NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 21.04.2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten in beiden Instanzen einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Antrag des Klägers vom 23.04.2018 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Tatbestand:
Im Streit ist eine Aufrechnung des Beklagten gem. § 43 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) i.H.v. 30 % des für den Kläger maßgeblichen Regelbedarfs pro Monat.
Die der Aufrechnung zugrunde liegende Erstattungsforderung des Beklagten (ursprünglich i.H.v. 15.191,10 EUR) resultiert aus unrechtmäßig bezogenen Leistungen seitens des Klägers. Hintergrund war, dass entsprechend der Feststellungen im Strafverfahren der Kläger entgegen seiner Angaben mit einer Partnerin zusammenlebte, die über für beide bedarfsdeckendes Einkommen verfügte. Der Kläger und seine Partnerin sind diesbezüglich wegen Betruges rechtskräftig verurteilt worden (Oberlandesgericht (OLG) Hamm Beschluss vom 21.09.2010, III-2 RVs 47 und 48/10). Mit Blick auf den vorstehenden Sachverhalt hatte der Beklagte mit Bescheid vom 15.01.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2007 die o.g. Erstattungsforderung geltend gemacht. In dem sich anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen (S 40 AS 2688/10 WA) reduzierte der Beklagte gegenüber dem Kläger mit Teilanerkenntnis in der mündlichen Verhandlung vom 14.03.2014 die Forderung auf 11.122,53 EUR. Der Kläger nahm dieses Anerkenntnis an und erklärte das Klageverfahren für erledigt (Sitzungsprotokoll vom 14.03.2014).
Im Rahmen der Anhörung zu der beabsichtigten Aufrechnung mit dem o.g. Erstattungsanspruch bat der Kläger den Beklagten um eine Ratenzahlung in Höhe von 10,00 EUR monatlich. Wegen der strafrechtlichen Verurteilung müsse er voraussichtlich bis zu seinem Lebensende monatliche Raten in Höhe von 20,00 EUR an die Staatsanwaltschaft zahlen und sei insoweit besonders belastet.
Mit Bescheid vom 15.07.2014 erklärte der Beklagte gegenüber dem Kläger die Aufrechnung i.H.v. monatlich 30 % bezogen auf den für den Kläger maßgeblichen Regelbedarf, mithin 117,30 EUR monatlich. Er führte zur Begründung aus, dass er, solange der Kläger Leistungen nach dem SGB II beziehe, Erstattungsansprüche monatlich i.H.v. 30 % des maßgeblichen Regelbedarfs mit den Leistungsansprüchen aufrechnen könne. Er habe von seinem Ermessen Gebrauch gemacht und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gebührend berücksichtigt. Im Rahmen des Entschließungsermessens sei insbesondere gewürdigt worden, dass der Kläger gegenüber der Staatsanwaltschaft monatlich weitere 20,00 EUR zu leisten habe, um dort die Forderung bezüglich der Geldstrafe und Gerichtskosten in Höhe von weiteren 12.000,00 EUR zu tilgen. Die Öffentlichkeit habe aber ein erhebliches Interesse an der Schadenswiedergutmachung, insbesondere da die Überzahlung der aus Steuergeldern finanzierten Leistungen vorsätzlich, zumindest aber grob fahrlässig herbeigeführt worden sei. Das öffentliche Interesse an einer Schadenswiedergutmachung hinsichtlich der Erstattungsforderung überwiege gegenüber dem privaten Interesse an einer vollen Auszahlung des Regelleistungssatzes.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch: Die Höhe der Aufrechnung sei rechtswidrig. Die ihm zur Verfügung stehenden Leistungen würden wegen der Doppelbelastung unter dem Existenzminimum liegen. Eine Teilnahme am gesellschaftlichen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Leben sei nicht mehr möglich. Die Umstände des Einzelfalles seien nicht hinreichend berücksichtigt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.11.2014 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung ergänzte er: Die Höhe der Aufrechnung sei gesetzlich geregelt und betrage im vorliegenden Fall 30 %. Hinsichtlich der Höhe bestehe kein Ermessen. Das Entschließungsermessen sei hingegen ordnungsgemäß ausgeübt und die gegenseitigen Interessen abgewogen worden.
Der Kläger hat am 04.12.2014 Klage erhoben und führte zu deren Begründung aus, der Beklagte habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Regelleistungen nach dem SGB II derart knapp bemessen seien, dass sie gerade noch verfassungsgemäß seien. Das Bundesozialgericht (BSG) habe jüngst festgestellt, dass die Aufrechnung i.H.v. 30 % mit der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gerade noch vereinbar sei. Die zusätzliche Belastung aus der Zahlungsverpflichtung gegenüber der Staatsanwaltschaft führe jedoch hier dazu, dass die Belastung für ihn inakzeptabel und damit unverhältnismäßig sowie verfassungswidrig sei. Die Möglichkeit der Aufrechnung gegenüber Leistungsansprüchen, die der Sicherung des Existenzminimums dienen, also unterhalb der Pfändungsfreigrenzen, wirke zudem wie ein "Sonderstrafrecht für Hartz-IV-Empfänger". Zahle der Kläger nicht an die Staatsanwaltschaft, sei eine Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßen. Dies könne nicht im Interesse des Klägers oder der Allgemeinheit sein, denn die Ersatzfreiheitsstrafe sei mit erheblichen Kosten verbunden. Wenn hinsichtlich der Höhe der Aufrechnung dem Beklagten kein Ermessen eingeräumt sei, müsse diese unakzeptable Belastung Auswirkungen auf das Entschließungsermessen finden, mit der Folge, dass überhaupt keine Aufrechnung stattfinden dürfe. Ein Antrag des Klägers auf Aussetzung der Zahlungen bei der Staatsanwaltschaft sei abgelehnt worden. Ein Antrag auf Tilgung der Geldstrafe durch freie Arbeit sei bislang nicht beschieden worden.
Der Beklagte hielt die Aufrechnung weiterhin für rechtmäßig. Unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens meinte er, dass anderweitige Zahlungsverpflichtungen nicht dazu führen könnten, auf eine Aufrechnung verzichten zu müssen.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 29.05.2015 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht abgelehnt. Die Ermessenserwägungen seien hinreichend und sachgerecht. Hiergegen hat der Kläger Beschwerde eingelegt, welche der erkennende Senat mit Beschluss vom 16.11.2015 (L 12 AS 1030/15 B) zurückgewiesen hat.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 21.04.2016 die Klage abgewiesen. Rechtsgrundlage der Aufrechnung sei § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II. Der Beklagte habe von seinem Ermessen in ordnungsgemäßer Weise Gebrauch gemacht. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Möglichkeiten der gerichtlichen Prüfung von Ermessensentscheidungen gem. § 54 Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschränkt seien. Ermessensfehler in Form eines Fehlgebrauchs, Nichtgebrauchs oder einer Überschreitung, die gerichtlich überprüfbar seien, seien nicht ersichtlich.
Das Urteil ist dem Kläger am 24.05.2016 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 21.06.2016 Berufung eingelegt und verfolgt sein Begehren weiter. Die angefochtene Entscheidung des Beklagten sei nicht ermessensfehlerfrei und deshalb aufzuheben. Das BSG habe zwar festgestellt, dass die Regelungen des § 43 SGB II nicht verfassungswidrig seien. Jedoch habe es Einschränkungen vorgenommen. Es habe darauf abgestellt, dass die Ausgestaltung der Vorschriften Regelungen aufweisen, die die Berücksichtigung persönlicher Umstände des Leistungsberechtigten vor der Erklärung der Aufrechnung und während der Aufrechnung ermöglichen und die sicherstellen, dass den Betroffenen, die auch in dieser Lage unerlässlichen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zur Verfügung stehen. In dem vom BSG entschiedenen Fall hätte der Kläger jedoch keine Gründe geltend gemacht, die für ein Absehen von der Aufrechnung in seinem Fall hätten streiten können. Dies sei hier anders. Er habe bereits bei der erstmaligen Äußerung im Anhörungsverfahren darauf verwiesen, dass er in besonderer Weise belastet sei. Dabei handele es sich um Umstände, die auf den Einzelfall eine besondere Bedeutung im Rahmen der Ermessensausübung haben könnten. Das BSG ziehe in seiner Entscheidung eine absolute Untergrenze von 70% des zu verbleibenden Regelsatzes zur Bestreitung des Lebensunterhalts. Für die Abgeltung der Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit müsse er zunächst die Ratenzahlung gegenüber der Staatsanwaltschaft einstellen und abwarten, dass die Vollziehung der Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet werde. Erst dann könne er, bevor, oder wenn er die Ladung zum Strafantritt erhalte, einen Antrag stellen, ausnahmsweise die Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit abgelten zu dürfen. Aus seiner Sicht habe der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung. Zu klären sei, ob nicht im Gegensatz zu dem der Entscheidung des BSG zugrundeliegenden Sachverhalts hier anzunehmen sei, dass die Ermessensausübung des Beklagten deshalb fehlerhaft sei, da die wirtschaftliche Situation des Klägers sich im Hinblick auf die Verpflichtung zur Zahlung von Geldstrafen an die Staatsanwaltschaft wesentlich ungünstiger darstelle als in dem vom BSG entschiedenen Fall.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 21.04.2016 abzuändern und den Bescheid vom 15.07.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2014 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er verweist auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil. Der Kläger verkenne die von ihm zitierte Rechtsprechung des BSG sowie die Grundsätze der Rechtsordnung. Der Kläger habe kein Wahlrecht entweder keine Geldstrafe zahlen zu müssen oder sich gegen die Aufrechnung i.H.v. 30% zu wehren. Beides entspreche nicht der Rechtsordnung. Die Rechtsauffassung des Klägers, der aufgrund seines prozessualen Verhaltens seit nunmehr fast zehn Jahren seine Schulden beim Beklagten nicht zurückzahlen müsse, führe dazu, dass hilfebedürftige Straftäter in weiten Teilen gar nicht mehr bestraft werden könnten, während gesetzestreue Leistungsberechtigte bis zu drei Jahren Forderungen mit monatlich 30% des Regelsatzes tilgen müssten. Jede andere Entscheidung zugunsten des Klägers wäre gegen die Rechtsordnung und befördere den Missbrauch von Sozialleistungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten und der Gerichtsakten S 40 AS 2688/10 sowie III-2 RVs 47 und 48/10 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Streitgegenstand des Verfahrens ist die mit Bescheid vom 15.07.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2014 i.H.v. 117,30 EUR monatlich ab 01.08.2014 erklärte Aufrechnung der Forderung in der Fassung des Änderungsbescheides vom 14.03.2014 gegen die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zulässige Klageart ist die Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 SGG. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig i.S.v. § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Der Bescheid des Beklagten vom 15.07.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2014 entspricht den gesetzlichen Anforderungen.
Nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II in der Fassung vom 13.05.2011 (in Kraft bis 31.07.2016) können die Träger von Leistungen nach dem SGB II gegen Ansprüche von Leistungsberechtigten auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Erstattungsansprüchen (u. a.) nach § 50 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) aufrechnen. § 43 SGB II findet in der vom 01.04.2011 bis 31.07.2016 geltenden Fassung (a.F.) Anwendung. Die Aufrechnung wurde mit Bescheid vom 15.07.2014 erklärt, weswegen auf das zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung geltende Recht abzustellen ist (vgl. BSG Urteil vom 09.03.2016, B 14 AS 20/15 R).
Die Befugnis des Beklagten, die Aufrechnung durch Verwaltungsakt unabhängig von der Bewilligung von Leistungen für einen bestimmten Bewilligungszeitraum zu erklären, folgt unmittelbar aus § 43 Abs. 4 S. 1 SGB II a.F., wonach die Aufrechnung gegenüber der leistungsberechtigten Person schriftlich durch Verwaltungsakt zu erklären ist. Die Aufrechnung endet spätestens drei Jahre nach dem Monat, der auf die Bestandskraft der in § 43 Abs. 1 SGB II genannten Entscheidung folgt (§ 43 Abs. 4 S. 2 SGB II a.F.).
Die Voraussetzungen für die durch den Beklagten – nach Durchführung der gem. § 24 SGB X erforderlichen Anhörung – erklärte Aufrechnung liegen vor.
Mit Eintritt der Bestandskraft des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 15.01.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 14.03.2014 war die in entsprechender Anwendung von § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erforderliche Aufrechnungslage zwischen den Beteiligten gegeben.
Nach § 387 BGB kann die Aufrechnung erklärt werden (§ 388 BGB i.V.m. § 43 Abs. 1 und 4 S. 1 SGB II), wenn zwei Personen einander gleichartige Leistungen schulden und die aufzurechnende Forderung durchsetzbar, die Forderung der anderen Person mindestens erfüllbar ist (sog. Aufrechnungslage). Der Forderung des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II (Hauptforderung) stand die fällige und seit Unanfechtbarkeit des Bescheides vom 15.01.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 14.03.2014 auch durchsetzbare Gegenforderung des Beklagten gegenüber. Beide Forderungen waren gleichartig, nämlich auf Geldleistungen gerichtet und standen im Verhältnis der Gegenseitigkeit: Kläger und Beklagter waren zugleich Gläubiger und Schuldner des jeweils anderen.
Die Höhe der vorgenommenen Aufrechnung (30 % des für den Kläger maßgeblichen Regelbedarfs) ist nach § 43 Abs. 2 SGB II a.F. bindend vorgegeben, da keiner der enumerativ genannten Fälle vorliegt, in denen die Höhe der Aufrechnung auf 10 % des für den Leistungsberechtigten maßgebenden Regelbedarfs begrenzt ist. Die Dauer der vorgesehenen Aufrechnung ist auf drei Jahre beschränkt (vgl. § 43 Abs. 4 S. 2 SGB II a.F.).
Die Erklärung einer Aufrechnung steht nach § 43 Abs. 1 SGB II a.F. mit der Formulierung "können aufrechnen" im Ermessen der Leistungsträger (vgl. BSG Urteil vom 09.03.2016, B 14 AS 20/15 R). Das dem Beklagten hierdurch eingeräumte Entschließungsermessen, ob er aufrechnet, hat er erkannt und ermessensfehlerfrei ausgeübt. Seine Ermessensentscheidung ist gerichtlich nur eingeschränkt darauf zu prüfen, ob er sein Ermessen überhaupt ausgeübt, ob er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder ob er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. § 39 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I), § 54 Abs. 2 S. 2 SGG).
Der Beklagte hat sein Ermessen auch mit rechtmäßigen Erwägungen ausgeübt (vgl. Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, Stand: 15.01.2018, § 43 Rn. 44). Gesichtspunkte, die gerade im Falle des Klägers im Sinne einer Ermessensreduzierung dazu zwingen könnten, von der Durchführung einer Aufrechnung abzusehen, werden vom Kläger nicht genannt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Einwandes des Klägers, durch seine strafrechtliche Verurteilung wegen Betruges zum Nachteil des Beklagten und der daraus resultierenden monatlichen Ratenzahlung von 20,00 EUR an die Staatsanwaltschaft sei er in besonderer Weise belastet. Der Senat sieht hierdurch keinen Anlass, die gesetzlich angeordnete Höhe der Aufrechnung mit 30 % des maßgeblichen Regelbedarfs in Frage zu stellen bzw. Ermessensfehler seitens des Beklagten geschweige denn eine Ermessensreduzierung auf Null dahingehend zu erkennen, dass eine Aufrechnung des Beklagten von vornherein ausscheidet.
Denn einerseits ist jüngst durch das BSG festgestellt worden, dass die 30%ige Aufrechnung nicht als verfassungswidrig anzusehen ist (vgl. BSG Urteil vom 09.03.2016, B 14 AS 20/15 R, Rn. 33 ff. – zit. nach juris; siehe auch Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, Stand: 15.01.2018, § 43 Rn. 37 ff.). In diesem Zusammenhang hat das BSG ergänzend festgestellt, dass ein Betroffener sich auch nicht auf einen zivilrechtlichen Pfändungsschutz berufen kann (BSG a.a.O. Rn. 16). Aber auch schon in der Vergangenheit bestand und besteht in Rechtsprechung und Literatur weitestgehend Einigkeit hinsichtlich der grundsätzlichen Notwendigkeit von Aufrechnungsmöglichkeiten bei zurechenbar verursachten Forderungen, die über die Grenzen des § 51 SGB I hinausgehen. Dies teilt der Senat umso mehr vor dem Hintergrund, da individuelle Härten im Wege des Entschließungsermessens ausgeglichen werden können (vgl. exemplarisch hierzu nur: LSG NW Urteil vom 13.09.2013, L 19 AS 662/13 Rn. 30 m.w.N.).
Die Dauer und die Höhe der nach § 43 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 4 SGB II im Fall von Erstattungsansprüchen, die auf einer Aufhebung oder Rücknahme von Bewilligungen gem. §§ 45, 48 SGB X beruhen, entsprechen entgegen der Ansicht des Klägers dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Höhe der Aufrechnung verletzt mit 30 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfs das Übermaßverbot nicht. Dieses besagt, dass die Schwere einer Grundrechtsbeschränkung bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der sie rechtfertigenden Gründe stehen darf. Nicht mehr und nicht weniger fordert der Beklagte im vorliegenden Fall. In dem Spannungsverhältnis zwischen der Pflicht des Staates zum Rechtsgüterschutz und dem Interesse des Einzelnen an der Wahrung seiner von der Verfassung verbürgten Rechte ist es dabei Aufgabe des Gesetzgebers, in abstrakter Weise einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu erreichen (vgl. Bundesverfassungsgericht Urteil vom 03.03.2004, 1 BvR 2378/98 und 1 BvR 1084/99, zitiert nach juris Rn. 253; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Auflage 2015, Stand: 15.01.2018, § 43 Rn. 37 ff.).
Der Gesetzgeber hat die auf 30 % des Regelbedarfs erweiterte Aufrechnungsmöglichkeit (u. a.) mit dem Grund der Forderung (fehlendes schutzwürdiges Vertrauen, insbesondere bei Aufhebungsentscheidungen nach vorwerfbarem Verhalten) sowie einer Absehbarkeit der Realisierung der Rückforderung begründet (BT-Drs. 17/3404, S. 116). Diese Gründe sind – wie auch die hiesige Konstellation zeigt – geeignet, die Höhe der Aufrechnung zu rechtfertigen, zumal im Falle des Klägers bei voller Ausschöpfung des maximalen Aufrechnungszeitraumes von drei Jahren von den Verbindlichkeiten von über 11.000 EUR nur ein vergleichsweise geringer Anteil von weniger als 4.300 EUR getilgt sein wird. Der vom Gesetzgeber gewählte Kompromiss zwischen einer Herstellung materieller Gerechtigkeit durch Schadensausgleich und einer Wahrung der Interessen von Aufrechnungen Betroffener ist angesichts des Grundes der Gegenforderung hier nicht unangemessen zu Lasten des Klägers. Nur der Form halber weist der Senat darauf hin, dass die Folgen der Aufrechnung – wie vom Beklagten mehrfach schriftlich angemerkt – durch die Gewährung ergänzender Leistungen gemildert werden können.
Die danach geltende Grenze von 70 % als das für das Existenzminimum Unerlässliche unterschreitet der Beklagte im Rahmen seiner Aufrechnung auch nicht. Er zahlt dem Kläger tatsächlich 70 % seines für ihn maßgebenden Regelbedarfs aus. Von dem Kläger individuell getroffene Ratenzahlungsverabredungen mit Dritten nötigen den Beklagten nicht, im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null von der Aufrechnung im Ganzen abzusehen. Der Kläger kann über den ihm ausgezahlten Regelbedarf frei verfügen. Sofern es ihm nicht möglich ist, die Ratenzahlungsvereinbarung mit der Staatsanwaltschaft einzuhalten, werden die für diesen Fall vorgesehenen Regeln der Rechtsordnung eintreten. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass der Beklagte in Ansehung des Verschuldensmoments des Klägers der Schadenswiedergutmachung den Vorrang vor der Tilgung der aus dem Verhalten des Klägers resultierenden Geldstrafe einräumt.
Soweit der Kläger im Zusammenhang mit dem am 23.04.2018 erneut gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf eine mit der Bundesagentur für Arbeit unter dem 11.01.2018 getroffene Ratenzahlungsvereinbarung in Höhe von 10,00 EUR monatlich auf die Forderung des Beklagten verweist, ist dieser Vortrag hier unbeachtlich. Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei einer Anfechtungsklage ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2014 (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 54 Rn. 33). Darüber hinaus ist in der Vereinbarung vom 11.01.2018 ausdrücklich festgehalten, dass diese Entscheidung keine Stundung im Sinne von § 59 Abs. 1 Nr. 1 Bundeshaushaltsordnung sei und die Forderung fällig und durchsetzbar bleibe.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Wegen der eindeutigen Rechtslage, hat der Senat auch keinen Anlass zur Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG gesehen. Insbesondere ist durch das Urteil des BSG vom 09.03.2016 (s.o.) festgestellt worden, dass sich die Aufrechnung i.H.v. 30 % des maßgeblichen Regelbedarfs in dem durch das Gewährleistungsrecht vorgegebenen verfassungsrechtlichen Raumen hält, weil ihre Ausgestaltung durch den Gesetzgeber in § 43 SGB II a.F. selbst als auch durch weitere anwendbare gesetzliche Regelungen aufweist, die die Berücksichtigung persönlicher Umstände des Leistungsberechtigten vor Erklärung und während einer Aufrechnung ermöglichen. Ferner ist hinreichend sichergestellt, dass den Betroffenen trotz Einbehaltung von bewilligten Leistungen zur Rückführung vorwerfbar veranlasster Erstattungsforderungen die auch in dieser Lage unerlässlichen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zur Verfügung stehen. Die weitere Prüfung ist eine (reine) Subsumtion unter den Einzelfall und bedingt keine grundsätzliche Bedeutung.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren ist wegen fehlender hinreichender Aussicht auf Erfolg der Berufung aus den oben genannten Gründen abzulehnen, § 73a SGG i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung.
Die Entscheidung bezüglich der Ablehnung des Antrages auf Prozesskostenhilfe ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
Im Übrigen gilt die folgende Rechtsmittelbelehrung.
Erstellt am: 08.07.2019
Zuletzt verändert am: 08.07.2019