Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 31.03.2009 wird zurückgewiesen. Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen.
Der 1965 geborene Kläger erlitt am 29.11.2000 als Fahrradfahrer einen Verkehrsunfall, infolgedessen bei ihm eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 v. H. und als Unfallfolgen ein ausgeprägtes psychovegetatives Syndrom mit einer Anpassungsstörung infolge eines posttraumatischen Tinnitus rechts, rezidivierende Drehschwin-delsymptomatik sowie geringe Hochtonschwerhörigkeit rechts anerkannt worden sind. Das Versorgungsamt L bestätigte mit Bescheid vom 14.08.2006 einen Grad der Behinderung (GdB) in entsprechender Höhe, wogegen der Kläger Widerspruch einlegte.
Nachdem sein Arbeitsverhältnis zum 31.12.2006 gekündigt worden war, beantragte der Kläger am 30.11.2006 seine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen, weil seine gesundheitlichen Schäden schwerwiegender als anerkannt seien. Die Beklagte lehnte den Antrag mangels Feststellung eines GdB in Höhe von 30 v.H. ab (Bescheid vom 08.01.2007, Widerspruchsbescheid vom 17.04.2007).
Dagegen hat der Kläger am 10.05.2007 vor dem Sozialgericht (SG) Klage erhoben, mit der er geltend gemacht hat, seine Behinderungen seien nicht hinreichend festgestellt worden, ein höherer GdB könne auch rückwirkend festgestellt werden und die arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften über die Gleichstellung seien europa- und verfassungsrechtswidrig.
Mit Gerichtsbescheid vom 31.03.2009 hat das SG die Klage abgewiesen, weil bei dem Kläger nicht der für die Gleichstellung erforderliche GdB von mindestens 30 v.H. festgestellt worden sei. Für einen Verstoß der maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften gegen höherrangiges Rechts bestehe kein Anhalt.
Gegen den ihm am 03.04.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 20.04.2009 Berufung eingelegt, mit der er sein Vorbringen im Wesentlichen wiederholt. Er hat ein Gutachten des Neurologen Dr. W vom 23.06.2009 vorgelegt, welcher einen GdB von 50 v.H. vorgeschlagen hat.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des SG Köln vom 31.03.2009 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08.01.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2007 zu verurteilen, ihn gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX mit einem Schwerbehinderten gleichzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sieht sich mangels der Feststellung eines GdB von 30 v. H.an einer Gleichstellung zu Gunsten des Klägers gehindert. Darüber hinaus erfülle der Kläger aber auch nicht die weiteren Voraussetzungen für eine Gleichstellung, weil er seinen Arbeitsplatz zwischenzeitlich verloren habe und dieser daher mit der Gleichstellung nicht mehr erhalten werden könne. Zum anderen habe die Arbeitsvermittlung im Hinblick auf die Wettbewerbschancen des Klägers keinen Handlungsbedarf hinsichtlich seines gesundheitlichen Leistungsvermögens gesehen, so dass nicht nachvollziehbar sei, inwieweit die Gleichstellung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes hilfreich sein solle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Kläger die Voraussetzungen für die beantragte Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen nicht erfüllt.
Nach § 2 Abs. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen). Bei dem Kläger ist bisher lediglich ein GdB von 20 v.H. festgestellt worden, so dass er den Tatbestand des § 2 Abs. 3 SGB IX nicht erfüllt. Gegenteiliges kann der Kläger weder daraus herleiten, dass er behauptet, der Grad seiner Behinderung sei fehlerhaft festgestellt worden, noch kann er seinen Anspruch auf das Ergebnis der Begutachtung durch den Neurologen Dr. W stützen, der einen GdB von 50 v.H. bescheinigt hat. Abgesehen davon, dass die Annahme eines GdB in letzterem Umfang eine Gleichstellung ausschließt, weil danach Schwerbehinderung im Sinne des SGB II vorliegt (§ 2 Abs. 2 SGB IX), ist unabdingbare Voraussetzung für die Gleichstellung durch die Beklagte, dass die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständige Behörde das Vorliegen einer Behinderung und deren Grad mit 30 v.H. festgestellt hat (vgl. BSG, Urt. v. 02.03.2000 – B 7 AL 46/99 R = SozR 3 – 3870 § 2 Nr. 1 S. 2 f; BSG Urt. v. 24.06.1998 – B 9 SB 17/97 R = SozR 3 – 3870 § 4 Nr. 24 S. 98 f). Dies folgt aus § 68 Abs. 2 S. 1 SGB IX, wonach die Gleichstellung behinderter Menschen mit schwerbehinderten Menschen aufgrund einer Feststellung nach § 69 auf Antrag des behinderten Menschen durch die Bundesagentur für Arbeit erfolgt. Zu dieser Feststellung ist aber gemäß § 69 Abs. 1 S. 1 SGB IX allein die für die Durchführung des BVG zuständige Behörde ermächtigt (einhellige Meinung, BSG a.a.O.; Götze in Hauck/Noftz, SGB IX, § 2 Rn 50; Knittel, SGB IX, § 2 Rn 100; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 11. Aufl., § 2 Rn 48).
Dahinstehen kann, inwieweit eine während des laufenden Gleichstellungsverfahrens ergehende Entscheidung der für die Durchführung des BVG zuständigen Behörde, auch wenn sie auf den Antragszeitpunkt zurückwirkt, Berücksichtigung zu finden hat (vgl. Schmidt, br 2002, 141 f). Eine solche Entscheidung mit der Feststellung eines GdB von wenigstens 30 v. H. ist zu Gunsten des Klägers bisher nämlich nicht erfolgt.
Es besteht auch kein Anlass, das Verfahren zur Klärung des GdB auszusetzen. Dies gilt insbesondere in Ansehung des Gutachtens von Dr. W, dessen Feststellungen als Sachverständiger regelmäßig zur Entscheidungsgrundlage der SGe gemacht werden bzw. zu Anerkenntnissen der Behörden führen. Sein Begutachtungsergebnis würde nämlich eine Gleichstellung obsolet machen.
Die Bestimmung des § 2 Abs. 3 SGB IX verstößt nicht deshalb gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), weil behinderte Menschen, deren GdB weniger als 30 v.H. beträgt, eine Gleichstellung nicht erlangen können. Der allgemeine Gleichheitssatz ist regelmäßig dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (BVerfGE 1, 14,52; 89, 132, 141). Gleiches gilt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (BVerfGE 55, 72, 88; 93, 386, 397). Die Verletzung des Willkürverbots oder des Gebots der verhältnismäßigen Gleichbehandlung ist nicht abstrakt, sondern nur bezogen auf die jeweils getroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche zu beantworten (vgl. BVerfGE 75, 108, 157: 103, 310, 318; SozR 3-4100 § 111 Nr. 6 S. 30). Die Gleichstellung ist ohnehin nicht allein vom Umfang der Behinderung abhängig, sondern erfordert darüber hinaus, dass ohne sie der behinderte Mensch einen Arbeitsplatz nicht erlangen oder behalten kann (§ 2 Abs. 3 SGB IX). Es ist aber nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber nicht jeder Behinderung solche Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt beimisst, sondern erst ab einem bestimmten Ausmaß. Die Möglichkeit der Gleichstellung beinhaltet darüber hinaus ein Korrektiv zur starren Grenze der Festlegung der Schwerbehinderung nach § 2 Abs. 2 SGB IX (vgl. Knittel a.a.O. Rn 103). Dieses gestufte System hält sich aber in dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bezüglich der Ausgestaltung sozialer Vergünstigungen.
Ebenso wenig ist die Regelung des § 2 Abs. 3 SGB IX mit supranationalem Recht unvereinbar. Ob die Richtlinie 200/78/EG des Rates der Europäischen Union vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Amtsbl. EG L 303/16), die nicht für Leistungen jeder Art seitens der staatlichen Systeme oder der damit gleichgestellten Systeme einschließlich der staatlichen Systeme der sozialen Sicherheit oder des sozialen Schutzes gilt (Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 200/78/EG), überhaupt Prüfungsmaßstab dabei sein kann, kann ebenfalls offen bleiben. Weder die Richtlinie selbst noch das zu ihrer Umsetzung in das nationale Recht geschaffene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbieten nämliche eine nach dem Grad der Behinderung differenzierte Behandlung der Arbeitnehmer (vgl. Wendeling-Schröder/Stein, AGG, § 1 Rn 58).
Die Berufung ist daher mit der auf § 193 Sozialgerichtsgesetz beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Erstellt am: 23.08.2010
Zuletzt verändert am: 23.08.2010