Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 15.07.2019 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für das Beschwerdeverfahren. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren ab dem 23.09.2019 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und die Rechtsanwaltssozietät T, E, beigeordnet.
Gründe:
Die zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin vom 18.07.2019 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 15.07.2019, mit der sie sich gegen die im Wege der einstweiligen Anordnung auferlegte Verpflichtung wendet, den Antragstellern ab dem 01.07.2019 bis zum Ende des Monats der gerichtlichen Entscheidung vorläufig Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII in gesetzlicher Höhe zu gewähren, ist unbegründet. Das Sozialgericht hat dem Antrag der Antragsteller für den aus dem Tenor ersichtlichen Zeitraum und Umfang zu Recht entsprochen.
1.) a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes – (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. BSG, Beschl. v. 07.04.2011 – B 9 VG 15/10 B -, juris Rn. 6). Allerdings ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes – (GG) und Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn – wie hier – die Gewährung existenzsichernder Leistungen im Streit steht. Aus Art. 19 Abs. 4 GG folgen dabei Vorgaben für den Prüfungsmaßstab. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfG, Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats v. 06.08.2014 – 1 BvR 1453/12 -, juris Rn. 10, 12). In Anwendung dieser Maßstäbe haben die Antragsteller ab dem 01.07.2019 sowohl einen Anordnungsanspruch, gerichtet auf Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, als auch einen Anordnungsgrund gegen die Antragsgegnerin aus dem im sozialgerichtlichen Tenor ersichtlichen Zeitraum und Umfang glaubhaft gemacht. Zu Begründung nimmt der Senat nach eigener Würdigung der Sach- und Rechtslage auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Beschluss Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
b) Das Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin ist im Ergebnis nicht geeignet, eine ihr günstigere Entscheidung zu rechtfertigen. Die im Februar 1952 (Antragstellerin) bzw. Mai 1953 (Antragsteller) geborenen, bulgarischen und miteinander verheirateten Antragsteller sind dem Grunde nach originär leistungsberechtigt nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, weil sie die Altersgrenze des § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben, als im Inland lebende Ausländer auch Grundsicherungsleistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen beziehen können (arg. § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII), unstreitig hilfebedürftig (§§ 19 Abs. 2, 41, 82 ff., 90 SGB XII) und insbesondere nicht von Leistungen gemäß § 23 Abs. 3 SGB XII ausgeschlossen sind. Bei der Antragstellerin handelt es sich insbesondere um eine Arbeitnehmerin, die als EU-Ausländerin daher materiell freizügigkeitsberechtigt ist. Gleiches gilt auch für den Antragsteller, der aus dem materiellen Freizügigkeitsrecht seiner Ehefrau ein eigenes Aufenthaltsrecht ableiten kann, was ebenfalls zu seiner Leistungsberechtigung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII führt. Der Senat schließt sich insbesondere der von der Antragsgegnerin angegriffenen Auffassung des Sozialgerichts an, dass die Antragstellerin trotz Erreichens der Altersgrenze nach § 7a SGB II als Arbeitnehmerin im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XII, des FreizügG/EU sowie der entsprechenden Richtlinie 2004/38/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, anzusehen ist. Im Einzelnen:
aa) Die Antragstellerin kann sich ab Antragstellung auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung als Unionsbürgerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU berufen, weil sie aufgrund ihrer am 01.03.2019 begonnenen Beschäftigung als Reinigungskraft bei der Fa. J Arbeitnehmerin ist und daher keinem Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 SGB XII unterliegt. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin kann sich die Antragstellerin auf diese Freizügigkeitsberechtigung trotz Erreichens der Altersgrenze nach § 7a Satz 2 SGB II bzw. § 41 Abs. 2 Satz 3 SGB XII berufen. Dem steht weder das nationale Recht (SGB XII, FreizügG/EU), noch das sekundäre Gemeinschaftsrecht (Richtlinie 2004/38/EG), in welchem die nationalen Rechtsvorschriften ihre Grundlage finden und entsprechend auszulegen sind, entgegen.
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist der Begriff des Arbeitnehmers in § 2 Abs. 1 Nr. 1 FreizügG/EU europarechtlich geprägt. Arbeitnehmer ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausgeübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Für die insoweit vorzunehmende Gesamtbewertung der Ausübung einer Tätigkeit als Beschäftigung und damit die Zuweisung des Arbeitnehmerstatus ist Bezug zu nehmen insbesondere auf die Arbeitszeit, den Inhalt der Tätigkeit, eine Weisungsgebundenheit, den wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung, die Vergütung als Gegenleistung für die Tätigkeit, den Arbeitsvertrag und dessen Regelungen sowie die Beschäftigungsdauer. Nicht alle einzelnen dieser Merkmale müssen schon je für sich die Arbeitnehmereigenschaft zu begründen genügen; maßgeblich ist ihre Bewertung in einer Gesamtschau. Der Gesamtbewertung ist mit Rücksicht auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGH ein weites Verständnis zugrunde zu legen (BSG, Urt. v. 12.09.2018 – B 14 AS 18/17 R -, juris Rn. 19, 20 m.w.N.).
Hieran gemessen ist der Senat nach Aktenlage sowie unter Berücksichtigung der Angaben der Antragsteller im Erörterungstermin vor dem Sozialgericht am 09.07.2019 vom Arbeitnehmerstatus der Antragstellerin überzeugt. Der Beschäftigung der Antragstellerin liegt zum einen ein Formulararbeitsvertrag vom 28.02.2019 zu Grunde, der unbefristet ist und einen monatlichen Bruttolohn der Antragstellerin in Höhe von 500,00 EUR bei einer monatlichen Arbeitszeit von ca. 50 Stunden vorsieht. Zum anderen hat der Senat keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass es sich hier lediglich um ein Scheinarbeitsverhältnis handelt. So wird das Arbeitsverhältnis nach den vorliegenden Unterlagen korrekt abgerechnet und werden dabei insbesondere die auf den Bruttolohn der Antragstellerin entfallenden Beiträge zu den Sozialversicherungen abgeführt. Auch ergibt sich aus den lebensnahen Schilderungen der Antragstellerin hinsichtlich ihres Arbeitsalltages im o.a. Erörterungstermin, dass das mit dem Betreiber des Imbisses bestehende Arbeitsverhältnis auch tatsächlich "gelebt" wird. Im Übrigen hat auch die Antragsgegnerin nicht einmal ansatzweise Zweifel am Vorliegen eines tatsächlich durchgeführten Arbeitsverhältnisses der Antragstellerin geäußert. In der danach vorzunehmenden Gesamtbewertung, insbesondere unter Berücksichtigung der Arbeitszeit sowie der Höhe der Vergütung, ist den von der Rechtsprechung des BSG und des EuGH aufgestellten Kriterien für den Arbeitnehmerstatus genüge getan, zumal dieser bereits bei einer erheblich geringeren Arbeitszeit und einem im Vergleich zum vorliegenden Fall deutlich nach unten abweichenden Arbeitsentgelt bejaht worden ist (s. BSG, Urt. v. 12.09.2018 – B 14 AS 18/17 R -, juris Rn. 21: Reinigungskraft mit einer geringfügigen Beschäftigung von 30 Stunden/Monat bei einem monatlichen Arbeitsentgelt von 100 EUR bzw. 250 EUR; s. auch BSG, Urt. v. 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R -, juris Rn. 18, zu einem Handwerkshelfer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 7,5 Stunden und einem monatlichen Entgelt von 100 EUR).
Die Antragstellerin kann sich auf ihr materielles Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmerin auch nach Erreichen der Altersgrenze berufen. Die gegenteilige Argumentation der Antragsgegnerin findet keine Entsprechung in den einschlägigen Vorschriften des nationalen und europäischen Rechts. So bezieht sich der Ausschlusstatbestand des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XII nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut u.a. auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII und setzt voraus, dass es sich bei dem betreffenden Personenkreis (Ausländer und ihre Familienangehörigen) u.a. nicht um Arbeitnehmer handelt und auch kein Fall eines "nachwirkenden" Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU vorliegt, der wiederum an das materielle Aufenthaltsrecht des § 2 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU u.a. als Arbeitnehmer anknüpft. Da es sich bei den Leistungsberechtigten nach dem Vierten Kapitel des SGB XII entweder um (dauerhaft) voll erwerbsgeminderte oder Personen handelt, die die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben, entspricht die Möglichkeit, dass solche Personen durchaus Arbeitnehmer sein können, der gesetzgeberischen Konzeption. Anderenfalls würde die Verknüpfung des Ausschlusstatbestandes für einen derartigen Personenkreis mit der Verneinung der Arbeitnehmereigenschaft erkennbar keinen Sinn machen. Etwas anderes ergibt sich entgegen den Ausführungen der Antragsgegnerin auch nicht aus § 4 FreizügG/EU. Danach haben nicht erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs. 1, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen (was bei den Antragstellern unstreitig nicht der Fall ist). Eine Altersgrenze, die einen Unionsbürger quasi pauschal als "nicht erwerbstätig" qualifiziert, sieht § 4 FreizügG/EU gerade nicht vor und kann auch, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht durch Ziff. 2.2.1.3 der AVV zum FreizügG/EU hineininterpretiert werden. Dass mit dem Eintritt in das Rentenalter im Regelfall (aber eben nicht stets!) das Ende der Erwerbstätigkeit verknüpft ist und die Lebensphase wirtschaftlicher Inaktivität beginnt, führt nach der gesetzgeberischen Konzeption somit nicht automatisch zum Verlust des Arbeitnehmerstatus. Vielmehr stellt § 4 FreizügG/EU auf die tatsächlich fehlende Erwerbstätigkeit ab. Im Übrigen regelt § 2 Abs. 3 FreizügG/EU abschließend, wann der Verlust des Arbeitnehmerstatus unberührt bleibt. Hätte der Gesetzgeber eine Altersgrenze für den Verlust vorgesehen, wäre dort der richtige Ort gewesen, eine Regelung hierfür vorzuhalten. Dies ist jedoch nicht geschehen.
Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus dem einschlägigen sekundären Gemeinschaftsrecht, insbesondere der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG zum Aufenthaltsrecht, namentlich den Art. 7 und 14, auf denen die nationalen Vorschriften der §§ 2 ff. FreizügG/EU maßgeblich beruhen. Auch die Richtlinie unterscheidet lediglich zwischen der Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbstständiger und solchen Unionsbürgern, die gerade nicht erwerbstätig bzw. wirtschaftlich inaktiv sind und deren Aufenthaltsrecht daher an das Vorliegen ausreichender, und damit nicht zur Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen führender Existenzmittel geknüpft ist (s. Art. 7 Abs. 1 lit. a oder b und Art. 14 Abs. 2 der RL 2004/38/EG). Eine Altersgrenze, welche die entscheidende Sollbruchstelle zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Unionsbürgern markiert, sieht aber auch die Richtlinie nicht vor. Demnach unterscheiden sowohl das nationale als auch das supranationale Recht lediglich zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen bzw. wirtschaftlich aktiven oder wirtschaftlich inaktiven Unionsbürgern. Eine Altersgrenze als Abgrenzungskriterium ist hier gerade nicht vorgesehen. Es ist allein Sache des europäischen und nationalen Gesetzgebers, eine entsprechende Änderung im Hinblick auf den Arbeitnehmerstatus als Voraussetzung für ein materielles Aufenthaltsrecht und damit eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB XII herbeizuführen, wenn insoweit entsprechender Handlungsbedarf vorliegen sollte. Im Angesicht des derzeit geltenden Rechts können sich Gerichte jedoch nicht hierüber hinwegsetzen und unter Überschreitung der Grenzen gerade noch zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung als "Ersatzgesetzgeber" fungieren.
bb) Die Anspruchsberechtigung des Antragstellers auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, ergibt sich, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, aus seiner Eigenschaft als Ehegatte und damit Familienangehöriger der Antragstellerin. Denn er kann sein materielles Freizügigkeitsrecht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU aus dem Freizügigkeitsrecht der Antragstellerin als Arbeitnehmerin (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU) ableiten. Da der Antragsteller somit ebenfalls über ein materielles Aufenthaltsrecht verfügt, kann auch bei ihm der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 SGB XII nicht greifen, auch nicht – anders als die Antragsgegnerin meint – über § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB XII. Doch selbst wenn die Einreise, um Sozialhilfe zu erlangen, auch bei materiell freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern, die ihr Aufenthaltsrecht von einem anderen Unionsbürger ableiten, einen eigenständigen Ausschlussgrund darstellen würde, sieht der Senat dessen strenge Voraussetzungen nach Aktenlage nicht als erfüllt an. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB XII verlangt schon ausweislich seines insoweit eindeutigen Wortlauts ("um zu") einen finalen Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe im Sinne eines ziel- und zweckgerichteten Handelns (BVerwG, Urt. v. 04.06.1992 – 5 C 22/87 -, juris Rn. 11). Erforderlich ist, dass nach den objektiven Umständen von einem Wissen und Wollen mindestens im Sinne eines Vorsatzes ausgegangen werden kann, der für den Entschluss zur Einreise von prägender Bedeutung gewesen sein muss, ohne dass hierin auch ein "unlauteres Verhalten" gesehen werden müsste (Coseriu, in: jurisPK-SGB XII, § 23 Rn. 54). Der erforderliche Zusammenhang zwischen der Einreise und der missbilligten Inanspruchnahme von Sozialhilfe besteht nicht nur, wenn der Wille, Sozialhilfe zu erlangen, der einzige Einreisegrund ist. Beruht die Einreise des Ausländers auf verschiedenen Motiven, ist das Erfordernis des finalen Zusammenhangs auch erfüllt, wenn der Zweck der Inanspruchnahme von Sozialhilfe für den Einreiseentschluss von prägender Bedeutung ist (BSG, Urt. v. 18.11.2014 – B 8 SO 9/13 R -, juris Rn. 25). Das bedeutet, dass die Möglichkeit, auf Sozialhilfe angewiesen zu sein, für den Einreiseentschluss des Ausländers, sei es allein, sei es neben anderen Gründen, in besonderer Weise bedeutsam gewesen sein muss. Es genügt daher nicht, dass der Sozialhilfebezug beiläufig erfolgt oder anderen Einreisezwecken untergeordnet und in diesem Sinne (nur) billigend in Kauf genommen wird (Senat, Beschl. v. 22.04.2015 – L 9 SO 496/14 B -, juris Rn. 6 m.w.N.). Hiernach reicht allein die objektive Tatsache, dass der Antragsteller bei seiner Einreise nach Deutschland zusammen mit der Antragstellerin im Jahre 2016 bereits erwerbsgemindert war und nicht davon ausgehen konnte, dass er seinen Lebensunterhalt vollständig ohne Inanspruchnahme öffentlicher Fürsorgeleistungen sicherzustellen in der Lage war, alleine nicht aus, um auf den Willen, Sozialhilfe in Deutschland zu erlangen, als prägendes Motiv für die Einreise zu schließen. Denn im vorliegenden Fall ist es durchaus naheliegend, dass der Antragsteller seine Ehefrau begleiten wollte, um die eheliche Lebensgemeinschaft auch in Deutschland aufrechtzuerhalten; in diesem Fall kommt der Leistungsausschluss auch dann nicht zum Zuge, wenn bereits bei der Einreise Bedürftigkeit bestand und auch der Ehegatte nicht über ausreichendes Einkommen oder Vermögen zur Bestreitung des Lebensunterhalts verfügte (s. Siefert, in: jurisPK-SGB XII, § 23 [1. Überarbeitung] Rn. 93). Dies entspricht letztlich auch dem Recht auf Einreise und Aufenthalt als Familienangehöriger eines materiell freizügigkeitsberechtigten Arbeitnehmers bei dessen Begleitung bzw. beim Nachzug (§ 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU).
cc) Die Antragsteller haben hinsichtlich der Regelleistung (Bedarfsstufe 2) auch einen Anordnungsgrund, d.h. eine gegenwärtige Notlage glaubhaft gemacht, weil deren Anspruch auf Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) auch bei Anrechnung des (bereinigten) Einkommens der Antragstellerin aus ihrem Beschäftigungsverhältnis i.H.v. 441,43 EUR sowie des Antragstellers aus der bulgarischen Rente in Höhe von z.Zt. 70,13 EUR nicht gewährleistet ist. Hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung (515,00 EUR) geht der Senat unter Berücksichtigung der im Beschluss des BVerfG vom 01.08.2017 – 1 BvR 1910/12 -, juris Rn. 14 ff. vorgegebenen Maßstäbe sowie in Ansehung der – wenn auch knappen – Ausführungen der Antragstellerin im Erörterungstermin des Sozialgerichts am 09.07.2019 davon aus, dass aufgrund der vor Antragstellung bei dem Sozialgericht erfolgten Einstellung der den Antragstellern gewährten Leistungen ab Juli 2019 ein Mietrückstand vorlag, der bei einem weiteren Ausbleiben von Leistungen unweigerlich den Verlust der Wohnung bei Vorliegen der Voraussetzung einer außerordentlichen Kündigung wegen Zahlungsverzuges zur Folge gehabt hätte. Dass die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 06.08.2019 Hilfe zum Lebensunterhalt sowie die Unterkunftskosten gewährt, führt selbstredend nicht zum Wegfall des Anordnungsgrundes, weil sich die Antragsgegnerin ausweislich des Bescheides lediglich entsprechend ihrer Verpflichtung (vorläufig) der erstinstanzlichen Entscheidung gebeugt und Leistungen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht gewährt hat.
2.) Den Antragstellern war ungeachtet der hinreichenden Erfolgsaussicht ihrer Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung schon deswegen Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weil die Antragsgegnerin das Rechtsmittel eingelegt hat (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Auch sind die Antragsteller als Bezieher von Leistungen nach dem SGB XII nicht in der Lage, die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens auch nur teilweise aufzubringen. Ferner kann ihnen eine Rechtsanwaltssozietät beigeordnet (§ 121 Abs. 2 ZPO) werden (s. BGH, Beschl. v. 17.09.2008 – IV ZR 343/07 -, juris).
3.) Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
4.) Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 21.10.2019
Zuletzt verändert am: 21.10.2019