekannt sein, die eine Rücknahme und zwar für die Vergangenheit rechtfertigen. Hierzu gehören somit auch die Tatsachen, aus denen sich eine grobe Fahrlässigkeit des Begünstigten im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB III ergibt. Da es, um dem subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff und den bei dessen Prüfung zu beachtenden Kriterien Rechnung tragen zu können, der Anhörung des Begünstigten bedarf, beginnt der Lauf der Jahresfrist grundsätzlich auch erst nach erfolgter Anhörung des Begünstigten (BSG, Urteil vom 06.03.1997 – 7 RAR 40/96 -). Mit Schreiben vom 20.08.2003 hat vorliegend die Beklagte die Klägerin zu der erfolgten Überzahlung angehört, die Antwort der Klägerin ging bei der Beklagten am 03.09.2003 ein. Auch aus diesem Grund hat die Beklagte somit die Jahresfrist eingehalten.
Die teilweise Aufhebung der Bewilligung des Alg für den streitigen Zeitraum ist somit nicht zu beanstanden. Die Pflicht der Klägerin, die zu Unrecht erhaltenen Leistungen zu erstatten, erfolgt aus § 50 Abs. 1 SGB X. Die Beklagte hat den Rückforderungsbetrag zutreffend errechnet. Die Klägerin hat in dem streitigen Zeitraum Leistungen in Höhe von 13,65 EUR täglich zu Unrecht erhalten. Ihr standen Leistungen in Höhe von 154,49 EUR wöchentlich zu (22,07 EUR täglich), gezahlt worden sind hier 250,04 EUR wöchentlich (35,72 EUR täglich). Der streitige Zeitraum umfasst 307 Leistungstage, es errechnet sich deshalb eine Überzahlung in Höhe von 4.190,55 EUR (13,65 EUR x 307)."
Gegen das ihr am 14.06.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12.07.2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihren bisherigen Vortrag und macht unter Berufung auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.07.1998 – B 5 RJ 58/97 R – geltend, dass nicht sie, sondern die Beklagte die wesentliche Ursache für die Überzahlung gesetzt habe. In dem Fall könne ihr aber nicht vorgeworfen werden, dass sie die Rechtswidrigkeit des Bescheides infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt habe. Wenn der Betroffene nicht schutzwürdig sei, wenn er Fehler gemacht habe, müsse dies umgekehrt auch für Fehler der Behörde gelten. Mache diese Fehler, sei sie ebensowenig schutzwürdig wie der Betroffene. Das Verhalten der Klägerin sei nicht als grob fahrlässig zu werten, weil unter Berücksichtigung der Euro-Umstellung die Fehlerhaftigkeit des Bewilligungsbescheides nicht sofort ins Auge gesprungen sei. Auch im Hinblick auf die einzuhaltende Jahresfrist sei das Urteil des SG nicht haltbar. Denn wenn diese erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen begänne, hätte es die Behörde in der Hand, willkürlich den Fristbeginn zu steuern.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 10.05.2006 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Es habe bereits alles berücksichtigt, was die Berufungsbegründung enthalte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Auf den Inhalt der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, der ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Beklagte die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 01.01.2002 bis 03.11.2002 teilweise zurücknehmen und einen Betrag von 4.190,55 EUR zurückfordern durfte. Der Senat nimmt Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, die er nach Überprüfung der Sach- und Rechtslage für überzeugend erachtet. Von einer Wiederholung der Ausführungen des SG wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG abgesehen.
Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Soweit die Klägerin unter Berufung auf das von ihr zitierte Urteil des BSG darauf hinweist, dass die Beklagte die wesentliche Ursache für die Überzahlung gesetzt habe und sie daher nicht schutzwürdig sei, so vermag dies die Klägerin nicht zu entlasten. Entscheidend ist allein, dass der Klägerin grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, was der Senat mit dem SG bejaht. Auch eine Abwägung der Schwere der beiderseitigen Fahrlässigkeit im Sinne einer Minderung der Erstattungsverpflichtung findet nicht statt.
Der Kläger beruft sich auch ohne Erfolg auf das Urteil des BSG vom 07.07.1998 – B 5 RJ 58/97 R -. In diesem Fall hatte der Rentenversicherungsträger die wesentliche Ursache für die Überzahlung dadurch gesetzt, dass er es unterlassen hatte, den marokkanischen Antragsteller auf eine Witwerrente, der immer richtige Angaben gemacht hatte, nach dem Bestehen einer weiteren Ehe zu befragen. Dieses Unterlassen des Rentenversicherungsträgers lässt sich mit dem vorliegenden Verhalten der Beklagten nicht vergleichen. Von ihr als einer Massenverwaltung konnte nämlich nicht gefordert werden, ohne konkreten Anlass im Einzelfall praktisch alle Leistungsbezugsfälle dahin zu überprüfen, ob die Umrechnung von DM in Euro-Beträge richtig vorgenommen wurde. Einer Bezieherin von Alg aber, der nach eigenem Bekunden durch das Lesen des Merkblatts bekannt war, dass sich das Alg nach 60 % vom Nettolohn berechnet, musste sofort als fehlerhaft ins Auge springen im Sinne der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 08.02.2001 – B 11 AL 21/00 R -), dass sowohl das von ihr bezogene Alg im Januar 02 von 1.107,32 EUR als auch das monatlich im Durchschnitt bewilligte Alg von 1.083,51 EUR (250,04 wöchentlich x 13 Wochen: 3 Monate) fast dem von ihr zuletzt bezogenen monatlichen Nettoarbeitsentgelt in Höhe von 1.124,52 EUR entsprach. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der persönlichen Situation der Klägerin, denn das Maß der Fahrlässigkeit ist nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Betroffenen sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen. Zwar hat die Klägerin keine Berufsausbildung, aber den Hauptschulabschluss, und 27 Jahre als Lagerarbeiterin bei demselben Arbeitgeber gearbeitet, wobei Letzteres auf eine Wertschätzung ihrer Arbeitskraft durch den Arbeitgeber schließen lässt. Anhaltspunkte für ein eingeschränktes Einsichtsvermögen konnte der Senat bei der Klägerin nicht feststellen. Zwar ist ihr zuzubilligen, dass sie sich nach ihrem Bekunden mit der Berechnung des Alg nicht auskannte, dies ändert jedoch nichts daran, dass auch nach ihrer Kenntnis das Alg nicht fast so hoch wie ihr letzter Nettolohn sein konnte.
Auch die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist eingehalten. Diese läuft nicht ab dem Tage, ab dem der Fehler der Beklagten unterlaufen ist, hier also etwa im Februar 2002, sondern sie beginnt erst zu laufen, wenn die Beklagte Kenntnis davon hatte, dass die Klägerin die teilweise Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem die Behörde aufgrund des ermittelten Sachverhalts Kenntnis von der Bösgläubigkeit der Klägerin hatte. Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes ist die den Beginn der Jahresfrist bestimmen-de Kenntnis dann anzunehmen, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendigen Tatsachen besteht (vgl. BSG, Urteil vom 27.07.2000 – B 7 AL 88/99 R -). Diese Kenntnis lag hier frühestens mit dem Eingang des Schreibens der Klägerin vom 22.08.2003 (Bl. 26 der Verwaltungsakte der Beklagten) vor, so dass mit dem Bescheid vom 18.11.2003 die Jahresfrist gewahrt worden ist.
Die Beklagte durfte somit die Bewilligung von Alg teilweise zurücknehmen und den überzahlten Betrag in Höhe von 4.190,55 EUR, der der Höhe nach zutreffend berechnet worden ist, wie sich aus Bl. 20 der Verwaltungsakte ergibt, nach § 40 Abs. 1 SGB X zurückfordern. Nach alldem war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die hierfür in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG aufgestellten Voraussetzungen nicht gegeben sind. Bei der Beurteilung der Frage, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, handelt es sich nicht um eine Rechtsfrage, sondern um eine Beurteilung des Sachverhalts im Einzelfall.
Erstellt am: 25.07.2007
Zuletzt verändert am: 25.07.2007