Die Wiederaufnahme wird als unzulässig verworfen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Wiederaufnahme eines durch Urteil vom 18.06.1998 abgeschlossenen Berufungsverfahrens, in dem die Gewährung von Witwenrente im sog. Zugunstenverfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) streitig war.
Die 1925 geborene Klägerin ist die Witwe des 1919 geborenen und am 00.04.1989 verstorbenen I X (im Folgenden: Versicherter). Sie bezieht von der Bundesknappschaft seit dem 01.05.1989 erhöhte Witwenrente (Bescheid vom 16.06.1989, gestützt auf §§ 69 Abs 2, 96c Abs 1 Nr 1 Reichsknappschaftsgesetz – RKG).
Der Versicherte bezog Verletztenrente wegen einer an Berufskrankheit anerkannten Silikose zuletzt ab November 1981 als Teilrente nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 v.H. (Vergleich vom 12.05.1982 im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg, Aktenzeichen (Az) S 4 BU 35/81; Ausführungsbescheid vom 14.06.1982). Unter Bezugnahme auf ein Gutachten von Dr. L lehnte die Beklagte zuletzt 1988 eine Rentenerhöhung ab (Bescheid vom 20.12.1988; Widerspruchsbescheid vom 05.01.1989). Während des anschließenden Klageverfahrens (SG Duisburg Az S 2 (34) BU 23/89) verstarb der Versicherte. Die Klägerin führte das Verfahren als Sonderrechtsnachfolgerin fort. Die Beklagte lehnte ab, ihr Witwenrente zu gewähren, weil der Versicherte nicht an den Folgen der Silikose verstorben sei (Bescheid vom 06.02.1990; Widerspruch vom 12.03.1990). Diese Entscheidung wurde Gegenstand des Rechtsstreits über die Lebzeitenrente. Das SG wies beide Klagen ab (Urteil vom 26.11.1990). Der erkennende Senat wies die Berufung zurück (Urteil vom 27.08.1992). Das Bundessozialgericht (BSG) verwarf die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig (Beschluss vom 12.01.1993, Az 8 BKnU 10/92).
Ein neuer Antrag auf Hinterbliebenenleistungen vom November/Dezember 1994 blieb erfolglos (Schreiben der Beklagten vom 29.12.1994; klageabweisendes Urteil SG Duisburg vom 29.05.1995, Az S 4 BU 8/95; Zurücknahme der Berufung am 12.02.1996 im Verfahren vor dem Senat, Az L 2 BU 39/95). Die Beklagte verpflichtete sich, den Anspruch aufgrund eines Antrags vom 29.05.1995 erneut zu prüfen. Mit diesem Antrag machte die Klägerin "eine Leistung mit Anspruch auf erhöhte Witwenrente nach § 69 Abs 2 RKG mit Anspruch auf einen Zuschuss nach § 96 c Abs 1 Nr 1 RKG für die Krankenversicherungsbeiträge aus der Rente" geltend. Die Beklagte holte ärztliche Stellungnahmen ein und lehnte erneut ab, Witwenrente zu gewähren (Bescheid vom 28.05.1996, gestützt auf § 44 SGB X). Zur Begründung ihres Widerspruchs trug die Klägerin vor, die Beklagte habe in ihren Schreiben vom 20.04.1989 sowie 06.02. und 02.05.1990 und 29.12.1994 die Berufskrankheit Silikose als Todesursache anerkannt. Auch in der Sitzung vor dem Senat am 12.02.1996 sei nach dem Protokoll der Anspruch anerkannt worden. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 09.10.1996). Zur Begründung ihrer Klage zum SG Duisburg trug die Klägerin vor, nach den Bescheinigungen von Dr. B und seinem Gutachten vom 04.02.1991 sei der Bronchialkrebs des Versicherten, der im Todeszeitpunkt vorgelegen habe, auf der Grundlage der Silikose entstanden. Auch im Schreiben der Beklagten vom 27.05.1993 sei die BK 4101 als Todesursache anerkannt worden. Das SG Duisburg wies die Klage ab (Urteil vom 08.05.1997), der Senat die Berufung zurück (Urteil vom 18.06.1998); er führte in den Entscheidungsgründen u.a. aus:
"Die von der Klägerin zitierten Schriftstücke enthalten kein Anerkenntnis. Sie weisen nur auf die BK 4101 als formales Ordnungskriterium hin. Auch das Sitzungsprotokoll vom 12.12.1996 hält kein Anerkenntnis der Beklagten fest, sondern nur die Verpflichtung, den Antrag vom 29.05.1995 zu überprüfen und einen Bescheid zu erteilen. Soweit die Bundesknappschaft in einem Rentenbescheid von Folgen einer Berufskrankheit ausgegangen ist, ist dies für den Streit um die Witwenrente ohne Belang. Der Inhalt des Rentenbescheides hat für die Beklagte keine Bindungswirkung."
Das BSG verwarf die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig (Beschluss vom 04.05.1999, Az B 8 KN 3/99 U B).
Am 01.04.2004 hat die Klägerin Klage zum SG Duisburg erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, "nach dem Versicherungsfall vom 17.04.1989 ihre gesetzlichen entschädigungspflichtigen Hinterbliebenenleistungen zu erfüllen". Zur Begründung hat sie auf einen "Bescheid vom 20.04.1989" als bisher nicht verwendetes Beweisstück – Mitteilung – verwiesen. Darin gestehe die Beklagte selbst zu, dass der Tod Folge der Berufskrankheit sei. Außerdem hat sie auf den Rentenbescheid der Bundesknappschaft vom 16.06.1989 als bisher nicht verwendetes Beweisstück Bezug genommen. Die Beklagte verstoße rechtswidrig gegen § 69 Abs 2 und 96 c Abs 1 Nr 1 RKG ("Renten-Kranken-Gesetz"). Mit Schreiben vom 30.06.2004 hat sie ihren Klageantrag umgestellt und "eine Restitutionsklage beantragt". Daraufhin hat sich das SG Duisburg für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landessozialgericht NRW verwiesen (Beschluss vom 21.12.2004). Zur Begründung ihrer Restitutionsklage trägt die Klägerin ergänzend vor, dass die bisher nicht verwendeten Beweisstücke (Schreiben der Beklagten vom 20.04.1989, Rentenbescheid der Bundesknappschaft vom 16.06.1989) ihren Anspruch auf erhöhte Witwenrente nach §§ 69 Abs 2 und 96 c Abs 1 Nr 1 des "Renten-Kranken-Gesetzes" beurkundeten. Die Beklagte solle ihre bisher nach § 69 Abs 2 RKG und nach § 96 c Abs 1 Nr 1 RKG unterlassene Leistungspflicht erfüllen.
Die Klägerin beantragt,
das Berufungsverfahren L 2 KN 61/97 U wieder aufzunehmen und nach dem zuletzt dort vor dem Senat am 18.06.1998 gestellten Sachantrag zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Wiederaufnahmeklage als unzulässig zu verwerfen.
Sie meint, die Voraussetzungen für ein Wiederaufnahmeverfahren gemäß § 179 SGG iVm mit den entsprechenden Vorschriften der ZPO liegen nicht vor.
Wegen der Darstellung der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der beigezogenen Vorprozessakten ( SG Duisburg, Az S 4 BU 35/81; S 2(3) BU 23/89 = LSG NRW L 2 BU 1/91; S 2 BU 73/90; S 4 BU 8/95 = LSG NRW L 2 BU 39/95; S 4 KN 36/04 U) Bezug genommen. Sämtliche Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die sachliche Zuständigkeit des Senats ergibt sich jedenfalls aus der bindenden Verweisung durch das SG, §§ 98 Sozialgerichtsgesetz (SGG), 17a Abs 2 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz. Dabei stellt die sich hier aus §§ 179 Abs 1 SGG, 584 Abs 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ergebende instanzielle Zuständigkeit einen Unterfall der sachlichen Zuständigkeit dar (Peters/Sautter/Wolff. Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit. Stand Dezember 2004. § 98 Rdnr 33; Rohwer-Kahlmann. Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit. 4. Auflage.§ 98 Rdnr 3; Bley. SGG. § 98 2b S. 797; Roller in: Handkommentar zum SGG. 2003. § 98 Rdnr 2; Dankwerts in: Hennig. SGG. § 98 Rdnr 1; Leitherer in: Meyer-Ladewig u.a. SGG. 8. Auflage 2005. § 98 Rdnr 2; z.T. jeweils mwN; aA nur: Zeihe. Das Sozialgerichtsgesetz und seine Anwendung. 8. Auflage Stand Mai 2004. § 98 Rdnr 1f).
Die Wiederaufnahmeklage ist unzulässig und deshalb "als unzulässig zu verwerfen", §§ 179 Abs 1 SGG, 589 Abs 1 Satz 2 ZPO. Denn sie ist nicht statthaft.
Die Statthaftigkeit der Wiederaufnahmeklage bestimmt sich hier nach § 179 Abs 1 SGG, da die im SGG geregelten besonderen Wiederaufnahmegründe (§§ 179 Abs 2, 180 Abs 1 und 2 SGG) ersichtlich nicht in Betracht kommen. Nach § 179 Abs 1 SGG kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren entsprechend den Vorschriften der ZPO wieder aufgenommen werden. Nach § 578 Abs 1 ZPO kann die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil (ab)geschlossenen Verfahrens durch Nichtigkeits- und durch Restitutionsklage erfolgen.
Nach § 580 ZPO findet die Restitutionsklage statt, wenn einer der dort abschließend aufgezählten Restitutionsgründe vorliegt. Das ist indes nicht der Fall, weil die Klägerin Tatsachen, die einen solchen Restitutionsgrund ergeben, nicht vorgetragen hat. Der – nach ihrem Vortrag einzig zu erwägende – Restitutionsgrund des § 580 Zif 7 b ZPO liegt nicht vor. Die Klägerin hat eine andere Urkunde, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, weder aufgefunden, noch ist sie in den Stand gesetzt worden, sie zu benutzen. Tatsächlich ist der Sachstand, was die von der Klägerin bezeichneten Schriftstücke betrifft, der gleiche wie zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils vom 18.06.1998. Die von der Klägerin angeführten, angeblich bisher nicht verwerteten Beweisstücke lagen sämtlich zum damaligen Zeitpunkt bereits vor, waren Gegenstand der Akten und sind vom Senat im Urteil vom 18.06.1998 auch behandelt worden. Neue Urkunden, die damals noch nicht vorlagen, hat die Klägerin nicht bezeichnet. Dann stellt aber die Bezugnahme auf diese Schriftstücke bereits wegen der sog. Hilfsnatur der Restitutionsklage keinen Restitutionsgrund dar, § 582 ZPO. In der Sache wendet sich die Klägerin vielmehr mit ihrem Vorbringen unter Wiederholung ihres damaligen Sachvortrags ausschließlich gegen die Beweiswürdigung im früheren Berufungsverfahren.
Auch Sachverhalte, bei deren Vorliegen eine Nichtigkeitsklage stattfindet (§ 579 ZPO), hat die Klägerin nicht vorgetragen.
Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die Wiederaufnahmeklage auch deshalb unzulässig ist, weil sie nach Ablauf von fünf Jahren von dem Tag der Rechtskraft an gerechnet eingelegt und schon deshalb unstatthaft ist (§§ 179 Abs 1 SGG, 586 Abs 2 iVm Abs 1 ZPO). Das Urteil des Senats vom 18.06.1998 ist mit der Zustellung des Beschlusses des BSG vom 04.05.1999 rechtskräftig geworden. Der Zeitpunkt der Zustellung dieses Beschlusses lässt sich den Akten nicht entnehmen. Sofern man die vom SG zutreffend als sachdienlich beurteilte (vgl § 99 Abs 1 SGG) Klageänderung vom 04.07.2004 als Erhebung der Restitutionsklage ansähe, dürfte dieser Zeitpunkt voraussichtlich nach Ablauf des 5-Jahreszeitraumes liegen. Sähe man aber die Klage vom 28.03.2004 (eingegangen am 01.04.2004) bereits als Wiederaufnahmeklage an, läge der Eingang vor Ablauf der 5-Jahresfrist. Letztlich kommt es aber auch darauf nicht entscheidend an, weil die in § 586 Abs 1 und 2 geregelten besonderen Fristen für die Wiederaufnahmeklage denklogisch voraussetzen, dass tatsächlich ein Anfechtungsgrund vorliegt. Dies ist aber – wie ausgeführt – hier nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs 1 SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht §§ 591 ZPO, 160 Abs 2 SGG.
Erstellt am: 14.11.2005
Zuletzt verändert am: 14.11.2005