Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.02.2011 abgeändert. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 11.01.2011 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 05.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.01.2011 wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner senkte mit Sanktionsbescheid vom 05.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.01.2011 das dem 1989 geborenen und mit seiner Mutter in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Antragsteller anteilig bewilligte Arbeitslosengeld (Alg) II um 100% der Regelleistung (287,00 Euro) für die Zeit vom 01.12.2010 bis 28.02.2011 ab und hob die ursprüngliche Bewilligung für den o.a. Zeitraum gemäß § 48 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) auf. Er berief sich dabei auf die Regelung des § 31 Abs. 5 und 6 i.V.m. § 31 Abs. 4 Nr. 3 lit. b) des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II i.d.F. bis 31.12.2010), § 144 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches – Arbeitsförderung – (SGB III). Der Antragsteller habe die fristlose, hilfsweise fristgemäß ausgesprochene Kündigung seines damaligen Arbeitgebers durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten herbeigeführt. Mit Änderungsbescheiden vom 05.11.2010 und 13.01.2011 stellte der Antragsgegner auch die Individualansprüche des Antragstellers bei (anteiliger) Berücksichtigung des der Mutter des Antragstellers zugeflossenen Einkommens neu fest. Hierbei ergab sich für den Monate Dezember 2010 sowie Januar und Februar 2011 bei Abzug eines dem jeweiligen Individualanspruch des Antragstellers entsprechenden Minderungsbetrages jeweils einen Auszahlungsbetrag von 0,00 Euro.
Hiergegen hat der Antragsteller am 11.01.2011 Klage bei dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben und zeitgleich den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Sanktionsbescheid des Antragsgegners gestellt.
Das Sozialgericht hat den Eilantrag als solchen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Sanktionsbescheid ausgelegt und diesem mit Beschluss vom 17.02.2011 stattgegeben. Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiege das Vollzugsinteresse des Antragsgegners. So sei derzeit noch nicht geklärt, ob der frühere Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Antragsteller berechtigterweise gekündigt habe, da der Antragsteller die von dem Arbeitgeber angeführten Kündigungsgründe bestreite und glaubhaft mitgeteilt habe, dass er erst durch die Angaben des Antragsgegners von den Kündigungsgründen Kenntnis erlangt habe. Ob die Voraussetzungen für die Absenkung erfüllt seien, lasse sich somit nach derzeitigem Sachstand nicht nachweisen. Ferner bestünden Bedenken hinsichtlich der hinreichenden Bestimmtheit des Sanktionsbescheides (§ 33 Abs. 1 SGB X). Zwar habe der Antragsgegner festgestellt, dass sich der monatliche Absenkungsbetrag in der Zeit vom 01.12.2010 bis 28.02.2011 auf 287,00 Euro belaufe und damit deutlich gemacht, dass dem Antragsteller die Leistungen nicht mehr in der zuvor bewilligten Höhe zustünden. Es sei jedoch für den Antragsteller nicht ausreichend und in nachvollziehbarer Weise erkennbar gewesen, ob und in welchem Umfang in dem Sanktionszeitraum Zahlungen erfolgen würden. Insbesondere aufgrund des Hinweises, dass lediglich die Leistungen nach § 20 SGB II (Regelleistung) von der Absenkung betroffen seien, sei für den Antragsteller nicht erkennbar gewesen, dass der Antragsgegner faktisch – über eine Anrechnung des Einkommens der Mutter auf die Kosten der Unterkunft und Heizung – keine Auszahlung mehr vornehmen würde. Ein konkreter Einzelfallbezug sei nicht gegeben.
Gegen den ihm am 18.02.2011 zugestellten Beschluss richtet sich die am 11.03.2011 erhobene Beschwerde des Antragsgegners, mit der er sein bisheriges Vorbringen weiter vertieft. Bei Abwägung im Rahmen der summarischen Prüfung ergebe sich nicht, dass der Sanktionsbescheid offensichtlich rechtswidrig sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die zulässige, insbesondere fristgemäße Beschwerde des Antragsgegners ist begründet.
Der Senat nimmt hinsichtlich der Darstellung des Sachverhalts und der maßgeblichen Rechtsgrundlagen gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes – (SGG) zunächst Bezug auf die insoweit für zutreffend erachteten Ausführungen der angefochtenen Entscheidung. Insbesondere hat das Sozialgericht das Begehren des Antragstellers zu Recht als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner am 11.01.2011 gegen den Sanktionsbescheid des Antragsgegners vom 05.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.01.2011 erhobenen Klage gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ausgelegt (§ 123 SGG), weil hier ein Fall des § 39 Nr. 1 SGB II (i.V.m. § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG) vorliegt.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ein solcher Antrag ist begründet, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass dem privaten Interesse des Antragstellers an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem (durch den Antragsgegner vertretenen) Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung der Vorrang zu geben ist. Dabei ist zu beachten, dass der Gesetzgeber grundsätzlich die sofortige Vollziehung angeordnet hat (§ 39 Nr. 1 SGB II). Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn im Einzelfall gewichtige Argumente für eine Umkehr des gesetzgeberisch angenommenen Regelfalls sprechen, d.h. besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise das Privatinteresse des vom Verwaltungsakt Belasteten in den Vordergrund treten lassen (LSG NRW, Beschluss v. 13.08.2010 – L 6 AS 999/10 B ER – Rdnr. 24 [Juris]; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b Rdnr 12c m.w.N.). Ein wesentliches Kriterium bei der Interessenabwägung ist die nach vorläufiger Prüfung der Rechtslage zu bewertende Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Hat die Hauptsache offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist die aufschiebende Wirkung in der Regel anzuordnen, weil am Vollzug eines rechtswidrigen Bescheides in der Regel kein öffentliches Interesse besteht (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnr. 12f). Bei einem als rechtmäßig zu beurteilenden Bescheid hingegen ist das öffentliche Interesse am Vollzug regelmäßig vorrangig. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, d.h. ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so ist jedenfalls in Fällen, in denen wie vorliegend, existenzsichernde Leistungen in Frage stehen und damit die Wahrung der Würde des Menschen berührt wird, eine Folgenabwägung vorzunehmen, die auch Fragen des Grundrechtsschutzes einbezieht (vgl. BVerfG, Beschluss v. 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – Rdnr. 25 ff. [Juris]; LSG NRW, Beschluss v. 13.08.2010 – a.a.O. – Rdnr. 25 [Juris]).
Unter Einbeziehung dieser Grundsätze war der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Sanktionsbescheid des Antragsgegners abzulehnen, weil die notwendige Folgenabwägung nach Auffassung des Senats nicht zu Gunsten des Antragsstellers ausgeht. Sein Aussetzungsinteresse überwiegt nicht das Vollzugsinteresse des Antragsgegners.
Der Sanktionsbescheid des Antragsgegners vom 05.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.01.2011 ist nicht offensichtlich rechtswidrig, der Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache vielmehr als offen anzusehen.
Dabei ist der Senat in Übereinstimmung mit dem Sozialgericht der Auffassung, dass nach gegenwärtigem Sachstand nicht festgestellt werden kann, ob die Voraussetzungen für die Absenkung des Alg II im Zeitraum 01.12.2010 bis 28.02.2011 gemäß § 31 Abs. 5 Satz 1 SGB II vorliegen, insbesondere ob der Antragsteller den Sanktionstatbestand des § 31 Abs. 4 Nr. 3 lit. b) SGB II i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III erfüllt hat. Zu Recht hat das Sozialgericht ausgeführt, dass nach Aktenlage unklar ist, ob der Antragsteller durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die vom früheren Arbeitgeber ausgesprochene, fristlose Kündigung vom 03.09.2010 gegeben hat, was den Sanktionstatbestand nur auszulösen vermag, wenn die Kündigung zu Recht ausgesprochen worden ist. Der Antragsteller hat die vom früheren Arbeitgeber (Felix GmbH) dem Antragsgegner mitgeteilten Kündigungsgründe bestritten. Es bedarf hierzu weiterer Ermittlungen im Hauptsacheverfahren, um die näheren Umstände, die zur fristlosen Kündigung geführt haben, aufzuklären.
Der Senat teilt im Ausgangspunkt auch die Bedenken des Sozialgerichts bezüglich der hinreichenden Bestimmtheit des Sanktionsbescheides (§ 33 Abs. 1 SGB X). Jedoch liegt auch hier keine offensichtliche Rechtswidrigkeit vor. Denn der Sanktionsbescheid vom 05.11.2010 kann nicht losgelöst von den Änderungsbescheiden des Antragsgegners vom 05.11.2010 und 13.01.2011 betrachtet werden. Zwar ist im Sanktionsbescheid vom 05.11.2010 ausgeführt, dass von der Absenkung nur die Regelleistung nach § 20 SGB II in Höhe von 287,00 Euro betroffen ist, so dass sich aus der Sicht eines verständigen Adressaten in der Tat der Eindruck verfestigen konnte, dass weiterhin von der Regelleistung zu unterscheidende Zahlungen, insbesondere die Kosten der Unterkunft und Heizung, erfolgen werden. Jedoch hat der Antragsgegner mit den Änderungsbescheiden vom 05.11.2010 (hinsichtlich der Monate Dezember 2010 und Januar 2011) und 13.01.2011 (hinsichtlich des Monats Februar 2011) in den jeweiligen Berechnungsbögen den nach Einkommensberücksichtigung noch bestehenden Gesamtbedarf des Antragstellers ausgewiesen und sodann als Minderungsbetrag aus der verfügten Sanktion gegenübergestellt, so dass er zumindest hieraus ersehen konnte, dass sich bezüglich seines Individualanspruchs für ihn kein Zahlbetrag ergeben hat. Ob der Antragsgegner im Sanktionsbescheid oder zumindest in den Änderungsbescheiden aus Gründen der inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit gehalten gewesen wäre, die Anrechnung des auf den Antragsteller entfallenden Anteils am Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft auf die (kopfteiligen) Kosten der Unterkunft und Heizung mit dem Ergebnis eines wegen Einkommensüberhangs in den streitigen Monaten fehlenden Auszahlungsbetrages offenzulegen bzw. klarzustellen, ist nach Auffassung des Senats jedenfalls nicht so offensichtlich, dass im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ohne weiteres von der materiellen Rechtswidrigkeit des Sanktionsbescheides ausgegangen werden kann. Auch ist – soweit ersichtlich – noch höchstrichterlich ungeklärt, ob eine – weitere – Anrechnung von Einkommen auf die Kosten der Unterkunft und Heizung bei einer Sanktion nach § 31 Abs. 5 Satz 1 SGB II mit dem Ergebnis eines Zahlbetrages von 0,00 Euro zulässig ist.
Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens mithin offen, fällt die dann notwendige Folgenabwägung zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats zu Ungunsten des Antragstellers aus. Zum jetzigen Zeitpunkt sind schwere und unwiederbringliche Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage sein könnte, nach Lage der Akten nicht ersichtlich und vom Antragsteller auch nicht geltend gemacht worden. Es ist dem Antragsteller deshalb auch im Lichte des in Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Gebots effektiven Rechtsschutzes zuzumuten, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (vgl. hierzu auch LSG NRW, Beschluss v. 13.08.2010 – L 6 AS 999/10 B ER – Rdnr. 30 [Juris]; LSG NRW, Beschluss v. 26.02.2010 – L 6 B 154/09 AS ER – Rdnr. 23 [Juris]). Dies folgt hier insbesondere daraus, dass der Sanktionszeitraum mittlerweile abgelaufen ist und der Antragsteller seit März 2011 wieder Leistungen von dem Antragsgegner erhält, so dass sein Lebensunterhalt gesichert ist (vgl. auch LSG NRW, Beschluss v. 13.08.2010 – L 6 AS 999/10 B ER – Rdnr. 30 [Juris]; LSG NRW, Beschluss v. 21.12.2009 – L 19 B 277/09 AS – Rdnr. 14 [Juris]). Ferner ist zu bedenken, dass der Antragsgegner bei vorläufiger (Nach-)Zahlung der Leistungen und späterem Obsiegen in der Hauptsache seinen Rückforderungsanspruch nur schwerlich realisieren könnte. Damit würde die Zuerkennung der Leistungen im Ergebnis einen Zustand schaffen, der in seinen (wirtschaftlichen) Auswirkungen der Vorwegnahme in der Hauptsache zugunsten des Antragstellers gleichkäme (ebenso LSG NRW, Beschluss v. 13.08.2010 – L 6 AS 999/10 B ER – Rdnr. 30 [Juris]).
Folglich hat es hier mit dem in § 39 Nr. 1 SGB II normierten Vorrang des Vollziehungsinteresses hinsichtlich des Sanktionsbescheides sein Bewenden.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 31.05.2011
Zuletzt verändert am: 31.05.2011