Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 6. Februar 1996 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die aus Ungarn stammende und dort lebende Klägerin beansprucht Leistungen für die Zeit, in der sich ihr am 28.11.1985 verstorbener früherer Ehemann in russischer Kriegsgefangenschaft befunden hat.
Die im Juli 1918 geborene Klägerin heiratete im Mai 1938 in R ("S ") den im Oktober 1913 geborenen E N. Aus der Ehe gingen die in den Jahren 1938 und 1941 geborenen Töchter G und I hervor. E N geriet als Soldat der früheren Deutschen Wehrmacht in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er im Oktober 1949 entlassen wurde. Im November 1949 kam er nach Berlin und verblieb bis zu seinem Tode in dieser Stadt. Seit April 1963 bezog er von der Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Im Juli 1978 wurde er wegen eines hirnorganischen Psychosyndroms unter Amtspflegschaft gestellt. Mit Wirkung ab November 1978 er hielt er von der LVA Berlin das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Am 28.11.1985 verstarb er an Herzversagen bei metastasierendem Krebsleiden.
Die Klägerin wohnte bis Kriegsende in R und begab sich dann im Laufe des Jahres 1945 mit ihren beiden Kindern in ihr Geburtsland Ungarn, in dem sie seitdem ansässig ist. Im Januar 1946 erfuhr sie, daß ihr Ehemann sich in russischer Kriegsgefangenschaft befand. Von seinem weiteren Schicksal erhielt sie erst im Jahre 1978 Kenntnis. Im Jahre 1961 ließ sie ihn in Ungarn für tot erklären und heiratete erneut. Ihr zweiter Ehemann verstarb im Jahre 1972. Nachdem die Klägerin im Jahre 1978 vom Aufenthalt ihres früheren Ehemannes in Berlin erfahren hatte, besuchte sie ihn dort einmal.
Im Dezember 1990 wandte sich die Klägerin mit dem Antrag auf Entschädigung an die Deutsche Botschaft in Budapest. Diese leitete den Antrag dem Versorgungsamt (VA) Münster zu.
Mit Bescheid vom 10.04.1991 lehnte das VA eine Witwenteilversorgung der Klägerin ab, weil ihr früherer Ehemann keine Kriegsbeschädigtenversorgung erhalten habe und auch nicht festgestellt werden könne, daß er an einem Kriegsleiden verstorben sei.
Den am 12.04.1991 abgesandten Bescheid beanstandete die Klägerin mit dem am 01.07.1991 beim VA eingegangenen Widerspruch. Sie brachte vor, sie habe das letzte Mal im Mai 1945 eine Kriegsopferhilfe erhalten. Auf diese hätte sie für die Dauer der Kriegsgefangenschaft ihres Ehemannes Anspruch gehabt.
Das Landesversorgungsamt (LVersA) Nordrhein-Westfalen (NRW) wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.1993 u.a. mit der Begründung zurück, eine Entschädigung für Zeiten der Kriegsgefangenschaft sei im Bundesversorgungsgesetz (BVG) nicht vorgesehen.
Wegen dieser am 16.04.1993 auf diplomatischem Wege zugestellten Entscheidung hat die Klägerin am 14.05.1993 Klage zum Sozialgericht (SG) Münster erhoben. Sie hat zur Begründung vorgetragen, sie beanspruche die ab Mai 1945 ausgebliebene Kriegshilfe für die Zeit, in der sich ihr früherer Ehemann in russischer Kriegsgefangenschaft befunden habe. Diese Kriegshilfe hätten alle Familien von Kriegsgefangenen erhalten.
Das SG hat von verschiedenen Stellen Auskünfte eingeholt (vom Einwohnermeldeamt Berlin, vom Versorgungsamt II Berlin, von der Deutschen Dienststelle Berlin, von den Bezirksämtern Spandau und Wedding/Berlin von Berlin, von der LVA Berlin, vom Krankenhaus Berlin-Spandau) und sodann die Klage durch Gerichtsbescheid vom 06.02.1996 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, das im Oktober 1950 in Kraft getretene BVG sehe die Zahlung einer Entschädigung an Familienangehörige eines Kriegs gefangenen für eine Zeit der Kriegsgefangenschaft nicht vor. Vorsorglich werde darauf hingewiesen, daß auch die Voraussetzungen für eine Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG nicht erfüllt seien. Es lasse sich nämlich nicht feststellen, daß der frühere Ehemann der Klägerin an den Folgen einer versorgungsrechtlich relevanten Schädigung gestorben sei.
Gegen diesen der Klägerin am 04.03.1993 über die Deutsche Botschaft in Budapest zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich deren am 09.04.1996 beim Landessozialgericht (LSG) für das Land NRW eingegangene Berufung.
Sie trägt vor, sie begehre die rückständigen Leistungen der Kriegshilfe für die Zeit von 1945 bis 1949, in der sich ihr damaliger Ehemann in russischer Kriegsgefangenschaft befunden habe. Sie meine, daß ihr für diese schrecklichen Jahre, die sie mit ihren Kindern habe durchleben müssen, eine Entschädigung zustehe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß schriftlich,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 06.02.1996 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 10.04.1991 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 31.03.1993 zu verurteilen, ihr für die Zeit von Mai 1945 bis einschließlich Oktober 1949 eine Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die vom SG getroffene Entscheidung für richtig und nimmt auf die dafür mitgeteilten Gründe Bezug.
Das Berufungsgericht hat weitere Nachforschungen beim Versorgungsamt I und II Berlin sowie beim Krankenbuchlager Berlin angestellt, vom Krankenhaus Spandau (Frau Dr. D ) einen Auszug aus der Krankengeschichte des E N und weitere Arztberichte er halten, die gesamte Krankenakte dieses Krankenhauses und die Pflegschaftsakte über ihn vom Bezirksamt Wedding von Berlin beigezogen. Auf den Inhalt der erteilten Auskünfte, Berichte und Beiakten wird Bezug genommen. Hinsichtlich aller weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten beigezogenen W-Akte der Klägerin verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Das Berufungsgericht hat trotz Ausbleibens der Klägerin im Termin mündlich verhandeln und in der Sache entscheiden können, weil sie mit der Terminsmitteilung, die sie ausweislich des Einschreiben- Rückscheins am 04.03.1997 erhalten hat, auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§§ 124 Abs. 1, 110 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die Berufung der Klägerin ist zulässig.
Sie ist statthaft (§§ 143, 105 Abs. 2 Satz 1). Ein Ausschlußgrund (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 SGG) steht ihr nicht entgegen. Die Klägerin hat die Berufung auch form- und fristgerecht eingelegt (§§ 151 Abs. 1, 105 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Berufung ist aber unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Es konnte den Beklagten nicht verurteilen, der Klägerin eine Leistung für die Zeit der Kriegsgefangenschaft ihres früheren Ehemannes in der Sowjetunion zu gewähren, weil ihr ein Anspruch gegen den Beklagten nicht zusteht.
Das SG hat zutreffend erkannt, daß die Klägerin die von ihr angefochtene Entscheidung des Beklagten nicht beanstandet, soweit mit ihr eine Witwenteilversorgung nach den Bestimmungen des BVG abgelehnt worden ist. Ein Anspruch auf Witwenrente (§ 38 BVG) oder Witwenbeihilfe (§ 48 BVG) setzt voraus, daß ein Kriegsbeschädigter an den Folgen einer (Kriegs-) Beschädigung oder an einem Leiden, das als Folge einer solchen Schädigung rechtsverbindlich anerkannt war, verstorben ist (§ 38 Abs. 1 BVG) oder aber – sofern dies nicht der Fall ist – durch die Folgen seiner Kriegsbeschädigung gehindert war, eine entsprechende Erwerbstätigkeit auszuüben und dadurch die Versorgung seiner Hinterbliebenen in einer bestimmten, gesetzlich festgelegten Höhe gemindert ist (§ 48 Abs. 1 BVG). Nach den vom SG angestellten, sorgfältigen und vom Berufungsgericht fortgeführten Ermittlungen konnte und kann nicht festgestellt werden, daß der frühere Ehemann der Klägerin als Soldat der früheren Deutschen Wehrmacht oder als Kriegsgefangener der Russen eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, die für seinen Tod verantwortlich war oder eine Beeinträchtigung seiner Erwerbsfähigkeit zur Folge gehabt hat. Die Archive der Deutschen Dienststelle und des Krankenbuchlagers Berlin enthalten keinerlei Aufzeichnungen über ihn. Die für seinen Wohnort zuständigen Versorgungsämter I und II Berlin besitzen keine Akten, die Aufschluß über eine Kriegsbeschädigtenversorgung des E N geben könnten. Auch die in der Krankenakte des Krankenhauses Spandau enthaltenen Berichte und anamnestischen Daten belegen nicht, daß bei seiner Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft Folgen einer gesundheitlichen Schädigung vorgelegen und fortgewirkt haben. Dagegen spricht insbesondere die Tatsache, daß nach dem Versicherungsverlauf des in den Akten des Bezirksamtes Wedding enthaltenen Altersruhegeldbescheides vom 02.11.1978 bereits für die Zeit ab November 1949, also dem auf das Ende der Kriegsgefangenschaft an schließenden Monat, Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden sind. Bei dieser Sachlage hat die Klägerin von dem Anspruch auf Hinterbliebenenteilversorgung sachgerecht Abstand genommen.
Mit dem aufrecht erhaltenen und auf die Zeit von Mai 1945 bis ein schließlich Oktober 1949 beschränkten Anspruch auf Leistungen für Angehörige von Kriegsgefangenen kann die Klägerin keinen Erfolg haben. Dies hat das SG zutreffend entschieden. Über diesen Anspruch hat der Beklagte in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid befunden, wenn auch mit unvollkommener Begründung. Es ist zwar richtig, daß das BVG für eine Entschädigung von Familienangehörigen eines Kriegsgefangenen für die Dauer der Kriegsgefangenschaft keine unmittelbare Regelung enthält, gleichwohl sind die Behörden der Kriegsopferversorgung zur Entscheidung über solche Leistungen zuständig. Dies ergibt sich aus § 6 des Gesetzes über die Unterhaltshilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen (in der Fassung vom 30. April 1952 – BGBl. I. 262 – und 18. März 1964 – BGBl. I S. 219). Nach § 3 Abs. 1 dieses Gesetzes werden den in § 1 Abs. 1 bezeichneten Personen als Unterhaltsbeihilfe die gleichen Leistungen gewährt, auf die Kriegshinterbliebene nach geltendem Recht Anspruch haben. Die Ehefrau eines Kriegsgefangenen gehört zu den in § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes bezeichneten Personen. Voraussetzung für ihren Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe nach dieser Bestimmung ist aber, daß der Ehemann sich (noch) nach dem 31. März 1950 in Kriegsgefangenschaft befunden hat. Diese Anspruchsvoraussetzung erfüllt die Klägerin nicht, weil die Kriegsgefangenschaft ihres Ehemannes bereits im Oktober 1949 beendet war.
Für sonstige Ansprüche, die aufgrund der Kriegsgefangenschaft ihres früheren Ehemannes entstanden sein könnten, fehlt es an der sachlichen Zuständigkeit des Beklagten. Dies gilt zunächst für einen Anspruch auf Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung ehemaliger deutscher Kriegsgefangener (Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz – KgfEG – vom 30. Januar 1954 – BGBl. I. S. 5 – in der Fassung der Bekanntmachung vom 04. Februar 1987 – BGBl. I S. 506 -). Für die Entscheidung über einen Antrag nach diesem Gesetz, der im übrigen spätestens bis zum 31.12.1967 bzw. innerhalb von 3 Jahren nach dem Todestag gestellt werden mußte (§ 9 Abs. 1 und 3 KgfEG), ist die Zuständigkeit der allgemeinen Verwaltungsbehörden und im Streitfall der allgemeinen Verwaltungsgerichte gegeben (§§ 18, 11 KgfEG).
Für die Leistung, die die Klägerin in Fortführung der ihr bis Mai 1945 gewährten Unterstützung für die weitere Dauer der Kriegsgefangenschaft ihres früheren Ehemannes begehrt, gilt ähnliches. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der Klägerin seinerzeit Familienunterhalt nach den Bestimmungen des Einsatz-Familienunterhaltgesetzes (EFUG vom 26.06.1940 – RGBl. I S. 911 -) und den zu diesem Gesetz ergangene Verordnungen (vom 26.06.1940 – RGBl. I S. 911 und S. 912 -) erhalten hat. Auf diese Leistung hatten u.a. die Angehörigen der zum Wehrdienst einberufenen Wehrpflichtigen Anspruch (§ 1 EFUG). Geriet ein Soldat in Gefangenschaft, so war der Familienunterhalt für die Dauer der Gefangenschaft fortzugewähren (§ 4 Abs. 11 der Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Einsatz-Familienunterhaltsgesetzes (vom 26.06.1940 – RGBl. I S. 912 – EFU-DV -). Zuständig für die Zahlung des Familienunterhalts waren aber nicht die Behörden der Kriegsopferversorgung, sondern der Stadt- oder Landkreis, in dessen Bezirk der Familienunterhaltsberechtigte wohnte oder sich nicht nur vor übergehend aufhielt (§ 2 EFU-DV). Abgesehen davon, daß die Klägerin sich nach dem Ende des Krieges mit ihren Kindern nach Ungarn begeben und von diesem Zeitpunkt an nicht mehr im Bezirk eines deutschen Stadt- oder Landkreises gewohnt oder dauerhaft aufgehalten hat, außerdem ein Anspruch auf Familienunterhalt nach § 1 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Nr. 1 des Allgemeinen Kriegsfolgegesetzes (AKG) erloschen sein dürfte, kann sich ein solcher Anspruch wegen fehlender Zuständigkeit jedenfalls nicht gegen den Beklagten richten.
Nach alledem war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 dieses Gesetzes.
Erstellt am: 19.08.2003
Zuletzt verändert am: 19.08.2003