Mit Urteil an das LSG zurückverwiesen.
Neues Az. = L 7 AS 1157/18 ZVW
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12.12.2014 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für die Zeit vom 01.08.2013 bis zum 31.01.2014 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zustehen.
Der 1990 geborene Kläger lebte bis zum Sommer 2013 im Haushalt seiner Mutter in I und bezog bis zum 31.07.2013 als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft, der u.a. seine Mutter und seine Geschwister angehörten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Jobcenter Landkreis M. Dabei wurde zugunsten des Klägers neben dem Regelbedarf zuletzt ein monatlicher Bedarf für Unterkunft und Heizung iHv 126,73 EUR berücksichtigt. Das Jobcenter Landkreis M wies den Kläger zur Verbesserung seiner Eingliederungschancen einer Maßnahme in der Nähe von Hamburg zu. Er sollte dort internatsmäßig untergebracht werden. Am 01.08.2013 zog der Kläger zu seiner Freundin B, die er 2008 kennengelernt hatte. Frau B wohnte seit ihrem Auszug aus dem elterlichen Haushalt bei den Eheleuten U und E L in deren Wohnung im Haus T-weg 00 in H. Für die Wohnung war ein monatlicher Mietzins iHv 510,36 EUR (Grundmiete 319,36, Heizkosten 97,00 EUR und Betriebskosten 94,00 EUR) zu entrichten. Eine vorherige Zusicherung des Leistungsträgers iSd § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II holte der Kläger nicht ein. Frau B bezieht ebenso wie die Eheleute L Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten. Nach dem Einzug des Klägers reduzierte der Beklagte deren Leistungen für Unterkunft und Heizung auf monatlich 255,18 EUR (½ der monatlichen Gesamtkosten). Der Kopfanteil von Frau B wird vom Beklagten bei der Leistungsbewilligung zu ihren Gunsten nicht berücksichtigt. Die entsprechenden Bescheide sind angefochten.
Am 01.08.2013 beantragte der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beim Beklagten. Mit Bescheid vom 12.08.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 01.08.2013 bis zum 31.01.2014 iHv 306,00 EUR monatlich. Dabei berücksichtigte er keine Kosten für Unterkunft und Heizung.
Mit dem am 23.08.2013 eingelegten Widerspruch machte der Kläger die anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung und einen erhöhten Regelbedarf geltend. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2013 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger sei ohne Zustimmung des kommunalen Trägers von I nach H verzogen. Gemäß § 22 Abs. 5 SGB II könnten daher Kosten der Unterkunft und Heizung nicht berücksichtigt werden. Gemäß § 20 Abs. 3 SGB II betrage der monatliche Regelbedarf des Klägers 306,00 EUR.
Am 25.09.2013 hat der Kläger bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen Klage erhoben. § 22 Abs. 5 SGB II sei vorliegend nicht anwendbar. Die Vorschrift sei zumindest verfassungskonform einzuschränken, wenn ein Leistungsberechtigter vor Vollendung des 25. Lebensjahres ohne Zustimmung überörtlich umziehe und durch den Umzug keine zusätzlichen Kosten entstünden. Dies sei hier der Fall. Die anteiligen Kosten der Unterkunft und Heizung des Klägers würden bei den Eheleuten L eingespart.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 12.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2013 zu verurteilen, ihm höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Änderungsbescheid vom 23.11.2013 hat der Beklagte die Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs für Januar 2013 auf 313,00 EUR angehoben.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Das Sozialgericht hat ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 12.12.2014 die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf höhere Leistungen, da er vor Abschluss des Untermietvertrags keine Zusicherung eingeholt habe. Auf eine Zusicherung habe nicht nach § 22 Abs. 5 Satz 3 SGB II verzichtet werden können. Der Kläger habe nicht vorgetragen, dass die Einholung der Zusicherung vor dem Umzug nach H aus einem wichtigen Grund unzumutbar gewesen sei. Die Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II lägen nicht vor. Die vom Kläger benannten Gründe seien kein "ähnlich schwerwiegender Grund" iSd § 22 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 SGB II. Dem Kläger sei zwar zuzugestehen, dass dem Beklagten durch den Einzug des Klägers kein höherer Aufwand für Kosten der Unterkunft und Heizung entstanden ist, weil er diese bereits im Rahmen der anderweitigen Leistungsgewährung getragen habe. Gleichwohl würden Mehrkosten durch etwaige Bedarfe nach § 24 SGB II und die höhere Regelleistung für einen alleinstehenden Hilfebedürftigen entstehen. Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 22 Abs. 5 SGB II bestünden nicht. Die Höhe der dem Kläger zur Deckung des Regelbedarfs bewilligten Leistungen ergebe sich aus § 20 Abs. 3 SGB II, weil eine Zusicherung für seinen Umzug nicht vorliege.
Gegen das am 06.01.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.01.2015 Berufung eingelegt. Er habe schwerwiegende soziale Gründe für seinen Umzug gehabt, indem er eine Beziehung zu Frau B habe aufnehmen wollen, was in der Wohnung seiner Eltern nicht möglich gewesen sei. Zudem habe er im Ruhrgebiet leben wollen. Aus der Rechtsprechung des BSG zur Begrenzung der Kosten für Unterkunft und Heizung nach einem nicht erforderlichen Umzug auf die Höhe der Kosten für die bisherige Wohnung folge, dass gegen die Regelung des § 22 Abs. 5 SGB II verfassungsrechtliche Bedenken wegen Verletzung von Art. 11 und Art. 3 GG bestünden und die Vorschrift zumindest einschränkend auszulegen sei. Schließlich stelle die Vorschrift eine unzulässige Diskriminierung unter 25-jähriger Leistungsbezieher dar.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12.12.2014 zu ändern und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 12.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2013 sowie des Änderungsbescheides vom 23.11.2013 zu verpflichten, ihm höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.08.2013 bis zum 31.01.2014 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 12.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2013 sowie des Änderungsbescheides vom 23.11.2013 ist nicht rechtswidrig iSd § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Der Kläger, der die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II unstreitig erfüllt, hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Kosten für Unterkunft und Heizung und höhere Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs.
Rechtsgrundlage für die Übernahme der Unterkunftskosten ist § 22 Abs. 1 SGB II. Hiernach werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe erbracht, soweit diese angemessen sind. Sofern Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur anerkannt, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat (§ 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II). Anders als in den Fällen des § 22 Abs. 4 SGB II ist die Zusicherung nach § 22 Abs. 5 SGB II materielle Voraussetzung für einen Anspruch des unter 25-jährigen auf Leistungen für Unterkunft und Heizung.
Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht 25 Jahre alt und stand zum Zeitpunkt seines Umzugs bereits im Leistungsbezug nach dem SGB II. Sein Umzug nach H war der erste Umzug aus dem elterlichen Haushalt. Mithin bestand für seinen Umzug das Zusicherungserfordernis nach § 22 Abs. 5 Satz 1 bis 3 SGB II. Die Zusicherung muss grundsätzlich vor dem Umzug erteilt worden sein. Hieran fehlt es vorliegend. Eine vorherige Zusicherung ist nur dann nicht erforderlich, wenn eine fristgerecht mögliche Entscheidung durch den zuständigen Leistungsträger treuwidrig verzögert worden ist (BSG Urteil vom 06.05.2010 – B 14 AS 7/09 R) oder zu Unrecht verweigert worden ist. Beides ist nicht der Fall.
Gem. § 22 Abs. 5 Satz 3 SGB II kann unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden, wenn es der oder dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen. Nach § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II ist der kommunale Träger zur Zusicherung verpflichtet, wenn die oder der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann (Nr. 1), der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist (Nr. 2) oder ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt (Nr. 3).
Schwerwiegende soziale Gründe, die einen Verweis auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils unmöglich machen, liegen vor, wenn es sich um eine dauerhaft gestörte Beziehung zwischen dem Betroffenen und den Eltern bzw. dem Elternteil handelt oder wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl durch die Eltern oder deren Umfeld gefährdet ist. Solche Gründe hat der Kläger nicht dargelegt. Der Umzug des Klägers erfolgte nicht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder einer Berufsausbildung. Vielmehr sollte der Kläger auf Veranlassung des bisherigen Leistungsträgers zur Verbesserung seiner Eingliederungschancen eine Maßnahme in der Nähe von Hamburg aufnehmen, was ein Verbleiben in Norddeutschland nahe gelegt hätte. Als ähnlich schwerwiegender Grund iSd § 22 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 SGB II kann ein Auszug aus der elterlichen Wohnung wegen bevorstehender Eheschließung oder zur Begründung einer Lebenspartnerschaft im Sinne § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II anzusehen sein. Allein der Wunsch, mit der Freundin zusammenzuziehen, ist hingegen noch kein schwerwiegender Grund (vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19.09.2012 – L 5 AS 613/12 B ER). Zudem war es dem Kläger nicht aus wichtigem Grund unmöglich, eine Zusicherung einzuholen. Ein solcher setzt die Unaufschiebbarkeit des Umzugs voraus, so dass ein weiteres Zuwarten nicht möglich ist. Hierfür bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte.
Diese Rechtslage ist nicht verfassungswidrig. Das Freizügigkeitsgrundrecht nach Art. 11 Abs. 1 GG begründet keine staatliche Verpflichtung zur Bereitstellung der finanziellen Mittel, die für einen Auszug aus dem Elternhaus benötigt werden. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) oder das Verbot einer Diskriminierung aus Altersgründen liegt ebenso wenig vor. Die Regelung des § 22 Abs. 5 SGB II soll vermeiden, dass Heranwachsende, deren Grundbedürfnis "Wohnen" im elterlichen Haushalt eigentlich sichergestellt ist, ohne zureichenden Grund ausziehen und eine eigene Bedarfsgemeinschaft mit Mehrbelastungen der Allgemeinheit begründen (BT-Drucks 16/688 S 14). Es unterliegt der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, nur von Heranwachsenden ein Verbleiben im Elternhaus zu verlangen (zur Befugnis des Gesetzgebers, zwischen unter- und über 25-jährigen Kindern zu unterscheiden BVerfG Beschluss vom 27.07.2016 – 1 BvR 371/11 Rn 71). Zwar hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich nicht darüber entschieden, ob es verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist, Bedürftigen bei Auszug aus der Wohnung einer Bedarfsgemeinschaft ohne Zustimmung des Leistungsträgers weiter nur 80% der Regelleistung für Alleinstehende und keinerlei Kosten der Unterkunft und Heizung zu zahlen (BVerfG aaO Rn 66). Es hat jedoch ausdrücklich ausgeführt, dass das Zusicherungserfordernis, das dazu dient, die eigene Bedürftigkeit nicht zu vergrößern, wenn sie zumutbar geringer gehalten werden kann, als Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Kindes zu rechtfertigen ist (BVerfG aaO Rn. 67). Das so gerechtfertigte Zusicherungserfordernis würde indes keinen Sinn machen, wenn seine Verletzung ohne leistungsrechtliche Folgen bliebe. Im Sinne einer zulässigen pauschalen Betrachtungsweise ist der Nachweis konkreter Mehraufwendungen für eine Anwendung von § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II nicht erforderlich. Hierfür spricht auch, dass der Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf Beendigung ausgelegt ist. Würde beispielsweise die Mutter des Klägers im Leistungszeitraum ein bedarfsdeckendes Einkommen erzielen, hätte der Umzug Kosten verursacht, die bei einem Verbleiben des Klägers im Haushalt der Mutter hätten vermieden werden können.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Regelleistungen. Der Beklagte hat die Höhe der Regelleistungen für den Kläger in der Zeit vom 01.08.2013 bis zum 31.01.2014 rechtmäßig festgesetzt. Nach § 20 Abs. 3 SGB II ist bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und ohne Zusicherung des zuständigen kommunalen Trägers nach § 22 Abs. 5 SGB II umziehen, bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres als Regelbedarf der in § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II genannte Betrag anzuerkennen. Diese Voraussetzungen liegen – wie dargestellt – vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Erstellt am: 16.07.2018
Zuletzt verändert am: 16.07.2018