Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 19.07.2018 geändert. Der Bescheid vom 19.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2017 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter entsprechender Änderung der Bescheide vom 18.05.2017 und 02.06.2017 weitere 470,67 EUR für Mai 2017 zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Verpflichtung der Berufungsbeklagten zur Übernahme einer Betriebs- und Heizkostennachforderung für ein beendetes Mietverhältnis streitig.
Die am 00.00.1968 geborene Klägerin bezog bis zum 31.05.2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von der Stadt L. Sie lebte bis zu diesem Zeitpunkt allein in einer Mietwohnung in L. Die Kosten der Unterkunft und Heizung für diese Wohnung hatte die Stadt L als angemessen anerkannt und vollständig übernommen. Die Klägerin hatte an ihrem Wohnort soziale Probleme mit psychischen Auswirkungen. Nach Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Bescheinigung erkannte die Stadt L gegenüber dem Betreuer der Klägerin die grundsätzliche Notwendigkeit eines Wohnortwechsels an (E-Mail der Stadt L an den Betreuer der Klägerin vom 01.04.2015).
Am 29.02.2016 schloss die Klägerin einen Mietvertrag über eine Wohnung in F mit Mietbeginn zum 01.06.2016. Die Bruttokaltmiete für die neue Wohnung wurde mit 415 EUR vereinbart (345 EUR Grundmiete, 70 EUR Betriebskosten). Heizkosten fielen zunächst ab Juli 2016 monatlich iHv 95 EUR und ab August 2016 monatlich iHv 65 EUR an, die unmittelbar an die Stadtwerke F zu entrichten waren. Mit Schreiben vom 01.03.2016 kündigte die Klägerin ihr Mietverhältnis in L zum 31.05.2016. Einen Antrag auf Zusicherung für diesen Umzug lehnte die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 16.03.2016 ab, da die Unterkunftskosten in der neuen Wohnung in F nicht angemessen seien. Nach den Richtlinien des Kreises F übersteige die Kaltmiete von 345 EUR den Mietrichtwert von 286,50 EUR um 58,50 EUR. Die Betriebskosten iHv 70 EUR seien angemessen. Mit separater E-Mail vom 23.03.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, bei einem Umzug ohne Zusicherung könnten nur die angemessenen Unterkunftskosten übernommen werden. Zudem würden keine Umzugskosten erstattet. Die neue Bruttokaltmiete übernahm die Beklagte ab dem 01.06.2016 nur iHv 383 EUR. Die Klägerin akzeptierte die reduzierte Übernahme der Unterkunftskosten und beantragte die Überweisung der vollen Miete an den Vermieter unter entsprechendem Rückgriff auf die Regelleistung. Die Kaution iHv 345 EUR entrichtete die Klägerin mittels Raten iHv 30 EUR monatlich an ihren Vermieter. Die Raten wurden auf ihren Wunsch ebenfalls von ihrem Regelbedarf einbehalten und von der Beklagten an den Vermieter weitergeleitet.
Unter den 08.05.2017 rechnete der Vermieter der Wohnung in L die Heiz- und Betriebskosten für die Zeit vom 01.01.2016 bis 31.05.2016 ab. Er stellte der Klägerin eine Nachzahlung iHv 470,67 EUR (111,59 EUR Betriebskosten/ 359,08 EUR Heizkosten), die binnen 14 Tagen auszugleichen war, in Rechnung.
Mit Bescheid vom 18.05.2017 bewilligte die Beklagte der Klägerin für Mai 2017 bis November 2017 Leistungen iHv monatlich 599 EUR (409 EUR Regelbedarf + 430 EUR KdU/H – 240 EUR bereinigtes Einkommen). Für Mai 2017 änderte die Beklagte die Bewilligung mit Bescheid vom 02.06.2017 auf 839 EUR (409 EUR Regelbedarf, 430 KdU/H), nachdem sie festgestellt hatte, dass der Klägerin in diesem Monat kein Arbeitseinkommen zugeflossen war.
Am 09.06.2017 beantragte die Klägerin die Übernahme der Forderung iHv 470,67 EUR aus der Nebenkostenabrechnung. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid 19.06.2017 ab. Den hiergegen fristgerecht eingereichten Widerspruch wies der Kreis L mit Widerspruchsbescheid vom 22.08.2017 zurück. Da sich die Abrechnung nicht auf die aktuelle Wohnung beziehe, sei der räumliche Lebensmittelpunkt nicht gefährdet. Die von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Ausnahmefälle, in denen bei ununterbrochenem Leistungsbezug eine Übernahme der Abrechnung aus früheren Wohnverhältnissen in Betracht komme, seien nicht einschlägig, da dem Umzug in die neue Wohnung eine Kostensenkungsaufforderung oder Umzugszusicherung nicht vorausgegangen sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 21.09.2017 Klage bei dem Sozialgericht Duisburg erhoben. Durch ihren Leistungsbezug sowohl im Zeitpunkt der Entstehung der Nebenkosten als auch zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit bestehe eine existenzsicherungsrechtlich relevante Verknüpfung der Nachforderung mit ihrem unterkunftsbezogenen Bedarf.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.06.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.08.2017 zu verurteilen, die Nachforderung aus der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2016 für die Wohnung L-straße 00 in L in Höhe von 470,67 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.06.2017 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, grundsätzlich seien nur die Aufwendungen für die gegenwärtig bewohnte Wohnung zu übernehmen. Ausnahmen davon seien nur bei einem Wohnungswechsel aufgrund einer Kostensenkungsaufforderung oder Umzugszusicherung anzuerkennen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Sozialgerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Mit Urteil vom 19.07.2018 hat das Sozialgericht die Klage (ohne mündliche Verhandlung) abgewiesen. Da die Nebenkostenabrechnung eine frühere Wohnung der Klägerin betrifft, diene eine Kostenübernahme nicht dem Schutz des persönlichen Lebensbereichs Wohnung sowie dem Grundbedürfnis Wohnen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sei bei durchgehendem Leistungsbezug nur anzunehmen, wenn der Umzug aufgrund einer Kostensenkungsaufforderung oder mit Zusicherung eines Jobcenters erfolgt sei. Ohne Kostensenkungsaufforderung oder Umzugszusicherung fehle es an einer relevanten Verknüpfung der Abrechnung mit der aktuellen Wohnung. Die hiermit verbundene Einschränkung der Umzugsmöglichkeiten von Leistungsbeziehern sei hinzunehmen, denn der Umzug in eine unangemessen teure Wohnung sei unerwünscht. Der Leistungsbezieher werde durch das Zusicherungsverfahren, welchem Warnfunktion zukomme, ausreichend geschützt.
Gegen das ihr am 30.07.2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 22.08.2018 Berufung eingelegt. Sie nimmt auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug und hält auf Hinweis des Senats den Antrag auf Verurteilung der Beklagten zur Zinszahlung nicht aufrecht.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 19.07.2018 zu ändern, den Bescheid vom 19.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter entsprechender Änderung der Bescheide vom 18.05.2017 und 02.06.2017 weitere 470,67 EUR für Mai 2017 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die aufgrund der Zulassung durch das Sozialgericht statthafte Berufung ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig iSd § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Klägerin hat im Mai 2017 Anspruch auf höhere Unterkunftskosten unter Berücksichtigung der im Mai 2017 fälligen Nebenkostennachforderung für ihre bis Mai 2016 bewohnte Wohnung iHv 470,67 EUR und auf eine entsprechende Änderung der Bewilligungsbescheide.
Gegenstand des Verfahrens ist ein Anspruch der Klägerin auf höhere Unterkunftskosten für Mai 2017. Dieses Begehren verfolgt die Klägerin zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG). Mit der Anfechtungsklage erreicht die Klägerin die Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 19.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.08.2017. Die Verpflichtungsklage richtet sich – ungeachtet der Frage, ob sich die Rücknahme des ursprünglichen Bewilligungsbescheides auf § 44 SGB X oder auf § 48 SGB X stützt (insoweit abweichend BSG Urteil vom 28.11.2018 – B 14 AS 48/17) – auf eine Änderung dieses Bescheides, da die zusätzlich geltend gemachten Unterkunftskosten nicht Gegenstand einer gesonderten Entscheidung sein können, sondern Bestandteil der insgesamt zustehenden Unterkunftskosten sind. Zwar kann ein Rechtsstreit auf die Unterkunftskosten beschränkt werden (st. Rechtsprechung, vgl. nur BSG Urteil vom 06.04.2011 – B 4 AS 119/10 R), eine weitere Beschränkung des Streitgegenstand auf einzelne Bestandteile der Unterkunftskosten ist indes nicht statthaft (st. Rechtsprechung, vgl. nur BSG Urteil vom 02.07.2009 – B 14 AS 36/08 R). Die geltend gemachten Nebenkosten, bestehend aus den Betriebskosten gemäß § 556 BGB und den Heizkosten, sind von den Bedarfen für Unterkunft und Heizung erfasst (BSG Urteil vom 30.03.2017 – B 14 AS 13/16 R). Die Leistungsklage ist auf die Auszahlung des geltend gemachten Differenzbetrags gerichtet. Der Umstand, dass die Klägerin erstinstanzlich keinen Verpflichtungsantrag gestellt hat, steht einer Sachentscheidung hierüber nicht entgegen, da es sich lediglich um eine Erweiterung des Klageantrags in der Hauptsache ohne Änderung des Klagegrundes handelt und diese gem. § 99 Abs. 2 Nr. 2 SGG daher nicht als Klageänderung gilt. Im Übrigen wäre eine Klageerweiterung gem. § 99 Abs. 1 SGG auch im Berufungsverfahren zulässig.
Der Höhe nach hat die Klägerin ihr Begehren auf die Zahlung weiterer 470,67 EUR im Mai 2017 beschränkt. Hieran war der Senat gebunden (§ 123 SGG), so dass nicht zu prüfen war, ob die Kürzung der Unterkunftskosten im Mai 2017 für die Wohnung in L rechtmäßig erfolgt ist.
Die Klägerin richtet ihr Begehren zutreffend gegen die Beklagte, die durch Delegationssatzung im eigenen Namen für den Kreis L über die streitgegenständlichen Leistungen entscheidet (§ 5 Abs. 2 AG-SGB II NRW iVm Anlage zu § 1 Kommunalträgerzulassungs-VO iVm §§ 1 Abs. 1, 3 der Satzung über die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II im Kreis L vom 20.06.2008). Der Senat hat keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Aufgabenverteilung. Zwar wird vertreten, dass eine Optionskommune nach § 6a SGB II gegen den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung als Kompetenzausübungsschranke verstoße, wenn sie ihre hoheitlichen Aufgaben durch zwei rechtlich verselbständigte Verwaltungseinheiten wahrnehmen lässt. Das widerspreche dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Einheitsprinzip für Optionskommunen (SG Osnabrück Urteil vom 26.04.2017 – S 24 AS 916/15, Revision anhängig bei dem BSG unter dem Aktenzeichen B 14 AS 24/17 R). Die Delegation von den Kreisen obliegenden Aufgaben an die kreisangehörigen Gemeinden hat der Bundesgesetzgeber für den Fall der getrennten Aufgabenwahrnehmung zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den kreisfreien Städten und Kreisen (§ 6 Abs. 1 SGB II) jedoch in § 6 Abs. 2 SGB II ausdrücklich vorgesehen. Deshalb bestehen auch für den Fall der Bildung von Optionskommunen – hier der Kreis L – keine bundesrechtlichen Bedenken gegen die in § 5 Abs. 2 AG-SGB II NRW vorgesehene Möglichkeit einer Aufgabendelegation an die kreisangehörigen Gemeinden, hier die Beklagte.
Die Bewilligungsbescheide vom 18.05.2017 und 02.06.2017 sind rechtswidrig iSd § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X und insoweit aufzuheben. Da nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X auch bestandskräftige Verwaltungsakte zurückgenommen werden können, ohne dass andererseits die Bestandskraft für eine Rücknahme erforderlich ist, kann dahinstehen, ob der Antrag der Klägerin unter dem 09.06.2017 auch als Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 02.06.2017 hätte ausgelegt werden können.
Der Klägerin stehen für Mai 2017 höhere Unterkunftskosten zu.
Die Klägerin erfüllt als erwerbsfähige Leistungsberechtigte im streitgegenständlichen Zeitraum die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, da sie das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht vollendet hatte (Nr. 1), erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) war und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte (Nr. 4). Leistungsausschlussgründe lagen bei der Klägerin nicht vor.
Da die Nebenkostenabrechnung im Mai 2017 fällig war, war der Leistungsbescheid von Beginn an ("bei Erlass") rechtswidrig iSd § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Die Klägerin hat Anspruch auf Übernahme der Bedarfe für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen sind. Hiervon erfasst werden nicht nur Leistungen für laufende, sondern auch für einmalige Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Durch diese Leistungen soll der persönliche Lebensbereich Wohnung geschützt werden. Der Leistungsanspruch nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II dient der Sicherung des Grundbedürfnisses des Wohnens und erfasst deshalb grundsätzlich die Übernahme der Aufwendungen für die tatsächlich genutzte konkrete Wohnung (BSG Urteil vom 25.06.2015 – B 14 AS 40/14 R). Besteht das Mietverhältnis noch, gehören auch Nebenkostennachforderungen, die vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit tatsächlich entstanden sind, aber erst nach deren Eintritt fällig werden, zu den übernahmefähigen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung (BSG Urteile vom 24.11.2011 – B 14 AS 121/10 R und vom 25.06.2015 – B 14 AS 40/14 R). Soweit eine Nachforderung von Unterkunfts- und/oder Heizkosten in einer Summe fällig wird, gehört sie im Fälligkeitsmonat zum tatsächlichen aktuellen Bedarf (vgl. BSG Urteil vom 20.12.2011 – B 4 AS 9/11 R).
Dies gilt grundsätzlich auch, wenn das einstige Mietverhältnis bei Fälligkeit der Nebenkostennachforderung nicht mehr bestand (BSG Urteil vom 30.03.2017 – B 14 AS 13/16 R). Für einen solchen Fall hat das BSG einen Kostenübernahmeanspruch anerkannt, wenn der Leistungsberechtigte sowohl im Zeitpunkt der tatsächlichen Entstehung der Kosten als auch im Zeitpunkt der Fälligkeit der Nachforderung im Leistungsbezug nach dem SGB II stand und die Aufgabe der bisherigen Wohnung in Erfüllung einer Kostensenkungsobliegenheit gegenüber dem Leistungsträger erfolgt und keine andere Bedarfsdeckung eingetreten ist (BSG Urteil vom 20.12.2011 – B 4 AS 9/11 R; vgl. auch BSG Urteil vom 25.06.2015 – B 14 AS 40/14 R) oder wenn die Mieter durchgehend seit dem Zeitraum, für den die Nebenkostenforderung erhoben wird, bis zu deren Geltendmachung und Fälligkeit im Leistungsbezug nach dem SGB II standen und eine Zusicherung hinsichtlich des Umzugs vorlag (BSG Urteil vom 30.03.2017 – B 14 AS 13/16 R). Denn es bestehe auch dann eine existenzsicherungsrechtlich relevante Verknüpfung der Nebenkostennachforderung für die in der Vergangenheit bewohnte Wohnung mit dem aktuellen unterkunftsbezogenen Bedarf, weil sowohl die Entstehung der Nachforderung als auch ihre Fälligkeit einen Zeitraum der ununterbrochenen Hilfebedürftigkeit betreffe, in dem der SGB II-Träger für die unterkunftsbezogenen Bedarfe der Leistungsbezieher einschließlich der Nebenkosten aufzukommen habe. Zu berücksichtigen sei auch, dass es eine faktische Umzugssperre bewirken könnte, wenn Nachforderungen für eine frühere Wohnung bei durchgehender Hilfebedürftigkeit nicht übernommen würden, weil Leistungsbezieher sich dann dem Risiko ausgesetzt sähen, nur wegen nicht auskömmlich festgesetzter Nebenkostenvorauszahlungen mit Schulden belastet zu werden, zumal sie die Höhe der Abschläge regelmäßig nicht beeinflussen könnten. Im Übrigen mindere eine Nebenkostenerstattung unabhängig von der Frage eines vorangegangenen Umzugs nach § 22 Abs. 3 SGB II die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Zudem könnten Folgeprobleme für die aktuelle Wohnsituation drohen, sei es, dass die neue Wohnung beim Vermieter der früheren Wohnung gemietet ist oder sei es, dass für die Heizenergieversorgung derselbe Energielieferant zuständig ist, und deshalb Zahlungsschwierigkeiten aus dem früheren Miet- oder Versorgungsverhältnis auf die gegenwärtigen Rechtsbeziehungen durchschlagen (BSG Urteile vom 24.11.2011 – B 14 AS 15/11 R und vom 30.03.2017 – B 14 AS 13/16 R).
Die vom BSG gebildeten Fallgruppen, die eine Übernahme von Kosten für eine nicht mehr bewohnte Wohnung ermöglichen (Erfüllung einer Kostensenkungsobliegenheit bzw. Zusicherung hinsichtlich des Umzugs), sind indes nicht als abschließend anzusehen. Dies verdeutlicht bereits das Wort "jedenfalls" im Urteil des BSG vom 30.03.2017 (B 14 AS 13/16 R), das weitere Fallkonstellationen zulässt.
Der Senat hat bereits Zweifel, ob die Anforderung "Erfüllung einer Kostensenkungsobliegenheit" tatsächlich ein sachgerechtes Kriterium für den Übernahmeanspruch ist, da sich in einem solchen Fall die Nebenkostenforderung auf unangemessene Unterkunftskosten bezieht und eine Erstattung bei einem Verbleiben des Betroffenen in der Wohnung nicht in Betracht gekommen wäre. Auch die Anforderung "Zusicherung hinsichtlich des Umzugs" erscheint zweifelhaft, da sich diese Zusicherung nur auf die Kosten der künftigen Wohnung bezieht und Kosten der bisherigen Wohnung gerade nicht in den Blick nimmt.
Jedenfalls aber kann eine existenzsicherungsrechtlich relevante Verknüpfung der Nebenkostennachforderung für die in der Vergangenheit bewohnte Wohnung mit dem aktuellen unterkunftsbezogenen Bedarf auch dann vorliegen, wenn dem Umzug eine Kostensenkungsaufforderung oder eine Umzugszusicherung nicht vorausgegangen ist. Allein die Unangemessenheit der neuen Unterkunftskosten steht einer Verknüpfung im o.g. Sinne nicht entgegen, denn diese hat lediglich Auswirkungen auf die neuen Unterkunftskosten bzw. auf die umzugsbedingten Kosten wie Kaution, Renovierungs- und Umzugskosten. So hat die Klägerin die Kaution und die Umzugskosten aus ihrem Einkommensfreibetrag selbst finanziert. Außerdem muss sie monatlich unangemessene Unterkunftskosten für die neue Unterkunft aus dem Regelbedarf bzw. dem Einkommensfreibetrag finanzieren. Diese Konsequenzen aus dem nicht genehmigten Umzug betreffen aber die zukunftsbezogen Kostensteigerungen, die die Klägerin durch ihr Verhalten verursacht hat. Im Übrigen, also in Bezug auf Kosten, die für die alte Wohnung angefallen sind, besteht kein existenzsicherungsrechtlich relevanter Zusammenhang zwischen den angemessenen Kosten für die frühere Wohnung und der Unangemessenheit der Kosten für die aktuell bewohnte Wohnung. Ein Leistungsempfänger darf eine unangemessene Wohnung beziehen, wenn er – wie vorliegend die Klägerin – die Differenz zwischen angemessener Mietobergrenze und tatsächlicher Miete aus dem Erwerbstätigenfreibetrag finanziert. Eine Sanktionierung dieses zulässigen Verhaltens dadurch, dass angemessene Nebenkosten für eine nicht mehr bewohnte Wohnung nicht erstattet werden, ist unzulässig. Denn diese Kosten hat die Klägerin nicht durch ihren Umzug veranlasst. Vielmehr wären diese Kosten auch bei einem Verbleib in der früheren Wohnung entstanden.
Die übrigen vom BSG zur Begründung eines Anspruchs auf Übernahme von Nebenkosten für eine nicht mehr bewohnte Wohnung herangezogenen Argumente treffen auch auf die vorliegende Fallkonstellation zu. Es würde auch ohne Erfüllung einer Kostensenkungsobliegenheit bzw. Umzugszusicherung eine faktische Umzugssperre bewirken, wenn Nachforderungen für eine frühere Wohnung bei durchgehender Hilfebedürftigkeit nicht übernommen würden, weil Leistungsbezieher sich dann dem Risiko ausgesetzt sähen, nur wegen nicht auskömmlich festgesetzter Nebenkostenvorauszahlungen mit Schulden belastet zu werden, zumal sie die Höhe der Abschläge regelmäßig nicht beeinflussen können. Gerade im vorliegenden Fall ist diese Gefahr besonders hoch. Denn die Abschlagszahlungen der Klägerin für die frühere Wohnung in L waren ausweislich der Abrechnung so gering (Betriebskosten iHv 50 EUR/ Monat; Heizkosten iHv 40 EUR/ Monat), dass eine Nachzahlung zu erwarten war. Auch für die vorliegende Fallkonstellation gilt, dass eine Nebenkostenerstattung nach § 22 Abs. 3 SGB II die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung mindert. Wenn ein Guthaben aus einem früheren Wohnverhältnis auf das neue Mietverhältnis angerechnet wird, spricht dies spiegelbildlich auch für eine Übernahme der Nachzahlung. Die mit der Umzugszusicherung verbundene Warnfunktion greift als Gegenargument nicht. Denn diese soll den Leistungsbezieher vor zukünftigen und unangemessenen Kosten schützen, nicht jedoch Kosten für den Leistungsträger ersparen, die bei einem Verbleib in der Wohnung zu übernehmen wären.
Auch in der vorliegenden Konstellation würden zudem Folgeprobleme für die aktuelle Wohnsituation drohen, sei es, dass die neue Wohnung beim Vermieter der früheren Wohnung gemietet ist oder sei es, dass für die Heizenergieversorgung derselbe Energielieferant zuständig ist, und deshalb Zahlungsschwierigkeiten aus dem früheren Miet- oder Versorgungsverhältnis auf die gegenwärtigen Rechtsbeziehungen durchschlagen. Diese Folgeprobleme können eintreten, unabhängig davon, ob dem Umzug eine Kostensenkungsaufforderung oder Umzugszusicherung vorausgegangen ist. Dies zeigt sich gerade bei der Klägerin, die sich hauptsächlich einer Nachzahlung für Erdgas ausgesetzt sieht. Wäre der Energielieferant nach dem Umzug identisch geblieben, wäre ein Ausfall auch im neuen Mietverhältnis mit versorgungsrelevanten Schulden verbunden, die bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen zu einer Energiesperre führen können. Es wäre unbillig, eine Übernahmeverpflichtung von dem Zufall, ob der neue auch der alte Vermieter/ Versorger ist, abhängig zu machen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionszulassungsgründe iSv § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Erstellt am: 01.08.2019
Zuletzt verändert am: 01.08.2019