Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 04.06.2012 geändert. Der Klägerin wird für das Klageverfahren ab 21.11.2011 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt X, S, beigeordnet
Gründe:
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Rechtsstreit um die Aufhebung der Bewilligung sowie Rückforderung von Leistungen nach dem SGB II.
Die 1956 geborene Klägerin bezog in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem 1988 geborenen Sohn T Leistungen nach dem SGB II. Die Klägerin und ihr Sohn wohnten in einer Wohnung, die der Mutter der Klägerin gehörte und für die die Klägerin nach eigenen Angaben Miete zu entrichten hatte. Die Mutter der Klägerin bewohnte eine Wohnung im selben Haus und wurde von der Klägerin gepflegt. Am 00.00.2006 verstarb die Mutter der Klägerin und wurde von dieser beerbt. Im Rahmen eines notariellen Antrags auf Erteilung eines Erbscheins wurde der Nettowert des Nachlasses auf 20.000 EUR geschätzt. Nach einem Aktenvermerk war der Beklagte jedenfalls am 28.12.2006 über den Tod der Mutter informiert. Am 14.03.2007 erklärte die Klägerin gegenüber dem Beklagten, die bisherige Miete werde nunmehr als Darlehenszins an die Bausparkasse X entrichtet. Am 08.03.2007 erhielt der Beklagte die Unterlagen über die Eigentumsverhältnisse, die Zinsbelastungen und die Wertermittlung bezüglich beider Wohnungen. Der Beklagte gelangte zu der Überzeugung, die Klägerin und ihr Sohn seien infolge des Erbfalles für Teilzeiträume des Leistungsbezuges nicht bedürftig gewesen und hätten zu Unrecht Leistungen bezogen. Mit insgesamt sechs Bescheiden, von denen drei den Sohn der Klägerin, drei sie selbst betreffen, hob der Beklagte die Leistungsbewilligung für Teilzeiträume auf und forderte beide Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zur Erstattung der ihnen jeweils erbrachten Leistungen auf.
Mit der im vorliegenden Rechtsstreit am 16.09.2011 namens des Sohnes T, jedoch unter Nennung des vom Beklagten für ein Verfahren der Klägerin vergebenen Ordnungszeichens (xxx) sowie unter Beifügung des an die Klägerin gerichteten Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 16.04.2010 und des zugehörigen Widerspruchsbescheides (xxx) vom 12.08.2011 – eingegangen beim Bevollmächtigten am 16.08.2011 – erhobenen Klage hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 16.09.2011 die Aufhebung und Rückforderung von für die Zeit von September 2006 bis März 2007 erbrachten Leistungen angefochten. Nachdem das Sozialgericht darauf hingewiesen hatte, die mit übersandten Bescheide beträfen nicht den Sohn der Klägerin, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 29.09.2011, dem Sozialgericht per Fax am gleichen Tag übersandt, "klargestellt", Klägerin sei Frau J T.
Mit Beschluss vom 04.06.2012 hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung abgelehnt. Der Beteiligtenwechsel stelle eine Klageänderung i.S.v. § 99 Abs. 1 SGG dar. Die so geänderte Klage sei jedoch nach Ablauf der Klagefrist erhoben worden und damit unzulässig. Auf die weitere Begründung des Beschlusses wird Bezug genommen.
Gegen den am 13.06.2012 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Klägerin vom 02.07.2012. Es seien am 16.09.2012 sechs Klagen, drei die Klägerin selbst und drei ihren Sohn betreffend, erhoben worden und über die jeweils beigefügten Bescheide den jeweiligen Personen zuzuordnen. Eine Klageänderung liege daher nicht vor, lediglich eine Falschbezeichnung. Zu Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Nach §§ 73a SGG, 114 ZPO steht der nach ihren glaubhaft gemachten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen bedürftigen Klägerin für ihre nicht mutwillige Rechtsverfolgung Prozesskostenhilfe zu, da diese insbesondere auch hinreichende Erfolgsaussicht i.S.v. § 114 ZPO bietet. Die Auslegung des Klageantrags führt zu dem Ergebnis, dass bereits am 16.09.2011 und damit unter Wahrung der Klagefrist im Namen der Klägerin Klage erhoben worden ist (1.). Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bedarf der Überprüfung im Hauptsacheverfahren (2.).
1. Die Klageschrift vom 16.09.2011 ist in sich und insbesondere auch unter weiterer Berücksichtigung der beigefügten Unterlagen widersprüchlich und daher auslegungsbedürftig. In der Klageschrift wird der Sohn der Klägerin als Kläger benannt, zugleich aber – durch Nennung der Widerspruchskennung W 2340/10 in der Klageschrift – auf eine die Klägerin betreffende Entscheidung Bezug genommen, die zudem in der Anlage zur Klageschrift beigefügt ist. Ein auf den Wortlaut beschränktes Verständnis der Klageschrift vom 16.09.2011 führt daher zu dem mindestens einer Hinterfragung bedürftigen Ansatz, dass der Sohn der Klägerin die Überprüfung von nicht ihn, vielmehr seine Mutter betreffenden Bescheiden begehrt. Dafür, dass und warum dies tatsächlich der Fall sein könnte, bietet der aktenkundige Sachverhalt keinerlei Hinweis, ebenso fehlt es an prozessualen Gründen für ein solches Vorgehen. Das wörtliche Verständnis der Klageschrift führt daher zur Annahme eines offensichtlich haltlosen Klagebegehrens, bei dessen Begründung unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten besondere Zurückhaltung geboten ist (BSG Urteil vom 15.11.2012 – B 8 SO 23/11 R). Prozessuale Anträge sind vielmehr so auszulegen, dass ein Begehren eines Antragstellers bzw. Rechtsmittelführers möglichst weitgehend zum Tragen kommt (vgl. BSG Urteile vom 2.7.2009 – B 14 AS 75/08 R, SozR 4-4200 § 7 Nr 13 RdNr 11 mwN; 23.3.2010 – B 14 AS 6/09 R, BSGE 106, 78 = SozR 4-4200 § 37 Nr 2, RdNr 15; vgl zum Klageantrag: BSG Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 8/06 R, BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 11; Zusammenfassung bei BSG Urteil vom 16.05.2012 – B 4 AS 166/11 R). Als beantragt ist dementsprechend alles anzusehen, was nach Lage des Falles ernsthaft in Betracht kommt. Die Gerichte haben sich nicht daran zu orientieren, was als Klageantrag zulässig ist, sondern was nach dem klägerischen Vorbringen begehrt wird, soweit jeder vernünftige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung anpassen würde und keine Gründe für ein anderes Verhalten vorliegen. Auch für die Auslegung von Prozesshandlungen einschließlich der Klageanträge ist die Auslegungsregel des § 133 BGB entsprechend anzuwenden. Danach ist nicht an dem Wortlaut einer Erklärung zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen und zu berücksichtigen, soweit er für das Gericht und die Beteiligten erkennbar ist. Dabei muss der für das Gericht und die übrigen Beteiligten erkennbare gesamte Klagevortrag einschließlich der Verwaltungsvorgänge herangezogen werden (BSG Urteil vom 06.04.2011 – B 4 AS 119/10 R m.w.N.)
Für eine Auslegung der Klageschrift vom 16.09.2011 dahin, dass es sich um eine Klage der Klägerin selbst handelt, sprechen mehrere Gesichtspunkte. So hat der gemeinsame Prozessbevollmächtigte die insgesamt sechs Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide vom 16.04.2010 in der Gestalt der jeweils zugehörigen Widerspruchsbescheide in sechs Klageverfahren angefochten, wovon drei die an den Sohn der Klägerin gerichteten Bescheide betreffen (S 40 AS 2190/11, S 40 AS 2111/11, S 40 AS 2113/11). Bereits dies legt die Annahme nahe, dass es sich bei den weiteren Verfahren um Verfahren der Klägerin selbst handelt. Ein gewichtiges Indiz hierfür stellt die Bezugnahme auf die die Klägerin selbst betreffenden Bescheide durch Angabe der Nummer des Widerspruchsverfahrens und die Beifügung der Bescheide dar, schließlich die mit Schreiben vom 29.09.2011 ausdrücklich vorgenommene Klarstellung.
2. Die Rechtsverfolgung hat auch im Übrigen hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Zutreffend ist der Beklagte allerdings davon ausgegangen, dass die durch den Tod der Mutter am 00.00.2006 angefallene Erbschaft grundsätzlich als Einkommen zu berücksichtigen ist (BSG Urteil vom 25.01.2012 – B 14 AS 101/11 R). Ob die wohl im Wesentlichen aus den beiden Eigentumswohnungen bestehende Erbschaft hingegen als bereite Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stand (BSG a.a.O.) und die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Bewilligungsbescheide nach §§ 45, 48 SGB II vorlagen, bedarf der näheren Überprüfung im Hauptsacheverfahren. Gegen das Vorhandensein bereiter Mittel bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls könnte sprechen, dass die Erbschaft wohl nicht aus Barmitteln besteht und die Klägerin zwar keine Miete, aber die Schuldzinsen zu errichten hatte, weshalb durch das Erben der Wohnung auch im Bereich der Unterkunftskosten keine Änderung eingetreten ist.
Ob der Umstand, dass erhebliche Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Klägerin mit einem Partner iSd § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II zusammenlebt, im anhängigen Verfahren berücksichtigt werden kann (hierzu BSG Urteil vom 29.09.1987 – 7 Rar 104/85), lässt der Senat offen.
Über Ersatzansprüche nach § 34 SGB II wegen Nichtverwertung der Erbschaft ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.
Kosten des Beschwerdeverfahrens nach Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind gem. §§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 127 Abs.4 ZPO nicht zu erstatten.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 02.09.2013
Zuletzt verändert am: 02.09.2013