Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 25. Juni 2008 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist (nur noch) streitig, ob die Klägerin im Zusammenhang mit der Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen zur Zahlung von Säumniszuschlägen (SZ) verpflichtet ist.
Die Klägerin, Dipl.-Ing. für Bekleidungstechnik, betreibt in der dritten Generation nach ihrem Großvater und Vater einen Großhandel mit zumeist selbst entworfenen Lederwaren, die im asiatischen Ausland produziert werden. Am 23. und 24.11.2004 führte die Beklagte in ihrer Firma eine Betriebsprüfung, betreffend den Zeitraum vom 01.01.2000 bis zum 31.12.2003, durch. Dabei wurde festgestellt, dass die Klägerin die bis zum 31.03.2002 geltende Allgemeinverbindlichkeit des "Tarifvertrages Sonderzahlung Groß- und Außenhandel NRW" vom 02.05.1995 in der Fassung vom (idFv) 09.07.1997 und das "Urlaubsgeldabkommen für den Groß- und Außenhandel NRW" vom 02.05.1997 idFv 09.07.1997 nicht beachtet hatte. Mit Bescheid vom 24.11.2004 forderte die Beklagte daraufhin Beiträge in Höhe von insgesamt 22.686,81 EUR nach sowie SZ in Höhe von 13.572,94 EUR, davon 13.482,94 EUR bezogen auf die Nachforderungen wegen der Allgemeinverbindlichkeit der o. g. tarifvertraglichen Regelungen. Zur Begründung stellte die Beklagte darauf ab, die Nichtbeachtung der o. g. Tarifverträge habe wegen des im Sozialversicherungsrecht geltenden sog. Entstehungsprinzips zur Folge, dass bei den unter die o. g. tarifvertraglichen Regelungen fallenden Arbeitnehmern sozialversicherungsrechtlich zusätzlich zu den gezahlten Arbeitsentgelten auch die nicht geleisteten Sonder- und Urlaubsgeldzahlungen zu berücksichtigen seien. In bestimmten Fällen führe dies wegen des Überschreitens der maßgeblichen monatlichen Entgeltgrenzen für geringfügig Beschäftigte im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) zu umfassender Versicherungspflicht, in anderen Fällen zu höheren Pauschbeiträgen zur Kranken- und Rentenversicherung (KV/ RV), die nachzuerheben seien. Bei einer weiteren Arbeitnehmerin sei trotz anders lautenden arbeitsgerichtlichen Vergleichs für zwei Monate kein Arbeitsentgelt gezahlt worden; auch insoweit seien Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten. Schließlich seien in Anlehnung an das Ergebnis einer Lohnsteueraußenprüfung des Finanzamtes Steinfurt am 24.06.2003, betreffend den Zeitraum vom 01.01.2000 bis zum 31.12.2002, Sozialversicherungsbeiträge für Löhne, die an Messehilfen in den Jahren 2000 bis 2002 gezahlt worden seien, nachzuentrichten.
Mit dem dagegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin, vertreten zunächst durch den Steuerberater E (Beigeladener zu 12) u. a., geltend, die Aushilfskräfte würden nach Arbeitsanfall von der Klägerin beschäftigt. Es seien Stundensätze vereinbart worden, die alle Nebenleistungen, wie Weihnachts-, Urlaubsgeld und sonstige Leistungen, beinhalteten. Darüber hinaus schulde die Klägerin arbeitsrechtlich keine weiteren Zahlungen. Wie sich aus den Urteilen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 28.01.2004 (BAGE 109, 254) und vom 14.10.2004 (Urteilssammlung für die Gesetzliche Krankenversicherung (USK) 2004-73) ergebe, seien im Arbeitsrecht auch Sondervereinbarungen zulässig. Solche könnten entweder in Form von Tarifverträgen oder auch durch eine vertragliche Individualvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer getroffen werden.
Nachdem die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Kopie des Urteils des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 14.07.2004 (USK 2004-38) übersandt hatte, begründete die Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigten den Widerspruch ergänzend wie folgt: Sie habe die Allgemeinverbindlichkeit der o. g. Tarifverträge für den Großhandel nicht gekannt. Ihr Betrieb selbst sei nicht tarifgebunden. Es sei auch nicht ungewöhnlich, dass Arbeitgeber nicht durchschauen könnten, ob und mit welchen Wirkungen ein Tarifvertrag Geltung habe, zumal es weit über 500 verschiedene Tarifverträge gebe. Es überspanne die Leistungs- und Sorgfaltspflichten eines Steuerpflichtigen bzw. -beraters bei weitem, entsprechende Kenntnisse zu verlangen. Im Übrigen sei die Allgemeinverbindlichkeit der hier einschlägigen Tarifverträge mit Wirkung zum 31.03.2002 entfallen. Sie, die Klägerin, sei auch von keiner Seite auf die Tarifgebundenheit ihres Betriebes hingewiesen worden, insbesondere nicht durch das Finanzamt im Rahmen der durchgeführten Lohnsteuerprüfungen. Die betroffenen Arbeitnehmer hätten nicht nur bei Abschluss der Arbeitsverträge auf weitergehende Rechte verzichtet, sondern der Verzicht erstrecke sich auch auf nachträgliche Vergütungsforderungen. Zumindest aber müsse die Zahlung der SZ entfallen, da ihr nicht bekannt gewesen sei, dass sie über die abgeführten Sozialversicherungsbeiträge hinaus weitere Zahlungen zu erbringen gehabt habe. Bei sämtlichen Betriebsprüfungen, die in der Vergangenheit in ihrem, der Klägerin, Betrieb durchgeführt worden seien, habe es keinerlei Beanstandungen gegeben. Sie habe deshalb davon ausgehen können, dass ihre Handhabung bei der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge zutreffend sei. Daraus ergebe sich ein konkreter Vertrauenstatbestand.
Mit Schriftsatz vom 20.10.2005 teilte die Klägerin ergänzend mit, dass sie den Widerspruch lediglich bezüglich der festgesetzten SZ aufrecht erhalte, ihn jedoch bezüglich der Hauptforderung, die sie nunmehr anerkenne, zurücknehme. SZ seien nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) offensichtlich nur zu zahlen, wenn ein vorsätzliches Handeln vorliege; denn bezüglich der Prüfung des Verschuldensmaßstabes verweise das BSG auf § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV. Ein solcher Vorsatz sei jedoch bei ihr, der Klägerin, weder direkt noch in Form des sog. Organisationsverschuldens im Hinblick auf den beauftragten Steuerberater gegeben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.07.2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Klägerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht gehabt habe. Sie könne sich nicht darauf berufen, ihr habe die Kenntnis gefehlt, dass sie ihren Arbeitnehmern ein höheres tarifliches Arbeitsentgelt geschuldet habe. Darauf könnten sich auch Außenseiter regelmäßig nicht berufen; denn auch sie hätten sich umfassend über Verpflichtungen, die sie als Arbeitgeber träfen, d. h. auch über allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge, zu informieren. Die Klägerin könne auch nicht mit der Behauptung, es gebe eine geänderte Rechtsprechung im Sinne der Hinwendung zu dem Entstehungsprinzip und der darin liegenden Abkehr von dem Zuflussprinzip, durchdringen. Die einschlägige Rechtsprechung sei bereits im Jahre 1982 geändert worden. Auch könne sich die Klägerin nicht auf Vertrauensschutz im Hinblick auf eine anderweitige Verwaltungspraxis in der Vergangenheit berufen. Es könne zwar zutreffen, dass die Klägerin bei Vorprüfungen nicht auf das Entstehungsprinzip hingewiesen worden sei. Ein konkreter Vertrauenstatbestand dergestalt, dass Beiträge nur von dem tatsächlich gezahlten Arbeitsentgelt zu entrichten seien, lasse sich aus den Vorprüfungen jedoch nicht herleiten.
Zur Begründung ihrer am 30.08.2006 zu dem Sozialgericht (SG) Münster erhobenen Klage hat die Klägerin ergänzend vorgetragen, sie selbst treffe kein Verschulden. Ihr sei aber auch das Verhalten ihres Steuerberaters nicht zuzurechnen; denn diesem sei ebenfalls kein Verschulden vorwerfbar. Maßgeblich für das Steuerrecht sei das Zuflussprinzip; dass dies im Sozialversicherungsrecht anders sei, müsse der Steuerberater nicht wissen. Auch würde es die Leistungs- und Sorgfaltspflichten eines Steuerberaters bei weitem überspannen, wenn man – im Hinblick auf die Vielzahl unterschiedlichster Tarifverträge – von diesem genaue Kenntnisse des Tarifvertragrechtes verlangen würde. Zwar beinhalte ein dem Steuerberater erteiltes Lohnbuchmandat auch die An- und Abmeldung zur bzw. von der Sozialversicherung, doch sei ein Steuerberater nicht zur Beratung seiner Mandanten in sozialversicherungsrechtlichen Fragen verpflichtet. Eine solche Verpflichtung sei der Beigeladene zu 12) auch nicht eingegangen. Selbst wenn man aber ein Verschulden des Steuerberaters annehmen würde, wäre dies jedenfalls ihr, der Klägerin, nicht zuzurechnen. Sie habe den von ihr beauftragten Steuerberater sorgfältig ausgewählt, so dass sie kein Organisationsverschulden treffe.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 24.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2006 insoweit aufzuheben, als SZ in Höhe von 13.482,94 EUR festgesetzt worden sind.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich zur Begründung auf den ihrer Auffassung nach rechtmäßigen angefochtenen Bescheid bezogen. Ergänzend hat sie vorgetragen, der Begriff "unverschuldet" im Sinne von § 24 SGB IV beinhalte sowohl vorsätzliches als auch fahrlässiges Verhalten. Verschuldensmaßstab sei § 276 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Falls fahrlässiges Verhalten von Beitragsschuldnern nicht erfasst werden würde, würden SZ häufig wegfallen. Dies sei aber nicht Intention des Gesetzgebers gewesen. Fehler bei der Beitragsentrichtung wenig verbreiteter Nebenleistungen, bei denen die Steuer- und Beitragspflicht in komplizierten Vorschriften geregelt sei, die zum Teil nicht völlig übereinstimmten, beruhten häufig auf fahrlässiger Rechtsunkenntnis, zumal wenn es sich um kleine Betriebe handele, bei denen der Arbeitgeber die Beitragsberechnung ohne Fachpersonal selbst vornehme. Auch in solchen Fällen aber habe der Gesetzgeber die Zahlung von SZ als Regelfall vorsehen wollen.
Die Beigeladenen zu 1) – 11), die keine eigenen Anträge gestellt haben, haben sich der Rechtsauffassung der Beklagten angeschlossen.
Das SG hat die mit der Buchhaltung und Personalsachbearbeitung innerhalb der Firma der Klägerin betraute Frau I als Vertreterin der Klägerin ergänzend befragt. Wegen des Ergebnisses wird auf die Niederschrift der nichtöffentlichen Sitzung des SG vom 04.04.2008 verwiesen.
Im Einverständnis der Beteiligten hat das Sozialgericht sodann mit Gerichtsbescheid vom 25.06.2008 den Bescheid vom 24.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2006 insoweit aufgehoben, als SZ in Höhe von 13.482,94 EUR von der Klägerin gefordert werden. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 SGB IV seien erfüllt. Die Klägerin sei hinsichtlich der geltend gemachten Beiträge leistungspflichtig gewesen und habe diese verspätet gezahlt. Auch wenn die Beklagte die geltend gemachten SZ der Höhe nach unstreitig richtig berechnet habe, so sei der Anspruch jedoch dem Grunde nach nicht gegeben. Die Klägerin habe glaubhaft gemacht, dass sie unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht gehabt habe. Es bestünden keine Zweifel, dass die Klägerin selbst keine Kenntnis von der Allgemeinverbindlichkeit der einschlägigen Tarifverträge gehabt habe. Dies folge aus den glaubhaften Angaben der Zeugin I. Die Klägerin habe auch keinem Arbeitgeberverband angehört. Bei den vorausgegangenen Betriebsprüfungen seien weder die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge noch das Entstehungsprinzip thematisiert worden. Es habe zu diesen Fragen nach der Änderung der Prüfpraxis infolge des Wechsels der Prüfzuständigkeit von den Einzugsstellen auf die Rentenversicherungsträger eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten, insbesondere in den Jahren zwischen 2000 und 2004, gegeben. Bereits hieraus sei ersichtlich, dass die neue Prüfpraxis in Arbeitgeberkreisen nicht bekannt gewesen sei. Vor diesem Hintergrund erscheine der Vortrag der Klägerin plausibel. Dies hindere zwar nicht die Beitragserhebung und den Eintritt der Säumnis. Daraus folge aber nicht zwangsläufig auch ein Anspruch der Beklagten auf SZ. Nach § 24 Abs. 2 SGB IV habe der Gesetzgeber unbillige Härten vermeiden wollen. Wenn der Vertrauensschutzgedanke durch vorausgegangenes Verhalten der Prüfbehörden auch nicht die Beiträge selbst erfasse, so müsse hinsichtlich der SZ ein anderer Maßstab angelegt werden. Die Klägerin beziehungsweise – ihr zurechenbar – ihr Steuerberater müssten sich die fehlende Kenntnis lediglich im Sinne leichter Fahrlässigkeit zurechnen lassen. Das Merkmal "unverschuldet" im Sinne von § 24 Abs. 2 SGB IV erfasse jedoch keine leichte Fahrlässigkeit.
Gegen den ihr am 30.06.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 29.07.2008 Berufung eingelegt. Zur Begründung stellt sie ergänzend darauf ab, dass Verschuldensmaßstab des § 24 Abs. 2 SGB IV Vorsatz und jede Form von Fahrlässigkeit sei. Aus der Gesetzesbegründung lasse sich jedenfalls keine Einschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ableiten. Für diese Auslegung spreche auch die Regelung des § 24 Abs. 1 S. 1 SGB IV, nach der bei kurzfristiger Säumnis der Anspruch auf SZ ohne jedes Verschulden des Schuldners allein durch Zeitablauf entstehe. Wolle man die Erhebung von SZ im Falle der längerfristigen Säumnis allein von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit abhängig machen, so bliebe fahrlässiges Verhalten letztlich ohne Folgen. Der Beitragsschuldner würde geradezu aufgefordert, es mit der gebotenen Sorgfalt bis zur nächsten Betriebsprüfung nicht so genau zu nehmen. Damit würde man den pünktlichen Beitragszahlern nicht gerecht, die nur deshalb pünktlich sein könnten, weil sie sich rechtzeitig und sorgfältig um die notwendigen Kenntnisse bemüht hätten. Die Klägerin aber habe die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, § 276 Abs. 2 BGB. Die Beachtung der Sorgfaltspflichten als Arbeitgeberin und auch als Beitragsschuldnerin erfordere es in der Tat, sich rechtzeitig und umfassend über die Ansprüche zu informieren, die die Arbeitnehmer und Versicherungsträger ihr gegenüber hätten. Die Klägerin habe auch Gelegenheit gehabt, sich die notwendigen Kenntnisse zum allgemeinverbindlich erklärten Tarifrecht zu verschaffen. Das für eine solche Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrages vorgesehene Veröffentlichungs- und Dokumentationsverfahren habe stattgefunden. Spezifische Schwierigkeiten bei der Beschaffung seien nicht erkennbar. In einem solchen Fall könnten nach der Rechtsprechung (BSG Sozialrecht (SozR ) 4-2400 § 22 Nr. 2) auch Außenseiter nicht geltend machen, sie hätten die einschlägigen Bestimmungen allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge nicht gekannt. Ob der Klägerin dagegen die seit 1982 geänderte Rechtsprechung zur Aufgabe des Zuflussprinzips und zur Hinwendung zum Entstehungsprinzip bekannt gewesen sei, könne dahinstehen; denn mögliche, insoweit fehlende Kenntnisse der Klägerin seien nicht ursächlich für ihre Säumnis gewesen. Diese habe allein auf der fehlenden Kenntnis der tarifvertraglichen Ansprüche der Arbeitnehmer beruht. Hätte die Klägerin diese Ansprüche pflichtgemäß zur Kenntnis genommen, beachtet und erfüllt, so hätte die Beachtung und Erfüllung der Ansprüche der Versicherungsträger keine Erkenntnisse über das Entstehungsprinzip erfordert. Das Beitragsverfahren wäre dann, wie bei vielen anderen Arbeitgebern auch, ohne Besonderheiten abgewickelt worden.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 25.06.2008 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie erachtet das erstinstanzliche Urteil als zutreffend. Zur Begründung bezieht sie sich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Ergänzend weist sie bezüglich ihrer Aktivlegitimation darauf hin, dass zum 01.01.2007 die Umwandlung der früheren Einzelfirma in eine GmbH & Co. KG erfolgt sei, die SZ aber bereits vor der Umwandlung der Einzelfirma durch sie selbst gezahlt worden seien. Abgesehen davon, dass sie materiell-rechtlich nach wie vor die Auffassung vertrete, es reiche ein leicht fahrlässiges Verhalten nicht aus, um zur Zahlung von SZ herangezogen zu werden, habe sich aus ihrer Sicht durch die Beweisaufnahmen auch erwiesen, dass ihr weder ein grob noch ein leicht fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen sei. Da sie selbst weder Zeit noch Gelegenheit gehabt habe, sich mit steuerlichen beziehungsweise sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten zu befassen – sie sei vorwiegend als Designerin und Textilingenieurin tätig und habe sich häufig im asiatischen Ausland befunden -, habe sie mit dieser Aufgabe den Beigeladenen zu 12) betraut. Sie habe davon ausgegangen können, dass er sich auch mit den ihren Betrieb betreffenden sozialversicherungsrechtlichen Fragen befasse. Sie habe auch nie Anlass gehabt, an der Kompetenz und die Zuverlässigkeit des Beigeladenen zu 12), den sie in dieser Funktion von ihrem Vater als früherem Firmeninhaber "übernommen" habe, zu zweifeln. In den langen Jahren der Tätigkeit des Beigeladenen zu 12) sowohl für ihren Vater als auch für sie selbst sei es nie über Marginalitäten hinaus bei Betriebs- oder Lohnsteueraußenprüfungen zu Beanstandungen gekommen. Bezüglich der von dem Beigeladenen zu 12) wahrgenommenen Aufgaben verweist die Klägerin auf umfangreiche, zu den Akten gereichte Unterlagen.
Der Senat hat die Klägerin selbst sowie ihre Mitarbeiterin, Frau I, als ihre Vertreterin umfassend zu den tatsächlichen Verhältnissen in dem Betrieb der Klägerin, insbesondere zu der geübten Praxis in Bezug auf das Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht und zu den Absprachen mit dem Steuerberater E, befragt sowie den Steuerberater E – vor seiner Beiladung – und die ehemalige Prokuristin der Klägerin, C, als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahmen wird auf die Niederschriften der nicht-öffentlichen Sitzungen vom 11.09., 24.11.2008 und 05.02.2009 sowie der öffentlichen Sitzung vom 12.03.2009 Bezug genommen. Ergänzend hat der Senat den Steuerberater E gemäß § 75 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit Beschluss vom 05.02.2009 zu dem Verfahren beigeladen, weil seine Interessen durch die Entscheidung berührt werden. Die Klägerin hat nicht ausgeschlossen, ihren Steuerberater auf Schadensersatz in Anspruch nehmen zu wollen, falls sie im vorliegenden Verfahren unterliegen sollte.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozess- und der Verwaltungsakte Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist begründet. Mit Gerichtsbescheid vom 25.06.2008 hat das SG zu Unrecht der Klage stattgegeben und den Bescheid der Beklagten vom 24.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.4.2006 insoweit aufgehoben, als SZ in Höhe von 13.482,94 EUR von der Klägerin gefordert werden. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist auch rechtmäßig, soweit SZ in Höhe von 13.482,94 EUR – nur dies ist Gegenstand des Verfahrens – festgesetzt worden sind. Die Klägerin ist zur Zahlung der der Höhe nach zutreffend berechneten SZ verpflichtet.
Der Senat hat keine Zweifel an der Aktivlegitimation der Klägerin. Diese hat vorgetragen und belegt, dass sie die streitgegenständlichen SZ als Alleininhaberin der früheren Einzelfirma nach Teilrücknahme ihres Widerspruchs vollumfänglich aus eigenen Mitteln geleistet habe. Der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der geleisteten Zahlung nach einem Obsiegen auch in der Berufungsinstanz ist nicht auf die inzwischen bestehende GmbH & Co KG übergegangen. Im Übrigen ist auch die Klägerin selbst und nicht ihre damals bestehende Einzelfirma Adressatin des belastenden Verwaltungsaktes gewesen, mit dem u. a. SZ gefordert worden sind.
Die beklagte Deutsche Rentenversicherung (DRV) Westfalen war im Rahmen der in der Firma der Klägerin durchgeführten Betriebsprüfung gemäß § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV befugt, die Versicherungspflicht der Arbeitnehmer der Klägerin und die Beitragshöhe in der Kranken- (KV), der Pflege- (PV) und der Rentenversicherung (RV) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (AloV) durch Verwaltungsakt festzustellen. Sie hat diese Feststellung dem Grunde und der Höhe nach zu Recht getroffenen. Insoweit ist der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 24.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2006 – nach Teilrücknahme des Widerspruchs – bestandskräftig geworden. Die Beklagte hat aber darüber hinaus ebenfalls zu Recht in Höhe von 13.482,94 EUR – nur insoweit ist der Verwaltungsakt angefochten – SZ festgesetzt. Dies steht zur Überzeugung des Senates unter anderem auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme in zweiter Instanz fest.
Gemäß § 24 Abs. 1 SGB IV ist für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein SZ von 1 v. H. des rückständigen, auf 50,00 EUR nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist gemäß Abs. 2 der Vorschrift ein darauf entfallender SZ nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte.
Dass die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 SGB IV vorliegend gegeben sind, unterliegt auch bei den Beteiligten keinen Zweifeln und bedarf keiner weiteren Ausführungen. Entgegen der Auffassung der Klägerin steht der Erhebung der SZ jedoch nicht § 24 Abs. 2 SGB IV entgegen. Zwar hat die Beklagte eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt; die Berechtigung dieser Beitragsforderung hat die Klägerin im Laufe des Vorverfahrens anerkannt. Diese hat auch glaubhaft gemacht, dass sie keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Dies steht zur Überzeugung des Senates auf Grund der weiteren Ermittlungen im Berufungsverfahren fest.
Dabei ergibt sich die Zahlungspflicht der Klägerin daraus, dass der "Tarifvertrag Sonderzahlung Groß- und Außenhandel NRW" vom 02.05.1995 idFv 09.07.1997 und das "Urlaubsgeldabkommen für den Groß- und Außenhandel NRW" vom 02.05.1997 idFv 09.07.1997, denen der Betrieb der Klägerin vom Tätigkeitsinhalt her unterfällt, wirksam für allgemeinverbindlich erklärt worden ist und damit von der Klägerin, obwohl sie dem einschlägigen Arbeitgeberverband nicht angeschlossen war, hätte arbeits- und sozialrechtlich umgesetzt werden müssen. Die Allgemeinverbindlicherklärung ist im Verhältnis zu den Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die ohne diese Erklärung nicht tarifgebunden wären, ein Rechtsetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtsetzung, der seine eigenständige Rechtsgrundlage in Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) findet (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) BVerfGE 55, 7). Zahlungsansprüche von Arbeitnehmern gegenüber Arbeitgebern können, wie hier, in für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen begründet werden (vgl. insoweit zuletzt BAG, Urt. vom 21.01.2009, Az.: 10 AZR 67/08, www.juris.de). Nach § 22 Abs. 1 SGB IV entsteht der Anspruch auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, wenn der Arbeitsentgeltanspruch entstanden ist, selbst wenn der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt nicht oder nicht vollständig gezahlt hat; insoweit folgt das Sozialversicherungsrecht – anders als das Steuerrecht – nicht dem sog. Zuflussprinzip, sondern dem sog. Entstehungsprinzip (vgl. BSG SozR 4-2400 § 14 Nr. 7; BSG SozR 4-2400 § 22 Nrn. 1 und 2, BSG SozR 3-2400 § 14 Nr. 24; BSG SozR 3-2500 § 226 Nr. 2; BSG SozR 3-2200 § 385 Nr. 5). Wegen der Allgemeinverbindlicherklärung der o. g. tarifvertraglichen Regelungen wäre der auf die den Arbeitnehmern der Klägerin zustehenden tarifvertraglichen Leistungen (Sonderentgelte und Urlaubsgeld) zu entrichtende Gesamtsozialversicherungsbeitrag, auch wenn diese nicht zur Auszahlung gelangt sind, im Zeitpunkt der Entstehung der tarifvertraglichen Ansprüche zu entrichten gewesen.
Sowohl die Klägerin selbst als auch ihre Mitarbeiterinnen Frau I und die ehemalige Prokuristin, die Zeugin C, haben übereinstimmend und glaubhaft angegeben, dass sie keine Kenntnisse von der Zahlungspflicht gehabt haben. Sie haben sich nicht mit Fragen des Sozialversicherungs- und des Arbeitsrechts befasst. Sämtliche damit zusammenhängenden Fragen haben sie an den Beigeladenen E zur eigenständigen Bearbeitung und Erledigung weitergereicht. Sie haben glaubhaft angegeben, dass sie keine Kenntnisse des Tarifrechts gehabt haben und verfügen; mit den mit einer Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen verbundenen rechtlichen Konsequenzen haben sie sich nachvollziehbar bis zur Erteilung des streitgegenständlichen Bescheides nie beschäftigt. Weder die Klägerin noch ihre damaligen Mitarbeiterinnen im kaufmännischen Bereich, Frau I und Frau C, verfügen über eine einschlägige Ausbildung. Es hat im Betrieb auch keine Fortbildungen in arbeits- und sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht gegeben. Frau I hat sich, wobei an ihrer Glaubwürdigkeit keine Zweifel bestehen, mit dem vorhandenen, lückenhaften Wissen über Betriebswirtschaft, Steuer-, Arbeits- und Sozialversicherungsrecht "durchgeschlagen" und ihre Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen, jedoch ohne spezifische Kenntnisse wahrgenommen. Hinzu kam bei der Klägerin selbst, dass sie sich häufig und für längere Zeit im asiatischen Ausland aufgehalten hat, in das sie die Produktion ihrer Lederwaren verlagert hatte. Es handelt sich im Übrigen um einen kleineren Betrieb mit wenigen Mitarbeitern, der sich keinen "Spezialisten" für Arbeits- und Sozialversicherungsrecht "leisten" konnte. Die Richtigkeit dieser Angaben hat der Beigeladene E zumindest in der öffentlichen Verhandlung am 12.03.2009 vollumfänglich eingeräumt. Er hat beispielsweise Arbeitsverträge vor deren Abschluss auf Richtigkeit überprüft, sich um Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Beschäftigung Schwerbehinderter gekümmert, die gesamte Lohn- und Gehaltsabrechnung eigenverantwortlich vorgenommen einschließlich der Klärung der sozialversicherungsrechtlichen Fragen. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus den von der Klägerin nachgereichten umfangreichen Unterlagen. Bei Unsicherheiten und Zweifeln haben sich die kaufmännischen Mitarbeiter der Klägerin und auch diese selbst an den Beigeladenen zu 12) gewandt, der sich um die Problemlösung im Einzelfall gekümmert hat.
Einschlägige vorhandene Kenntnisse ihres Steuerberaters muss sich die Klägerin auch nicht zurechnen lassen, wobei der Senat offen lassen kann, über welche Zurechnungsnorm dies in Betracht käme; denn der Beigeladene E hat offenbar ebenfalls nicht gewusst, dass eine entsprechende Zahlungspflicht der Klägerin bestanden hat. Auch insoweit hat der Steuerberater E glaubhaft angegeben, sich um mit dem Tarifrecht im Zusammenhang stehende Angelegenheiten nicht gekümmert und sie als außerhalb seiner Zuständigkeit liegend angesehen zu haben, auch wenn er bei der Klägerin und ihren Mitarbeiterinnen durchgehend den Eindruck erweckt haben mag, dies sei doch der Fall. Positive Kenntnis von der Geltung des sog. Entstehungsprinzips im Sozialversicherungsrecht gehabt zu haben, hat der Beigeladene zu 12) ebenfalls glaubhaft verneint. Der Senat hatte auch nicht den Eindruck, dass der Beigeladene E, mögliche Regressansprüche der Klägerin befürchtend, unzutreffende Angaben gemacht hätte. Im Übrigen hat er sich nach entsprechender Belehrung als Zeuge, was zusätzlich für seine Glaubwürdigkeit spricht, dahingehend geäußert, sich um Tarifvertragsrecht und seine Auswirkungen auf das Sozialversicherungsrecht in keiner Weise gekümmert zu haben und insbesondere von der Geltung des Entstehungsprinzips nichts gewusst zu haben.
Die Unkenntnis der Klägerin, betreffend die Zahlungspflicht, ist jedoch nicht unverschuldet. Als sog. unbestimmter Rechtsbegriff bedarf die Tatbestandsvoraussetzung "unverschuldet" der Auslegung. § 24 Abs. 2 SGB IV enthält keine Definition des Begriffs. Die von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vertretene Auffassung, der Begriff "unverschuldet" umfasse nur vorsätzliches Handeln, vermag nicht zu überzeugen. Das BSG hat noch jüngst (BSG, Urt. vom 17.04.2008, Az.: B 13 R 123/07 R, www.juris.de), ohne dies weiter zu problematisieren, fahrlässiges Verhalten einbezogen, wie dies in der Literatur einhellige Auffassung ist (vgl. beispielhaft: Seewald in Kasseler Kommentar (KassKomm), Loseblattsammlung, Stand: Oktober 2008, § 24 RdNr. 9, Segebrecht in juris Praxiskommentar (jurisPK) SGB IV, § 24 RdNr. 32, Baier in: Krauskopf, Soziale KV / PV, Loseblattsammlung, Stand: September 2008, § 24 SGB IV RdNr. 1; Udsching in Hauck/ Noftz, SGB IV, § 24 RdNr. 11). Als Verschuldensmaßstab ist auch zur Überzeugung des Senates § 276 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) heranzuziehen. Zwar enthält § 24 SGB IV – im Gegensatz zu § 25 Abs. 2 S. 1 SGB IV – keine ausdrückliche Verweisung auf Vorschriften des BGB. Jedoch geht es auch bei § 24 SGB IV um die Verantwortlichkeit des Schuldners, die in § 276 BGB Regelungsgegenstand ist. Gemäß § 28e Abs. 1 SGB IV ist der Arbeitgeber Schuldner des Gesamtsozialversicherungsbeitrages und ebenso gemäß § 24 Abs. 1 SGB IV Schuldner der Säumniszuschläge. Danach sind bei § 24 Abs. 2 SGB IV neben Vorsatz auch alle Grade der Fahrlässigkeit umfasst (vgl. ebenso z. B. Seewald, a. a. O.; Segebrecht, a. a. O.; Baier a. a …; Udsching, a. a. O.). Dass das BSG mit Urteil vom 26.01.2005 (SozR 4-2400 § 14 Nr. 7) entschieden hat, für die Frage, ob "unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht" vorgelegen habe, sei in Ermangelung anderer Maßstäbe auf diejenigen zurückzugreifen, die der Senat für die Beurteilung des Vorsatzes im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV entwickelt habe (vgl. insoweit BSG SozR 3-2400 § 25 Nr. 7). Damit hat das BSG jedoch – entgegen der Auffassung der Klägerin – im Rahmen des § 24 Abs. 2 SGB IV nicht jede Form von Fahrlässigkeit ausschließen wollen. Vielmehr bezieht sich der Leitsatz in der genannten Entscheidung bei verständiger Würdigung des Urteils erkennbar nur auf die dort zu entscheidende Fallkonstellation, bei der nur Vorsatz in Betracht kam. Für die Einbeziehung aller Formen von Fahrlässigkeit bei der Auslegung des § 24 Abs. 2 SGB IV spricht schließlich auch die historische Auslegung. In der Bundestags-Drucksache (BT Drucks) 12/5187, S. 30, heißt es zu der durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Sozialgesetzbuches über den Schutz der Sozialdaten sowie zur Änderung anderer Vorschriften (Zweites Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuches (2. SGB-ÄndG) vom 13.06.1994, BGBl I 1229) zum 01.01.1995 eingeführten Neuregelung des Abs. 2:
"Da die Erhebung eines Säumniszuschlags nicht mehr in das Ermessen gestellt ist, ist eine Regelung für die Fälle erforderlich, in denen Beiträge durch Bescheid rückwirkend festgestellt werden, der Schuldner aber unverschuldet keine Kenntnis von seiner Zahlungspflicht hatte. In diesen Fällen ist ein SZ ganz oder zum Teil nicht zu erheben. Um die Anwendung dieser Vorschrift in der Praxis nicht zu erschweren, soll für den Beweis der unverschuldeten Nichtkenntnis das Mittel der Glaubhaftmachung genügen."
In der Gesetzesbegründung findet sich kein Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber den Begriff "unverschuldet" auf vorsätzliches Handeln beschränken wollte. Er hat lediglich eine Beweiserleichterung für den Schuldner vorgenommen, indem er eine Glaubhaftmachung statt der Führung eines Nachweises für ausreichend erachtet hat.
Gemäß § 276 Abs. 1 BGB hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos zu entnehmen ist. Fahrlässig handelt gemäß § 276 Abs. 2 BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Für Vorsatz im Sinne von § 24 Abs. 2 i. V. m. § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV sind das Bewusstsein und der Wille erforderlich, die Abführung der fälligen Beiträge zu unterlassen (BSG SozR 3-2400 § 25 Nr. 7). Davon kann bei der Klägerin aufgrund des Eindrucks in der mündlichen Verhandlung nicht ausgegangen werden. Sie hat glaubhaft angegeben, von der Allgemeinverbindlichkeit der einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen und den daraus für ihren Betrieb folgenden Konsequenzen keine Kenntnis gehabt zu haben. Sie hat das Bestehen einer Zahlungspflicht nicht einmal im Sinne eines bedingten Vorsatzes für möglich gehalten und die Nichtabführung der Beiträge nicht billigend in Kauf genommen (siehe zum bedingten Vorsatz schon BSG, Urt. vom 21.06.1990, Az.: 12 RK 13/89, Die Beiträge 1991, 112 ff.). Jedoch ist der Klägerin mit dem SG der Vorwurf der Fahrlässigkeit zu machen. Wie das BAG bereits im Jahre 1983 (vgl. BAG, Urt. vom 16.08.1983, Az.: 3 AZR 206/82, Arbeitsrechtliche Praxis (AP) Nr. 131 zu § 1 TVG) entschieden hat, können selbst Arbeitgeber von kleineren Betrieben, die keinem Arbeitgeberverband angeschlossen sind (sog. Außenseiter), regelmäßig nicht geltend machen, sie hätten einschlägige Bestimmungen allgemeinverbindlich erklärter Tarifverträge nicht gekannt. Für die daraus folgenden sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen hat das BSG dies genau so gesehen (BSG SozR 4-2400 § 22 Nr. 2). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat ausdrücklich an. Das für die Allgemeinverbindlicherklärung vorgesehene Veröffentlichungs- und Dokumentationsverfahren hat vorliegend stattgefunden, sodass sich auch Außenseiter, wie die Klägerin, über das geltende Tarifrecht informieren konnten (vgl. insoweit BVerfG, Kammerbeschl. vom 10.09.1991, Az. 1 BvR 561/89, AP Nr. 27 § 5 zu TVG). Spezifische Schwierigkeiten bei der Beschaffung der hier einschlägigen Tarifverträge sind nicht erkennbar. Die Klägerin hat – im Gegenteil – nicht die geringsten Bemühungen unternommen, sich regelmäßig über das Tarifrecht zu informieren. Dem Vorwurf, dass sie fahrlässig keine Kenntnis von der Zahlungspflicht gehabt habe, vermag die Klägerin auch nicht mit dem Hinweis auf ihren Steuerberater, den sie mit auch mit sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen befasst habe, entgegen zu treten. Ihr wäre ohnehin das Verschulden ihres Steuerberaters anzulasten, welches sie nach § 278 BGB wie eigenes Verschulden zu vertreten hat (vgl. insoweit bereits Urt. des erkennenden Senates vom 09.10.2003, Az.: L 16 KR 223/02, www.juris.de, m. w. N.). Im Übrigen hat dieser seinerseits die nötigen Kenntnisse, wie die umfangreiche Beweisaufnahme gezeigt hat, nicht aufgewiesen. Er hat sich – wie auch die Klägerin selbst – in keiner Weise darum bemüht, sich in tarifrechtlicher Hinsicht regelmäßig über Änderungen zu informieren. Für die Feststellung fahrlässigen Verhaltens ist nicht von Belang, dass den Steuerberater mit der Übernahme der Lohnbuchhaltung möglicherweise keine grundsätzliche Verpflichtung zur Beratung in sozialversicherungsrechtlichen Fragen getroffen hat (OLG Düsseldorf, Urt. vom 27.08.2007, Az.: 23 U 18/17, www.juris.de m. w. N.), wenn er auch nach den übereinstimmenden Angaben der Klägerin sowie ihrer Mitarbeiterinnen Frau I und Frau C diesen den Eindruck vermittelt hat, er kümmere sich auch um alle arbeits- und sozialrechtlichen Fragen. Im Übrigen spricht viel dafür, ohne dass es vorliegend darauf ankäme, dass der Beigeladene zu 12) im Rahmen der Lohnbuchhaltung nicht nur die Rechenoperation als solche (also die Eingaben von Zahlen in das Datev-Programm), sondern auch die ordnungsgemäße Ermittlung von Grundlagen der Abrechnung geschuldet hat, wozu u. a. die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen und sogar die Geltung des sog. Entstehungsprinzips (OLG Düsseldorf, a. a. O.) zählen. Im Hinblick darauf, dass der Senat auf Grund des Eindrucks von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen hat, sie sei eine redliche Kauffrau, bestehen keine Zweifel, dass sie sich, hätte sie Kenntnis von den Konsequenzen der Allgemeinverbindlicherklärung der fraglichen tarifvertraglichen Regelungen in Bezug auf die von beschäftigten Mitarbeiter gehabt, selbstverständlich die entsprechenden, auf Sonderentgelte und Urlaubsgeld entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge entrichtet hätte. Mit der Beklagten kommt es daher bei der Prüfung der Fahrlässigkeit in Bezug auf das Bestehen der Zahlungspflicht nicht einmal darauf an, ob die Klägerin die Geltung des sog. Entstehungsprinzip im Sozialversicherungsrecht hätte kennen müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Anlass für die Zulassung der Revision ist nicht ersichtlich, vergleiche § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.
Erstellt am: 24.06.2009
Zuletzt verändert am: 24.06.2009