Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18.02.2014 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auch für das Beschwerdeverfahren. Den Antragstellern wird zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe ab 21.03.2014 bewilligt und Rechtsanwalt T, H zu ihrer Vertretung beigeordnet.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren im einstweiligen Rechtsschutz die Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).
Die am 00.00.1961 geborene Antragstellerin zu 2) und ihr am 00.00.2004 geborener Sohn, der Antragsteller zu 3), sind bulgarische Staatsangehörige. Der am 00.00.1980 geborene Antragsteller zu 1) ist albanischer Staatsangehöriger. Die Antragsteller zu 1) und 2) sind verheiratet. Alle drei bewohnen gemeinsam eine Mietwohnung in I, für die sie einen Mietzins i.H.v. 150,00 EUR zuzüglich Betriebskostenvorschuss i.H.v. 50,00 EUR schulden.
Am 05.11.2013 beantragte die Antragstellerin zu 2) für sich und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragsteller zu 1) und 3) Leistungen nach dem SGB II bei dem Antragsgegner. Mit Schreiben vom 03.01.2014 wandte sich der Antragsgegner an die Antragsteller und forderte weitere Unterlagen an. Für die Bearbeitung des Antrags wurden eine aktuelle Meldebescheinigung für alle Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft, gültige Ausweispapiere eines weiteren im Jahr 1989 geborenen Sohnes, der sich ebenfalls in der Wohnung der Antragsteller aufhalten sollte, die Anlage KDU, eine gültige Mietbescheinigung, eine Geburtsurkunde des Antragstellers zu 3), eine aktuelle Schulbescheinigung, ein Nachweis, seit wann das von den Antragstellern angegebene Girokonto bestehe, und laufende Kontoauszüge seit der Kontoeröffnung, ein Original-Mietvertrag und eine gültige Arbeitserlaubnis für erforderlich gehalten.
Am 15.01.2014 haben die Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) gestellt, den sie damit begründet haben, dass bis zu diesem Tage nicht einmal eine Eingangsmitteilung hinsichtlich ihres Antrags vorgelegen habe. Die Situation sei unhaltbar, da mangels Zahlungen des Antragsgegners die Wohnung der Antragsteller nicht mehr mit Strom und Warmwasser versorgt werde. Der Vermieter habe bereits die fristlose Kündigung ausgesprochen. Nur durch die Hilfe entfernter Bekannter hätten die Antragsteller überleben können. Während der ersten Monate in Deutschland hätten die Antragsteller auf angespartes Geld aus ihrer Erwerbstätigkeit in Griechenland zurückgreifen können. Diese Rücklagen seien jedoch Ende Oktober 2013 ausgeschöpft gewesen. Kindergeld sei zwar beantragt, fließe jedoch noch nicht. Auf den Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II könne sich der Antragsgegner jedenfalls nicht berufen, da dieser europarechtswidrig sei.
Mit Beschluss vom 18.02.2014 hat das SG den Antragsgegner vorläufig verpflichtet, den Antragstellern Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach den gesetzlichen Bestimmungen des SGB II für die Zeit ab 15.01.2014 bis zum rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache, längstens für sechs Monate, zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Antragsteller die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II erfüllten. Die Antragstellerin zu 2) sei erwerbsfähig und hilfebedürftig und habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Sie sei auch nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen ausgeschlossen. Der Leistungsausschluss sei aufgrund des Anwendungsvorrangs des europäischen Gemeinschaftsrechts nicht anwendbar. Sie könne sich auf das Prinzip der Gleichbehandlung gemäß Art. 4 VO 883/2004 berufen, wonach ausländische EU-Bürger die gleichen Rechte und Pflichten im Rahmen des Sozialschutzsystems eines Mitgliedstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates selbst hätten. Die Antragstellerin zu 2) unterfalle dem persönlichen Geltungsbereich der VO 883/2004 und die Leistungen nach dem SGB II unterfielen dem sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung. Dies ergebe sich bereits eindeutig aus Art. 70 Abs. 2 Buchst. c VO 883/2004 mit Verweis auf die Anl. X und die dortige sogenannte Sonderkoordinierung für die Bundesrepublik Deutschland. Eine Aufspaltung in Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und für Kosten für Unterkunft und Heizung einerseits und die weiteren Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt andererseits sei nicht vorzunehmen. Da der Leistungsausschluss gegen die VO 883/2004 verstoße, sei er auf die Antragstellerin zu 2) gemäß dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts nicht anzuwenden. Die Antragstellerin zu 2) habe auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht da mangels Vermögen und Einkommen eine Bedarfsunterdeckung vorliege. Auch der Antragsteller zu 1) habe einen Anordnungsanspruch, dies schon als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Dabei komme es nicht auf die Ausschlussgründe des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II an, da diese Vorschrift schon aus systematischen Gründen nicht auf die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft anzuwenden sei. Auch der Antragsteller zu 3) habe – im Wesentlichen aus den gleichen Gründen wie die Antragstellerin zu 1) – einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Am 19.02.2014 hat der Antragsgegner gegen den am 18.02.2014 zugestellten Beschluss Beschwerde eingelegt und hilfsweise beantragt die Vollstreckung aus dem Beschluss auszusetzen. Die Bedenken gegen die Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses für Arbeit suchende Unionsbürger mit europäischem Recht würden nicht geteilt. Hinsichtlich des Antragstellers zu 1) scheitere ein Leistungsanspruch schon daran, dass dieser keinerlei Arbeitserlaubnis in Deutschland nachgewiesen habe.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18.02.2014 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragsteller halten die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und weisen darauf hin, dass der Antragsteller zu 1) als Familienangehöriger eines EU-Bürgers ebenfalls das Freizügigkeitsrecht genieße.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das SG hat den Antragsgegner zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe der Regelbedarfe zu gewähren. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt somit voraus, dass ein materieller Anspruch besteht, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird (sog. Anordnungsanspruch) und dass der Erlass einer gerichtlichen Entscheidung besonders eilbedürftig ist (sog. Anordnungsgrund). Eilbedürftigkeit besteht, wenn dem Betroffenen ohne die Eilentscheidung eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl BVerfG Beschl v 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 Rn 23 – Breith 2005, 803; Beschl v 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91 Rn 28 – BVerfGE 93, 1). Der gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) von den Gerichten zu gewährende effektive Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Daraus folgt, dass gerichtlicher Rechtsschutz namentlich in Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können (BVerfG Beschl v 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91 Rn 28 – BVerfGE 93, 1).
Der geltend gemachte (Anordnungs-)Anspruch und die Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO)). Für die Glaubhaftmachung genügt es, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend wahrscheinlich sind (vgl. BSG Beschl v 08.08.2001 – B 9 V 23/01 B – SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).
Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschl v 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 Rn 23 – Breith 2005, 803). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend einstellt (BVerfG a.a.O. Rn 26; vgl. auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. § 86b Rn 29, 29a).
Gemessen an diesen Grundsätzen haben die Antragsteller hinsichtlich der Regelbedarfe sowohl einen Anordnungsanspruch, als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Die Antragsteller zu 1) und 2) erfüllen die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II, denn sie haben das 16. Lebensjahr bereits vollendet, sind erwerbsfähig, hilfebedürftig und haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (zum gewöhnlichen Aufenthalt freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger vgl BSG Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R).
Der Antragsteller zu 3) erfüllt die Zugangsvoraussetzungen zu den Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 SGB II, denn er lebt mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft, § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II.
Die Antragstellerin zu 2) und der Antragsteller zu 3) sind auch nicht gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Dieser Leistungsausschluss entfaltet bezogen auf diese Antragsteller keine Wirkung, weil beide Unionsbürger sind und der Leistungsausschluss mit europäischem Sekundärrecht nicht vereinbar ist. Hierzu wird auf das Senatsurteil vom 28.11.2013 – L 6 AS 130/13 – verwiesen.
Entgegen der Annahme des SG ergibt sich der Leistungsanspruch des albanischen Antragstellers zu 1) jedoch nicht schon daraus, dass er im Sinne des § 7 Abs. 2 S. 1 SGB II mit einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Denn durch § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sind auch die Familienangehörigen der dort genannten EU-Bürger ausdrücklich von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Jedoch kann sich auch der Antragsteller zu 3) auf den im genannten Senatsurteil herangezogenen Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 4 VO (EG) 883/2004 berufen. Dies folgt aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Buchst. i) Nr. 2. VO (EG) 883/2004.
Die Kostenentscheidung folgt einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat bereits im Hinblick auf § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO zu erfolgen.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 28.05.2014
Zuletzt verändert am: 28.05.2014