Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert wird endgültig auf 80.976,90 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Aufwendungen, die der Klägerin durch die Unterbringung der Hilfeempfängerin C (im Folgenden: Hilfebedürftige) in der Zeit vom 07.08.2006 bis 13.08.2008 in der Einrichtung "I" entstanden.
Die am 00.00.1990 geborene Hilfebedürftige bezog seit dem 10.03.2005 vom Beklagten auf ihren Antrag hin zunächst Leistungen der Eingliederungshilfe für die Unterbringung in einem Mutter-Kind-Heim (ab dessen Geburt am 00.00.2005 gemeinsam mit ihrem Sohn L). Nach Aufnahme ihres Sohnes in eine Pflegefamilie war die Hilfebedürftige (mit Unterbrechungen) in der Zeit vom 24.11.2005 bis zum 17.03.2006 in der Einrichtung "E" in L untergebracht. Erstmals mit Bescheid vom 05.12.2005 gewährte die Klägerin diesbezüglich Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 ff. SGB VIII in Form der Heimerziehung.
Mit Beschluss vom 25.11.2005 – 12 F 319/05 übertrug das Amtsgericht H dem Stadtjugendamt H zunächst das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Hilfebedürftige. Das Amtsgericht entzog den Eltern der Hilfebedürftigen nachfolgend die Personensorge und ordnete eine Ergänzungspflegschaft unter Bestellung des Stadtjugendamtes zum Ergänzungspfleger an (Beschlüsse vom 13.04.2006 – 12 F 15/06 und vom 15.11.2006 – 10 VIII B 22/06).
Ab dem 07.08.2006 war die Hilfebedürftige in der Einrichtung "I" (Mädchengruppe T-weg in U), betrieben von der Rheinischen Gesellschaft für Innere Mission und Hilfswerk GmbH, untergebracht. Die Hilfebedürftige besuchte parallel die G-Schule, Förderschule Geistige Entwicklung. Die Klägerin gab am 02.08.2006 gegenüber dem Einrichtungsträger eine "Kostenzusage für Heimerziehung bzw. sonstige betreute Wohnformen gem. § 27 i.V.m. § 34 KJHG" ab.
Die Klägerin veranlasste durch ihr Jugendamt bei der Hilfebedürftigen eine IQ-Testung, nachdem der Neurologe und Psychiater Dr. L unter dem 13.12.2005 bescheinigt hatte, es liege ein Grenzfall zwischen Lernbehinderung und geistiger Behinderung leichten Grades vor. In einem Gutachten des Sonderschullehrers T vom 03.11.2006 ist, Bezug nehmend auf einen Intelligenztest vom 26.10.2006, ausgeführt, die Testung habe einen Standard-IQ von 66 ergeben. Lege man den Grenzwert zwischen Lern- und geistiger Behinderung der Weltgesundheitsorganisation von 70 zugrunde, befinde sich die Hilfebedürftige mit ihren Leistungen im oberen Bereich einer geistigen Behinderung.
Mit Schreiben vom 14.11.2006 erbat das Stadtjugendamt H (Ergänzungspfleger) Bezug nehmend auf den im Dezember 2005 gestellten Antrag auf Eingliederungshilfe den Beklagten um die Kostenübernahme für die Einrichtungsaufenthalte vom 24.11.2005 bis 16.01.2006, vom 13.03.2006 bis 18.06.2006 und vom 07.08.2006 bis laufend.
Mit Schreiben vom 17.04.2007 wies der Beklagte, Bezug nehmend auf das Schreiben des Stadtjugendamtes, darauf hin, dass bei einer geistigen Behinderung die Einrichtung "I" nicht geeignet sei. Denn dort werde lediglich der Personenkreis der seelisch behinderten Menschen betreut. Da sich die Einrichtung seit dem 07.08.2006 nicht um eine Kostenübernahme bemüht habe, werde um Mitteilung gebeten, wer derzeit die Kosten für die Unterbringung trage. Hingegen gewährte der Beklagte für die Unterbringung in der Einrichtung "E", beginnend mit dem 02.12.2005 (dem Zeitpunkt des Bekanntwerdens des Hilfefalles), Eingliederungshilfe und Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII (Bescheide vom 20.04.2006).
Unter dem 02.05.2007 wandte sich das Stadtjugendamt H in seiner Funktion als Ergänzungspfleger an den Beklagten und teilte mit, die Kosten der Unterbringung der Hilfebedürftigen in der Einrichtung "I" würden derzeit durch das Stadtjugendamt übernommen. Die Hilfebedürftige lebe seit acht Monaten in der Einrichtung und sei dort gut integriert. Auch wenn der Schwerpunkt der Einrichtung auf der Betreuung seelisch behinderter Menschen beruhe, so sei die Wohngruppe wohl in der Lage, auch spezielle Einzelfallhilfe zu leisten. Es werde um Kostenübernahme für die Unterbringung ab dem 01.11.2006 gebeten, um der Jugendlichen Kontinuität und den Erhalt der entwickelten Beziehungen zu ermöglichen. Ein Abbruch könne erneut Verwahrlosung und Entwicklungsfortschritte zur Folge haben. Die Heimleitung habe bestätigt, dass die Einrichtung konzeptionell in der Lage sei, die entsprechende Hilfe zu leisten. Vorgelegt wurde ein Entwicklungsbericht vom 30.04.2007 über den Berichtszeitraum Januar bis April 2007, auf den Bezug genommen wird.
Der Beklagte forderte von der Einrichtung einen ausführlichen Entwicklungsbericht für den Zeitraum 07.08.2006 bis 30.07.2007 an. Darin ist u.a. ausgeführt, die Hilfebedürftige wolle bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Wohngruppe verbleiben und anschließend in eine Form des Betreuten Wohnens wechseln. Bis zu diesem Zeitpunkt solle sie optimal auf ein möglichst selbständiges Leben vorbereitet werden. Ein Umzug in eine Wohngruppe für Behinderte würde ihre Entwicklung bremsen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Entwicklungsbericht vom 30.07.2007 Bezug genommen.
Mit einem an den Ergänzungspfleger (Stadtjugendamt) gerichteten Bescheid vom 16.10.2007 lehnte der Beklagte daraufhin die Bewilligung von Eingliederungshilfe gemäß § 53 ff. SGB XII an die Hilfebedürftige in Form der Kostenübernahme für die Unterbringung in der Einrichtung "I" ab. Aus den vorliegenden Entwicklungsberichten vom 30.04. und 30.07.2007 gehe hervor, dass die Unterbringungsnotwendigkeit aus den seelischen Beeinträchtigungen resultiere. Die leichte geistige Behinderung sei eine zusätzliche Beeinträchtigung und erhalte in der Jugendhilfe keine weitere speziellere Förderung im Sinne der Eingliederungshilfe. Selbst wenn eine Förderung erfolgen würde, könnte diese nicht als Eingliederungshilfe anerkannt werden, da die Einrichtung "I" lediglich eine Leistungs- und Prüfungsvereinbarung für seelisch behinderte Menschen aufweisen könne.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Ergänzungspflegers vom 13.11.2007 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.02.2008 als unbegründet zurück. Der Bedarf der Hilfebedürftigen sei durch die Leistungen des Jugendamtes gedeckt. Die Zuständigkeit sei in einem Erstattungsstreit zu klären. Das daraufhin beim Sozialgericht Duisburg anhängig gemachte Klageverfahren S 2 SO 35/08 endete durch Klagerücknahme im Erörterungstermin vom 21.12.2009, nachdem das Sozialgericht darauf hingewiesen hatte, dass der Bedarf der Hilfebedürftigen durch die Leistungen der hiesigen Klägerin gedeckt worden sei und die Kostentragungspflicht in einem Erstattungsverfahren zu klären sei.
Das Widerspruchschreiben vom 13.11.2007 gegen den Bescheid vom 16.10.2007 hatte zugleich auch die förmliche Anmeldung eines Erstattungsanspruchs gemäß §§ 102 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) für die gewährte Hilfe im "I" enthalten. Bereits unter dem 09.11.2007 hatte die Klägerin "im Rahmen des Widerspruchsverfahrens" gegenüber dem Beklagten einen "Erstattungsbetrag" Höhe von 46.232,10 EUR für die Zeit vom 07.08.2007 bis September 2007 unter Berücksichtigung von Heimpflegekosten, Fahrtkostenerstattungen sowie Leistungen für den Lebensunterhalt bei Beurlaubung (Aufenthalt der Hilfebedürftigen bei deren Großeltern) geltend gemacht und um Überweisung der "Jugendhilfeleistungen" auf das angegebene Konto gebeten.
Mit Schreiben vom 14.11.2008 lehnte der Beklagte einen Erstattungsanspruch der Klägerin ab. Er verwies auf den Ablehnungsbescheid vom 16.10.2007. Neue Erkenntnisse hätten sich nicht ergeben. Das "I" sei eine reine Jugendhilfeeinrichtung. Dort seien auch keine Leistungen der Eingliederungshilfe für die Hilfebedürftige erbracht worden. Außerdem sei dem Beklagten erst mit Schreiben vom 14.11.2006 bekannt geworden, dass sich die Hilfebedürftige bereits seit dem 07.08.2006 in der Einrichtung befinde; er sei somit nicht bei der Suche nach einer geeigneten Unterbringung beteiligt gewesen.
Mit ihrer am 12.08.2009 beim Sozialgericht Duisburg erhobenen Klage hat die Klägerin unter Bezugnahme auf eine entsprechende Kostenaufstellung einen Erstattungsanspruch bezüglich der gesamten für die Hilfebedürftige erbrachten Leistungen in Höhe von 80.976,90 EUR für den Zeitraum 07.08.2006 bis 13.08.2008 geltend gemacht. Das in einem Klageverfahren SG Duisburg S 2 SO 53/08 eingeholte Gutachten der Sachverständigen Dr. A vom 31.07.2009 ergebe, dass die Hilfebedürftige im Sinne einer mehrfachen Beeinträchtigung sowohl an einer psychischen Störung als auch an einer geistigen Behinderung leide. Beide Störungen beeinträchtigten deutlich ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Die Unterbringung im "I" bzw. einer Einrichtung des betreuten Wohnens sei sinnvoll gewesen. Der Hilfebedürftigen sei Eingliederungshilfe im Sinne des § 54 SGB XII geleistet worden. Insbesondere sei es um die Vermittlung lebenspraktischer Fertigkeiten und Fähigkeiten zur Einordnung in die Gemeinschaft gegangen. Zudem habe die Unterbringung auch zum Ziel gehabt, die Grundlagen für einen angemessenen Schulbesuch zu schaffen und auf eine angemessene berufliche Tätigkeit vorzubereiten. Seien Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht worden, komme es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 22.10.2009 – 5 C 19/08) nicht darauf an, ob diese im Verhältnis zu den sich damit überschneidenden Leistungen der Jugendhilfe vorrangig oder schwerpunktmäßig erbracht worden seien. Die Klägerin hat ergänzend auf ein Urteil des hessischen Landessozialgerichts vom 18.02.2008 – L 9 SO 44/07 Bezug genommen; danach sei eine Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung unschädlich für die Zuständigkeit nach dem SGB XII.
Die Klägerin hat erstinstanzlich schriftsätzlich beantragt,
ihr die für die Hilfeempfängerin in der Zeit vom 07.08.2006 bis 13.08.2008 aufgewendeten Jugendhilfeleistungen in Höhe von 80.976,90 EUR zu erstatten.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat im Wesentlichen die Ausführungen insbesondere im Schreiben an die Klägerin vom 14.11.2008 wiederholt und an der Auffassung festgehalten, die seelische Behinderung sei Grund für die Unterbringung, die leichte geistige Behinderung demgegenüber nachrangig gewesen. Bei einer Mehrfachbehinderung bestehe nicht automatisch eine Auffangzuständigkeit der Träger der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII. Die Feststellung einer leichten geistigen Behinderung sage noch nichts darüber aus, ob die geistige Behinderung auch zu einer wesentlichen Teilhabebeeinträchtigung geführt habe.
Das Sozialgericht hat eine Stellungnahme der Rheinischen Gesellschaft für Innere Mission und Hilfswerk GmbH eingeholt. Danach ist das "I" ein dezentral geführter Jugendhilfeverbund. Die Hilfen würden im stationären Bereich in Wohngruppen angeboten. Der Schwerpunkt der Förderung liege in der Arbeit mit Mädchen und jungen Frauen. In Einzelfällen werde in einer Intensivgruppe oder im ambulanten Betreuten Wohnen Hilfe im Rahmen der Eingliederungshilfe angeboten. Dieses Angebot werde überwiegend gemäß § 35a SGB VIII in der Zuständigkeit des Jugendamtes wahrgenommen. Im Rahmen des § 53 SGB XII würden Frauen nach einer mit dem Beklagten abgestimmten Hilfeplanung betreut, um im Einzelfall eine Betreuungskontinuität nach dem Ende einer Jugendhilfemaßnahme sicherzustellen. Der Schwerpunkt der Arbeit im "I" liege eindeutig auf einer seelischen Behinderung. Bei keiner der Betreuten sei die geistige Behinderung im Verhältnis zur seelischen Behinderung als überwiegend zu sehen. Dies sei auch bei der Hilfebedürftigen nicht der Fall gewesen. Diese habe auch keine spezielle Förderung im Sinne der (sozialhilferechtlichen) Eingliederungshilfe erhalten. Diesbezügliche Angebote würden durch die Förderschule für geistig Behinderte in Viersen sichergestellt. Der Schwerpunkt der Förderung sei aus dem beigelegten Entwicklungsbericht zu ersehen (auf den Bezug genommen wird).
Seit dem 12.09.2009 erbrachte der Beklagte für die Hilfebedürftige ambulante Hilfen zum selbständigen Wohnen.
Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 15.02.2011 hat das Sozialgericht den Beklagten verurteilt, der Klägerin die im streitigen Zeitraum für die Hilfebedürftigen aufgewendeten Leistungen i.H.v. 80.976,90 EUR zu erstatten. Die Klägerin habe der Hilfebedürftigen Jugendhilfeleistungen erbracht, obwohl der Beklagte Leistungen der Eingliederungshilfe hätte erbringen müssen. In dem Schreiben vom 14.11.2006 liege die rechtzeitige Anmeldung des Erstattungsanspruchs im Sinne von § 111 Sozialgesetzbuch SGB X. Die Sachverständige Dr. A habe eindeutig einen Zusammenhang zwischen der seelischen und geistigen Behinderung im Sinne eine Verzahnung und Verstärkung der seelischen Behinderung durch die geistige Behinderung dargestellt. Daraus ergebe sich, dass die Hilfen, die im Zusammenhang mit der seelischen Behinderung der Hilfebedürftigen gewährt worden seien, zugleich auch Hilfen zur Förderung im Zusammenhang mit deren geistiger Behinderung gewesen seien. Die Hilfebedürftige habe nach dem Ergebnis der Begutachtung sowohl bei der Bewältigung ihrer seelischen als auch ihrer geistigen Behinderung der Hilfe bedurft. Wegen der zweifachen Behinderung habe ein Erfolg der Hilfen zur Bewältigung der geistigen Behinderung nur durch gleichzeitige Hilfen zur Bewältigung der seelischen Behinderung erzielt werden können. Umgekehrt hätten die Hilfen zur Bewältigung der seelischen Behinderung immer auch einen Ausgleichseffekt bei der geistigen Behinderung gehabt. Es sei unerheblich, dass die Hilfe im "I" als Jugendhilfe geleistet worden und keine gezielte Förderung hinsichtlich der geistigen Behinderung der Hilfebedürftigen erfolgt sei. Unerheblich sei auch, dass der Beklagte vorher bei der Auswahl der Einrichtung keine Mitwirkungsmöglichkeit gehabt habe; so etwas sei vielmehr in Fällen, in denen zunächst der unzuständige Leistungsträger Leistungen erbringe, eher typisch. Im Gegenteil müsse der Beklagte sich vorhalten lassen, dass er, der eine Förderungspflicht für die Hilfebedürftige für vorangegangene Zeiträume grundsätzlich anerkannt habe, nach Bekanntwerden der aus seiner Sicht fehlerhaften Unterbringung im ausgewählten Heim nicht initiativ geworden sei und für eine andere Heimunterbringung gesorgt habe.
Gegen das ihm am 23.02.2011 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten vom 15.03.2011. Er ist der Auffassung, das erstinstanzliche Urteil beruhe auf einer unzutreffenden Anwendung des § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII in der seit dem 01.10.2005 geltenden Fassung. Bestehe keine wesentliche geistige Behinderung, die eine in einer stationären Einrichtung zu leistende Eingliederungshilfe erforderlich mache, so scheide eine Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers von vornherein aus; die Konkurrenzregelung des § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII komme dann nicht zum Tragen. Insbesondere verbiete sich eine Sichtweise, dass ein Bedarf an Jugendhilfe nur mit einem irgendwie gearteten, auf geistiger bzw. körperlicher Behinderung beruhenden Bedarf an Sozialhilfe zusammentreffen müsse, um den Leistungsvorrang des Sozialhilfeträgers auszulösen. Sei aufgrund einer geistigen Behinderung des Hilfeempfängers konkret keine Unterbringung in einem Heim erforderlich, entstehe vielmehr keine Konkurrenzsituation, die von der Vor- und Nachrangregel des § 10 Abs. 4 SGB VIII erfasst werde (OVG Saarland, Beschluss vom 11.07.2007 – 3 Q 104/06). Auch der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24.03.2009 – B 8 SO 29/07 R lasse sich entnehmen, dass die Anwendung der Konkurrenzregel grundsätzlich eine doppelte Leistungspflicht voraussetze. Es sei nach der Rechtsprechung nicht so, dass im Falle einer Mehrfachbehinderung, also beim Hinzutreten (leichter) geistiger Defizite zu einer seelischen Behinderung, zwangsläufig die vorrangige sachliche Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers entfalle. Ein Kausalzusammenhang zwischen der leichten geistigen Behinderung und der stationären Betreuung habe im Falle der Hilfebedürftigen ausweislich des Sachverständigengutachtens von Dr. A nicht bestanden. Vielmehr habe sich die Unterbringungsnotwendigkeit aus der seelischen Behinderung ergeben. Auch aus dem Umstand, dass den leiblichen Eltern die Personensorge für die Hilfebedürftige entzogen worden sei, ergebe sich, dass die Aufnahme in der Einrichtung aus Gründen der Erziehungshilfe und der desolaten Familienverhältnisse erforderlich geworden sei und nicht aus Gründen, die auf die leichte geistige Behinderung zurückzuführen seien. Das Amtsgericht H habe ausgeführt, dass die Eltern mit der Betreuung der Kinder überfordert gewesen seien, die Wohnung in einem desolaten Zustand, verdunkelt, verdreckt und teilweise demöbliert gewesen sei. Die Kindesmutter habe den zehn Jahre älteren Freund der damals 15-jährigen Hilfebedürftigen in den Haushalt aufgenommen und sexuelle Kontakte geduldet, möglicherweise sogar gefördert. Auch die vorliegenden Entwicklungsberichte der Einrichtung belegten, dass der Schwerpunkt der Arbeit auf die seelische Beeinträchtigung ausgerichtet gewesen sei. Dies sei auch die eigentliche konzeptionelle Aufgabe des "I". Ausdrücklich sei bestätigt worden, dass keine spezielle Förderung im Sinne der Eingliederungshilfe erfolgt sei. Schließlich sei nicht von einer geistigen Behinderung auszugehen, die die Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in erheblichem Umfang eingeschränkt habe. Bei einem IQ von etwa 70 bestehe keine wesentliche geistige Behinderung; es handele sich um eine leichte Intelligenzminderung, die einen Hilfebedarf nach den Grundsätzen der Eingliederungshilfe nicht gerechtfertigt habe. Im Übrigen bestehe keine Vereinbarung gemäß § 75 SGB XII mit dem "I", welches ohnehin keine Eingliederungsleistungen erbracht habe. Jedenfalls aber seien Leistungen für die Zeit vor November 2006 von einer Erstattung schon deshalb ausgeschlossen, weil der Erstattungsanspruch erst am 13.11.2007 geltend gemacht worden sei; das Schreiben vom 14.11.2006 genüge den Anforderungen des § 111 SGB X an eine Geltendmachung nicht.
Der Senat hat die familiengerichtlichen Akten des Amtsgerichts H beigezogen. Zum Gesundheitszustand führt ein darin enthaltenes Gutachten des Neurologen und Facharztes für psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. L1 vom 07.08.2008, erstellt für das Amtsgericht (10 VII B 188/08), aus, es bestehe eine Minderbegabung, wahrscheinlich aufgrund einer perinatalen Hirnschädigung, sowie eine selbstunsichere Persönlichkeit.
In einer (ersten) mündlichen Verhandlung vom 05.03.2012 hat der Senat Beweis erhoben durch Befragung der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Dr. A. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Der Beklagte sieht sich im Anschluss daran in seiner Rechtsauffassung bestätigt. Die seelische Behinderung und die desolate familiäre Situation, nicht aber die leichte geistige Behinderung hätten die Maßnahme im "I" erforderlich gemacht. Eine fachliche Stellungnahme seines eigenen medizinisch-psychosozialen Dienstes bestätige dies. Jedenfalls gehe die Nichterbringbarkeit des erforderlichen Nachweises der Ursächlichkeit auch einer geistigen Behinderung für den Hilfebedarf der Hilfeempfängerin zu Lasten der Klägerin.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 15.02.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Es habe sowohl ein Anspruch der Hilfeempfängerin auf Jugendhilfe als auch ein solcher gegen den Beklagten auf Eingliederungshilfe bestanden. Die Hilfebedürftige sei aufgrund einer Schwäche ihrer geistigen Kräfte in erheblichem Umfang in ihrer Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt. Auch die geistige Behinderung habe Eingliederungshilfe in Form der Heimpflege und einer sich daran anschließenden ambulanten Betreuung notwendig gemacht; insoweit seien auch Leistungen der Eingliederungshilfe erbracht worden. Es werde daran erinnert, dass für die Hilfebedürftige auch vor dem streitigen Zeitraum Eingliederungshilfe wegen der geistigen Behinderung geleistet worden sei; auch später sei aus diesem Grund wiederum Eingliederungshilfe gewährt worden. Das Schreiben der Klägerin vom 14.11.2006 genüge den sich aus § 111 SGB X ergebenden Anforderungen an die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen; im Übrigen finde aber auch § 111 S. 2 SGB X Anwendung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakten und der Verwaltungsvorgänge der Beteiligten, der beigezogenen Akte des Sozialgerichts Duisburg S 2 SO 53/08 und insbesondere des psychiatrisch-psychotherapeutischen Gutachtens von Dr. A vom 31.07.2009 sowie der aus den Akten des Amtsgerichts H (10 VXII 188/08 und 10 VIII 22/06) gefertigten Ablichtungen. Der Inhalt liegt der Entscheidung des Senats zu Grunde.
Entscheidungsgründe:
I. Der Senat konnte entscheiden, obwohl für die Beteiligten niemand zur mündlichen Verhandlung vom 28.01.2013 erschienen ist. Die Beteiligten sind in der Ladung auf die Möglichkeit hingewiesen worden, dass bei ihrem Ausbleiben nach Lage der Akten entschieden werden kann (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
II. Die statthafte (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGG) und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.
1. Der Sozialrechtsweg ist jedenfalls aufgrund der insoweit bindenden Entscheidung des Sozialgerichts eröffnet (§ 17a Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz). Im Übrigen ergibt sich die Zuständigkeit der Sozialgerichte bereits aus § 114 S. 1 und S. 2 SGB X. Der von der Klägerin geltend gemachte Erstattungsanspruch richtet sich nach § 104 SGB X; maßgeblich ist daher der Anspruch gegen den erstattungspflichtigen (überörtlichen) Sozialhilfeträger, für den nach § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG die Sozialgerichte zuständig sind.
2. Statthafte Klageart ist die von der Klägerin in zulässiger Weise erhobene allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG). Die Klage ist – wovon das Sozialgericht zu Recht ausgegangen ist – begründet.
a) Der Erstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 104 SGB X; vorrangige Erstattungsregelungen sind nicht einschlägig. Insbesondere liegt kein Fall des § 103 Abs. 1 SGB X vor (vgl. § 104 Abs. 1 S. 1 2. HS SGB X), weil der Leistungsanspruch der Hilfebedürftigen gegen die Klägerin nicht nachträglich weggefallen ist.
Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 S. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) als spezielle, gegenüber dem SGB X vorrangige Sonderregelung (dazu Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 25.08.2011 – B 8 SO 7/10 R Rn. 11 – juris) sind schon deshalb nicht erfüllt, weil die Klägerin nicht infolge einer Weiterleitung durch einen ersten Träger nach § 14 Abs. 1 S. 2 bis 4 SGB IX (und damit "aufgedrängt") zuständig geworden ist (hierzu bereits Urteil des Senats vom 18.06.2012 – L 20 SO 12/09). Als erstangegangenem Leistungsträger war der Klägerin die Geltendmachung eines Erstattungsanspruches nach § 104 SGB X nicht versperrt (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 28.11.2007 – B 11a 29/06 R). Vorrangiger Zweck des § 14 SGB IX ist ohnehin die schnelle und dauerhafte Klärung der Zuständigkeit im Verhältnis zwischen betroffenen behinderten Menschen und den Rehabilitationsträgern, also im sog. Außenverhältnis. Dagegen können die Regelungen des § 14 SGB IX nicht ohne Weiteres auf das sog. Innenverhältnis der Rehabilitationsträger untereinander übertragen werden; denn anderenfalls würde das gegliederte Sozialsystem in Frage gestellt. Dem Ausgleich unter den Rehabilitationsträgern dienen vielmehr in erster Linie die Vorschriften der §§ 102 ff. SGB X (zu alledem BSG, Urteil vom 28.11.2007 a.a.O.) als spezielle, gegenüber dem SGB X vorrangige Sonderregelungen (BSG, Urteil vom 25.08.2011 a.a.O.).
Die Vorschriften der §§ 89 ff. SGB VIII sind im Verhältnis der Klägerin zum beklagten Sozialhilfeträger nicht einschlägig; die dort geregelten Erstattungsansprüche betreffen sämtlich materiell dem Jugendhilferecht zuzuordnende Leistungen.
Die Klägerin kann eine Erstattung der ihr (aufgrund der erteilten Kostenzusage) entstandenen Kosten schließlich auch nicht gemäß § 102 Abs. 1 SGB X beanspruchen. Nach § 102 Abs. 1 SGB X ist, wenn ein Leistungsträger aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat, der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig. Sind bei konkurrierenden Leistungsansprüchen aus Jugendhilfe und Sozialhilfe die jeweiligen Träger der Jugendhilfe und der Sozialhilfe, solange die benötigte Hilfe aussteht, dem Berechtigten jedoch gleichermaßen (und nicht nur vorläufig) zu Leistungen verpflichtet (vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 09.02.2012 – 5 C 3/11), handelt es sich schon deshalb nicht um eine vorläufige Leistung im Sinne des § 102 Abs. 1 SGB X, weil ein nach außen erkennbarer Wille des erstattungsbegehrenden Leistungsträgers, im Hinblick auf die ungeklärte Zuständigkeit leisten zu wollen, nicht besteht (BSG, Urteil vom 20.10.2009 – B 5 KR 44/08 R m.w.N.). So ist es auch im vorliegenden Fall.
b) Nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte (hier: die Hilfebedürftige) vorrangig einen Anspruch hat oder hatte. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (§ 104 Abs. 1 S. 2 SGB X). Ein solcher Erstattungsanspruch setzt damit voraus, dass Leistungspflichten (mindestens) zweier Leistungsträger nebeneinander bestehen und miteinander konkurrieren, wobei die Verpflichtung eines der Leistungsträger der Leistungspflicht des anderen nachgehen muss (vgl. zu den Anspruchsvoraussetzungen auch BVerwG, Urteil vom 19.10.2011 – 5 C 6/11 m.w.N., sowie Urteile vom 22.10.2009 – 5 C 19.08 und vom 02.03.2006 – 5 C 15.05).
Die Hilfebedürftige hatte im streitigen Zeitraum im Hinblick auf die stationäre Unterbringung und Betreuung im "I" zum einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung bzw. auf Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche bzw. deren Fortsetzung als Hilfe für junge Volljährige gegen die Klägerin als Träger der Jugendhilfe (aa); zugleich hatte sie wegen des gleichen Lebenssachverhalts Anspruch auf Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gegen den Beklagten als Träger der Sozialhilfe (bb).
aa) Kinder oder Jugendliche haben nach § 35a Abs. 1 S. 1 SGB VIII einen Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (Nr. 1) und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Nr. 2). Liegen diese tatbestandlichen Voraussetzungen vor, so kann lediglich eine solche Hilfe beansprucht werden, die fachlich vertretbar ist, weil sie dem konkreten Hilfebedarf entspricht.
Die seelische Gesundheit der Hilfebedürftigen wich im streitigen Zeitraum von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand (im Übrigen unfraglich länger als sechs Monate) ab. Der Senat folgt hierzu den Feststellungen der Sachverständigen Dr. A in deren Gutachten vom 31.07.2009 sowie deren Erläuterungen in der (ersten) mündlichen Verhandlung vom 05.03.2012 vor dem Senat. Die Sachverständige beschreibt eine unreife Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.8) sowie eine Anpassungsstörung ICD 10: F 43.2) bzw. eine leichte Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung (ICD 10: F 70). Dieser Befund der Sachverständigen, wie im Übrigen auch die sonstigen aktenkundigen Befunde und ärztlichen Stellungnahmen, ergeben eine entsprechende seelische Behinderung der Hilfebedürftigen. Hiervon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus.
Diese Abweichung der seelischen Gesundheit vom alterstypischen Zustand hat bei der Hilfebedürftigen auch dazu geführt, dass ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt und im Übrigen eine Beeinträchtigung auch weiterhin zu erwarten war/ist. Bedeutsam ist insoweit, ob und inwieweit die Fähigkeit des Betroffenen zu altersgemäßen Handlungsmöglichkeiten und Kontakten insbesondere in den Bereichen Familie, Schule und Freizeit beeinträchtigt ist (vgl. Harnach in Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, Stand: Januar 2010, Vorbem. § 35a Rn. 20). Auch die Teilhabebeeinträchtigung ergibt sich ohne Weiteres im Anschluss an die Ausführungen der Sachverständigen und an die übrigen aktenkundigen Befunde. Die Sachverständige spricht insoweit von großer Unselbständigkeit der Hilfebedürftigen, von Distanzschwäche, von der Unfähigkeit mit Geld umzugehen und zu rechnen; es bestehe ein Bedürfnis, geführt zu werden. Gestützt werden diese Angaben der Sachverständigungen insbesondere auch durch die im Rahmen der stationären Aufnahme gefertigten Entwicklungsberichte.
Im Übrigen steht nach den Ausführungen der Sachverständigen auch außer Frage, dass die stationäre Unterbringung der Hilfebedürftigen in der Einrichtung "I" nach den konkreten Umständen des Einzelfalls bedarfsgerecht war. Die Sachverständige hat hierzu bei ihrer Befragung durch den Senat am 05.03.2012 ausgeführt, zwar habe sie sich nach Kenntnisnahme der Leistungsbeschreibung des "I" zunächst gefragt, ob die Hilfebedürftige dort überhaupt "hineingehört" habe. Ausweislich späterer Berichte sei es dort jedoch gut verlaufen; die Hilfebedürftige habe sich in die dortige Wohngruppe gut integriert und habe davon auch profitiert. Nach ihrem (der Sachverständigen) Eindruck sei im "I" eine im Elternhaus nicht vorhandene Struktur geschaffen worden, welche der Hilfeempfängerin sehr geholfen habe, wobei allerdings auch anschließend mangels Eigenressourcen wegen der geistigen Behinderung weitere Einschränkungen verblieben seien.
Ein Anspruch der Hilfebedürftigen auf Heimunterbringung im Rahmen der Jugendhilfe bestand im Übrigen angesichts der den Eltern entzogenen Personensorge auch gemäß § 27 i.V.m. § 34 SGB VIII. Insoweit kann neben jede Form der Eingliederungshilfe auch ein Erziehungsbedarf im Sinne dieser Vorschriften treten. Dementsprechend waren ursprünglich auch Leistungen gemäß § 27 SGB VIII beantragt worden. Nach § 27 Abs. 1 SGB VIII hat ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung eines Kindes oder Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Im Antrag auf Erziehungshilfe vom 15.09.2006, gestellt durch das Stadtjugendamt als Ergänzungspfleger, ist dementsprechend auch die Rede von einer Begleitung der Jugendlichen in die Verselbständigung; die stationäre Unterbringung sei erforderlich, weil die Eltern nicht in der Lage seien, erzieherisch auf die Tochter einzuwirken. Wurde der Entzug der Personensorge mit pflichtwidriger Untätigkeit, Vernachlässigung sowie Gefährdung für das körperliche, seelische und geistige Wohl begründet (Beschluss des Amtsgerichts H vom 13.04.2006), so war eine dem Wohl der Hilfebedürftigen entsprechende Erziehung ersichtlich nicht gewährleistet. Vielmehr war aus Gründen des Kindeswohls eine umfassende erzieherische Hilfeleistung geboten. Eine Alternative zu der im Hilfeplan vom 05.09.2006 für geboten gehaltenen Heimerziehung nach § 34 SGB VIII bestand danach ersichtlich nicht.
Für die genannten Leistungen war die Klägerin auch der örtlich (§ 86 Abs. 1, Abs. 5 S. 2 SGB VIII, § 86a Abs. 4 SGB VIII) und sachlich (§ 85 Abs. 1 SGB VIII i.V.m. § 1 der landesrechtlichen Verordnung über die Bestimmung großer kreisangehöriger Städte und mittlerer kreisangehöriger Städte zu örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe vom 08.11.1991; vgl. § 69 Abs. 2 S. 1 SGB VIII a.F.) zuständige Leistungsträger der Jugendhilfe.
bb) Zugleich waren im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen für einen sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfeanspruch der Hilfebedürftigen gegen den Beklagten erfüllt.
Die Zuständigkeit des Beklagten als überörtlicher Träger der Sozialhilfe ergibt sich aus § 98 Abs. 2 SGB XII (örtliche Zuständigkeit) sowie aus § 97 Abs. 2 S. 1 SGB XII i.V.m. § 1 Landesausführungsgesetz zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen und § 2 Abs. 1 Nr. 1a AV-SGB XII NRW (sachliche Zuständigkeit).
Nach § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Dabei zählen zu den Leistungen der Eingliederungshilfe auch vollstationäre Unterbringungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.10.2009 – 5 C 19.08 Rn. 14 – juris).
Die Hilfebedürftige gehörte nach § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. §§ 2 und 3 EinglHVO zu dem insoweit berechtigten Personenkreis. Denn bei ihr bestand (jedenfalls) eine wesentliche seelische Behinderung; deren Vorliegen in Form einer Verhaltensstörung (§ 3 Nr. 4 EinglHVO) war zwischen den Beteiligten auch nie umstritten. Dabei bestand – dem doppelten Wesentlichkeitserfordernis des § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. § 2 Abs. 1 SGB IX Rechnung tragend (vgl. Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, § 53 Rn. 18) – nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. A sowie den sonstigen aktenkundigen Befunden – auch eine wesentliche Einschränkung der Teilhabemöglichkeit.
Letztlich zweifelsfrei bestand im Übrigen auch eine wesentliche geistige Behinderung i.S.v. § 2 EinglHVO. Nach den üblichen Maßstäben zur Abgrenzung der geistigen Behinderung von einer lediglich unterdurchschnittlichen Intelligenz (dazu etwa OVG NRW, Urteil vom 20.02.2002 – 12 A 5322/00; Dillmann/Dannat, ZfF 2009, 25 ff., 27f.), die auch der Senat seiner Entscheidung zu Grunde legt, kann allein von unterdurchschnittlicher Intelligenz nicht mehr gesprochen werden, wenn der der IQ unterhalb von 70 liegt. Vielmehr wird innerhalb eines IQ-Bereichs von 55 bis 69 eine zwar leichte, aber dennoch wesentliche geistige Behinderung angenommen.
Der IQ der Hilfebedürftigen lag nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. A (im Untersuchungszeitpunkt und damit – auch – noch geraume Zeit nach dem streitigen Zeitraum) bei 63, also im mittleren Bereich einer leichten geistigen Behinderung. Der Senat hat keine Bedenken, sich dieser Beurteilung der Sachverständigen anzuschließen, zumal sie sich im Wesentlichen mit den Ausführungen des Sonderschullehrers T in seinem Gutachten vom 03.11.2006 deckt.
Bei zugleich fragloser Aussicht, dass die in § 53 Abs. 3 SGB XII umschriebene Aufgabe der Eingliederungshilfe, die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu erleichtern, erreicht werden kann, ergibt sich deshalb aus § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII ein Rechtsanspruch der Hilfeempfängerin auf Eingliederungshilfe nach § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII (und nicht lediglich ein Ermessensanspruch nach § 53 Abs. 1 S. 2 SGB XII).
Jedenfalls an dieser Stelle nicht entscheidend ist hingegen, ob der Hilfebedarf ausschließlich durch die geistige bzw. seelische Behinderung bedingt ist, oder ob andere Umstände – wie der Ausfall elterlicher Betreuungsleistungen – für den Umfang des Hilfebedarfs mitursächlich sind. Der Bedarfsdeckungsgrundsatz lässt es auch grundsätzlich nicht zu, den konkreten Hilfebedarf in einzelne Komponenten aufzuspalten und die bei isolierter Betrachtung hierfür hypothetisch erforderlichen Hilfeleistungen (im Sinne eines erzieherischen oder behinderungsbedingten Bedarfs) voneinander abzugrenzen. Vielmehr ist der gesamte konkrete Bedarf zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.08.2007 – 5 B 187.06).
Die Hilfebedürftige hatte damit zugleich Anspruch auf Eingliederungsleistungen nach Maßgabe der §§ 53 ff. SGB XII, zumal nach den Feststellungen der Sachverständigen (und im Übrigen auch nach der übereinstimmenden Einschätzung der Beteiligten) die Unterbringung in einer geschützten Einrichtung zwingend war.
cc) Waren deshalb sowohl die Klägerin als auch der Beklagte für die dem Hilfeempfänger erbrachten Hilfen leistungspflichtig, so bestand für die Klägerin als Trägerin der Jugendhilfe die Leistungspflicht im Verhältnis zu dem Beklagten nur nachrangig.
Das Vorrang-/Nachrangverhältnis zwischen Jugend- und Sozialhilfe richtet sich nach § 10 Abs. 4 SGB VIII in der seit dem 01.10.2005 geltenden Fassung. Grundsätzlich gehen die Leistungen nach dem SGB VIII den Leistungen nach dem SGB XII vor (§ 10 Abs. 4 S. 1 SGB VIII). Die Rückausnahme des § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII (dazu ausführlich Urteil des Senats vom 14.02.2011 – L 20 SO 110/08 Rn. 59 ff. – juris), die zu einem Vorrang der Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII gegenüber allen Leistungen nach dem SGB VIII führt, setzt voraus, dass eine wesentliche körperliche oder geistige Behinderung vorliegt, sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem SGB XII gegeben ist und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (BVerwG, Urteil vom 19.10.2011 – 5 C 6/11; BSG, Urteil vom 24.03.2009 – B 8 SO 29/07 R; beide m.w.N.).
Bei der Hilfebedürftigen bestand, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen (zu bb) ergibt, (jedenfalls auch) eine wesentliche geistige Behinderung. Sie besaß zudem sowohl gegen die Klägerin als auch gegen den Beklagten einen Hilfeanspruch. Die nach den wesentlichen Behinderungen notwendigen Leistungen sind zumindest auch gleichartig und einander überschneidend; es spricht sogar alles für eine Deckungsgleichheit der Leistungen nach dem SGB XII und dem SGB VIII, da eine Unterbringung der Hilfebedürftigen in einer geschützten Einrichtung notwendig war und die entsprechenden sozialhilfe- und jugendhilferechtlichen Anspruchsgrundlagen jeweils auch eine stationäre Unterbringung ermöglichen. Die jugendhilferechtliche Heimunterbringung umfasst nach § 39 SGB VIII im Übrigen nicht nur die pädagogische Betreuung, sondern auch den laufenden Unterhalt; nichts anderes gilt für die vollstationäre Unterbringung im Rahmen der Eingliederungshilfe, die ebenfalls nach § 76 Abs. 2 SGB XII Unterkunft und Verpflegung einschließt (BVerwG a.a.O. Rn. 16 – juris).
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist im Rahmen der Konkurrenzregelung des § 10 Abs. 4 SGB VIII ohne rechtliche Bedeutung, ob bei einem Hinwegdenken des erzieherischen Defizits allein aufgrund der geistigen Behinderung eine vollstationäre Unterbringung erforderlich gewesen wäre. Es kann vielmehr dahinstehen, ob im Falle einer weiteren Betreuung und Erziehung der Hilfebedürftigen durch ihre Eltern bzw. im Rahmen eines "intakten" Elternhauses behinderungsbedingt etwa nur ambulante Maßnahmen erforderlich gewesen wären. Eine mit Blick auf den Hilfebedarf isolierte Betrachtung der einzelnen Behinderungen scheidet schon deshalb aus, weil die geistige und die seelische Behinderung der Hilfebedürftigen im Anschluss an die eindrücklichen Schilderungen der Sachverständigen Dr. A insbesondere bei ihrer ergänzenden Befragung durch den Senat am 05.03.2012 aus medizinischer Sicht nicht lösbar miteinander verknüpft sind. Die geistige Behinderung führt vielmehr zu einer Ressourcenarmut der Hilfebedürftigen, welche ihr weniger als anderen Menschen Möglichkeiten und Fähigkeiten an die Hand geben, außerhalb einer Betreuung wie im "I" einen Ausweg aus ihrer unzureichenden Situation zu finden. Die Sachverständige hat nachvollziehbar bekundet, dass die geistige Behinderung Folgewirkungen auf die psychosoziale Entwicklung der Hilfebedürftigen gehabt hat. In Fällen einer solchen zweifachen, aufeinander rückwirkenden – seelischen und geistigen – Behinderung löst § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII das Konkurrenzverhältnis zwischen Jugend- und Sozialhilfe von vornherein zu Lasten des Sozialhilfeträger auf; eine fiktive Prüfung, ob bei einem Hinwegdenken der seelischen Behinderung die zugunsten des Hilfeempfängers durchgeführte Maßnahme gleichwohl auch ausschließlich aufgrund der geistigen Behinderung erforderlich gewesen wäre, findet nicht statt (so auch OVG NRW, Beschluss vom 19.10.2011 – 12 AS 1416/11; vgl. auch LSG NRW, Urteil vom 18.06.2012 – L 20 SO 12/09 zu Rn. 77).
Dem steht im vorliegenden Fall nicht etwa entgegen, dass nach den Feststellungen der Sachverständigen konkreter Anlass für die Unterbringung der Hilfebedürftigen im "I" der Ausfall des elterlichen Erziehungsbeitrags war. Denn Letzteres sagt nichts darüber aus, ob und in welchem Umfang bzw. bezogen auf welche konkreten Leistungsinhalte die geistige Behinderung nicht ebenso – zu einem nicht näher quantifizierbaren Anteil – die stationäre Unterbringung notwendig machte. Eine der Kollisionsregelung bei Sozialhilfe- und Jugendhilfeansprüchen vorgelagerte Frage, auf welchen – d.h. durch welche der in Betracht kommenden Behinderungen bedingten – Bedarf konkret geleistet wird, stellt sich von vornherein nicht (OVG NRW, Beschluss vom 19.10.2011 a.a.O.). Vielmehr ist anhand des individuell zu deckenden Gesamtbedarfs (§ 9 Abs. 1 SGB XII) zu entscheiden, welche Leistung beansprucht werden kann. Eine künstliche und im vorliegenden Fall im Anschluss an die Feststellungen der Sachverständigen medizinisch gar nicht mögliche, isolierte Betrachtung der geistigen Behinderung einerseits und der seelischen Behinderung anderseits scheidet aus. Sie liefe im Ergebnis auf eine Abgrenzung von Sozial- und Jugendhilfe nach Schwerpunkten bzw. dem Gewicht von Verursachungsbeiträgen hinaus. Eine solche aber scheidet gerade aus (BVerwG, Urteil vom 19.10.2011 – 5 C 6/11; BSG, Urteil vom 24.03.2009 – B 8 SO 29/07 R; beide m.w.N.); sie ist weder gesetzlich gewollt noch – wie auch der vorliegende Fall zeigt – im Überschneidungsbereich von seelischer und geistiger Behinderung medizinisch überhaupt möglich (vgl. auch LSG NRW, Urteil vom 18.06.2012 – L 20 SO 12/09 Rn. 78).
Das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) hat – im Übrigen neben beachtenswerten Ausführungen zur Spezialisierung der (überörtlichen) Sozialhilfeträger im Bereich der Behindertenhilfe und deren im Vergleich zu den Jugendhilfeträgern besseren Finanzausstattung – zu Recht darauf hingewiesen, dass sich je nach Betrachtungsweise und Lebenssituation unterschiedliche Schwerpunkte des Bedarfs oder der Leistung ergeben können; ein Abstellen darauf würde bei der Bestimmung des vorrangig zuständigen Leistungsträgers zwangsläufig eine erhebliche Rechtsunsicherheit nach sich ziehen. Gerade die Leistungshistorie der Hilfebedürftigen im vorliegenden Fall macht dies deutlich: Der Beklagte hat Kosten für die – zeitlich der hier streitbefangenen stationären Unterbringung im "I" vorgelagerte – Maßnahme in der Einrichtung "E" getragen und dabei seine Leistungszuständigkeit angenommen, ohne dass im Behinderungsbild der Hilfebedürftigen im Vergleich zur späteren Maßnahme ein Abweichen ersichtlich wäre. Im Anschluss an die Maßnahme im "I" gewährte der Beklagte wiederum gerade wegen der geistigen Behinderung Eingliederungshilfe in Form von Leistungen des Betreuten Wohnens.
Warum jedoch in der Zeit zwischen dem Aufenthalt in der Einrichtung "E" und den späteren Leistungen des Betreuten Wohnens gerade im hier streitigen Zeitraum die geistige Behinderung leistungsrechtlich unbeachtlich sein soll, erschließt sich nicht. Auch wenn das "I" selbst sinngemäß ausgeführt hat, es habe seine Bemühungen dem Einrichtungszweck gemäß auf die seelische Behinderung ausgerichtet, lässt sich gerade nicht feststellen, dass die dortige Unterbringung der Hilfebedürftigen allein aufgrund ihrer seelischen Behinderung erforderlich war. Auch wenn insbesondere die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wesentlich durch die seelische Behinderung eingeschränkt war, belegt der Umstand, dass die Sachverständige bei der 19-jährigen Hilfebedürftigen die Intelligenz einer Zwölfjährigen feststellte, dass – etwa betreffend die selbständige Haushaltsführung und die Erlangung einer adäquaten Schulbildung – auch die geistige Behinderung Eingliederungshilfe erforderte. Das Ergebnis der Beweisaufnahme und insbesondere die Ausführungen der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 03.05.2012 zeigt gerade, dass die geistige Behinderung die seelische Behinderung beeinflusst und einzelne Verursachungsbeiträge nicht trennscharf unterschieden werden können.
Gerade der vorliegende Sachverhalt belegt insoweit eindrücklich, dass bei Mehrfachbehinderung der Schwerpunkt des Bedarfs oder des Leistungszwecks bzw. des Leistungsziels kein taugliches Abgrenzungskriterium liefert; denn in aller Regel handelt es sich um ein Faktorenbündel aus Ursachen, Wirkungen und Gründen, welches sich allenfalls künstlich auflösen lässt (OVG NRW, Beschluss vom 15.04.2010 – 12 A 728/09 Rn. 22 – juris m.w.N.). Für die Auflösung der Leistungsträgerkonkurrenz zwischen Jugend- und Sozialhilfe kann deshalb im Übrigen auch nicht entscheidend sein, ob die jeweils betroffene Einrichtung nach ihrer grundsätzlichen Ausrichtung gewöhnlich keine Eingliederungshilfe bei primär geistiger Behinderung leistet.
d) Ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin ist auch nicht (ganz oder teilweise) gemäß § 111 SGB X ausgeschlossen. Danach ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht (Satz 1). Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat (Satz 2).
Kenntnis von der Ablehnung der Leistung durch den Beklagten im Sinne des Satz 2 der Vorschrift erhielt die Klägerin frühestens mit Kenntnisnahme des Bescheides vom 16.10.2007; mit dessen Zugang bei der Klägerin (ausweislich des Eingangsstempels am 18.10.2007) begann deshalb die einjährige Frist des § 111 S. 1 SGB X zur Geltendmachung zu laufen. Diese Frist hat die Klägerin ersichtlich gewahrt:
Eine fristwahrende Geltendmachung sieht der Senat – anders als das Sozialgericht – allerdings nicht bereits im Schreiben der Klägerin an den Beklagten vom 14.11.2006. Denn an das Geltendmachen im Sinne des § 111 Satz 1 SGB X dürfen zwar keine überzogenen formalen oder inhaltlichen Anforderungen gestellt werden, zumal es sich bei den am Erstattungsverfahren Beteiligten um Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Behörden handelt, deren Vertreter Kenntnis von den jeweils in Betracht kommenden Leistungen besitzen. Gleichwohl ist ein unbedingtes Einfordern der Erstattung notwendig. So genügt ein bloß vorsorgliches Anmelden nicht. Der Wille des Erstattungsberechtigten, zumindest rechtssichernd tätig zu werden, muss unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles der Erklärung deutlich erkennbar zugrunde liegen. Der in Anspruch genommene Leistungsträger muss bereits beim Zugang der Anmeldung des Erstattungsanspruchs ohne weitere Nachforschungen beurteilen können, ob die gegen ihn erhobene Forderung ausgeschlossen ist oder er mit einer Erstattungspflicht zu rechnen hat. Es genügt allerdings, dass die Umstände, die im Einzelfall für die Entstehung des Erstattungsanspruchs maßgeblich sind und insbesondere der Zeitraum, für den die Leistung erbracht wurde, hinreichend konkret mitgeteilt werden. Geringere inhaltliche Anforderungen gelten, wenn der Erstattungsanspruch, was grundsätzlich zulässig ist, vor seiner Entstehung geltend gemacht wird. In einem derartigen Fall ist es erforderlich, aber auch ausreichend, wenn die Angaben über Art und Umfang der künftigen Leistungen allgemein unter Verwendung der Kenntnisse gemacht werden, die im Zeitpunkt des Geltendmachens vorhanden sind (vgl. zu Vorstehendem BSG, Urteil vom 22. August 2000 – B 2 U 24/99 R – SozR 3-1300 § 111 Nr. 9 Rn. 17 ff.; BVerwG, Urteil vom 19.08.2012 – 5 C 14/09; beide m.w.N.) Daraus ergibt sich auch, dass Erstattungsansprüche grundsätzlich noch während der Leistungserbringung und damit bereits vor Beginn der Frist des § 111 SGB X geltend gemacht werden kann (BVerwG, Urteil vom 19.8.2010 – 5 C 14/09). Diesen Anforderungen genügt das Schreiben der Klägerin vom 14.11.2006 nicht. Denn das Jugendamt der Klägerin bittet darin unter Hinweis auf seine Bestellung zum "Amtsvormund" und bezugnehmend auf einen Eingliederungshilfeantrag aus Dezember 2005 lediglich "um Kostenübernahme" und verweist dabei auf vergangene Aufenthalte der Hilfebedürftigen in der Einrichtung "E" und auf den laufenden Aufenthalt im "I". Darin kommt nach Ansicht des Senats kein Geltendmachen eines eigenen Erstattungsanspruchs zum Ausdruck, sondern allein das Einfordern von Ansprüchen der Hilfebedürftigen selbst auf Eingliederungshilfe.
Eine den vorgenannten Anforderungen entsprechende Geltendmachung des Erstattungsanspruchs erfolgte jedoch mit Schreiben der Klägerin an den Beklagten vom 09.11.2007. Denn darin teilte die Klägerin mit, sie mache "Jugendhilfeleistungen geltend". Dass dies ausdrücklich "im Rahmen des Widerspruchsverfahrens" geschah, welches sich nur auf Ansprüche der Hilfebedürftigen selbst beziehen konnte, ändert daran nichts. Denn das Schreiben listet erbrachte "Jugendhilfeleistungen" bis September 2007 auf und nennt ausdrücklich einen "Erstattungsbetrag" von 46.232,10 EUR, um dessen Überweisung als erbrachte "Leistungen der Jugendhilfe" der Beklagte gebeten werde. Im Übrigen würden die Leistungen auch weiterhin erbracht. War das Schreiben vom 09.11.2007 mit seiner Bezugnahme auf das "Widerspruchsverfahren" bereits ersichtlich bezogen auf den Bescheid der Beklagten vom 16.10.2007, so enthielt zudem jedenfalls der dagegen von der Klägerin unter dem 13.11.2007 erhobene Widerspruch (nochmals und nunmehr ausdrücklich unter Bezugnahme auf §§ 102 ff. SGB X) das Geltendmachen des streitgegenständlichen Erstattungsanspruchs. Sowohl das Schreiben vom 09.11.2007 als auch der Widerspruch vom 13.11.2007 gingen dem Beklagten ersichtlich innerhalb der Jahresfrist des § 111 SGB X zu (letzterer ausweislich des Eingangsstempels des Beklagten am 14.11.2007).
e) Der von der Klägerin geltend gemachte Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 3 SGB X besteht schließlich auch in voller Höhe. Die Klägerin hat die aufgewendeten Jugendhilfekosten Monat für Monat nachvollziehbar dargelegt; dass diese der Höhe nach mit 80.976,90 EUR unzutreffend beziffert worden wären, ist nicht ersichtlich und wird vom Beklagten auch nicht behauptet. Das Fehlen einer Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen (vgl. § 75 Abs. 3 SGB XII) zwischen dem "I" und dem Sozialhilfeträger steht dem Erstattungsanspruch der Klägerin nicht entgegen, sondern entspricht der typischen Situation, in der ein nur nachrangig zuständiger Träger die unmittelbar notwendigen Leistungen zugunsten eines Hilfeempfängers erbringt und erst im Nachhinein eine Erstattung durch den vorrangig zuständigen Träger erreichen kann. Ohnehin sieht § 78b SGB VIII, der gemäß § 78a Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII insbesondere auch für nach Maßgabe des § 35a SGB VIII gewährte Eingliederungshilfe gilt, ebenfalls den Abschluss entsprechender Vereinbarungen vor. Für einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X reicht es deshalb aus, dass die materiellen Voraussetzungen für die Leistungserbringung erfüllt waren; ob sie auch erbringungsrechtlich hätte erfolgen müssen, ist nicht entscheidend, weil regelmäßig nur so die beabsichtigte Herstellung des materiell-rechtlichen Nachranges gewährleistet ist.
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
IV. Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
V. Nach § 197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1 und Abs. 3, 63 Abs. 2 S. 1 Gerichtskostengesetz ist der Streitwert – wie für die erste Instanz – endgültig auf 80.976,90 EUR EUR festzusetzen. Denn dies ist der Wert der Beschwer, der sich aus dem angefochtenen Urteil des Sozialgerichts für den Beklagten ergibt.
Erstellt am: 21.02.2013
Zuletzt verändert am: 21.02.2013