Auf die Beschwerde des Klägers vom 27.03./02.04.2007 wird der Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 08.03.2007 geändert. Die dem Kläger entstandenen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites trägt die Beklagte.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte (d. Bekl.) die außergerichtlichen Kosten eines inzwischen erledigten Klageverfahrens wegen Untätigkeit (§ 88 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG -) zu tragen hat.
Im Hauptsacheverfahren begehrte der am 00.00.1991 geborene, schwerstbehinderte, insbesondere bewegungsbehinderte und von einem Entwicklungsrückstand (zwei bis zweieinhalb Jahre) betroffene Kläger (d. Kl.) die Gewährung eines Therapiefahrrades als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 33 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches – SGB V -). Den Antrag von August 2006 lehnte d. Bekl. nach mehrfacher Anhörung des Arztes Dr. H vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) durch Bescheid vom 12.09.2006 mit der Begründung ab, für Jugendliche ohne wesentliche geistige Behinderung komme ein Therapiefahrrad nicht mehr in Betracht. Dabei stützte sich d.Bekl. auf einen Auszug aus dem Hilfsmittelkatalog, wonach eine Hilfsmittelversorgung mit Zwei- und Dreirädern für Jugendliche ab dem 15. Lebensjahr nicht mehr in Betracht komme (wohingegen das Bundessozialgericht – BSG – eine solche alters- und jahrgangsmäßige Einschränkung in seiner Rechtsprechung zur Versorgung von Kindern und Jugendlichen in dieser Form und derart generell bislang nicht ausgesprochen hat, vgl. nur BSG, SozR 3-2500 § 33 Nrn 27 und 46; vielmehr stellt es auf das Bestehen einer Entwicklungsphase ab, die in der Regel bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres noch nicht abgeschlossen sei). Auf den ablehnenden Bescheid vom 12.09.2006 forderte d. Bekl. von Dr. H eine weitere Stellungnahme an, die allerdings erst Anfang November 2006 bei d. Bekl. einging und deren Ergebnisse sie unverzüglich den gesetzlichen Vertretern d. Kl. eröffnete. Der Bevollmächtigte d. Kl. wies d. Bekl. am 11.12.2006 darauf hin, dass die in § 88 Abs. 2 SGG vorgesehene Frist zur Erteilung eines Widerspruchsbescheides in Kürze ablaufe. Er drohe deshalb schon jetzt eine Untätigkeitsklage an. D. Bekl. antwortete darauf am 13.12.2006, es müsse "wegen des zur Zeit anfallenden Arbeitsanfalls mit einer längeren Bearbeitungszeit gerechnet werden". Sie sei "um eine zügige Bearbeitung bemüht".
D.Kl. hat am 08.01.2007 beim Sozialgericht – SG – Aachen Untätigkeitsklage erhoben und geltend gemacht, es bestehe kein sachlicher Grund für eine verzögerte Bearbeitung. Nach Erteilung eines (den Anspruch ablehnenden) Widerspruchsbescheides am 30.01.2007 hat d. Kl. das Untätigkeitsverfahren für erledigt erklärt und beantragt, d. Bekl. die außergerichtlichen Kosten (785,40 Euro einschließlich einer Erledigungsgebühr) aufzuerlegen.
D.Bekl. ist dem Kostenantrag d. Kl. entgegengetreten und hat im Wesentlichen herausgestellt, wegen der Weihnachtsfeiertage habe d. Kl. frühestens Ende Januar mit einer Entscheidung über seinen Widerspruch rechnen können. Jedenfalls seien die geltend gemachten Kosten zu hoch.
Das SG hat mit Beschluss vom 08.03.2007 entschieden, dass Kosten nicht zu erstatten seien. Der Beschwerde d. Kl. vom 27.03.2007, bei Gericht eingegangen am 02.04.2007, hat es nicht abgeholfen (Beschluss vom 04.04.2007).
II.
Die Beschwerde ist begründet. Nach § 193 Abs. 1 S. 3 SGG entscheidet das Sozialgericht auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren anders als durch Urteil endet. Die Entscheidung ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts. Im Regelfall ist es angemessen, dass derjenige die Kosten trägt, der unterliegt. Jedoch darf nicht nur auf das Ergebnis des Rechtsstreites abgestellt werden, auch ist das Veranlassungsprinzip zu beachten (etwa bei unrichtiger Beratung, falscher oder fehlerhafter Begründung durch den Leistungsträger). Zwar hat das SG zutreffender Weise darauf abgestellt, dass am 11.12.2006 die Beteiligten nicht mehr erwarten konnten, dass eine Entscheidung über den am 29.09.2006 bei d. Bekl. eingegangenen Widerspruch d. Kl. bis zum Ablauf der Dreimonatsfrist des § 88 Abs. 2 SGG ergehen konnte. Insoweit hatte d. Bekl. einen zureichenden Grund (§ 88 Abs. 1 SGG), den Widerspruch erst im Januar 2007 zu bescheiden.
Jedoch kann nicht außer Acht gelassen werden, dass d. Bekl. mit ihrem Schreiben vom 13.12.2006 nicht den Eindruck erweckt hat, sie setze alles daran, den Widerspruch in angemessener Zeit zu bescheiden. Vielmehr wurde d. Kl. eine "längere Bearbeitungszeit" angekündigt, ohne dass sich d. Bekl. etwa auf einen Termin noch im Januar 2007 festgelegt hätte. Auch deutet die Formulierung, man sei um eine "zügige Bearbeitung bemüht" nicht darauf hin, dass man eine besondere Eilbedürftigkeit sehe. Die gewählten Formulierungen erscheinen eher floskel- und leerformelhaft. Demgegenüber kann auch nicht unbeachtet bleiben, dass die Angelegenheit angesichts des Alters d. Kl., der die von d. Bekl. angeführte Altersgrenze schon überschritten hatte, schon damals besonders eilbedürftig war. Auch sind d. Bekl. schon die Verzögerungen bis zur Erstattung der erneuten MDK-Stellungnahme angesichts des fortschreitenden Alters d. Kl. zuzurechnen, zumal d. Bekl. auch die vom MDK noch im Jahre 2000 festgestellten Entwicklungsverzögerung von zwei bis zweieinhalb Jahren (Ziff. 4.2.4 des Pflegegutachtens vom 28.08.2000) trotz der anerkennenswerter Auswertung neuerer Zeugnisse der Förderschule unberücksichtigt gelassen hat und aus der von ihr zitierten Rechtsprechung des BSG eine so wohl nicht zu verstehende generelle Altersbegrenzung entnommen zu haben scheint. Insoweit ist als weiterer, wesentlicher Ermessensgesichtspunkt zu berücksichtigen, dass d. Bekl. Veranlassung zur Erhebung einer (verfrühten) Untätigkeitsklage gegeben hat. Dies rechtfertigt es, ihr die Kosten des Verfahrens – auch in vollem Umfange – aufzuerlegen.
Soweit d. Bekl. bereits mit Schriftsatz vom 02.03.2007 z. T. nachvollziehbar gerügt hat, die Kostenrechnung des Klägerbevollmächtigten sei weit überhöht (Erledigungsgebühr, Gebührensätze nach Mittelgebühr), ist darüber im Beschwerdeverfahren nicht zu entscheiden. Diese Entscheidung (auch unter Berücksichtigung des weiteren Aufwandes für den Bevollmächtigten durch das Beschwerdeverfahren) bleibt zunächst dem Urkundsbeamten, notfalls der sozialgerichtlichen Kammer (endgültig) vorbehalten (§ 197 SGG).
Erstellt am: 18.06.2007
Zuletzt verändert am: 18.06.2007