Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 1.8.2019 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Ergebnis die Übernahme zusätzlicher Umzugskosten; zuvörderst wehrt er sich aber gegen die Zurückweisung eines Widerspruchs als unzulässig.
Der Kläger lebte zunächst in S, musste aber seine dortige Wohnung aufgeben. Seine Möbel und seine Habseligkeiten lagerte der Kläger in S ein. Über einen Facebook-Aufruf sei es ihm gelungen, in D ein Dachgeschoss mieten zu können. Dort sei es nicht groß genug für seine Möbel gewesen, so dass diese weiter in S eingelagert blieben. Auch diese Wohnung habe er wegen Nichtzahlung der Miete später verloren. Zunächst habe das Jobcenter S die Einlagerungskosten getragen, nach dem Umzug nach D sei diese Zahlung durch das Jobcenter S allerdings eingestellt worden, ohne dass ihm dies mitgeteilt worden sei. Der Vermieter des Lagerraums habe den Lagerraum gekündigt und ihn zur Räumung unter Androhung der Ausübung des Pfandrechts aufgefordert. Durch die Unterstützung von Freunden habe er die aufgelaufenen Kosten für den Lagerraum begleichen können und am 8.2.2018 diesen geräumt. Am letzten Tag der Räumungsfrist sei der Lagerraum mithilfe eines Umzugsunternehmens geräumt worden. Er selbst sei mit dem Zug von D nach S gefahren, dafür seien Kosten in Höhe von 34,40 EUR angefallen. Allerdings sei – nach Einschätzung des Klägers – gegen Nachmittag zu befürchten gewesen, dass der vom Umzugsunternehmer kalkulierte Raum im Umzugs-Lkw nicht ausreichend sei. Daher sah der Kläger sich gezwungen, bei einer Autovermietung einen zusätzlichen Transporter one-way nach D zu mieten. Seine Versuche, gegen 16:00 Uhr noch das Jobcenter S wegen einer Zusicherung zu erreichen, seien erfolglos geblieben.
Am 8.5.2018 beantragte er bei dem Beklagten die Übernahme der Mietkosten für den Transporter i.H.v. 500,89 EUR und zusätzlich von Treibstoffkosten i.H.v. 50,71 EUR.
Mit Bescheid vom 6.7.2018 lehnte der Beklagte die Übernahme ab. Dagegen richtete sich der Widerspruch vom 7.8.2018, verfasst als E-Mail-Nachricht mit dem Absender: x@gmail.com, abschließend versehen mit dem ausgeschriebenen Namen des Klägers und folgendem: "Dieses Schreiben ist elektronisch erstellt und ist rechtsgültig und ist dann auch rechtswirksam. Gegen diesen Bescheid können sie Widerspruch einlegen beim Sozialgericht Düsseldorf ".
Mit Schreiben vom 13.8.2018 forderte der Beklagte den Kläger auf, den Widerspruch schriftlich und unterschrieben einzureichen. Nachdem dies nicht geschah, wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.8.2018 als unzulässig zurück. Er vertrat die Auffassung, ein Widerspruch mit einer einfachen E-Mail sei nicht zulässig, weil nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden könne, ob die betreffende E-Mail vollständig und richtig übermittelt worden sei und ob sie tatsächlich von dem in ihr angegebenen Urheber stamme.
Dagegen hat der Kläger am 12.9.2018 bei dem Sozialgericht Düsseldorf Klage erhoben. Der Kläger ist der Auffassung, er habe den Widerspruch fristgerecht per E-Mail eingereicht. Nach seiner Auffassung ist ein Widerspruch per E-Mail formgerecht; vom Jobcenter D sei ein solcher Widerspruch akzeptiert worden. Der Kläger ist der Auffassung, dass eine E-Mail mit einem Telegramm vergleichbar sei; dies ergebe sich aus europäischem und belgischem Recht. Nach Auffassung des Klägers genüge es, wenn die andere Seite auf ein Schreiben reagiere; auf die Form komme es dann nicht mehr an. Dies sei hier durch den Beklagten geschehen. Das Dokument sei von der E-Mail-Adresse versandt worden, die ständig von ihm benutzt werde; bereits zuvor habe der Beklagte auf E-Mails von ihm reagiert. Aus dem Inhalt ergebe sich eindeutig, dass die Mail von ihm stamme. Auch eine Unterschrift biete keine absolute Sicherheit der Echtheit, denn auch eine anderer könne unterschreiben.
Nach vorheriger Anhörung mit Schreiben vom 13.5.2019 hat das Sozialgericht Düsseldorf die Klage mit Gerichtsbescheid vom 1.8.2019 abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, der vom Kläger eingelegte Widerspruch mit einfacher E-Mail genüge den Anforderungen des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht. Merkmal der Schriftform sei die eigenhändige Unterschrift zum Nachweis der Urheberschaft. Daran fehle es. Eine einfache E-Mail genüge den Anforderungen an die elektronische Form nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB I nicht. Die Gelegenheit, den Widerspruch in zulässiger Form nachzuholen, habe der Kläger nicht genutzt. Es könne dahinstehen, ob das Jobcenter D anders als der Beklagte einen Widerspruch per einfacher E-Mail ohne Unterschrift akzeptiere oder akzeptiert habe. Darüber hinaus fehle es allerdings auch in der Sache an Erfolgsaussichten; nach § 22 Abs. 6 SGB II könnten Umzugskosten nur bei vorheriger Zusicherung übernommen werden. Die vorherige Zusicherung sei Anspruchsvoraussetzung. An einer solchen vorherigen Zusicherung fehle es.
Gegen den ihm am 5.8.2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 30.8.2019 bei dem Landessozialgericht Nordrhein Westfalen Berufung eingelegt. Wegen der konkreten Angaben in seinem Widerspruch könne dieser nur von ihm stammen. Darüber hinaus weist der Kläger darauf hin, dass auch Gerichte und Behörden regelmäßig nicht unterschriebene Schreiben versenden würden. Bestellungen, Rechnungen, Aufträge alles würde über E-Mail abgewickelt. In anderen europäischen Ländern würden E-Mails ohne Unterschrift für wichtige Sachen akzeptiert. Zudem habe die 12. Kammer des SG Düsseldorf in einer Entscheidung einen per E-Mail eingelegten Widerspruch als zulässig angesehen. Auch ohne Unterschrift habe dort an der Urheberschaft kein ernstlicher Zweifel bestanden; durch die Angabe des Namens und eines Zusatzes "dieses Schreiben wurde maschinell erstellt und ist auch ohne Unterschrift wirksam und rechtsgültig" sei eindeutig, dass es sich nicht um einen bloßen Entwurf handele. Die 46. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf, die vorliegend entschieden habe, habe die Auffassung der 12. Kammer zu akzeptieren, dass ein Widerspruch per E-Mail rechtswirksam sei.
Schließlich habe er in seinem Widerspruch vom 7.8.2018 der Beklagten eine Frist zum Widerspruch beim Sozialgericht Düsseldorf zum 21.8.2018 gesetzt. Der Beklagte habe diese Frist verstreichen lassen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 1.8.2019 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 6.7.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.8.2018 zu verpflichten, ihm zusätzliche Umzugskosten in Höhe von 500,89 EUR und 50,71 EUR für einen Transporter samt Treibstoffkosten sowie 34,40 EUR für Fahrtkosten zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er beruft sich im Berufungsverfahren auf seinen bisherigen Vortrag.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig, in der Sache indes nicht begründet. Der Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.8.2018 zu Recht als unzulässig verworfen, das Sozialgericht hat die Klage zutreffend abgewiesen.
1) Der Widerspruch per einfacher E-Mail vom 7.8.2018 war unzulässig. Der vom Kläger eingelegte Widerspruch genügte zunächst nicht der Form nach § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG. Danach ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt bekannt gegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 36a Abs. 2 SGB I oder zur Niederschrift einzureichen.
a) Die Einreichung zur Niederschrift ist nicht erfolgt.
b) Die Widerspruchsmail des Klägers genügte auch nicht den Anforderungen nach § 36a Abs. 2 SGB I (Erforderlichkeit einer elektronischen Signatur).
c) Nach Überzeugung des Senats kann ein Widerspruch per einfacher E-Mail – jedenfalls für die Zeit nach dem 1.2.2003 – auch nicht als "schriftlich" iSd. § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG angesehen werden.
aa) Diese Frage wurde in der Vergangenheit nicht einheitlich beantwortet. Nach der wohl ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist zur Auslegung der "Schriftlichkeit" im SGG die Vorschrift des § 126 BGB nicht heranzuziehen. Diese Vorschrift, die zunächst nur für das bürgerliche Recht gelte, könne wegen der Eigenständigkeit des Prozessrechts weder unmittelbar noch entsprechend auf Prozesshandlungen angewendet werden (BSG, 16.11.2000 – B 13 RJ 3/99 R -, Rn. 16, juris mit zahlr. Nachw.). Entscheidend für das Merkmal der Schriftlichkeit im Prozessrecht sei, welcher Grad von Formstrenge nach den maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorschriften sinnvoll zu fordern sei (BSG, a.a.O., unter Verweis auf BVerfGE 15, 288, 292). Bei einer E-Mail stellten sich vor allem die Frage der "Verkörperung" einer solchen Nachricht und die weitere Frage, ob und in welcher Form es einer Unterschrift bedarf (instruktiv dazu Köhler, WzS 2016, S. 244 ff.).
bb) Für die Zeit nach dem 1.2.2003 stellen sich diese Fragen allerdings nicht mehr gleichermaßen. Denn dem Dritten Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften – 3. VwVfÄndG – vom 21.8.2002, in Kraft getreten am 1.2.2003, ist § 36a SGB I eingefügt worden. Danach ist die Übermittlung elektronischer Dokumente zulässig, soweit der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet. Eine durch Rechtsvorschrift angeordnete Schriftform kann, soweit nicht durch Rechtsvorschrift etwas anderes bestimmt ist, durch die elektronische Form ersetzt werden. Der elektronischen Form genügt ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist. Zwar ist § 84 SGG erst mit dem Gesetz zur Einfu&776;hrung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Fo&776;rderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.7.2017 (BGBl I 2017, S. 2208) entsprechend ergänzt worden, allerdings war damit keine Rechtsänderung verbunden, denn § 36a SGB I fand bereits zuvor Anwendung (dazu Pflüger in: Schlegel/Voelzke -Hrsg.-, jurisPK-SGB I, 2018, § 36a SGB I, Rn. 10). Würde man auch noch nach dem 1.2.2003 eine einfache E-Mail für die durch § 84 SGG angeordnete Schriftform genügen lassen, liefe § 36a Abs. 2 Satz 2 SGB I zur Überzeugung des Senates leer. Denn der Gesetzgeber hat mit der Änderung für die Zeit ab dem 1.2.2003 für eine E-Mail – verglichen mit der vorherigen Rechtsprechung – mit dem Erfordernis einer qualifizierten elektronischen Signatur strengere Anforderungen geschaffen. Dazu heißt es in der Gesetzesbegründung zum 3. VwVfÄndG: "Wenn bei gesetzlich angeordneter Schriftform auch einfache Formen elektronischer Kommunikation genu&776;gen sollen (z. B. E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur), bedarf es einer ausdru&776;cklichen Regelung. Hierzu verwendet der Gesetzentwurf das Begriffspaar "schriftlich oder elektronisch" (BT-Drucks. 14/9000, S. 27)." Wegen der Änderung des Gesetzeswortlauts durch das 3. VwVfÄndG kann ab dem 1.2.2003 eine einfache Mail nur noch dort genügen, wo das Gesetz ausdrücklich das Begriffspaar "schriftlich oder elektronisch" verwendet, was bei § 84 SGG nicht der Fall ist oder war (so wohl auch BSG, 4.7.2018 – B 8 SO 44/18 B -, Rn. 5, juris: "Der erkennende Senat kann vom Formerfordernis einer qeS [qualifizierten elektronischen Signatur] sowie eines sicheren Übermittlungswegs auch nicht ausnahmsweise absehen, selbst wenn sich aus den E-Mails oder begleitenden Umständen die Urheberschaft und der Wille, das elektronische Dokument in den Verkehr zu bringen, hinreichend sicher ergibt"; so auch BSG, 22.2.2017 – B 1 KR 19/16 S -, Rn. 4; LSG NRW, 26.6.2017 – L 20 SO 239/17 -, Rn. 20, wobei dort für die Berufungseinlegung offen gelassen wird, ob bei fehlender Signatur eine eingescannte Unterschrift ausreichend wäre; LSG Berlin-Brandenburg, 12.11.2015 – L 25 AS 1511/15 -, Rn. 27: Jedenfalls eine ‚isoliert‘ eingescannte Unterschrift genüge nicht; alles juris).
Dazu stehen die von dem Kläger in Bezug genommenen Ausführungen der 12. Kammer des SG Düsseldorf nicht in Widerspruch; dort wird lediglich auf vor dem 1.2.2003 ergangene Rechtsprechung Bezug genommen.
d) Der per einfacher E-Mail eingereichte Widerspruch des Klägers vom 7.8.2018 entsprach nicht der gesetzlichen Form; eine formgerechte Nachholung erfolgte nicht. Der Beklagte hat den Widerspruch zu Recht als unzulässig verworfen.
2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
3) Gründe, im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Erstellt am: 22.06.2020
Zuletzt verändert am: 22.06.2020