Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen geändert. Dem Kläger wird ab dem 25.02.2008 Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren gewährt und Rechtsanwalt L beigeordnet.
Gründe:
I. Seit Januar 2005 bezieht der Kläger durchgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Zuletzt gewährte die Beklagte durch Bescheid vom 19.04.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.07.2007 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.05. bis zum 30.09.2007.
Im September 2007 beantragte der Kläger die Fortzahlung der Leistungen. Durch Bescheid vom 12.10.2007 versagte die Beklagte die Gewährung von Arbeitslosengeld II unter Berufung auf §§ 60, 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) wegen fehlender Mitwirkung des Klägers. Sie führte u.a. aus, dass sie prüfen werde, ob sie die Leistung ganz oder teilweise nachzahlen könne, wenn der Kläger die Mitwirkung innerhalb der Widerspruchsfrist nachhole und die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien. Sofern der Kläger die Mitwirkung erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist nachhole, werde sie die Leistung bei Vorlage der Anspruchsvoraussetzungen ab dem Tag der Mitwirkung (vollständige Vorlage der geforderten Unterlagen) erbringen. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 07.11.2007 zurück. Unter der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides fügte die Beklagte folgenden Hinweis zu:
"Ich empfehle ihrem Mandanten, sich von seinem Versicherungsunternehmen den Rückkaufswert zum 01.10.2007 bescheinigen zu lassen, damit über den Leistungsanspruch ab 01.10.2007 entschieden werden kann."
Hiergegen erhob der Kläger am 16.11.2007 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen, S 21 AS 76/07.
Nach Vorlage von Unterlagen, die bei der Beklagten am 20.11.2007 eingingen, bewilligte die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 22.11.2007 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 20.11.2007 bis zum 31.03.2008.
Mit Schreiben vom 05.12.2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten, dass diese über seinen Leistungsanspruch ab dem 01.10.2007 neu entscheide. Er bat um Mitteilung bis zum 15.12.2007, ob sein Leistungsanspruch ab dem 01.10.2007 gewährt werde. Durch Schreiben vom 14.12.2007 verwies die Beklagte den Kläger bezüglich seiner Anfrage in vollem Umfang auf den Versagungsbescheid vom 12.10.2007, insbesondere auf den Hinweis, dass bei Nachholung der Mitwirkung nach Ablauf der Widerspruchsfrist die Leistung erst ab dem Tag der Mitwirkung erbracht würde. Mit Schreiben vom 17.01.2008 nahm der Kläger Bezug auf den dem Widerspruchsbescheid hinzugefügten Hinweis und legte mit Schreiben vom 18.01.2008 Widerspruch gegen das Schreiben vom 14.12.2007 ein. Er gab an, dass das Schreiben vom 14.12.2007 ihm am 10.01.2008 zugegangen sei. Durch Bescheid vom 06.02.2008 verwarf die Beklagte den Widerspruch als unzulässig. Sie führte aus, dass es sich bei dem Schreiben vom 14.12.2007 nicht um einen Verwaltungsakt handle. Das Schreiben habe lediglich informierenden Charakter. Es handle sich um die Beantwortung der Anfrage vom 05.12.2007. Mit dem Schreiben seien gegenüber dem Kläger weder Rechte begründet noch geändert, entzogen oder festgestellt worden. Es sei keine Entscheidung über einen Rechtsanspruch getroffen worden.
Am 25.02.2008 hat der Kläger Klage erhoben mit dem Begehren, den Bescheid vom 14.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2008 aufzuheben.
Er hat die Auffassung vertreten, dass es sich bei dem Schreiben vom 14.12.2007 um einen Verwaltungsakt handle, in dem die Beklagte eine rückwirkende Bewilligung der Leistungen nach § 67 SGB I abgelehnt habe. Diese Entscheidung sei ermessensfehlerhaft.
Mit Beschluss vom 22.04.2008 hat das SG Gelsenkirchen den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Klage biete keine Aussicht auf Erfolg. Die Beklagte habe den Widerspruch des Klägers gegen das Schreiben vom 14.12.2007 zutreffend als unzulässig zurückgewiesen. Sofern es sich bei dem Schreiben vom 14.12.2007 um einen Verwaltungsakt handle, wäre die Klage wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig da das Schreiben vom 14.12.2007 bereits Gegenstand des Verfahrens S 21 AS 26/07 geworden wäre.
Gegen den am 24.04.2008 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 29.04.2008 Beschwerde eingelegt.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Nach § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 114, 115 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
Die vom Kläger eingeleitete Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage wird der Kläger mit seinem Begehren zumindest insoweit Erfolg haben, als die Beklagte zur Neubescheidung seines Antrags auf nachträgliche Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.10. bis zum 19.11.2007 nach § 67 SGB I verpflichtet ist.
Unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes ist das Klagebegehren des Klägers dahingehend auszulegen, dass er unter Aufhebung des Bescheides vom 14.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 06.02.2007die Verurteilung der Beklagte zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.10. bis zum 19.11.2007 begehrt. Eine Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs.2 und Abs. 4 SGG ist zulässig.
Gegenstand des Verfahrens ist ein Verwaltungsakt. Bei dem Schreiben vom 14.12.2007 handelt es sich – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht nur um ein informatorisches Schreiben, sondern um einen Verwaltungsakt, in dem die Beklagte die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II an den Kläger für die Zeit vom 01.10 bis zum 19.11.2007 ablehnt. Ob die Erklärung einer Behörde als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, richtet sich danach, wie der Empfänger diese Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen musste (siehe BSG, Urteil vom 30.09.1006, 10 RKg 20/95; Engelmann in von Wulffen, SGB X, § 31 Rdz. 26 m.w.N.). Dem Inhalt des Schreibens ist, insbesondere durch die Bezugnahme auf den Versagungsbescheid vom 12.10.2007 und den darin enthaltenen Hinweis auf die Folgen der Nachholung der Mitwirkungshandlung erst nach Erlass des Widerspruchsbescheides, der erklärte Wille der Beklagten zu entnehmen, dass sie trotz der Nachholung der geforderten Mitwirkungshandlung Leistungen nach dem SGB II an den Kläger für die Zeit vom 01.10 bis zum 19.11.2007 nicht gewähren will, also das Begehren des Klägers auf nachträgliche Erbringung der Leistung für diesen Zeitraum nach § 67 SGB I ablehnt. Insoweit enthält das Schreiben eine Regelung des Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts i.S.v. § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Die Tatsache, dass dem Schreiben keine gesonderte Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt gewesen und das Schreiben nicht durch eine Überschrift als Verwaltungsakt gekennzeichnet ist, steht der Auslegung einer behördlichen Willenserklärung als Verwaltungsakt nicht entgegen.
Die Klage ist auch nicht wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig. Der Bescheid vom 14.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2008 ist nicht nach § 96 Abs. 1 SGG i.d.F. bis zum 31.03.2008 bzw. ab dem 01.04.2008 Gegenstand des Verfahrens S 21 AS 76/07 geworden. Gegenstand des Verfahrens S 21 AS 76/07 ist der Bescheid vom 12.10.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides 07.11.2007, in dem die Beklagte die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.10.2007 nach § 66 SGB I vollständig versagt. Dieser Versagungsbescheid wird durch den angefochtenen Bescheid weder ersetzt noch abgeändert i.S.v. § 96 Abs. 1 SGG, da der Regelungsinhalt des angefochtenen Ablehnungsbescheides nach § 67 SGB I auf den Bestand und die Rechtmäßigkeit des Versagungsbescheides nach § 66 SGB I aufbaut. Die Bescheide haben nicht den gleichen Streitgegenstand, sondern stehen nur im Sachzusammenhang. Der Bescheid vom 14.12.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2008 beruht auf veränderten Tatsachen – Nachholung der geforderten Mitwirkungshandlung nach Erlass des Versagensbescheides vom 12.10.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2007 – sowie auf einer anderen Rechtsgrundlage – § 67 SGB I -. Ebenso ist der angefochtene Bescheid nicht in analoger Anwendung des § 96 SGG vor dem 01.04.2008 Gegenstand des Verfahrens S 21 AS 76/07,geworden. § 96 SGG i.d.F. bis zum 31.03.2008 kann nach der Rechtsprechung (siehe BSG, Urteil vom 17.11.2005, B 11a/11 AL 57/04 R m.w.N.) im Interesse einer "sinnvollen Prozessökonomie" bzw. eines schnellen und zweckmäßigen Verfahrens nur dann entsprechend anzuwandt worden, wenn der spätere Bescheid im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses ergeht und ein streitiges Rechtsverhältnis regelt, das "im Kern" dieselbe Rechtsfrage betrifft und sich an den vom ursprünglichen Bescheid erfassten Zeitraum anschließt. Vorliegend ist die Einbeziehung einer ablehnenden Entscheidung nach § 67 SGB I in ein Verfahren, das einen Versagungsbescheid nach § 66 SGB I betrifft, jedoch nicht prozessokönomisch, da die Voraussetzungen, die einem Versagungsbescheid nach § 66 SGB I und einer ablehnenden Entscheidung nach § 67 SGB I rechtfertigen, nicht deckungsgleich sind und es sich um verschiedene Klagearten – zu einem eine reine Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 2 SGG und zum anderen eine Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 2, und Abs. 4 SGG – handelt.
Die erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage ist zumindest teilweise begründet. Der Bescheid vom 14.12.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2008 ist nicht nach § 77 SGG formell bestandskräftig geworden und damit für die Beteiligten nicht bindend. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheides vom 14.12.2007 Widerspruch eingelegt hat. Denn wegen des Fehlens einer Rechtsbehelfsbelehrung in dem Bescheid vom 14.12.2007 gilt nach § 66 Abs. 1 SGG nicht die Monatsfrist des § 84 Abs. 1 SGG, sondern die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 SGG. Diese Frist hat der Kläger eingehalten.
Die Ablehnung der nachträglichen Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ist rechtswidrig, da die Beklagte in dem Bescheid vom 14.12.2007 kein Ermessen ausgeübt hat. Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Gewährung von Leistungen nach § 67 SGB I sind gegeben, da der Kläger am 20.11.2007 nach dem Erlass eines Versagungsbescheides nach § 66 SGB I die geforderte Mitwirkungshandlung nachgeholt hat. Bei einer Entscheidung nach § 67 SGB I handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, da die Entscheidung über das Ob und den Umfang der Nachgewährung einer Leistung im pflichtgemäßen Ermessen des Leistungsträgers steht (siehe Seewald in Kasseler Kommentar, § 67 Rdz. 8). Die Beklagte hat im Bescheid vom 14.012.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.02.2008 kein Ermessen ausgeübt. Insoweit ist der Bescheid wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig. Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten der Beklagten sind insbesondere in Hinblick auf den existenzsichernden Charakter der Leistungen nach dem SGB II nicht ersichtlich. Ob eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten des Klägers gegeben ist, wird im Hauptsachverfahren zu prüfen sein.
Da der Kläger nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung auch nur teilweise aufzubringen, ist ihm ratenfreie Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 25.08.2008
Zuletzt verändert am: 25.08.2008