Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 16.02.2007 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab 22.01.2007 bis zum 30.09.2007 Leistungen nach dem SGB XII ausgehend vom ungekürzten Regelsatz in Höhe von 345 EUR zu gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt C, X, ab 17.08.2007 beigeordnet.
Gründe:
I. Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Kürzung ihrer Sozialhilfeleistungen.
Die 1965 geborene Antragstellerin bezog bis zum 28.02.2006 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit Bescheid vom 15.02.2006 stellte die Jobagentur die Leistungen mit Wirkung ab dem 01.03.2006 ein. Zur Begründung verwies sie auf ein ärztliches Gutachten zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit, erstellt durch den Facharzt für Innere Medizin C1 vom 01.02.2006. Darin ist u.a. ausgeführt, die Antragstellerin sei dem Gesundheitsamt bereits seit 1989 bekannt. Schon in der Vergangenheit habe sich mehrfach der Verdacht auf eine nicht näher zu benennende psychiatrische/psychosomatische Erkrankung gestellt. Aufforderungen zur fachpsychiatrischen Begutachtung sei die Antragstellerin in der Vergangenheit nicht nachgekommen. Aufgrund des langwierigen Krankheitsverlaufs mit eher zunehmender Symptomatik und den darüber hinaus vorliegenden körperlichen Erkrankungen sei weiterhin von einer vollen Erwerbsminderung auszugehen. Eine Nachuntersuchung nach erfolgter psychiatrischer Diagnostik werde für sinnvoll gehalten.
Mit Bescheid vom 22.02.2006 bewilligte die Antragsgegnerin "bis auf weiteres" Hilfe zum Lebensunterhalt. Zugleich teilte sie mit, aufgrund des ihr vorliegenden Gutachtens des Kreisgesundheitsamtes sei eine fachpsychiatrischer Begutachtung beim Gesundheitsamt veranlasst worden. Es werde darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin gemäß § 62 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) verpflichtet sei, sich derartigen Untersuchungen zu unterziehen. Sofern sie ihren Mitwirkungspflichten nicht oder nicht ausreichend nachkomme, werde die Sozialhilfe gemäß § 66 SGB I ganz oder teilweise eingestellt. Einer Einladung vom Arzt für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie Dr. L zu einem Gespräch im Gesundheitshaus H für den 20.03.2006 kam die Antragstellerin nicht nach, vielmehr teilte sie mit, sie werde nicht erscheinen, da sie weder psychisch krank sei noch Drogenprobleme habe. Der Amtsarzt C1 habe ihr zugesichert, dass eine psychiatrische Untersuchung nicht vorgenommen werden müsse, da die bei ihr vorliegenden körperlichen Beschwerden so ausgeprägt seien, dass Arbeitsunfähigkeit vorliege. Ausweislich eines Schreibens des Dr. L vom 20.03.2006 habe die Antragstellerin sich auch nicht durch den Hinweis überzeugen lassen, es könnten ggf. Therapieempfehlungen gegeben werden. Dr. L hatte zuvor mit Schreiben vom 14.05.2003 über eine psychiatrische Untersuchung vom 30.04.2003 berichtet und mitgeteilt, es könne davon ausgegangen werden, dass bei der Antragstellerin eine ausgeprägte psychosomatische Erkrankung vorliege mit multiplen körperlichen Symptomen. Eine Einsichtsfähigkeit in die psychischen Ursachen ihrer körperlichen Beschwerden liege nicht vor. Sofern sich die Symptomatik sich binnen Jahresfrist nicht bessere, werde erwogen, eine umfangreichere testpsychologische Untersuchung vorzunehmen.
Mit Schreiben vom 28.03.2006 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, es werde ihr letztmalig Gelegenheit gegeben, sich zur Feststellung ihrer Arbeitsfähigkeit einer erforderlichen amtsärztlichen, fachpsychiatrischen Untersuchung zu stellen. Komme sie dieser Aufforderung nicht nach, werde ihr Sozialhilferegelsatz gemäß § 39 SGB XII zum 01.05.2006 in einer ersten Stufe um 25% gekürzt. Mit Schreiben vom 31.03.2006 teilte die Antragstellerin mit, es lägen keinerlei Erkenntnisse darüber vor, dass eine psychische Erkrankung ihre Arbeitsfähigkeit beeinträchtige. Daher werde eine fachpsychiatrische Untersuchung nicht für erforderlich gehalten.
Mit Bescheid vom 22.04.2006 kürzte die Antragsgegnerin den Sozialhilferegelsatz der Antragstellerin unter Verweis auf § 39 SGB XII um 25%, weil sie sich trotz mehrfacher mündlicher Belehrung und schriftlicher Hinweise vom 22.02. und 28.03.2006 nicht fachpsychiatrisch habe untersuchen lassen. Zugleich kündigte die Antragsgegnerin an, den Regelsatz ab 01.06.2006 um insgesamt 50% zu kürzen, sofern sie ihren Mitwirkungspflichten auch innerhalb des Monats Mai 2006 nicht nachkomme.
Mit Bescheid vom 29.05.2006 erfolgte eine Kürzung des Regelsatzes für den Monat Juni 2006 unter Hinweis auf § 39 SGB XII in einer weiteren Stufe um 50%. Die Antragstellerin sei ihren Mitwirkungspflichten nach § 62 SGB I weiterhin nicht nachgekommen. Die Festsetzung der Leistungen erfolge in Ausübung des der Antragsgegnerin zustehenden Ermessens dahingehend, dass der Antragstellerin das zum Lebensunterhalt Unerlässliche an finanziellen Mitteln verbleibe. Die Kürzung werde ganz oder teilweise wieder aufgehoben, sobald sie die geforderte Untersuchung durchführen lasse.
Mit Bescheid vom 12.06.2006 wurde für den Monat Juni 2006 einen Betrag von 406,56 EUR und ab Juli 2006 ein monatlicher Betrag von 371,04 EUR bewilligt, wobei im Rahmen der Bedarfsberechnung der Regelsatz weiterhin um 50% gekürzt wurde. Zur Begründung ihrer gegen die Kürzungen gerichteten Widersprüche verwies die Klägerin darauf, dass die Dauer der Sanktionen beim Arbeitslosengeld II lediglich drei Monate betragen dürfe. Die Weigerung, an einer angeordneten Untersuchung beim Arzt oder Psychologen teilzunehmen, berechtige lediglich zur Kürzung der Regelleistungen um 10%.
Mit Bescheid vom 05.12.2006 berechnete die Antragsgegnerin die der Antragstellerin zustehende Leistungen für den Zeitraum Juli bis Dezember 2006 unter Beibehaltung der Kürzung neu und bewilligte bis auf weiteres einen Betrag von seiner 371,04 EUR (172,50 EUR Regelbedarf zuzüglich Kosten der Unterkunft und Heizung).
Mit Bescheid vom 22.12.2006 erfolgte wegen des Auszugs ihres volljährigen Sohnes eine Korrektur dahingehend, dass nunmehr unter Anerkennung der gesamten Unterkunfts- und Heizungskosten ein monatlicher Betrag von 589,85 EUR zuerkannt wurde.
Zur Begründung ihres am 22.01.2007 beim Sozialgericht Dortmund gestellten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die Antragstellerin auf ihre Ausführungen im erledigten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes S 47 SO 264/06 ER und die in diesem Verfahren vorgelegte eidesstattliche Versicherung Bezug genommen. Es müssten die Grundsätze der Vorschriften zur Kürzung des Arbeitslosengeldes II gelten. Die Dauer der Sanktionen dürfe drei Monate nicht überschreiten. Das Alter und die Person des Hilfebedürftigen seien zu berücksichtigen.
Mit eidesstattlicher Versicherung vom 05.12.2006 hat die Antragstellerin versichert, sie werde zurzeit von ihren Eltern unterstützt. Später hat die Antragstellerin ergänzt, sie nehme bei ihren Eltern lediglich die Mahlzeiten ein.
Mit Beschluss vom 16.02.2007 hat das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Antragstellerin habe keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dies gelte für den Zeitraum ab Antragstellung, da durch die gekürzten Leistungen und die Unterstützung ihrer Eltern der Lebensunterhalt einstweilen sichergestellt sei. Hinsichtlich des Anordnungsanspruchs sei für das Gericht nicht erkennbar, dass die der Antragstellerin aufgegebene Mitwirkungshandlung nicht im Sinne des § 62 SGB I erforderlich wäre, noch dass die Antragstellerin sich auf eine Unzumutbarkeit der von ihr verlangten Mitwirkungshandlung berufen könne. Die Antragstellerin habe mehrfach bekräftigt, ungekürzte Leistung zu erbringen, sobald die Antragstellerin sich zur Untersuchung begebe. Es sei kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich, warum die Antragstellerin nicht an der Feststellung der dauerhaften Erwerbsunfähigkeit mitwirke und damit einen vollen Leistungsbezug nach dem Dritten oder – je nach Ausgang der Untersuchung – Vierten Kapitel des SGB XII herbeiführe.
Gegen den ihr am 21.02.2007 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin vom 19.03.2007 (Eingang beim Landessozialgericht am 23.03.2007). Die Antragstellerin behauptet, sie sei ihren Mitwirkungspflichten nachgekommen und zu den Untersuchungstermin erschienen oder habe sich krankheitshalber entschuldigen lassen. Leider sei sie der Aufforderung zur psychiatrischen Untersuchung einmal nachgekommen.
Die Kürzungen erfolgten, weil sie nicht ein zweites Mal zum Psychiater gegangen sei. Die Antragsgegnerin habe sich darauf verlassen, dass ihre Eltern sich moralisch verpflichtet fühlten, ihre Tochter vor dem Verhungern, Wohnungsverlust oder dem Kappen der Versorgungsleistungen zu bewahren. Dies sei den Eltern auf Dauer aber unzumutbar, da sie lediglich über eine monatliche Rente von 1200 EUR verfügten.
Am 25.04.2007 hat die Antragstellerin hinsichtlich der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, da die Fristversäumnis auf dem Verhalten der Post beruhe, die ausweislich des Einlieferungsscheins vom 20.03.2007 (Vorlage in Kopie) drei Tage für die Beförderung nach Essen gebraucht habe.
Die Deutsche Post AG hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, der Einlieferungsschein betreffe ein Schreiben an das Landessozialgericht. Der Grund für die Laufzeitverzögerung lasse sich im Nachhinein nicht erklären. Im Normalfall erreichten über 95% der Briefsendungen den Empfänger am nächsten Werktag.
Die Antragstellerin hat sodann anwaltlich vertreten ergänzend vorgetragen, die Stellungnahmen des Dr. L vom 14.03.2005 und des Internisten C1 vom 09.02.2006 indizierten eine psychiatrische Untersuchung nicht. Aus einer von der Antragstellerin erstellten Auflistung ihrer Krankengeschichte werde nachvollziehbar, dass die Erkrankungen ganz überwiegend auf somatische Beschwerden zurückzuführen seien. Allein aufgrund spekulativer Diagnosen sei es der Antragstellerin nicht zumutbar, sich psychiatrisch untersuchen zu lassen. Im Übrigen sei es unverhältnismäßig, der Antragstellerin 50 % ihrer Leistungen für einen derart langen Zeitraum zu entziehen. Sie könnte der Antragstellerin gegen Kostenzusage empfehlen, sich in therapeutische Behandlung zu begeben. Eine Therapie sei im Übrigen nur sinnvoll, wenn sie freiwillig erfolge. Einer (hirn-) neurologischen Untersuchung entziehe sich die Antragstellerin nicht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.06.2006 hat die Antragsgegnerin die Widersprüche der Antragstellerin zurückgewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Antragsgegnerin sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.
II. Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig. Hinsichtlich der versäumten Beschwerdefrist wird der Antragstellerin gemäß § 67 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Antragstellerin war ohne ihr Verschulden gehindert, die Beschwerdefrist einzuhalten. Sie durfte darauf vertrauen, dass die Post die normalen Postlaufzeiten einhalten würde (vgl. hierzu Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 67 RdNr. 6a m.w.N.). Diese betragen, wie die Post auf Anfrage des Senats bestätigt hat, im Bundesgebiet für Einschreiben und normale Briefe einen Werktag (vgl. auch Keller, a.a.O. unter Verweis auf § 2 Nr. 3 Satz 1 Postuniversaldienstleistungsverordnung). Die Antragstellerin musste nicht mit einer längeren Laufzeit rechnen, so dass ihr nicht vorzuwerfen ist, dass sie das Einschreiben erst einen Tag vor Fristablauf am 21.03.2007 zur Post gegeben hat. Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 2 SGG sind erfüllt.
Die Beschwerde ist auch begründet. Das Sozialgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu verpflichten, der Antragstellerin (ungekürzte) Leistungen von 712,35 EUR monatlich zu gewähren.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie des Anordnungsgrunds (die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG, § 920 Abs. 3 Zivilprozessordnung – ZPO -). Der Senat hält ein Vorgehen nach § 86b Abs. 2 SGG für erforderlich, obgleich Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Minderung nach § 39 SGB XII aufschiebende Wirkung haben (vgl. etwa vgl. etwa Conradis in LPK-SGB XII, 7. Auflage 2005, § 39 RdNr. 9) und nicht ersichtlich ist, dass eine die aufschiebende Wirkung beseitigende Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG ergangen wäre. Denn allein die Feststellung der aufschiebenden Wirkung führte nicht zur einstweiligen Wiederaufnahme der (ungekürzten) Leistungen. Der Senat hat insoweit auch eine (analoge) Anwendung der Vorschrift des § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG erwogen, gibt mit Blick auf die Praxis und das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes der gefundenen Lösung den Vorzug.
Der Senat teilt zwar die Auffassung des Sozialgerichts, dass Zweifel an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes geäußert werden können. Die Antragstellerin erhält immerhin 50 % des Regelsatzes und die Kosten der Unterkunft und Heizung in voller Höhe und unstreitig Hilfeleistungen ihrer Eltern, die dem Umfang nach zumindest die Mahlzeiten erfassen. Es ist auch im Beschwerdeverfahren, obwohl die Ausführungen des Sozialgerichts hierzu Veranlassung gegeben hätten, nichts dafür vorgetragen oder ansonsten ersichtlich, dass die Eltern der Antragstellerin nunmehr beabsichtigten, die offenbar seit April 2006 erfolgende Hilfeleistung einzustellen.
Bei den Anforderungen an die Glaubhaftmachung darf jedoch die Wahrscheinlichkeit des Obsiegens in der Hauptsache und damit die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs nicht unberücksichtigt bleiben. Da hier die Rechtswidrigkeit der Kürzungsbescheide nach der gebotenen summarischen Prüfung naheliegt, hält der Senat die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin für geboten.
Als Rechtsgrundlage der Kürzung ist in den Bescheiden vom 25.04.2006 und 29.05.2006 allein die Vorschrift des § 39 SGB XII genannt. Die Kürzung um 25% in einer ersten Stufe und weitere 25 % in einer weiteren Stufe bezieht sich ausdrücklich auf diese Vorschrift, die als Spezialregelung zu § 66 SGB I zu verstehen ist und diesem – im Rahmen ihres Anwendungsbereichs – vorgehen dürfte (vgl. etwa Conradis in LPK-SGB XII, 7. Auflage 2005, § 39 RdNr. 8).
Es erscheint insoweit schon fraglich, ob die Antragsgegnerin hinreichend deutlich auf das zu sanktionierende Verhalten hingewiesen hat, denn, soweit ersichtlich, wurde erstmals im Widerspruchsbescheid vom 27.06.2007 (auch) darauf hingewiesen, dass die Untersuchung der Vorbereitung auf die spätere Aufnahme einer Tätigkeit zu dienen bestimmt war. Über die Möglichkeit eines Vorgehens nach § 39 SGB XII und die dort ausdrücklich geregelten Rechtsfolgen dürfte die Antragstellerin nicht – wie vorgeschrieben (§ 39 Satz 2 SGB XII) – ordnungsgemäß belehrt worden sein. Ein Vorgehen nach § 39 Abs. 1 SGB XII kommt nämlich nach dessen Satz 1 nur in Betracht, wenn ein Leistungsberechtigter entgegen seiner Verpflichtung die Aufnahme einer Tätigkeit oder die Teilnahme an einer erforderlichen Vorbereitung ablehnt. Die Antragsgegnerin hat hingegen lediglich auf die allgemeinen Mitwirkungsverpflichtungen verwiesen und die Rechtsfolgen des eine Ermessensausübung auf der Tatbestands- und Rechtsfolgenseite voraussetzenden § 66 Abs. 1 SGB I hingewiesen. Wird aber die Aufnahme einer Tätigkeit oder die Teilnahme an einer erforderlichen Vorbereitungshandlung abgelehnt, dürfte dadurch eine Mitwirkungshandlung im Sinne der §§ 60-64 SGB I nicht verletzt sein, da diese Vorschriften nur verfahrensrechtliche Pflichten des Hilfebedürftigen betreffen (Streichsbier in Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 39 SGB XII RdNr. 3 m.w.N.). Im Hauptsacheverfahren dürfte im Übrigen zu problematisieren sein, ob eine fachpsychiatrische Untersuchung überhaupt als Vorbereitungshandlung zu qualifizieren ist.
Sollten – so könnte die (offenbare) Hilfsbegründung im Widerspruchsbescheid zu verstehen sein, die Leistungskürzungen entsprechend den erteilten Belehrungen auf § 66 SGB I gestützt werden, hält der Senat die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Leistungskürzung nach dieser Vorschrift ebenso nicht für gegeben.
Gemäß § 62 SGB I soll sich, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers ärztlichen und psychologischen Untersuchungsmaßnahmen unterziehen, soweit diese für die Entscheidung über die Leistung erforderlich sind. Die Antragsgegnerin ist mit Bescheid vom 22.02.2006 und auch mit Schreiben vom 28.03.2006 (und wohl auch im mündlich im Beisein ihres Vaters) auch ausdrücklich auf ihre Mitwirkungsverpflichtung nach dieser Vorschrift und die Möglichkeit der Sanktionierung nach § 66 SGB I hingewiesen worden. Die Untersuchung könnte auch auch zum Zweck der Entscheidung über die Leistung erforderlich sein, denn von ärztlicher Seite ist bei "diagnostisch bisher nicht abgeklärtem" Beschwerdebild ausdrücklich eine Nachuntersuchung nach erfolgter psychiatrischer Diagnostik empfohlen worden. Die aktenkundigen Stellungnahmen von Herrn C1 und Dr. L sind nach Untersuchung der Antragstellerin erstellt worden. Die subjektiven Einschätzungen der Antragstellerin selbst vermögen einstweilen den Senat nicht davon zu überzeugen, dass die Empfehlung einer weiteren Abklärung zu beanstanden wäre. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die fachpsychiatrische Untersuchung gerade der weiteren Abklärung dienen soll. Art und Umfang einer Erkrankung sind aber ersichtlich maßgeblich zur Klärung des Umfangs und der Dauer einer ggf. anspruchsbegründenden Erwerbsminderung. Zu Recht hat die Antragsgegnerin etwa darauf hingewiesen, dass ggf. Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII zu gewähren wären. Auch kommt ggf. in Zukunft abhängig vom Beschwerdebild und seiner Therapierbarkeit wieder ein Anspruch nach dem SGB II in Betracht.
Nach § 66 Abs. 1 SGB I kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird.
Insoweit ist derzeit bereits nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin das im Rahmen des § 66 Abs. 1 SGB I auszuübende Ermessen überhaupt erkannt und sodann rechtmäßig ausgeübt hat. Die Ausgangsbescheide verhalten sich hierzu nicht. Im Übrigen reicht eine das Ausüben von Ermessen hinsichtlich der Rechtsfolgen, also des Umfangs der Leistungskürzung, nicht aus. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin die persönlichen (krankheitsbedingten) und wirtschaftlichen Verhältnisse in eine Ermessensentscheidung einbezogen hätte.
Es kann zur Überzeugung des Senats nach alledem dahinstehen, ob die von den befragten Ärzten angedeutete fehlende Krankheitseinsicht ggf. auch die Einsichtsfähigkeit der Antragstellerin derart beeinträchtigen, dass ein Vorgehen nach § 66 SGB I mangels subjektiver Vorwerfbarkeit ohnehin in Frage zu stellen wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
III. Aus den Gründen zu II. hat die Beschwerde hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne der §§ 73a SGG, 114 Abs. 1 Zivilprozessordnung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 17.09.2007
Zuletzt verändert am: 17.09.2007