Auf die Berufungen der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19. August 2008 geändert. Es wird festgestellt, dass die Mitglieder der Klägerin zu 1) für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 30.06.2009 berechtigt waren, zusätzliche Pauschalen gemäß § 5 Absatz 9 des Landesvertrages vom 10.11.1993 für Haus- oder Krankenhausbesuche auch bei der Versorgung mit Hilfsmitteln der Produktgruppen 08 (Einlagen), 17 (Hilfsmittel zur Kompressionstherapie) und 29 (Hilfsmittel zur Stomaversorgung) abzurechnen, auch soweit für diese Hilfsmittel Festbeträge nach § 36 Fünftes Buch des Sozialgesetzbuchs festgesetzt waren. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger zu 2) 130,10 Euro nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank ab dem 10. Juli 2006 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird sowohl für das erstinstanzliche Verfahren als auch für das Berufungsverfahren bezüglich des Feststellungsanspruches der Klägerin zu 1) auf 50.000,- Euro und bezüglich des Leistungsanspruchs des Klägers zu 2) auf 130,10 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die beklagte Krankenkasse vertraglich verpflichtet war, zusätzlich zum Festbetrag für Hilfsmittel (insbesondere Kompressionsstrümpfe) eine Pauschale für nach ärztlicher Verordnung durchgeführte Haus- oder Krankenhausbesuche zu zahlen.
Die Klägerin zu 1) ist eine Innung für Orthopädie-Technik im Lande Nordrhein-Westfalen, der Kläger zu 2) ein zugelassener Leistungserbringer (Hilfsmittellieferant) und Mitglied der Klägerin zu 1).
Zwischen den fünf Innungen für Orthopädie-Technik des Landes Nordrhein-Westfalen und (u.a.) dem AOK-Landesverband Westfalen-Lippe wurde unter dem 10.11.1993 ein Vertrag gemäß § 127 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch ((SGB V); in der Fassung des Gesetzes vom 21.12.1992, BGBl. I S. 2266) geschlossen, der insbesondere die Abrechnung und Vergütung der Herstellung, Abgabe und Anpassung von Körpersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfs- und Verbandsmitteln zum Gegenstand hatte (im Folgenden: Landesvertrag).
Dieser Landesvertrag, der mit Wirkung vom 01.07.2009 durch einen neuen Vertrag ersetzt worden ist, enthielt insbesondere folgende Regelungen:
§ 4 (Art und Umfang der Leistungen) regelte in seinem Abs 1 Satz 1:
"Art und Umfang der Leistungen im Sinne dieses Vertrages richten sich nach den gültigen Festbetragsregelungen gemäß § 36 Abs. 2 SGB V sowie nach den Leistungsbeschreibungen der Vereinbarungen über Höchstpreise (Anlagen 3, 4 und 5)."
§ 5 Abs. 9 (Abgabe der Leistungen) des Vertrages lautete:
"Haus- bzw. Krankenhausbesuche sind unverzüglich durchzuführen, sofern der Vertrags- bzw. Krankenhausarzt die Notwendigkeit bescheinigt. Die Vergütungen richten sich nach den in den Anlagen getroffenen Regelungen. Bei Verordnungen durch einen Krankenhausarzt wird die Notwendigkeit des Krankenhausbesuches unterstellt, sofern die Versorgung keinen Aufschub duldet".
In § 6 Abs. 1 (Vergütung der Leistung) dieses Vertrages hieß es:
"Sofern Festbeträge nach § 36 Abs. 2 SGB V festgesetzt sind und der Preis des Leistungserbringers dem anzusetzenden Festbetrag entspricht oder ihn übersteigt, richtet sich die Vergütung nach den Festbeträgen. Werden die Festbeträge aufgrund einer Vereinbarung unterschritten, richtet sich die Vergütung in diesem Fall nach den vereinbarten niedrigeren Beträgen".
§ 6 Abs. 2 des Vertrages lautete:
"Sind Festbeträge nicht festgesetzt, richtet sich die Vergütung der Vertragsleistungen nach den jeweils vereinbarten Höchstpreisen nach Anlagen 3, 4 und 5. Diese Preise sind Höchstpreise im Sinne des § 127 Abs. 2 SGB V".
In Anlage 3 ("Vereinbarung über Höchstpreise für Bandagen und orthopädische Hilfsmittel") wurde auf die Benennungs- und Preisliste für Bandagen und orthopädische Hilfsmittel für Nordrhein-Westfalen in der jeweils gültigen Fassung Bezug genommen. Im Jahre 2005 regelte die Benennungs- und Preisliste unter der Überschrift "Haus- oder Krankenhausbesuchspauschale", dass die entsprechenden Pauschalen in Rechnung gestellt werden konnten, sofern vom Vertragsarzt oder Krankenhausarzt die Notwendigkeit eines Haus- oder Krankenhausbesuches durch den Leistungserbringer verordnet worden war. Die Besuchspauschale belief sich seinerzeit auf 26,02 Euro.
Zum 01.01.2005 wurden auf der Grundlage von § 36 SGB V Festbeträge für Hilfsmittel bundesweit festgesetzt, so u.a. erstmals für Kompressionsstrümpfe (vgl. Bekanntmachung der Spitzenverbände der Krankenkassen über die Festsetzung von bundesweiten Festbeträgen für (u.a.) Kompressionshilfen vom 01.12.2004). Seitdem vertritt die Beklagte die Auffassung, es könne im Zusammenhang mit der Vergütung für die Versorgung mit Kompressionsstrümpfen nicht mehr auf Anlage 3 bzw. auf die entsprechende Benennungs- und Preisliste zur Abrechnung von Pauschalen zurückgegrifffen werden. Diese Preisvereinbarung sei auf festbetragsgeregelte Hilfsmittel nicht anzuwenden. Am 22.06.2006 haben die Kläger Klage zum Sozialgericht Dortmund (SG) erhoben. Sie haben vorgetragen, dass die Aufwandsentschädigung für Haus- und Krankenhausbesuche nicht in den Festbeträgen enthalten sei. Das entspreche z.B. auch der Auffassung des IKK-Bundesverbandes. Ohnehin hätten Festbeträge lediglich Bedeutung zwischen Krankenkassen und Versicherten. Der Kläger zu 2) hat mit seiner Klage in fünf Einzelfällen von Versicherten der Beklagten, in denen die Versorgung mit Kompressionsstrümpfen im November 2005 erfolgt war, jeweils eine Haus- oder Krankenhausbesuchspauschale geltend gemacht. Die Beklagte hat im Wesentlichen vorgebracht, mit der bundesweit einheitlichen Regelung in Gestalt der Festbetragsfestsetzung sei ein einheitlicher Preis für die entsprechende Hilfsmittelversorgung hergestellt worden. Daraus folge, dass nunmehr nicht nur keine höheren Preise mehr für die Hilfsmittel bzw. Kompressionsstrümpfe von den Krankenkassen zu bezahlen seien, sondern auch keine Zusatzleistungen mehr. Dies ergebe sich zweifelsfrei auch aus der Bekanntmachung der Festbeträge selbst. Dort heiße es u.a.: "Mit dem Festbetrag sind sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte für die phlebologische Versorgung entstehen (z.B. die Materialkosten, das Maßnehmen, die Einweisung in die Handhabung der Produkte und andere Dienstleistungen), abgegolten." Dass es sich andererseits bei den ehemaligen Besuchs- und Wegepauschalen nur um Zuschläge und nicht um eigenständige Leistungen gehandelt habe, ergebe sich aus der Benennungs- und Preisliste selbst, in der die entsprechenden Positionen mit folgendem Sternchenvermerk versehen seien: "-Die nach den Verträgen nach § 127 SGB V gesondert abrechnungsfähigen Preise für Hausbesuche und Wegegeld werden dem Preis für das Hilfsmittel zugeschlagen. Die Zuzahlung wird aus dem Gesamtbetrag ermittelt". Hilfsweise führt sie zum Anspruch des Klägers zu 2) aus, selbst wenn die Festbetragsfestsetzung nicht zu der vergütungsrechtlichen Folge des Wegfalls der Haus- oder Kranken- hausbesuchspauschale geführt hätte, bestünde in zwei der zur Entscheidung gestellten Fällen kein Anspruch auf die Pauschale, weil die ärztlichen Verordnungen zwar die Notwendigkeit der Kompressionsstrumpfversorgung erkennen ließen, nicht jedoch das Erfordernis eines Krankenhausbesuches.
Das SG hat die Klagen mit Urteil vom 19.08.2008 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Feststellungsklage der Klägerin zu 1) sei zulässig, aber nicht begründet.
Die Mitglieder der Klägerin zu 1) seien seit 01.01.2005 nicht mehr berechtigt, im Rahmen der Kompressionsstrumpfversorgung zusätzlich Haus- oder Krankenhausbesuchs-pauschalen abzurechnen. Mit der Änderung der Zuordnung durch die bundesweit erfolgte Festbetragsfestsetzung für Kompressionsstrümpfe ab 01.01.2005 unterfalle die Vergütung für Kompressionsstrümpfe nicht mehr § 6 Abs. 2 des entsprechenden Landesvertrages, sondern ab 01.01.2005 § 6 Abs. 1 dieses Vertrages. Infolgedessen sei die in Anlage 3 zum Landesvertrag getroffene Vergütungsregelung gemäß § 6 Abs. 2 des entsprechenden Landesvertrages nicht mehr einschlägig. Vielmehr sei seit dem 01.01.2005 ausschließlich § 6 Abs. 1 des entsprechenden Landesvertrages maßgeblich. Nach dieser Regelung existiere allerdings keine Zusatzvergütungsmöglichkeit im Sinne der Anlage 3 zum entsprechenden Landesvertrag. Nach alledem sei der Klägerin zu 1) zwar zuzugeben, daß die Haus- und Krankenhausbesuchspauschalen nicht bei den Festbeträgen berücksichtigt worden seien, dies sei allerdings nach dem landesvertraglichen Regelungswerk unerheblich. Die Klage zu 2) sei als echte Leistungsklage i.S.v. § 54 Abs. 5 SGG zulässig, aber unbegründet. Anspruch auf die streitige Vergütung von Haus- oder Krankenhausbesuchspauschalen bestehe nach dem oben Gesagten schlechthin nicht. Gegen das am 04.09.2008 zugestellte Urteil haben die Kläger am 29.09.2008 Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholen und vertiefen sie ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die Vergütungspauschale für Haus- und Krankenhausbesuche sei nicht in § 6 Abs. 1 oder Abs. 2 des Vertrages, sondern in dessen § 5 Abs. 9 geregelt. Die Regelung in § 6 Abs. 1 des Vertrages könne nur so verstanden werden, dass es um die Kosten des Hilfsmittels gehe, welches im Geschäft des Hilfsmittelerbringers, also im Sanitätshaus, abgeholt werde. Dem entsprechend hätten die Spitzenverbände auch mitgeteilt, dass bei der Festbetragsfestsetzung keinerlei Kalkulation für Fahrtkosten pauschal in Rechnung und in Kalkulation gestellt worden sei. Zu den von den Festbeträgen erfassten Kosten, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte entstünden (z.B. die Materialkosten, das Maßnehmen, die Einweisung in der Handhabung der Produkte und andere Dienstleistungen) gehörten Hausbesuche nicht, weil diese nicht typischerweise mit der Abgabe von Hilfsmitteln im Zusammenhang stünden, sondern nur in seltenen Fällen zur Abrechnung gelangten, wenn die besonderen, nach dem Vertrag zu fordernden Voraussetzungen vorliegen, nämlich eine ärztliche Verordnung oder eine Notwendigkeitsbescheinigung aus dem Krankenhaus. Es seien also nach § 6 Abs. 1 des Vertrages die Festbeträge für das Hilfsmittel abzurechnen und die Hausbesuche nach § 5 Abs. 9 als eigenständige Leistungen zu vergüten und demgemäß mit der jeweiligen Pauschale abzurechnen.
Da der abgeschlossene Vertrag durch die gesetzlichen Vorschriften weder geändert noch modifiziert worden sei, sei er bis zu 30.06.2009 gültig geblieben; er sei auch von allen andern beteiligten Krankenkassen mit Ausnahme der AOK Rheinland/Hamburg noch so angewandt worden, wie er abgeschlossen worden sei.
Der Kläger zu 2) ergänzt: Die Notwendigkeit des Hausbesuchs beziehungsweise des Krankenhausbesuchs sei in allen von ihm zur Entscheidung gestellten Fällen nach-gewiesen, denn die drei Hausbesuche seien von dem jeweiligen Vertragsarzt gefordert worden und die Notwendigkeit der beiden Krankenhausbesuche werde nach der vertraglichen Vereinbarung wegen der Verordnung durch einen Krankenhausarzt unterstellt. Im Vertragsbereich Westfalen-Lippe sei auch niemals die Forderung erhoben worden, über die Verordnung hinaus noch weitere Notwendigkeitsbescheinigungen auszustellen.
Die Klägerin zu 1) beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19.08.2008 aufzuheben und festzustellen, dass die Mitglieder der Klägerin für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2009 berechtigt waren, vertraglich vereinbarte zusätzliche Pauschalen für Haus- oder Krankenhausbesuche auch bei der Versorgung mit Hilfsmitteln der Produktgruppen 08, 17 und 29 abzurechnen, für die ein Festbetrag nach 36 SGB V festgesetzt war.
Der Kläger zu 2) beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19.08.2008 ebenfalls aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von 130,10 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 % Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank ab dem 10.07.2006 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19.08.2008 zurückzuweisen.
Sie meint, neben der Festbetragsregelung für das Hilfsmittel seien keine weiteren vertraglichen Regelungen anzuwenden. Für die Zeit bis zum 31.07.2007 sei insofern auf die eindeutigen Regelungen in § 33 Abs. 2 Satz 1 und 2 sowie auf § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V hinzuweisen. Danach habe es entweder vertragliche Regeln oder eben die Festpreise gegeben, aber jedenfalls nicht Festpreise zuzüglich irgendwelcher vertraglicher Regelungen. Mit dem 01.04.2007 sei § 127 SGB V geändert worden. Seitdem seien in ihrem Vertragsbereich aber keine danach womöglich zulässigen Verträge geschlossen worden, so dass sich im Ergebnis an der vorherigen Situation nichts geändert habe.
Der Senat hat mit Beschluss vom 29.10.2008 die Berufung des Klägers zu 2) zugelassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufungen sind zulässig und begründet.
(1) Die Feststellungklage der Klägerin zu 1) ist zulässig. Die Klägerin zu 1) ist insbeson-dere berechtigt, die Interessen ihrer Mitglieder auch im gerichtlichen Verfahren in Prozeß-standschaft zu verfolgen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 24.11.2004 – B 3 KR 16/03 R). Berechtigtes Interesse an der beantragten Feststellung (§ 55 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) besteht wegen der unsicheren Rechtslage und weil durch sie die entscheidende Vorfrage für individuelle Ansprüche der Mitglieder der Klägerin zu 1) geklärt wird. Auch enthält der Landesvertrag vom 11.10.1993 in seinem § 13 keine Regelung, nach der bei Meinungsverschiedenheiten vor Anrufung des Gerichts zunächst zwingend ein Güte- oder Schlichtungsverfahren durchzuführen wäre, was die Klage u.U. hätte unzulässig sein lassen können (vgl. dazu z.B. Bundesgerichtshof, NJW 1999, 647 f.). Dass die mögliche Anrufung des Vertragsausschusses nach § 13 Abs. 3 Satz 3 des Landesvertrages sinnvoll gewesen wäre, steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen.
Die Klage ist auch begründet. Die Mitglieder der Klägerin zu 1) sind im streitigen Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 30.06.2009 berechtigt gewesen, für von ihnen entsprechend ärztlicher Verordnung durchgeführte Haus- oder Krankenhausbesuche zusätzliche Pauschalen auch insoweit abzurechnen, als für die von ihnen gelieferten Hilfsmittel, namentlich die im Vordergrund stehenden Kompressionsstrümpfe, Festbeträge nach § 36 SGB V festgesetzt waren.
Allerdings entspricht es im Grundsatz Sinn und Zweck der Festbeträge, dass diese nicht nur die sächlichen Mittel, sondern auch die mit der Leistungserbringung verbundenen Dienstleistungen umfassen (vgl. z.B. BSG, Vorlagebeschluss vom 14.06.1995 – 3 RK 23/94 in: Urteilssammlung für die gesetzliche Krankenversicherung (USK) 95167). So verweist die Beklagte zutreffend darauf, dass nach der Bekanntmachung der Festbeträge mit dem Festbetrag sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der Abgabe der Produkte für die phlebologische Versorgung entstehen, wie zum Beispiel Materialkosten, das Maßnehmen, die Einweisung in die Handhabung der Produkte und andere Dienstleistungen, abgegolten sein sollen. Ob allerdings das Gesetz in §§ 127, 33 SGB V nicht nur die denknotwendig, regelmäßig oder typischerweise mit der Hilfsmittelgewährung verbundenen Leistungen (vor allem Maßnehmen, Anpassung und Gebrauchseinweisung), sondern in Ausnahmefällen auch die zusätzlich zum Hilfsmittel ärztlich zu verordnenden Leistungen wie die hier in Rede stehenden Haus- und Krankenhausbesuche zu den mit dem Festbetrag abgegoltenen Dienstleitungen rechnen, ist bereits durchaus zweifelhaft. Diese Frage kann hier indes dahin stehen. Denn es geht in diesem Verfahren ebenso wenig darum, ob die Festbetragsfestsetzungen rechtswidrig sind, weil sie Kosten für Haus- und Krankenhausbesuche nicht berücksichtigen, wie in anderen Verfahren geltend gemacht wurde und wird (vgl. BSG – B 3 KR 35/05 B- , Beschluss vom 28.12.2005 (zu orthopädischen Einlagen); SG Berlin, Urteil vom 01.08.2007 – S 112 KR 244/07 – (www.juris.de., u.a. zur Kompressionstherapie)), wie um die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob nach den jüngeren Fassungen des § 127 SGB V vertragliche Vereinbarung über Pauschalen für Haus- und Krankenhausbesuche neben Festbeträgen getroffen werden könnten. Gegenstand des Verfahren ist hier vielmehr lediglich die Auslegung des erst zum 01.07.2009 abgelösten Landesvertrages vom 10.11.1993. Dieser war für die Beteiligten bis dahin aber auch dann bindend, wenn Gesetzesänderungen seine Anpassung erforderlich gemacht hätten ("pacta sunt servanda", vgl. Becker/Kingreen, SGB V, § 127 Rz 31; siehe i.Ü. auch die Gemeinsame Verlautbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Umsetzung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung im Hilfsmittelbereich vom 25.11.2003, Punkt 6.1, wonach die Verträge "ggf. an das neue Recht anzupassen seien").
Dieser Landesvertrag vom 10.11.1993 begründete in seinem § 5 Abs. 9 Satz 2 das Recht der Mitglieder der Klägterin zu 1), unter bestimmten Voraussetzungen von der Beklagten neben dem Festbetrag für Hilfsmittel auch eine bestimmte Pauschale für Haus- oder Krankenhausbesuche zu fordern. Das ergibt die Auslegung des Landesvertrages.
Nur scheinbar spricht § 6 des Landesvertrages gegen eine Berechtigung zur Geltendmachung einer Pauschale für Haus- oder Krankenhausbesuche in den Fällen, in denen für das Hilfsmittel Festbeträge nach § 36 SGB V festgesetzt sind. Richtig ist allerdings, das man über § 6 des Vertrages, der nach seiner Überschrift die "Vergütung der Leistung" regelt, nicht zur Anwendung der Anlage 3 und damit auch nicht zu einer Vergütung der Haus- oder Krankenhausbesuche gelangen kann. Denn § 6 Abs. 2 des Landesvertrages, der hinsichtlich der Vergütung der Vertragsleistungen auf die Höchstpreise der Anlagen 3, 4 und 5 verweist, greift nicht ein, weil für die hier betroffenen Hilfsmittel im streitigen Zeitraum Festbeträge festgesetzt waren und der infolge der Festpreisfestsetzung einschlägige § 6 Abs. 1 des Landesvertrages lediglich auf die Festbeträge, nicht aber auf irgendwelche (zusätzliche) Pauschalen verweist. Aus der Tatsache, dass für die hier betroffenen Hilfsmittelfestbeträge im streitigen Zeitraum Festbeträge festgesetzt waren, folgt gleichwohl nicht, dass ausschließlich die für das Hilfsmittel selbst festgesetzten Festbeträge als Vergütung in Betracht kommen.
Entscheidend ist zur Überzegung des Senat insoweit, dass der Landesvertrag in seinem § 5 Abs. 9 Satz 2 eine Regelung über Kosten für Haus- und Krankenhausbesuche enthält, die in systematischer Hinsicht von der eigentlichen Kostenregelung für das Hilfsmittel selbst (§ 6) und der dortigen Differenzierung danach, ob ein Festbetrag für das jeweilige Hilfsmittel festgesetzt ist, abgekoppelt ist und zudem alle Voraussetzungen für den Vergütungsanspruch unmittelbar regelt und lediglich hinsichtlich der Vergütungshöhe über die Anlage 3 auf die jeweilige Benennungs- und Preisliste verweist.
§ 5 des Landesvertrages ist überschrieben "Abgabe der Leistungen" und regelt im Wesentlichen auch nur das Nähere über die Abgabe der Leistungen, ohne Vergütungs-regelungen zu treffen, deren Sitz § 6 sein sollte. § 5 macht jedoch in seinem Abs. 9 davon eine Ausnahme. In seinem Satz 1 begründet er die Verpflichtung, Haus- bzw. Krankenhausbesuche unverzüglich durchzuführen, sofern der Vertrags- beziehungsweise Krankenhausarzt die Notwendigkeit bescheinigt. Diese ausdrückliche Verpflichtung zur Durchführung von Haus- bzw. Krankenhausbesuchen gibt diesen Leistungen bereits eine von den üblichen, mit der Abgabe eines Hilfsmittels verbundenen (und zweifellos mit dem Festbetrag abgegoltenen) Nebenleistungen – wie zum Beispiel dem Maßnehmen und der Anpassung – herausgehobene Stellung. Vor allem aber spricht § 5 Abs. 9 Satz 2 ausdrücklich die Vergütung dieser Haus- bzw. Krankenhausbesuche an und verweist unmittelbar und unabhängig von den Vergütungsregelungen des § 6 auf die in den Anlagen getroffenen Regelungen. Damit haben die Parteien des Landesvertrages vom 10.11.1993 eine Vergütungsregelung für Haus- bzw. Krankenhausbesuche getroffen, die vertragssystematisch neben der Vergütungsregelung des § 6 steht und deren Differenzierung nach Festbetrags- oder Höchstpreishilfsmitteln nicht übernommen hat.
Weil § 5 Abs. 9 des Landesvertrages alle Voraussetzungen des Anspruchs auf die Pauschale selbst regelt (Durchführung des Hausbesuchs; dessen durch entsprechende ärztliche Verordnung bescheinigte medizinische Notwendigkeit), ist die dortige Verweisung auf die Anlagen nicht als Rechtsgrundverweisung zu verstehen, welche die Prüfung weiterer Voraussetzungen der auf Höchstbetragsregelungen ausgerichteten Anlagen erfordern würde. Vielmehr bezieht sich die Verweisung im Ergebnis lediglich wegen der Höhe der Pauschalen auf die jeweils aktuelle Benennungs- und Preisliste, die unter den Positionen 99.00.00.001 und 99.00.00.0002 dort Preise für Haus- bzw Krankenhaus-besuche festgelegt.
Diese Auslegung des Landesvertrages entspricht i.Ü., wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat herausgestellt worden ist, zumindest im Ergebnis seiner Handhabung durch die anderen am Vertrag beteiligten Krankenkassen mit Ausnahme der AOK Rheinland/Hamburg.
(2) Die Klage des Klägers zu 2) ist als so genannte echte Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG zulässig, da es sich um einen Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis handelt, bei dem Regelungen durch Verwaltungsakt nicht zu treffen sind.
Die Leistungsklage auf Zahlung von insgesamt 130,10 Euro ist auch begründet. Der Kläger zu 2) hat für die in den streitgegenständlichen fünf Fällen durchgeführten Haus- und Krankenhausbesuche Anspruch auf eine Pauschale von jeweils 26,02 Euro.
Rechtsgrundlage für das Zahlungsverlangen des Klägers ist § 5 Abs. 9 des Landesvertrages, der, wie oben ausgeführt, auch bei Leistung von Hilfsmitteln eingreift, für die ein Festbetrag festgesetzt ist. Die in § 5 Abs. 9 des Landesvertrages bestimmten Voraussetzungen für die Geltendmachung der Pauschale sind in allen fünf Fällen erfüllt.
Das liegt in den drei Fällen, in denen der Kläger zu 2) auf entsprechende Verordnung des niedergelassenen Vertragsarztes Hausbesuche durchgeführt hat, auf der Hand und ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Aber auch in den beiden Fällen, in denen die Pauschale für Krankenhausbesuche verlangt wird, sind die Voraussetzungen des § 5 Abs. 9 des Landesvertrages gegeben. Die Notwendigkeit der Krankenhausbesuche des Klägers zu 2) wird zwar nicht auf den beiden vom Chefarzt des St. W-Krankenhauses N ausgestellten Verordnungen für "Kompressionsstrümpfe der Klasse II mit Halterung" festgestellt, bei Verordnungen durch einen Krankenhausarzt wird nach § 5 Abs. 9 Satz 3 des Landesvertrages die Notwendigkeit des Krankenhausbesuches jedoch unterstellt, sofern die Versorgung keinen Aufschub duldet. Da die Beklagte nichts dazu vorgetragen hat, dass in den konkreten Einzelfällen die Versorgung trotz krankenhausärztlicher Verordnung ausnahmsweise Aufschub geduldet hätte, ist hier mit der Verordnung des Hilfsmittels die Notwendigkeit der beiden Krankenhausbesuche zu unterstellen. Da die Pauschale im Zeitpunkt der Leistungserbringung durch den Kläger zu 2) jeweils 26,02 Euro betrug, beläuft sich sein Anspruch aus den zur Entscheidung des Senats gestellten fünf Besuchsfällen auf insgesamt 130,10 Euro.
Der Zinsanspruch des Klägers zu 2) ergibt sich aus dem Verweis in § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V auf § 288 Abs. 2 BGB (vgl. BSG, 19.4.2007- B 3 KR 10/06 R -, USK 2007 – 48).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 159 S. 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Streitwertfestsetzung nach §§ 197a SGG, 63 GKG wegen der Klage zu 1) fußt auf den Ermittlungen des Senats zum wirtschaftlichen Wert des Klagegegenstandes; der Streitwert der Klage zu 2) entspricht der Klageforderung.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil streitenscheidend nicht die Auslegung von Bundesrecht, sondern die des sich nicht über das Land Nordrhein-Westfalen hinaus erstreckenden Landesvertrages vom 10.11.1993 war, der irrevisibles Recht i.S. von § 162 SGG darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 07.12.2006 – B 3 KR 29/05 R = Sozialrecht (SozR) 4-2500 § 33 Nr. 14).
Erstellt am: 08.03.2010
Zuletzt verändert am: 08.03.2010