Auf die Beschwerde der Antragsstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 15.01.2013 geändert. Der Antragsgegner wird für die Zeit vom 19.12.2012 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30.06.2013, vorläufig verpflichtet, den Regelbedarf ohne Kosten der Unterkunft im Wege der einstweiligen Anordnung zu gewähren. Der Antragstellerin wird zur Durchführung des erstinstanzlichen Rechtsschutzverfahrens ab dem 19.12.2012 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt M aus F beigeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren ab dem 25.01.2013 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt M aus F beigeordnet. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im erstinstanzlichen Rechtsschutzverfahren und im Beschwerdeverfahren zu ½ dem Grunde nach.
Gründe:
Die Beschwerde der Antragstellerin ist nur im tenorierten Umfang begründet.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufigen Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237 = NVwZ 2005, Seite 927).
Ab dem 19.12.2012 war der Antragsgegner im Rahmen der Folgenabwägung zur Gewährung des Regelbedarfs nach dem SGB II vorläufig zu verpflichten. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1-4 SGB II sind glaubhaft gemacht. Denn die Antragstellerin hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Sie ist bedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II) und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Eine Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II liegt ebenfalls vor. Sie erfüllt die Voraussetzungen des § 8 SGB II. Insbesondere kann ihr die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt werden (§ 8 Abs. 2 SGB II).
Ob dem Anspruch der Antragstellerin der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entgegensteht, kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend geklärt werden. Nach dieser Vorschrift besteht ein Leistungsausschluss für Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen.
In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, die einen Leistungsausschluss ohne entsprechende Öffnungsklausel insbesondere für sog. "Alt-Unionsbürger" normiert, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar und damit für EU-Bürger einschränkend auszulegen ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 29.02.2012 – L 20 AS 2347/11 B ER – und vom 03.04.2012 – L 5 AS 2157/11 – mit weiteren Hinweisen auf den Meinungsstand; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.05.2010 – L 7 B 489/09 AS ER). Soweit der erkennende Senat in Entscheidungen, in denen es um den Leistungsausschluss von sog. "EU-Neubürgern" aus Rumänien und Bulgarien infolge ihrer eingeschränkten EU-Freizügigkeit geht, davon ausgegangen ist, dass die Vorschrift des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar ist (vgl. Beschluss des Senats vom 18.11.2011 – L 7 AS 614/11 B ER), betrafen diese Sachverhalte, in denen die Antragsteller nicht im Besitz einer Arbeitsgenehmigung-EU gewesen sind und damit nicht den gleichen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt wie deutsche Arbeitsuchende gehabt haben. Vorliegend besitzt die Antragstellerin seit dem 26.10.2011 eine unbeschränkte und unbefristete Arbeitsgenehmigung-EU. Sie hat damit den gleichen Zugang zum Arbeitsmarkt wie deutsche Arbeitnehmer. Auch in einem solchen Fall ist – wie bei "Alt-Unionsbürgern" – aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden (Beschluss des erkennenden Senats vom 23.05.2012, Az.: L 7 AS 2251/11 B ER; ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.05.2012 – L 19 AS 719/12 B ER).
Im Rahmen der Folgenabwägung ist auch die Bedeutung der beantragten Leistungen für die Antragstellerin gegen das fiskalische Interesse des Antragsgegners abzuwägen, die vorläufig erbrachten Leistungen im Fall des Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurück zu erhalten. Bei ungeklärten Erfolgsaussichten in der Hauptsache geht die Interessenabwägung vorliegend zugunsten der Antragstellerin aus, da es sich für sie um existenzsichernde Leistungen handelt und das auch ausländischen Staatsangehörigen zustehende Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gemäß Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) betroffen ist. Zur Überzeugung des Senats ist die Antragstellerin zur Sicherstellung des Existenzminimums wegen der bestehenden Nähe zum Arbeitsmarkt nicht auf die Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII zu verweisen.
Der Anordnungsgrund ergibt sich aus der derzeitigen finanziellen Situation der Antragstellerin. Der Antragstellerin ist nicht zuzumuten, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Der Senat hat die Dauer der Leistungen bis zum 30.06.2013 befristet. Dabei hat der Senat der Vorschrift des § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II Rechnung getragen, wonach die Leistungen jeweils für sechs Monate bewilligt werden sollen.
Hinsichtlich der Verpflichtung zur Zahlung der Kosten für Unterkunft und Heizung fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches. Maßgebliches Kriterium für die Beurteilung eines Anordnungsgrundes für die Geltendmachung von Bedarfen der Unterkunft und Heizung ist die drohende Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit. Diese ist zur Überzeugung des Senats grundsätzlich erst bei Rechtshängigkeit einer Räumungsklage anzunehmen (erkennender Senat, Beschluss vom 25.05.2012, Az.: L 7 AS 742/12 B ER). Bislang erfolgte weder eine fristlose Kündigung noch wurde eine Räumungsklage erhoben.
Auch hat das SG den Antrag auf Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht abgelehnt. Nach § 73a SGG in Verbindung mit §§ 114, 115 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Antragstellerin ist nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aus eigenen Mitteln zu bestreiten (§ 73a SGG i.V.m. § 114 f. ZPO). Die Rechtsverfolgung der Antragstellerin bot aus den dargelegten Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Da die Rechtsverfolgung der Antragsteller hinreichende Aussicht auf Erfolg bot, war auch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO).
Soweit die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde die Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung angegriffen hat, folgt die Kostenentscheidung aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Soweit sich die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrages auf Gewährung von Prozesskostenhilfe richtet, werden Kosten im Beschwerdeverfahren nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 13.03.2013
Zuletzt verändert am: 13.03.2013