Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.10.2014 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Gestalt der Regelleistung und der Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 391,00 Euro für die Zeit vom 10.10.2014 bis zum 30.11.2014, in Höhe von monatlich 714,00 Euro für die Zeit vom 01.12.2014 bis zum 31.12.2014 und in Höhe von 722,00 Euro und für die Zeit vom 01.01.2015 bis zum 31.03.2015, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu zahlen. Dem Antragsteller wird für das Verfahren in beiden Rechtszügen raten- freie Prozesskostenhilfe ab Antragstellung bewilligt und Rechtsanwalt K, X beigeordnet. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).
Der im Jahr 1988 geborene Antragsteller ist österreichischer Staatsbürger. Er reiste im Oktober 2010 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seitdem bewohnt er eine 27 m² große Wohnung in X, für die er eine Grundmiete i.H.v. 168 EUR zzgl. 90 EUR Betriebskosten, 58 EUR Heizkosten und 7 EUR Warmwasserkosten, also insgesamt 323 EUR, zu zahlen hat. Vom 18.11.2010 bis zum 13.04.2011 übte er eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Mediengestalter und vom 10.10.2011 bis zum 07.12.2011 eine solche als Webdesigner aus. Ab August 2012 besuchte der Antragsteller das C Kolleg der Stadt X mit dem Ziel, die Allgemeine Hochschulreife zu erwerben. Nachdem der Antragsteller wegen zu großer krankheitsbedingter Fehlzeiten die Schule verlassen musste, beantragte er am 01.07.2014 Leistungen nach dem SGB II. Nach Vorlage von Kontoauszügen für die letzten drei Monate vor Antragstellung forderte der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 08.07.2014 unter Fristsetzung bis zum 25.07.2014 auf zu erklären, ob es sich bei einem Zahlungseingang von der Mutter des Antragstellers um eine Unterhaltszahlung handele und ob diese auch künftig weiterhin geleistet werde. Nach Vorlage einer Erklärung, dass es sich bei der Zahlung nicht um Unterhalt handele und solche Zahlungen in Zukunft nicht mehr erfolgten, versagte der Antragsgegner mit Bescheid vom 29.07.2014 die Leistungen wegen fehlender Mitwirkung. Dabei verwies er auf ein Schreiben vom 07.07.2014, mit dem er eine aktuelle Meldebescheinigung, einen BAföG-Ablehnungsbescheid und die Kontoauszüge der letzten drei Monate angefordert hatte. Drei Tage später wies er ihn darauf hin, dass die vom Antragsteller vorgelegten Kontoauszüge die abschließende Bearbeitung seines Antrags nicht ermöglichten, da diese nur unvollständig und teilweise geschwärzt vorgelegt worden seien.
Nach Vorlage der angeforderten ungeschwärzten Kontoauszüge lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Leistungen nach dem SGB II mit Bescheid vom 26.08.2014 ab. Zur Begründung führte er aus, dass das Freizügigkeitsrecht des Antragstellers als Arbeitnehmer aufgrund seiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung am 30.06.2012 geendet habe. Da der Antragsteller auch seine schulische Ausbildung zum 30.06.2014 abgebrochen habe, genieße er seit dem 01.07.2014 ein Freizügigkeitsrecht ausschließlich zur Arbeitssuche. Daher sei ein Leistungsanspruch nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch berief sich der Antragsteller auf das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 VO 883/2004. Auch nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen (NRW) (Urteil vom 28.11.2013 – L 6 AS 103/13) sei der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II in dieser Form europarechtswidrig. Der Antragsgegner wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.2014 zurück. Die Vorschrift verstoße nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Hiergegen erhob der Antragsteller Klage, über die noch nicht entschieden ist.
Am 19.09.2014 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner mit, dass sein Vermieter wegen ausbleibender Mietzahlungen die fristlose Kündigung ausgesprochen habe. Er müsse zumindest die Mietschulden begleichen können, um eine Räumungsklage zu vermeiden. Am 24.09.2014 erließ der Antragsgegner einen Bescheid, mit dem er den Antrag auf ein Darlehen mangels Leistungsanspruch nach dem SGB II ablehnte.
Am 10.10.2014 hat der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Düsseldorf (SG) gestellt. Ein Anordnungsanspruch ergebe sich schon aus dem mit Österreich abgeschlossenen Fürsorgeabkommen aus dem Jahr 1966. Dieses gelte auch für Leistungen nach dem SGB II. In einer eidesstattlichen Erklärung vom 15.10.2014 hat er u.a. angegeben, er verfüge über keinerlei finanzielle Mittel mehr, Lebensmittel erhalte er von Freunden bzw. über Spenden, sein Bruder habe die Miete bis einschließlich November direkt an den Vermieter gezahlt.
Mit Beschluss vom 25.10.2014 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und sich den Ausführungen des Antragsgegners im Widerspruchsbescheid vom 22.09.2014 angeschlossen.
Mit der am 29.10.2014 eingelegten Beschwerde macht der Antragsteller weiterhin geltend, dass ihm ein Leistungsanspruch bereits aufgrund des deutsch-österreichischen Fürsorgeabkommens zustehe.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.10.2014 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass sich die Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit Gemeinschaftsrecht aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 11.11.2014 (C-313/13 – Rs. Dano) ergebe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist auch begründet.
Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt. Der Antrag ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt grundsätzlich voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts (den so genannten Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (den so genannten Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO -).
Der Anordnungsanspruch liegt vor. Der Senat kann offen lassen, ob – wie der Antragsgegner meint – der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II dem Anspruch entgegensteht oder ob die Vorschrift nach der vom Senat vertretenen Auffassung deshalb nicht greift, weil der Ausschluss in dieser umfassenden Form wegen Verstoßes gegen EU-Recht nicht anwendbar ist (s. LSG NRW Urteil vom 28.11.2013 – L 6 AS 130/13 – juris). Ebenso offen lassen kann er, ob die kontrovers diskutierte Frage zur Anwendbarkeit des deutsch-österreichischen Fürsorgeabkommens im Sinne des Antragstellers zu beantworten ist. Denn dem Antragsteller stehen die beantragten vorläufigen Leistungen auch nach § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zu (im Ergebnis ebenso LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 27.05. 2014 – L 34 AS 1150/14 B ER – juris, mwN).
Nach der über § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II anwendbaren Vorschrift des § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III kann über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden, wenn die Vereinbarkeit einer Vorschrift, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) ist.
Die Ablehnung von Leistungen durch Bescheid vom 26.08.2014 steht der Bewilligung vorläufiger Leistungen nach § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III nicht entgegen.
Der vom Antragsteller angefochtene Bescheid ist nicht bestandskräftig. Die ablehnende Entscheidung als solche lässt den Anspruch auf vorläufige Leistungen nach § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III nicht bereits aus rechtssystematischen Gründen entfallen. Einer entsprechenden in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Auffassung (LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 20.03.2014 – L 29 AS 514/14 B ER – juris, vom 17.03.2014 – L 20 AS 502/14 B ER – juris, Aubel in jurisPK-SGB II, § 40 Rz. 61.1) schließt sich das Gericht nicht an.
Der Senat folgt der Rechtsprechung des BSG, wonach Leistungsbescheide über vorläufige Leistungen (vorläufige Leistungsbescheide) durch die endgültige Festsetzung (endgültige Leistungsbescheide) ersetzt werden und sich dann auf sonstige Weise im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X erledigen (BSG Urteil vom 10.05.2011 – B 4 AS 139/10 R – juris; vgl. auch LSG NRW Urteil vom 31.10.2012 – L 12 AS 691/11 – juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 20.03.2014 – L 29 AS 514/14 B ER – juris; vom 17.03.2014 – L 20 AS 502/14 B ER – juris, Aubel in jurisPK-SGB II aaO). "Auf andere Weise erledigen" kann sich ein vorläufiger Leistungsbescheid in diesem Zusammenhang aber nur dann, wenn die Voraussetzungen für seinen Erlass nicht mehr vorliegen (vgl BSG Urteil vom 10.05.2011 – B 4 AS 139/10 R – juris; LSG NRW Urteil vom 31.10.2012 – L 12 AS 691/11 – juris). Dem folgend entfällt der Anspruch auf vorläufige Leistungen nach § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III bei Erlass eines Ablehnungsbescheides erst dann, wenn kein Vorlageverfahren mehr anhängig ist (oder durch die Bestandskraft des Ablehnungsbescheides feststeht, dass keine Leistungen zustehen). Denn § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III ermächtigt dazu, eine "Zwischenregelung" zu treffen, bis die Rechtsfragen, die zu Grund, Höhe oder Dauer des Anspruchs entscheidungserheblich sein müssen, geklärt sind (vgl etwa Düe in Brand SGB III 6. Aufl. § 328 Rdnrn 2, 12). Gerade wenn der Leistungsträger nach einfachgesetzlicher Überprüfung zu dem Ergebnis gelangt ist, ein Anspruch bestehe nicht, nicht in dieser Höhe oder nicht in diesem zeitlichen Umfang, beginnt der Anwendungsbereich des § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III. Denn der Gesetzgeber hat mit dieser Vorschrift eine Handhabe bieten wollen, die Leistungen für den Berechtigten kurzfristig verfügbar zu machen und Härten zu vermeiden, die mit längeren Bearbeitungs- oder Zeiten der Unsicherheit über die Rechtslage verbunden sind (Düe aaO Rdnr 2, 5). Für die Dauer des Vorlageverfahrens bleibt jedenfalls, solange der Ablehnungsbescheid nicht bestandskräftig geworden ist, Raum für eine Ermessensentscheidung, ob und ggfs in welcher Höhe dennoch Leistungen gewährt werden. Im Unterschied zu § 42 SGB I setzt § 328 Abs. 1 Nr. 1 (und im Übrigen auch Nr. 2) SGB III nicht voraus, dass der Anspruch (dem Grunde nach) besteht. Gerade die durch Vorlageverfahren zu klärende Unsicherheit über entscheidungserhebliche Rechtsfragen (Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht) macht den selbstständigen Anwendungsbereich der Vorschrift aus, der einer Erledigung nach § 39 Abs. 2 SGB X entgegen steht. Anwendungsbereich des und Anspruch aus § 328 Abs. 1 Nr. 1 SGB III werden nicht dadurch eingeschränkt, dass der Leistungsträger seine – nach einfachgesetzlicher Rechtslage dann auch regelmäßig zutreffende – Auffassung durch einen Ablehnungsbescheid bereits verlautbart hat. Folgt man dieser Ansicht nicht, hätte der Leistungsträger es in der Hand, bei gleichgelagerter Bedarfs- und Interessenlage die Möglichkeit, vorläufige Leistungen in Anspruch zu nehmen, zu steuern.
Die Voraussetzungen des Leistungsanspruchs nach dem SGB II sind glaubhaft gemacht. Ungeachtet des Umstandes, dass die vorläufige Leistung gemäß § 328 SGB III ein aliud gegenüber der endgültigen Bewilligung darstellt (BSG Urteil vom 06.04.2011 – B 4 AS 119/10 R – BSGE 108, 86-97), ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass eine vorläufige Bewilligung sowohl vom Antragsteller beantragt worden ist, als auch Gegenstand der Verwaltungsentscheidung des Antragsgegners war. Bereits mit der Beantragung von Leistungen nach dem SGB II mit dem Hinweis darauf, dass keinerlei Einkommen und Vermögen vorhanden sind, hat der Antragsteller hinreichend deutlich gemacht, dass er sich in einer wirtschaftlichen Notsituation befindet, die eine unmittelbare Leistungsbewilligung erforderlich macht. Spätestens mit der Beantragung gerichtlichen Eilrechtsschutzes hat der Antragsteller endgültig zu verstehen gegeben, dass er (weiterhin, zumindest) die Bewilligung vorläufiger Leistungen begehrt. Vor diesem Hintergrund und mit dem Wissen, dass die Frage der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht Gegenstand eines Vorlageverfahrens beim EuGH ist, kann die Leistungsablehnung des Antragsgegners nur so verstanden werden, dass damit auch keine vorläufigen Leistungen bewilligt werden sollten. Die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen (§§ 7 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 – 4; 8, 9 SGB II zum Alter, zur Erwerbsfähigkeit, zum gewöhnlichen Aufenthalt und zur Hilfebedürftigkeit) erachtet das Gericht für glaubhaft gemacht.
In der Person des Antragstellers sind tatbestandlich die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs.1 S. 2 Nr. 2 SGB II erfüllt. Die Vereinbarkeit dieses Leistungsausschlusses mit europäischem Gemeinschaftsrecht ist Gegenstand der Vorlage des BSG gemäß Art. 267 AEUV (BSG Vorlagebeschluss vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R – ZFSH/SGB 2014, 158-164). Die Fragen, die das BSG dem EuGH zur Europarechtskonformität bzw zur Europarechtswidrigkeit dieses Ausschlusses vorgelegt hat (BSG Beschluss vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R), sind auch nach dem Urteil des EuGH vom 11.11.2014 – C 333/13 (in Sa. Dano) weiterhin von entscheidungserheblicher Bedeutung. Diese Entscheidung des EuGH betraf mit einer Antragstellerin, die nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts und des EuGH keine Arbeit suchte, eine andere Fallgestaltung; sie enthält Ausführungen zur Anwendbarkeit der VO 883/2004 und der URL (s auch Senatsurteil vom 28.11.2013 – L 6 AS 103/13), nicht aber zur Europarechtskonformität des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II.
Bei dem hier in Rede stehenden Arbeitslosengeld II handelt es sich um eine (Geld-)Leistung, auf die bei zutreffender Beurteilung des Ermessens nach Maßgabe des § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III ein Rechtsanspruch besteht.
Unabhängig von der Zielrichtung der Geldleistungen dürfte es regelmäßig pflichtwidrig sein, bei Erfüllung der Voraussetzungen nach § 328 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 und 2 SGB III jegliche vorläufige Leistung abzulehnen (so auch Düe in Brand, SGB III, 6. Auflage 2012, § 328 Rn 18). Angesichts des existenzsichernden Charakters des Arbeitslosengeldes II sowohl in Gestalt der Regelleistung als auch der Kosten der Unterkunft und des aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfG Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 – juris Rn. 62) wird nach Überzeugung des Senats der Ermessensspielraum weiter eingeengt und im Ergebnis auf Null reduziert, so dass ein Anspruch auf die vorläufige Bewilligung des Arbeitslosengeldes II in voller Höhe besteht (vgl. Eicher aaO; s auch LSG Thüringen Beschluss vom 25.04.2014 – L 4 AS 306/14 B ER – juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 27.05.2014 – L 34 AS 1150/14 B ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de; SG Halle/Saale Beschluss vom 30.05.2014 – S 17 AS. 2325/14 ER – juris, mwN jeweils zur Ermessensreduzierung auf Null bei existenzsichernden SGB II-Leistungen).
Für die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung der Leistungen besteht auch ein Anordnungsgrund. Dem Antragsteller drohen ohne eine einstweilige Anordnung schwerwiegende Nachteile, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr abgewendet werden können.
Hinsichtlich des Regelbedarfs folgt dies für die in der Vergangenheit hingenommenen und für die in Zukunft abzuwendenden Beeinträchtigungen schon aus dem unmittelbaren Grundrechtseingriff (Art. 1 Abs. 1 GG), der durch die Verweigerung der zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs erforderlichen Mittel entsteht.
Im Kern gilt dies auch für den Anordnungsgrund hinsichtlich der Kosten der Unterkunft. Soweit der Senat bislang die Auffassung vertreten hat, dass ein Anordnungsgrund regelmäßig erst mit der Erhebung der Räumungsklage anzunehmen sei, da erst dann konkret Wohnungslosigkeit drohe, die in einem bestimmten Zeitfenster des Klageverfahrens durch die vorläufige Gewährung (auch) von Kosten der Unterkunft (vgl. §§ 543 Abs. 2 S. 2; 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) abgewendet werden könne, hält er an dieser Rechtsprechung nicht fest. Schon zu einem früheren Zeitpunkt können wesentliche Nachteile zu gewärtigen sein, die ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar erscheinen lassen.
Neben der andauernden Beeinträchtigung wegen fehlender Kosten der Unterkunft als Teil der ein menschenwürdiges Existenzminimum sichernden Leistung (Alg II) (Art. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG) kann die Wohnung schon früher als Lebensmittelpunkt konkret gefährdet und damit das Grundrecht aus Art. 13 GG so beeinträchtigt sein, dass eine Regelungsanordnung erforderlich ist. In diesem Zusammenhang den Blick auf die Erhebung der Räumungsklage zu focussieren, hält der Senat nicht mehr für ausreichend, zumal der Schutz gegen den Verlust der Wohnung in diesem Stadium des Verfahrens auch deshalb problematischer geworden ist, da die dort beklagten Antragsteller grundsätzlich keine Prozesskostenhilfe erhalten können, der Leistungsträger sich aber regelmäßig nicht in der Pflicht sehen dürfte, die Kosten der Rechtsverteidigung zu übernehmen. Wenn auch die Zahlung von Unterkunftskosten zur Abwendung der außerordentlichen Kündigung noch nach Erhebung der Räumungsklage möglich ist, gilt dies doch nicht mit vergleichbar zuverlässiger Voraussehbarkeit für die ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Durch die Nachzahlung der Rückstände wird die Kündigung nicht unwirksam, da §§ 543 Abs. 2 S. 2, 569 Ab. 3 Nr. 2 BGB im Rahmen dieser Kündigung nicht anwendbar ist (BGH Urteil vom 10.10.2012 – VIII ZR 107/12). Die danach entscheidende Frage, ob der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat, indem er in einem zur fristlosen Kündigung berechtigendem Ausmaß mit der Mietzahlung deshalb in Verzug ist, weil die Kosten der Unterkunft nicht (rechtzeitig) vom Jobcenter gezahlt worden sind, wird in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung – soweit dies vom Senat beurteilt werden kann – nicht einheitlich beantwortet (vgl. hierzu AG Lichtenberg Urteil vom 19.12.2013 – 17 C 33/13 – Rdnr 22; BGH Urteil vom 21.10.2009 – VIII ZR 64/09 – juris; LSG NRW Beschluss vom 19.05.2014 – L 19 AS 805/14 B ER – juris mwN; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 22.07.2014 – L 10 AS 1393/14 B ER – juris). Ist damit die Gefahr des Wohnungsverlustes nicht abgewendet, wird hier auch die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie unter dem Blickwinkel der eigenbestimmten Gestaltung von Rechtsverhältnissen gefährdet. Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Gericht zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten, den wesentlichen Nachteil als Anordnungsgrund unabhängig von einem bestimmten Zeit- und Verfahrensfenster unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei können nicht nur Umstände im Zusammenhang mit dem Verlust der alten Wohnung, sondern auch nicht zuletzt finanzielle Aspekte bei der Beschaffung neuen Wohnraums von Bedeutung sein, wie etwa die allgemeine Situation auf dem örtlichen Wohnungsmarkt, finanzielle Nachteile in Form von Mahnkosten und Zinsen direkt aus dem Mietverhältnis und Versorgungsverträgen, die fortwirkende Störung des Vertrauensverhältnisses bezogen auf das Miet- als Dauerschuldverhältnis, Kosten der (einer) Räumungsklage, Umzugskosten ggfs Einlagerungskosten, Verlust von sozialen Bindungen uVm.
In der Gesamtwürdigung hält der Senat hier den Anordnungsgrund für gegeben. Der Vermieter hatte wegen Zahlungsrückständen bereits im September die außerordentliche Kündigung ausgesprochen. Diese hatte der Antragsteller mit Hilfe finanzieller Unterstützung durch seinen Bruder, der die Miete dann bis November getragen hat, abwenden können. Durch den Ausspruch der fristlosen Kündigung bereits im September hat aber der Vermieter hier in einer für den Senat hinreichenden Art und Weise zum Ausdruck gebracht, dass er gewillt ist, seine aus dem Zahlungsverzug des Mieters folgenden Rechte konsequent zu verfolgen und das Mietverhältnis zu beenden.
Da neben der Ablehnung jeglicher Leistung durch den Antragsgegner keine weiteren Umstände ersichtlich sind, die zum Zahlungsverzug des Antragstellers geführt haben, hat das Gericht vorläufige Leistungen ab Antragstellung beim Sozialgericht (Regelbedarf) bzw. ab letzter tatsächlich erfolgter Zahlung der Miete durch den Bruder (für November 2014) ab dem 01.12.2014 zuerkannt um sicherzustellen, dass auch die Mietrückstände beglichen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 05.02.2015
Zuletzt verändert am: 05.02.2015