Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12.02.2014 geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 17.12.2013, 27.01.2014 und 19.02.2014 wird angeordnet. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin T aus H beigeordnet. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Instanzen.
Gründe:
I.
Der 1975 geborene Antragsteller zu 1) und die 1978 geborene Antragstellerin zu 2) stammen aus dem Libanon, sind nach islamischen Recht verheiratet und leben mit ihren gemeinsamen Kindern, den Antragstellern zu 3) bis 7) sowie der 18jährigen Tochter K L, die Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhält, in Bedarfsgemeinschaft. Sie wohnten zuletzt in T und erhielten vom Jobcenter S-Kreis Grundsicherung. Die Familie zog zum 01.12.2013 von T nach H, X 00, nachdem die Wohnung in T gekündigt worden war und das Jobcenter S-Kreis am 07.11.2013 die Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II zu den Aufwendungen für die neue Wohnung erteilt hatte. Der Antragsgegner bewilligte ein Darlehen für die Kaution in Höhe von 1500,00 EUR und Erstausstattung in Höhe von 1500,00 EUR. Zudem gewährte der Antragsgegner den Antragstellern zu 3) bis 7), die in H die Schule besuchen, Leistungen für Bildung und Teilhabe.
Mit Bescheid vom 29.11.2013 gewährte der Antragsgegner den Antragstellern und K L für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis 31.05.2014 Grundsicherung in Höhe von 3259,20 EUR (Dezember 2013) bzw. ab Januar 2014 in Höhe von 3315,11 EUR monatlich. Mit Änderungsbescheid vom 17.12.2013 hob der Antragsgegner den bisher in diesem Zusammenhang ergangenen Bescheid vom 29.11.2013 auf und bewilligte ausschließlich dem Antragsteller zu 1) Leistungen nach dem SGB II für Dezember 2013 bis Mai 2014. Zur Begründung wies der Antragsgegner darauf hin, dass die Antragstellerin zu 2) und ihre Kinder (Antragsteller zu 3) bis 7)) keinen Anspruch auf Grundsicherung hätten, da nach Mitteilung der Ausländerbehörde H die Antragstellerin zu 2) sich nur in Baden-Württemberg niederlassen dürfe. Der Bescheid trägt keinen "Ab-Vermerk". Mit weiterem Änderungsbescheid vom 27.01.2014 bewilligte der Antragsgegner Grundsicherung für den Antragsteller zu 1) und K L und hob den in diesem Zusammenhang ergangenen Bescheid vom 17.12.2013 insoweit auf, weil die Tochter K L aufgrund der Niederlassungsfreiheit (§ 35 Aufenthaltsgesetz [AufenthG]) in die Bedarfsgemeinschaft aufgenommen werde. Mit Änderungsbescheid vom 19.02.2014 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 27.01.2014 auf und gewährte ausschließlich K L für den Zeitraum Dezember 2013 bis Mai 2014 Arbeitslosengeld II. Der Antragsteller zu 1) sei ab März 2014 von den Leistungen auszuschließen wegen einer wohnsitzbeschränkenden Auflage. Der Antragsgegner teilte mit Schriftsatz vom 13.03.2014 mit, dass er Grundsicherung für Dezember 2013 in Höhe von 3259,20 EUR, für Januar und Februar 2014 in Höhe von jeweils 901,32 EUR und für März 2014 in Höhe von 475,49 EUR gezahlt habe.
Die Antragstellerin zu 2) besitzt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG, die mit einer wohnsitzbeschränkenden Auflage für Baden-Württemberg versehen ist. Die Antragsteller zu 3) bis 7) verfügen über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG ohne wohnsitzbeschränkende Auflage. Der Antragsteller zu 1) hat eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG, zunächst ohne eine Nebenbestimmung. Mit Verwaltungsakt vom 22.01.2014 verfügte das Ausländeramt der Stadt T für den Antragsteller zu 1) eine wohnsitzbeschränkende Auflage für den S-Kreis. Hiergegen hat der Antragsteller zu 1) am 19.02.2014 Widerspruch eingelegt.
Der Antragsteller zu 1) erhielt am 27.01.2014 gemäß der Verhandlungsniederschrift vom selben Tag den Änderungsbescheid vom 17.12.2013 nochmals in Kopie ausgehändigt. Der Antragsteller zu 1) hat am 11.02. 2014 Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 27.01.2014 eingelegt.
Am 03.02.2014 hat der Antragsteller zu 1) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und die Gewährung von Grundsicherung für die Antragsteller begehrt.
Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat den Antrag mit Beschluss vom 12.02.2014 abgelehnt. Der Antrag sei unzulässig, da es am Rechtsschutzbedürfnis fehle. Den Antragstellern sei wegen der wohnsitzbeschränkenden Auflage der Antragstellerin zu 2) und dem Umstand, dass der Aufenthalt der Antragsteller zu 3) bis 7) an den Aufenthalt der Mutter angelehnt sei, zuzumuten, ihren Wohnsitz in Baden-Württemberg zu nehmen und sodann dort Leistungen zu beantragen.
Gegen den am 14.02.2014 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 19.02.2014 Beschwerde eingelegt. Sie haben ihr Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung der Eilbedürftigkeit verweisen Sie auf ein Schreiben des Vermieters vom 10.03.2014, aus dem sich ergibt, dass seit Januar 2014 keine Miete gezahlt wurde und der Vermieter mit Ablauf des 20.03.2014 rechtliche Schritte ankündigt. Sie seien völlig mittellos und würden derzeit nur von Zuwendungen der "Tafel" leben.
Der Senat hat die Ausländerakten der Antragsteller zu 1) und 2) von der Stadt T beigezogen.
II.
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des SG Gelsenkirchen vom 12.02.2014 ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Die Erfolgsaussicht des Antrages beurteilt sich nach dem Ergebnis einer Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und dem Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung. Hierbei sind neben einer allgemeinen Abwägung der Folgen bei Gewährung bzw. Nichtgewährung des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfes in der Hauptsache von Bedeutung (Keller, a.a.O., § 86b Rn. 12c ff.). Dabei kann nicht außer Acht gelassen werden, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides grundsätzlich Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.08.2012 – L 7 AS 1277/12 B ER; vom 26.07.2006 – L 20 B 144/06 AS ER).
Die hiernach anzustellende Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragsgegners. Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes gebietet es vorliegend, die Antragsteller nicht auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen.
Der Bescheid vom 17.12.2013 ist nicht nach § 77 SGG bindend geworden. Bedenken gegen die Einhaltung der Widerspruchsfrist nach § 84 SGG bestehen nicht. Für die Einlegung des Widerspruchs gegen den Änderungsbescheid vom 17.12.2013 kann der Ablauf der Frist nicht festgestellt werden. Zum einen trägt der Bescheid keinen "Ab-Vermerk". Zum anderen wurde dem Antragsteller zu 1) dieser Bescheid am 27.01.2014 "erneut" ausgehändigt, so dass nachweisbar (erst) zu diesem Zeitpunkt die Bekanntgabe und damit der Beginn der Frist festgestellt werden kann. Der Widerspruch gegen diesen Bescheid kann, was der Senat hier offen lässt, in der Beantragung des einstweiligen Rechtsschutzes am 03.02.2014 oder aber der Einlegung des Widerspruchs am 11.02.2014 gesehen werden.
Des Weiteren bestehen Bedenken, ob die formellen Voraussetzungen zum Erlass der angegriffenen Verwaltungsakte vom 17.12.2013, 27.01.2014 und 19.02.2014 vorliegen. Einer Anhörung nach § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu § 45 SGB X bzw. § 48 SGB X erfolgte vor Erlass der Bescheide nicht. In materiell-rechtlicher Hinsicht weist der Senat zudem darauf hin, dass die Antragsteller mit dem Umzug nach H und der Erteilung des Bescheides vom 29.11.2013 Anspruch auf Gewährung von Grundsicherung haben. Der Bescheid war weder zeitlich begrenzt noch wegen der Abklärung ausländerrechtlicher Fragen vorläufig erteilt worden. Im Rahmen der Interessenabwägung ist weiter zu berücksichtigen, dass den Antragstellern eine Zusicherung zum Umzug erteilt wurde. Der Antragsgegner kann sich auch nicht auf § 2 Abs. 3 SGB X berufen, wonach beim Wechsel der örtlichen Zuständigkeit die bisher zuständige Behörde die Leistungen noch so lange erbringen muss, bis sie von der nunmehr zuständigen Behörde fortgesetzt wird. Denn der Antragsgegner hat den Bescheid vom 29.11.2013 erteilt und Grundsicherung für die Antragsteller im Dezember 2013 erbracht. Zudem irrt der Antragsgegner, wenn er im Bescheid vom 17.12.2013 ausführt, dass die Antragstellerin zu 2) und die Antragsteller zu 3) bis 7) keinen Anspruch auf Grundsicherung hätten. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II besteht zweifellos; fraglich ist nur, welches Jobcenter zuständig ist.
Daher bleiben die zwischen den Beteiligten umstrittenen ausländer- und aufenthaltsrechtlichen Fragestellungen der Entscheidung im Widerspruchs- oder Hauptsacheverfahren vorbehalten. Der Widerspruch des Antragstellers zu 1) gegen die wohnsitzbeschränkende Auflage vom 22.01.2014 dürfte jedoch aufschiebende Wirkung haben.
Der Antragsgegner wird somit einstweilen verpflichtet, den Antragstellern gemäß dem Bewilligungsbescheid vom 29.11.2013 Grundsicherung zu gewähren.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist nach § 73a SGG, § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) begründet, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 09.04.2014
Zuletzt verändert am: 09.04.2014