Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 12.02.2015 geändert. Dem Antragsteller wird für das erstinstanzliche Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt M, F, beigeordnet.
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für ein mittlerweile abgeschlossenes Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Der am 00.00.1982 geborene Antragsteller ist polnischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben erstmals am 00.07.2010 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Vom 03.09.2013 bis zum 31.07.2014 war er sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Zuletzt mit Bescheid vom 19.12.2014 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller bis zum 31.01.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Ebenfalls mit Bescheid vom 19.12.2015 lehnte der Antragsgegner die Leistungsbewilligung gestützt auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ab 01.02.2015 ab. Der Arbeitnehmerstatus des Antragstellers aufgrund seiner Beschäftigung sei nur bis zum 31.01.2015 anzuerkennen (§ 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU). Ein Aufenthaltsrecht des Antragstellers ergebe sich allein aus der Arbeitsuche. Damit unterfalle der Antragsteller dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller am 14.01.2015 Widerspruch erhoben.
Am 03.02.2015 hat der Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu verpflichten und Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren zu bewilligen. Mit Beschluss vom 12.02.2015 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Aus dem Urteil des EuGH in der Rechtssache "E" vom 11.11.2014 (C-333/13) werde deutlich, dass der EuGH einen Leistungsausschluss für Personen billige, die zwar zur Arbeitsuche in Deutschland seien, aber nicht über ausreichende Existenzmittel verfügen. Da die Rechtsverfolgung mithin keine Aussicht auf Erfolg habe, stehe dem Antragsteller Prozesskostenhilfe nicht zu.
Gegen diese am 19.02.2015 zugestellte Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 19.02.2015. Der Antragsteller hat nachgewiesen, dass er seit dem 11.02.2015 als "Helfer in der Endmontage" bei der Fa. N Personal Management wieder in einem Vollzeitarbeitsverhältnis steht. Der Arbeitsvertrag ist befristet bis zum 18.12.2015. Mit Bescheid vom 14.04.2015 hat der Antragsgegner aufstockend zum Arbeitseinkommen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Februar und März 2015 bewilligt. Mit Schriftsatz vom 20.04.2015 hat der Antragsteller das einstweilige Rechtsschutzverfahren daraufhin für erledigt erklärt.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Eilverfahren gem. §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 ZPO.
Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind erfüllt.
Die Rechtsverfolgung hatte von Beginn an hinreichende Aussicht auf Erfolg:
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 GG, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es – wie hier – im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines gerichtlichen Hauptsacheverfahrens geht (vgl. Beschlüsse des Senats vom 22.01.2015 – L 7 AS 2162/14 und vom 10.09.2014 – L 7 AS 1385/14 B ER). Ist eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden, in die insbesondere die grundrechtlich relevanten Belange des Antragstellers einzustellen sind (BVerfG Beschlüsse vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 und 06.02.2013 – 1 BvR 2366/12; Beschluss des Senats vom 11.07.2014 – L 7 AS 1035/14 B ER).
Ob ein Anordnungsanspruch im Sinne eines im Hauptsacheverfahren voraussichtlich durchsetzbaren Anspruchs auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II glaubhaft gemacht war, muss offen bleiben. Zwar erfüllt der Antragsteller die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 4 SGB II. Er hat das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, ist erwerbsfähig, hat seine Hilfebedürftigkeit glaubhaft gemacht und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Umstritten ist zwischen den Beteiligten allein, ob der Antragsteller als Arbeitsuchender gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II wirksam von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen war.
Im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts hat der EuGH die Frage der Wirksamkeit und Reichweite des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im Urteil vom 11.11.2014 – Rechtssache "E" (C-333/13) nicht abschließend geklärt. Diese Entscheidung des EuGH beruht ausdrücklich auf der Feststellung, dass Frau E sich nicht um Arbeit bemüht habe und es sich damit um eine Unionsbürgerin handele, die mit dem Ziel eingewandert sei, in den Genuss von Sozialhilfe zu kommen (Rn. 78 der Entscheidung). Diese Fallgestaltung ist auf die Person des Antragstellers, der schon bei Antragstellung fast elf Monate in Deutschland in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hatte und – wie der Arbeitsvertrag vom 11.02.2015 beweist – mit guten Erfolgsaussichten Arbeit gesucht hat, nicht im Ansatz übertragbar. Lediglich die Frage, ob das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art. 70 Abs. 1, 2 VO (EG) 883/2004 gilt, hat der EuGH über die Fallgestaltung "E" hinausgehend bejahend beantwortet.
Eine Entscheidung des EuGH für Personen, bei denen – wie beim Antragsteller – die Arbeitsuche zu bejahen ist, steht noch aus (BSG EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R; Az. beim EuGH C-67/14, Rechtssache B). In seinem Schlussantrag vom 26.03.2015 zu diesem Verfahren empfiehlt der Generalanwalt X, drei Fallgruppen zu unterscheiden (Rn. 87 des Schlussantrags):
1. Den Fall eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der sich in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begibt und sich dort weniger als drei Monate oder seit mehr als drei Monaten aufhält, ohne jedoch den Zweck der Arbeitsuche zu verfolgen (erste Fallgestaltung),
2. den Fall eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der sich zur Arbeitsuche in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begibt (zweite Fallgestaltung),
3. den Fall eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der sich seit mehr als drei Monaten im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält und dort eine Beschäftigung ausgeübt hat (dritte Fallgestaltung).
Der Antragsteller unterfällt aufgrund seiner in Deutschland ausgeübten Beschäftigung der dritten Fallgestaltung. Für diese Fallgestaltung empfiehlt der Generalanwalt dem EuGH (Rn. 126 des Schlussantrags), die Vorlagefrage des BSG dahingehend zu beantworten, dass Art. 24 Abs. der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die eine Arbeit im Aufnahmemitgliedstaat suchen, nachdem sie in den dortigen Arbeitsmarkt eingetreten waren, von bestimmten "besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen" im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung 883/2004 automatisch und ohne individuelle Prüfung ausschließt, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten.
Nach diesen Ausführungen, die zwar für den EuGH nicht bindend sind, mindestens aber die Komplexität der Rechtslage verdeutlichen, ist eine Unwirksamkeit des Leistungsausschlusses gegenüber dem Antragsteller nicht nur offen, sondern überwiegend wahrscheinlich, weshalb sein einstweiliges Rechtsschutzbegehren Erfolgsaussichten hatte.
Kosten werden im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe nicht erstattet (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist endgültig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs. 3 ZPO, 177 SGG).
Erstellt am: 13.05.2015
Zuletzt verändert am: 13.05.2015