Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 10.06.2011 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes darüber, ob dem Antragsteller an Stelle der gewährten eingeschränkten Leistungen nach § 1a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren sind.
Der im Januar 1993 geborene Antragsteller bezog von der Antragsgegnerin in der Vergangenheit Leistungen nach § 1a AsylbLG. Nachdem er im Januar 2011 volljährig geworden war, bewilligte die Antragsgegnerin ihm wiederum lediglich Leistungen nach § 1a AsylbLG unter Kürzung des Barbetrags zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens in Höhe von 40,90 Euro monatlich. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, die Eltern des Antragstellers, deren Verhalten er sich zurechnen lassen müsse, seien rechtsmissbräuchlich nach Deutschland eingereist, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller Widerspruch.
Ferner hat er am 13.04.2011 bei dem Sozialgericht Dortmund beantragt, die Antragsgegnerin durch Erlass einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab sofort vorläufig bis einschließlich des auf die Entscheidung des Gerichts folgenden Monats Leistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren. Er meint, das angeblich rechtsmissbräuchliche Verhalten seiner Eltern könne ihm nach Eintritt seiner Volljährigkeit nicht mehr zugerechnet werden. Seither sei er nicht mehr Familienangehöriger im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG.
Durch Beschluss vom 10.06.2011 hat das Sozialgericht den Antrag des Antragstellers mit der Begründung abgelehnt, dass ein Anordnungsanspruch nicht bestehe. Nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung habe der Antragsteller lediglich Anspruch auf die um den Taschengeldbetrag in Höhe von 40,90 Euro gekürzten Leistungen nach § 1a AsylbLG. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses Bezug genommen.
Gegen den ihm am 17.06.2011 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 24.06.2011 Beschwerde erhoben. Er vertritt die Auffassung, die Beschwerde sei zulässig, obwohl in der Hauptsache der Wert der Beschwer von 750,01 Euro nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht erreicht sei; denn die Berufung wäre jedenfalls gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, weil die Rechtsfrage, ob dem Antragsgegner die Einreisemotivation seiner Eltern auch nach Eintritt seiner Volljährigkeit noch zuzurechnen sei, grundsätzliche Bedeutung habe. Im Übrigen habe das Sozialgericht die Beschwerde in dem angefochtenen Beschluss zugelassen.
Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich,
den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 10.06.2011 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab sofort vorläufig bis einschließlich des auf die Entscheidung des Gerichts folgenden Monats laufende Leistungen gemäß § 3 AsylbLG zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die Ausführungen des Sozialgerichts für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist nicht statthaft und daher als unzulässig zu verwerfen.
Gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Nach § 144 Abs. 1 S. 1 SGG bedarf eine Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die – wie hier – eine Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro nicht übersteigt. Das gilt gemäß Satz 2 der Vorschrift nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Beides ist hier nicht der Fall.
Ausgehend von dem im erstinstanzlichen Eil- und auch im Beschwerdeverfahren gestellten Antrag sowie seinem weiteren Vorbringen begehrt der Antragsteller die Bewilligung von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG anstelle von Leistungen nach § 1a AsylbLG, namentlich die zusätzliche Zahlung eines monatlichen Geldbetrags zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens (= Taschengeld) in Höhe von monatlich 40,90 Euro nach § 3 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AsylbLG. Da sein diesbezüglicher Antrag in zeitlicher Hinsicht ausdrücklich auf die Bewilligung eines Taschengelds "ab sofort vorläufig bis einschließlich des auf die Entscheidung des Gerichts folgenden Monats" gerichtet ist, beläuft sich der Beschwerdewert für den streitbefangenen Zeitraum von April 2011 (= Eingang des Eilantrags) bis Oktober 2011 (= der auf die Entscheidung des Senats folgende Monat) somit lediglich auf 286,30 Euro und liegt damit weit unterhalb des Beschwerdewerts von mindestens 750,01 Euro. Ebenso wenig sind laufende Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit; denn der geltend gemachte Anspruch betrifft in zeitlicher Hinsicht einen Zeitraum von nur sieben Monaten (April bis Oktober 2011).
Die Statthaftigkeit der Beschwerde ergibt sich entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht aus einer etwaigen Entscheidung des Sozialgerichts über deren Zulassung bzw. aus einer entsprechenden Anwendung der in § 144 Abs. 2 SGG bestimmten Zulassungsgründe für ein (fiktives) Berufungsverfahren in der Hauptsache.
Das SGG sieht – abweichend von §§ 144 Abs. 2, 145 SGG – für das Beschwerdeverfahren weder die Zulassung der Beschwerde durch die Sozialgerichte noch eine Nichtzulassungsbeschwerde vor, über die die Landessozialgerichte zu entscheiden hätten (ebenso LSG Hamburg, Beschluss vom 16.01.2009 – L 5 B 1136/08 ER AS und 1137/08 PKH AS -; Hessisches LSG, Beschluss vom 12.01.2009 – L 7 AS 421/08 ER -). Insbesondere enthält § 172 SGG eine – den §§ 144, 145 SGG entsprechende – Regelung nicht bzw. verweist in seinem Abs. 3 Nr. 1 auch nicht auf diese Vorschriften (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 11.03.2009 – L 11 AS 60/09 B ER – sowie vom 07.12.2009 – L 11 AS 691/09 B ER – bzw. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07.10.2009 – L 5 AS 293/09 B ER -; LSG NRW, Beschluss vom 02.07.2008 – L 7 B 192/08 AS ER -). Unabhängig von der Frage, ob eine (gesetzlich nicht vorgesehene) Zulassung der Beschwerde durch das Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung den Senat im Sinne des § 144 Abs. 3 SGG (analog) dennoch binden könnte, fehlt es in der angefochtenen Entscheidung im Übrigen jedenfalls an einer solchen Zulassungsentscheidung, die eindeutig ausgesprochen werden muss (Leitherer in Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, § 144 Rdnr. 39 m.w.N.). Allein die Erwähnung der Möglichkeit einer Beschwerde in der Rechtsmittelbelehrung des Beschlusses genügt insofern ebenso wenig wie Ausführungen in den Gründen der Entscheidung, dass die streitige Rechtsfrage bisher in Rechtsprechung und Literatur nicht geklärt sei.
Die Beschwerde des Antragstellers ist auch nicht deshalb als statthaft anzusehen, weil in der Hauptsache ein Zulassungsgrund im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SGG gegeben sein könnte. Eine fiktive Prüfung, ob eine Zulassung nach § 144 Abs. 2 SGG zu erfolgen hätte, wenn es sich nicht um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, sondern um ein Hauptsachverfahren handeln würde, kommt nicht in Betracht.
Schon der Wortlaut des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG deutet darauf hin, dass die Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur dann zulässig sein soll, wenn in der Hauptsache die Berufung (kraft Gesetzes) zulässig ist, nicht hingegen bereits dann, wenn sie zugelassen werden kann (LSG Hamburg, Beschluss vom 16.01.2009 – L 5 B 1136/08 ER AS und L 5 B 1137/08 PKH AS -).
Unabhängig davon sprechen jedenfalls Sinn und Zweck der zum 01. April 2008 in Kraft getretenen Neuregelung für eine solche Auslegung; denn nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers ist die Beschränkung der Beschwerdemöglichkeit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zur Entlastung der Landessozialgerichte erfolgt (BT-Drs. 16/7716, S. 22 – zu Art. 1 Nr. 29 Buchstabe b; LSG Hamburg, Beschluss vom 01.09.2008 – L 5 AS 70/08 NZB -; Hessisches LSG, Beschluss vom 12.01.2009 – L 7 AS 421/08 B ER -). Der Gesetzgeber hat insoweit deutlich gemacht, dass er die Entlastung der Landessozialgerichte auch durch die Anhebung des Schwellenwertes für die Berufung für natürliche Personen auf 750,00 Euro und – korrespondierend damit – durch den Ausschluss der Beschwerde in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erreichen wollte, wenn in der Hauptsache eine Berufung nicht zulässig wäre (a.a.O., S. 2). Es entspräche aber dem Entlastungswillen des Gesetzgebers gerade nicht, wenn man eine fiktive Prüfung möglicher Zulassungsgründe und eine hierauf gestützte Zulassung der Beschwerde durch die Sozialgerichte unter Geltung des neuen Rechts anerkennen würde. Vielmehr wird der erstrebte Entlastungszweck nur dann erreicht, wenn sich die Zulässigkeit einer Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ohne weiteres aus dem Beschwerdewert oder der Art und Dauer der im Streit stehenden Leistungen, d.h. aus § 144 Abs. 1 SGG, ergibt (LSG Hamburg, Beschluss vom 01.09.2008 – L 5 AS 70/08 NZB -; vgl. ferner LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10.08.2010 – L 5 B 584/08 AS ER -; a.A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21.10.2008 – L 6 AS 458/08 ER – und vom 24.02.2010 – L 7 AS 1446/09 B ER -).
Hinzu kommt, dass die in § 144 Abs. 2 SGG aufgeführten Zulassungsgründe erkennbar auf das Hauptsacheverfahren zugeschnitten und auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht übertragbar sind. Eine fiktive Prüfung in dem Sinne, ob in einem Hauptsacheverfahren mit gleichem Streitgegenstand ein Zulassungsgrund gegeben wäre, ist schon deshalb nicht sinnvoll, weil oft nicht klar sein wird, ob es ein solches Verfahren tatsächlich geben wird und wie es gegebenenfalls entschieden würde. Insofern scheidet es in aller Regel schon aus Sachgründen aus, den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 144 Abs 2 Nr. 2 SGG) fiktiv festzustellen. Die Prüfung des Zulassungsgrundes des Verfahrensmangels (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG) wäre bezogen auf das Hauptsacheverfahren bereits tatsächlich nicht möglich (LSG Hamburg, Beschluss vom 01.09.2008 – L 5 AS 70/08 NZB -).
Wegen der unterschiedlichen Bedeutung von Funktion und Zielsetzung von Eil- und Hauptsacheverfahren ist es auch nicht sachgerecht, die Beschwerdemöglichkeiten im Eilverfahren davon abhängig zu machen, ob – wie hier von dem Antragsteller geltend gemacht – in einem entsprechenden Hauptsacheverfahren eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu klären ist (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die einer Entscheidung in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu Grunde liegenden Erwägungen sind weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht deckungsgleich mit denen des Verfahrens der Hauptsache. Da es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu allererst darum geht, unter Beachtung der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 S. 1 Grundgesetz) eine vorläufige Regelung zu treffen, werden Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung hier in aller Regel gerade nicht abschließend entschieden. Vielmehr wird im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Entscheidung in der Regel auf Grund einer an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientierten, jedoch notwendig nach zeitlichem Aufwand und inhaltlicher Tiefe eingeschränkten Prüfung der Sach- und Rechtslage getroffen, während die endgültige Entscheidung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt, in dem das Gericht den Streitgegenstand und die entscheidungserheblichen Tatsachen feststellen und die für die Beurteilung des Sach- und Streitstandes wesentlichen Rechtsfragen abschließend beantworten muss (zu alledem LSG Hamburg, Beschluss vom 01.09.2007 – L 5 AS 70/08 NZB – sowie vom 16.01.2009 – L 5 B 1136/08 ER AS bzw. 1137/08 PKH AS -, auch zu der Kritik an der gegenteiligen Auffassung des LSG Niedersachsen-Bremen in seinen Beschlüssen vom 21.10.2008 – L 6 AS 458/08 ER – und vom 24.02.2010 – L 7 AS 1446/09 B ER -; vgl. ferner LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10.08.2010 – L 5 B 584/08 AS ER -).
Schließlich ändert auch der Umstand, dass das Sozialgericht in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses auf die Möglichkeit einer Beschwerde hingewiesen hat, nichts an deren Unzulässigkeit. Eine unrichtige Belehrung kann einen nach dem Gesetz nicht gegebenen Rechtsbehelf nicht eröffnen (Keller in Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 66 Rdnr. 12a m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und folgt der Entscheidung in de r Sache.
Gegen diese Entscheidung findet eine Beschwerde nicht statt (§ 177 SGG).
Erstellt am: 10.10.2011
Zuletzt verändert am: 10.10.2011