Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14.06.2002 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Widerspruchsverfahren. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Ansprüche nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zustehen.
Am Abend des 00.12.1996 hatten sich der Kläger, der Zeuge W Q, der Zeuge J R sowie dessen Schwester, die Zeugin T T, in der Wohnung des Zeugen R zu einer abendlichen Feier zusammengefunden. Gegen 23 Uhr befanden sich der Zeuge Q und der Zeuge R im Wohnzimmer. Der Kläger und die Zeugin T hielten sich in der Küche auf. Nunmehr ging der Zeuge R in sein Schlafzimmer und kehrte mit einem Schrotgewehr zurück. Als er den Lauf zusammenführte, löste sich ein Schuß, der den Kläger traf. Die Einzelheiten sind Geschehensablaufs sind umstritten. Streitig ist insbesondere, ob der Zeuge R zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt hat.
Der Kläger wurde von einer Vielzahl von Schrotprojektilen an der rechten Hand und am rechten proximalen Oberschenkel getroffen. Vom 27.12.1996 bis zum 24.01.1997 wurde er in der Unfallklinik der Städtischen Kliniken T stationär versorgt. Antrag auf Versorgung hat der Kläger zunächst bei der Bundesknappschaft gestellt (11.02.1997), die den Antrag an den Beklagten weitergeleitet hat und gemäß § 12 Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) zum Verfahren hinzugezogen wurde. Der Beklagte wartete das Ergebnis des gegen den Zeugen R geführten Strafverfahrens ab, das gegen Zahlung eines Betrages von 1.000,00 DM an eine gemeinnützige Organisation eingestellt wurde. Nunmehr lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 01.12.1997 ab, da nach dem Ergebnis der kriminalpolizeilichen Ermittlungen davon auszugehen sei, dass dem Kläger die geltendgemachten Gesundheitsstörungen nicht durch vorsätzlichen, sondern durch fahrlässigen Gebrauch einer Schusswaffe beigebracht worden seien. Den hiergegen gerichteten Widerspruch begründete der Kläger damit, dass das Ermittlungsverfahren nur die Interessen des Schädigers beachtet habe, während seine Interessen völlig unberücksichtigt geblieben seien. Der Zeuge R habe sehr wohl gewusst und wissentlich in Kauf genommen, dass er mit einer scharfen Waffe auf ihn losgegangen sei. Der Zeuge habe auch ein Motiv dazu gehabt, indem er seine Besucher habe loswerden wollen. Auch habe es ihm nicht gepasst, dass er – der Kläger – sich an die Schwester des Schädigers, die Zeugin T, herangemacht habe. Nach Beiziehung der Akten des LG Dortmund – 6 O 540/97 – (T/R) wies der Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 17.07.2000 als unbegründet zurück, da ein vorsätzlicher Angriff nicht nachgewiesen sei.
Mit seiner fristgerecht erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen: Der Zeuge R habe vorsätzlich und auf Rechtsbruch gerichtet, also in feindseliger Willensrichtung gehandelt. Er sei mit der offensichtlichen Zuneigung seiner Schwester zu ihm – dem Kläger – und deren gemeinsamer Anwesenheit in der Küche nicht einverstanden gewesen und habe dies verhindern wollen. Unerheblich sei, ob sich der Schuss aus der zusammenschlagenden Waffe selbständig gelöst habe oder ob der Zeuge R nicht in seinem Zorn auch in diesem Moment die Hähne oder einen der Abzughähne durchgezogen habe.
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 01.12.1997 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 17.07.2000 Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz zu erbringen.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides bezogen.
Das SG hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen R, T und Q. Auf die Sitzungsniederschriften vom 28.09.2001 und 09.01.2002 wird verwiesen. Sodann hat es die Klage durch Urteil vom 14.06.2002 abgewiesen und hierzu u.a. ausgeführt: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei es wahrscheinlich, dass die Tat nicht vorsätzlich, sondern nur fahrlässig begangen worden sei. Der Zeuge R habe den Kläger erst nach dem Schuß wahrgenommen. Das Vorbringen des Klägers zur Motivation des Zeugen R sei rein spekulativ. Auch aus den Aussagen der Zeugen T und Q ergebe sich nichts, was auf eine vorsätzliche Tat hindeuten könnte. Die Zeugin T habe ausgesagt, dass der Zeuge R nach der Tat nicht mehr ansprechbar gewesen sei und leichenblasss ausgesehen habe. Dies mache wahrscheinlich, dass er sich wegen der Tatfolgen erschrocken und damit gerade nicht vorsätzlich gehandelt habe.
Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers. Er greift die Beweiswürdigung des SG an und meint, dass jeder, der eine solche Tat in einem emotionsgeladenen Zustand unternehme, über die Folgen schockiert sei und die aufgezeigten optischen Beeinträchtigungen aufweise. Der Zeuge R habe gewusst, dass die Kipplaufwaffe gefährlich sei. Er sei im Umgang hiermit vertraut gewesen und habe diese angeblich selbst montiert. Ihm sei deswegen bekannt gewesen, welche Folgen es haben werden, wenn er die Waffe im Zustand leichter und emotionsgeladener Alkoholisierung, ggf. noch mit dem Finger am Abzug, zusammenklappe. Hierdurch werde eine Erschütterung hervorgerufen, die den Schlag auf das Zündhütchen der Patrone auslöse. Dies hätte dem Kläger als Waffenarr bekannt gewesen sein müssen. Die Motivlage des Zeugen R ergebe sich u.a. aus der Aussage der Zeugin T. Diese habe bekundet, dass ihr Bruder schon immer die Beschützerrolle für sie übernommen habe. Aus der Aussage des Zeugen Q folge zudem, dass der Zeuge R die Waffe in einem Zustand hochgradiger Erregung in Ansehung einer motivgesteuerten Handlung geholt habe.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund aufzuheben und nach dem erstinstanzlich gestellten Antrag zu erkennen.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er sieht die angefochtene Entscheidung als zutreffend an.
Mit Bescheid vom 03.06.1998 hat der Beklagte den Grad der Behinderungen (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) mit 50 festgestellt. Dem lagen zugrunde:
1. psychovegetative Störungen, depressive Verstimmungen (GdB 30),
2. Funktionsstörung des rechten Beines nach Schrotschussverletzung (GdB 30) und
3. Funktionsstörung der rechten Hand nach Schussverletzung (GdB 20).
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (000 (OEG-Verfahren) sowie 000 (SchwbG-Verfahren)) sowie die Akten 000 der Staatsanwaltschaft T und die Auszüge aus dem Verfahren 6 O 540/97 des Landgerichts Dortmund.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet den Rechtsstreit im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) durch den Vorsitzenden (§ 155 Abs. 3 SGG).
Die statthafte und im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Zutreffend hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung nach § 1 Abs. 1 OEG.
Nach dieser Vorschrift erhält derjenige, der durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
Diese Anspruchsvoraussetzungen sind nicht erfüllt. Es ist nicht nachgewiesen, dass der Zeuge R den Kläger vorsätzlich angegriffen hat. Ein Angriff ist eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen gerichtete gewaltsame, zumeist also handgreifliche Einwirkung (BSG vom 24.07.2002 – B 9 VG 4/01 R -). Dabei kommt es nicht auf die innere Einstellung des Täters oder ein aggressives Verhalten an. Maßgebend für die Anspruchsvoraussetzung "tätlicher Angriff" ist die Rechtsfeindlichkeit der Tathandlung. Eine strenge Bindung an die strafrechtliche Bedeutung des entsprechenden Begriffs besteht dabei nicht (vgl. BSGE 81, 42 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11 und BSGE 81, 288 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12). Unter Vorsatz ist grundsätzlich der direkte Vorsatz zu verstehen. Es genügt aber auch, wenn der Angreifer mit bedingtem Vorsatz handelt (vgl. BSGE 81, 288 = SozR 3-3800 § 1 Nr. 12). Das wäre dann der Fall, wenn der Täter eine körperliche Beeinträchtigung des Opfers in seinen Willen aufgenommen (natürlicher direkter Vorsatz) oder aber eine solche Beeinträchtigung zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (bedingter Vorsatz). Der Täter muß sich also im Augenblick der Tathandlung zumindest über die Möglichkeit des Erfolgseintrittes (zB einer Körperverletzung) im klaren gewesen und diese in Kauf genommen haben (vgl. BSG vom 03.02.1999 – B 9 VG 7/97 R-). Im Gegensatz zum Strafrecht ist es allerdings nicht erforderlich, dass sich der Täter weiterer Folgen der unmittelbaren körperlichen Einwirkung bewußt ist, er sich z.B. einen entsprechenden Kausalverlauf mit bestimmten Verletzungen oder sonstigen Folgen vorgestellt bzw. solche für möglich gehalten hat. Der Vorsatz muß sich danach nur auf den Angriff als solchen, mithin auf die unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Opfers, nicht aber auf den entstandenen Körperschaden gerichtet haben (BSG vom 28.05.1997 – 9 RVg 1/95).
Ausgehend hiervon ergibt sich:
Schon auf der Grundlage des eigenen Vorbringens des Klägers ist nicht feststellbar, dass der Täter, der Zeuge R, eine körperliche Beeinträchtigung des Opfers in seinen Willen aufgenommen (natürlicher direkter Vorsatz) oder aber eine solche Beeinträchtigung zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (bedingter Vorsatz). Der Kläger hat vor dem SG bekundet, er habe nur mitbekommen, dass der Zeuge R eine Patrone in den Lauf des Gewehres geschoben, dieses dann zusammengeklappt und dabei auf ihn gezielt habe. Dies mag – isoliert betrachtet – auf eine vorsätzliche Tat hindeuten. Der Vorsatz bedarf jedoch des Nachweises (BSG vom 03.02.1999 – B 9 VG 7/97 R -). Zwar kann aus festgestellten äußeren Umständen auf das Vorliegen des bedingten Vorsatzes geschlossen werden, wenn der Sachverhalt nicht oder nicht ausreichend aufklärbar ist (BSGE 81,288 = SozR 3-3800 § 1 Nr. 12 m.w.N.). Hierauf kann vorliegend jedoch nicht abgestellt werden. Denn der Kläger hat einschränkend ausgeführt, mit Bestimmtheit könne er nicht sagen, ob der Täter den Abzug betätigt habe oder nicht. Im Rahmen der Beweiswürdigung ist überdies der gesamte entscheidungserhebliche Sachverhalt zu werten. Dann aber kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger seine Behauptung, der Zeuge R habe auf ihn schießen wollen, lediglich aus den Äußerungen des Zeugen ihm gegenüber im Krankenhaus herleitet.
Unstreitig hat der Zeuge hier erklärt, wenn er – der Kläger – seiner Schwester weh tun würde, werde er – R – ihm auch noch in das andere Bein schießen. Zugunsten des Klägers spricht insoweit zwar, dass der Zeuge R bestätigt hat, derartiges im Krankenhaus gesagt zu haben. Indessen läßt sich auch hieraus nicht auf nur bedingten Vorsitz schließen. Zutreffend hat das SG diese Ankündigung des Zeugen nicht als ernsthaft angesehen. Der Senat tritt dem bei. Abgesehen davon, dass der Zeuge diesen Satz als Scherz bezeichnet hat, ist auch nicht plausibel, dass der Kläger bei einem von ihm behaupteten anderen Verständnis dieses Satzes weitere Besuche des Zeugen R toleriert hat. Ausgehend von dem nunmehr behaupteten Verständnis des Klägers hätte es vielmehr nahegelegen, dass dem Zeugen ein Hausverbot hätte erteilen lassen bzw. Strafanzeige gestellt hätte.
Auch ansonsten ist nicht ansatzweise ein Motiv dafür erkennbar, aus welchem Grunde der Zeuge R auch nur die Möglichkeit einer Verletzung des Klägers (billigend) in Kauf genommen haben sollte. Zwischen dem Kläger und dem Zeugen R hat es zuvor keinerlei Auseinandersetzungen geben. Der Kläger hat bekundet, es sei ein lustiger Abend ohne jeglichen Streit gewesen. Die Zeugen Q ("schöner Abend"), T ("netter Abend") und R ("gemütlich zusammengesessen") haben dies bestätigt. Auch alkoholbedingte Ausfallerscheinungen sind nicht feststellbar. Der Kläger und die Zeugen haben übereinstimmend angegeben, keinen oder nur etwas Wein getrunken zu haben. Angesichts dieses Sachverhalts ist es nahezu ausgeschlossen, dass der Zeuge R nunmehr plötzlich seine Waffe holt, lädt, zielt und billigend eine unmittelbare körperliche Einwirkung auf den Kläger in Kauf nimmt. Aus welchem Grund der Zeuge R die Waffe geholt hat, wird vom Zeugen Q wie folgt beschrieben: "Etwa gegen 23 Uhr sagte Herr R etwas wie: "Sollen wir jetzt nicht langsam Schluß machen ?". Ich sagte dann scherzhaft zu ihm:" Ach, J, so schnell wirst Du uns nicht los." Er ging dann ohne weiteren Kommentar in das Schlafzimmer und kam mit dem Schrotgewehr heraus."
Dass sich der Zeuge R nur einen groben Scherz erlauben wollte, dem Kläger gegenüber also nicht feindselig eingestellt war, steht der Annahme eines tätlichen Angriffs allerdings nicht grundsätzlich entgegen (vgl. BSG vom 03.02.1999 – B 9 VG 7/97 R – sowie vom 28.05.1997 – 9 RVg 1/95 – und vom 23.10.1985 – 9a RVg 5/84 -). Der Täter muss nicht gegenüber dem Opfer feindselig eingestellt sein. Es kommt lediglich darauf an, dass das Verhalten des Täters auf Rechtsbruch gerichtet ist und dadurch seine Rechtsfeindlichkeit erkennen lässt. Rechtsfeindlich handelt, wer vorsätzlich und rechtswidrig einen Angriff gegen die körperliche Integrität eines anderen richtet (BSG vom 28.05.1997 – 9 RVg 1/95 -). Lediglich soweit Handlungen im Rahmen des sozial Üblichen geschehen, etwa durch körperliche Kontakte auf Volksfesten, ist ihre Rechtswidrigkeit zu verneinen und sind etwa fahrlässige Verletzungsfolgen von der staatlichen Entschädigungspflicht ausgeschlossen (BSG vom 03.02.1999 – B 9 VG 7/97 R -). Das BSG hat im Urteil vom 03.02.1999 ausgeführt, dass das Zünden eines Feuerwerkskörpers in unmittelbarer Nähe einer anderen Personen einen rechtswidrigen tätlichen Angriff darstellt, weil damit die Gefahr einer Körperverletzung verbunden sei. Bedingter Vorsatz wurde angenommen, weil der Täter nach den festgestellten Tatumständen es jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat, dass der betreffende Kläger durch die ihm in die Hosentasche gesteckten und angezündeten Knallkörper verletzt werden könnte. Vorliegend allerdings ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme – wie ausgeführt – gerade nicht feststellbar, dass der Zeuge R eine Körperverletzung des Klägers infolge seines "groben Scherzes" für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hätte. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob der Zeuge R "nervös eine Patrone in den Lauf geschoben hat" (so der Zeuge Q in seiner Aussage vom 28.09.2001 vor dem SG) oder "sich die Patrone bereits in der Waffe befand" (so der Zeuge R in seiner Aussage vom 09.01.2001 vor dem SG). Beide Sachverhaltsvarianten rechtfertigen angesichts des gesamten Geschehensablaufes nicht die Annahme, der Zeuge R habe den Kläger im Sinne der o. g. Definition angreifen wollen. Selbst wenn der Zeuge R den Kläger während des Zusammenklappens der Waffe gesehen haben sollte (hierzu aber nachfolgend), folgt aus seinem von der Zeugin T bestätigten Verhalten nach dem Vorfall, dass er eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des Klägers weder für möglich gehalten noch billigend in Kauf genommen hat. Der Zeuge R hat geschildert, unmittelbar nach dem Schuss unter Schock gestanden zu haben; er sei völlig entsetzt und nicht fähig gewesen, etwas zu tun. Er habe dann einen Krankenwagen gerufen. Er sei nicht mitgefahren, weil seine Schwester in Ohnmacht gefallen sei. Er habe den Kläger im Krankenhaus mehrere Male besucht und Schuldgefühle gehabt. Seinerzeit sei man befreundet gewesen. Der Senat wertet dies als glaubhaft. Denn diese Aussage wird im Kern bestätigt von der Zeugin T. Danach habe ihr Bruder den Arzt oder die Polizei angerufen. Auf Befragen, was denn passiert sei, sei er gar nicht ansprechbar und leichenblaß gewesen. Später habe ihr Bruder ihr erklärt, nicht absichtlich gehandelt zu haben, er hätte die Waffe nur zeigen wollen. Zwar besteht zwischen der Zeugin T und dem Zeugen R ein verwandtschaftliches Verhältnis. Ungeachtet dessen hat der Senat keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugin nicht glaubwürdig ist. Auch der Kläger hat insoweit nichts aufzuzeigen vermocht.
Soweit der Kläger im Erörterungstermin vorgetragen hat, das Verhalten des Zeugen R sei (auch) deswegen auf Rechtsbruch gerichtet gewesen, weil er keinen Waffenschein besessen habe, führt dies nicht weiter. Unzweifelhaft stellt der Verstoß gegen das Waffengesetz einen Rechtsbruch dar. Indessen ist dieser Rechtsbruch hinsichtlich der Frage, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 OEG vorliegen, nicht relevant. Entscheidend ist vielmehr, ob das Verhalten des Schädigers innerhalb des Tatgeschehens auf einen weiteren, vom Verstoß gegen das Waffengesetz zu trennenden Rechtsbruch gerichtet ist, der in einem inhaltlichen Bezug zur Person des Geschädigten steht. Das ist nicht der Fall, denn es ist nicht erwiesen, dass der Zeuge R – rechtsfeindlich – gehandelt hat und eine Beeinträchtigung des Klägers erwogen hat.
Der Senat hat weiter geprüft, ob die Entscheidung des BSG vom 24.07.2002 – B 9 VG 4/01 R – zugunsten des Klägers eingreift. Danach kann bereits die absichtliche rechtswidrige Bedrohung eines anderen mit einer scharf geladenen entsicherten Schusswaffe einen tätlichen Angriff darstellen, auch wenn ein Tötungs- oder Verletzungsvorsatz fehlt. Ausreichend ist es insoweit, wenn der Vorsatz des Täters auf die Bedrohung mit einer scharf geladenen Waffe als Angriffshandlung gerichtet ist. Hieran fehlt es schon deswegen, weil der Zeuge R den Kläger nach eigenen Angaben erst kurz nach dem Schuß wahrgenommen hat. Das SG hat diese Aussage als glaubhaft bewertet.
Der Kläger hat nichts dazu vorgetragen, was dem entgegenstehen könnte. Der Senat tritt dem SG mangels gegenteiliger Anhaltspunkte bei. Selbst wenn der Zeuge R den Kläger während des Zusammenklappens der Waffe oder schon vorher wahrgenommen hätte, ergäbe sich nichts anderes. Denn der Zeuge Q hat bekundet, er sei sich sicher, dass der Zeuge R nicht auf den Kläger gezielt habe.
Soweit der Kläger behauptet, der Zeuge R sei ein Waffennarr gewesen und habe deswegen die Folgen seines Handelns abgesehen, trifft dies schon dem Grunde nach nicht zu. Der Zeuge hat auf Befragen zwar eingeräumt, im Alter von 18 Jahren eine andere Person mit einer Gaspistole bedroht zu haben, um einen elfjährigen Jungen zu schützen. Weder hieraus noch aus sonstigen aktenkundigen Unterlagen lässt sich allerdings irgendetwas herleiten, dass die Behauptung des Klägers, der Zeuge sei ein Waffennarr, stützen könnte.
Zudem ist nicht ansatzweise feststellbar, dass der Zeuge R gegen den Kläger eine eindeutig feindselige Haltung deswegen eingenommen hat, weil er mit der offensichtlichen Zuneigung seiner Schwester zum Täter nicht einverstanden gewesen sei (Schriftsatz vom 16.08.2000). Für diese Behauptung fehlt jegliche Grundlage. Die Zeugin T hat ausgesagt, ihr Bruder habe gewusst, dass sie eigentlich etwas von Herrn Q wollte. Ob der Zeuge sich insoweit – wie vom Kläger behauptet – in einer Beschützerrolle sah, kann deswegen dahinstehen. Gleichermaßen kann aus diesem Grund offen bleiben, ob der Zeuge R wegen der Beziehung zwischen seiner Schwester und dem Kläger "unwillig" war. Selbst wenn das der Fall wäre, würde dies keinesfalls die Annahme rechtfertigen, der Zeuge haben die Tat billigend in Kauf genommen. Hierzu müssen weitere Umstände hinzukommen, die auf Eventualvorsatz des Zeugen schließen lassen. Daran fehlt es. Die Aussage des Zeugen Q belegt vielmehr, dass der Zeuge R "nur" fahrlässig gehandelt hat. Der Zeuge Q hat u.a. ausgesagt: "Er ist in der Schlafzimmertür bzw. kurz davor stehengeblieben und hat nervös eine Patrone in den Lauf geschoben. Dies ist ihm nicht beim ersten Mal gelungen. Er hat die Waffe etwas in Richtung Flur gehalten. Den Lauf leicht nach unten. Als er den Lauf zusammenführte, löste sich ein Schuß. Er hat nicht in Richtung Küche geschaut, sondern zur Waffe. Da bin ich mir sicher … Ich bin mir sicher, dass J R nicht gezielt hat … Ich kann auch nicht sagen, ob er abgedrückt hat." Hieraus lässt sich nicht ansatzweise entnehmen, dass der Zeuge R auch nur bedingt vorsätzlich gehandelt hätte. Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge Q seine Aussage bewusst zugunsten des Zeugen R formuliert hätte, bestehen nicht. Der Zeuge Q war vielmehr mit dem Kläger sehr befreundet, nach eigener Bekundung im Termin vom 28.09.2001 allerdings "jetzt nicht mehr so". Für eine "zumindest stimmungsmäßige Bemühung des Zeugen Q, den Zeugen R zu entlasten" (so der Kläger im Schriftsatz vom 21.11.2003) ergibt sich sonach nicht der geringste Anhalt. Auch soweit der Kläger behauptet, der Zeuge R sei "in Ansehung einer motivgesteuerten Handlung" hochgradig erregt gewesen, ist derartiges von keinem Zeugen bestätigt worden.
Von einer nochmaligen Befragung der Zeugen hat der Senat abgesehen. Hierzu bestand kein Anlaß. Der anwaltlich vertretene Kläger hat keine weitere Beweiserhebung beantragt (vgl. BVerwG vom 20.05.1998 – 6 B 50/97 – in NJW 1998, 3657). Zudem ist ihm im Termin vom 04.12.2002 aufgegeben worden, binnen sechs Wochen mitzuteilen, zu welchen Punkten die bisherige Beweisaufnahme fehlerhaft war und welche gegenteiligen Beweis gegebenenfalls zu erheben sind. Hierauf hat der Kläger, vertreten durch seinen Bevollmächtigten erst mit Schriftsatz vom 21.11.2003 reagiert, allerdings nur seine Beweiswürdigung der des SG entgegengehalten. Im übrigen hat der anwaltlich vertretene Kläger vorbehaltlos sein Einverständis nach § 124 Abs. 2 SGG erklärt. Dies erledigt alle Beweisanträge und Beweisanregungen (BSG vom 01.09.1999 – B 9 V 42/99 B -). Der Senat muss sich auch nicht von Amts wegen gedrängt fühlen, die Zeugen nochmals zu vernehmen. Geht es darum, ob bereits gerichtlich vernommene Zeugen nochmals gehört werden müssen, liegt die Entscheidung darüber grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts. Das richterliche Ermessen reduziert jedoch dann auf Null, wenn das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu beurteilen hat und eine abweichende Würdigung der vom SG gemachten Zeugenaussage in Betracht zieht (BSG vom 21.10.1998 – B 9 VG 2/97 R -; vgl. auch Senatsbeschluss vom 26.09.2002 – L 10 VG 21/01 -). Das ist nicht der Fall. Das SG hat die Zeugen R, T und Q als glaubwürdig angesehen. Der Senat tritt dem bei. Der Kläger hat nichts aufzuzeigen vermocht, was die Glaubwürdigkeit der Zeugen erschüttern könnte und Anlaß gegeben hätte, diese nochmals zu vernehmen.
Soweit er im Schriftsatz vom 21.11.2003 auf "Widersprüchlichkeiten" verweist, ist anzumerken: Die Auffassung, dass der Zeuge Q den Zeugen R infolge Freundschaft schützen wolle, ist verfehlt. Der Zeuge Q hat im Termin vom 08.09.2001 erklärt, mit dem Kläger (!) sehr gut befreundet gewesen zu sein. Dies schließt nicht aus, dass er auch mit dem Schädiger befreundet ist, kann aber keinesfalls die Schlussfolgerung rechtfertigen, er wolle diesen schützen. Zutreffend verweist der Kläger zwar darauf, dass der Zeuge Q in der polizeilichen Vernehmung vom 10.01.1997 ausgesagt hat, nicht mitbekommen zu haben, dass "der J eine Patrone in den Lauf eingeführt hat", hingegen vor dem SG bekundet hat, R habe nervös eine Patrone in den Lauf geschoben. Dies belegt indessen allenfalls, dass es sich bei den Schilderungen des Zeugen Q nicht um eine "einstudierte" Aussage handelt. Im Übrigen ist die Frage, ob der Zeuge R die Waffe geladen hat oder ob sie bereits geladen war, nicht entscheidungserheblich. Nichts anderes gilt für die vom Kläger aufgeworfene Frage danach, wo sich der Zeuge R zum Zeitpunkt des Schusses aufgehalten hat, denn der Senat hat die Überzeugung gewonnen, dass der Zeuge weder auf den Kläger gezielt hat, noch ihn sonst (billigend) verletzen wollte. Gleichermaßen nicht entscheidungserheblich ist, ob sich der Zeuge Q mit dem Zeugen R weiter unterhalten hat. Die Ausführungen des Klägers zur angeblichen Motivlage des Zeugen R sind spekulativ.
Nach alledem steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Zeuge R nicht (bedingt) vorsätzlich, sondern nur fahrlässig gehandelt hat.
Die Berufung des Klägers konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass der Beklagte das Verwaltungsverfahren unter Verstoß gegen die Prinzipien des § 20 SGB X nur oberflächlich durchgeführt hat. Damit hat der Beklagte das Widerspruchsverfahren veranlaßt.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 06.07.2004
Zuletzt verändert am: 06.07.2004