Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtstreits. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Entschädigung nach §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Er macht eine unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens S 49 (32, 38) AS 494/08 Sozialgericht (SG) Duisburg geltend.
In den Jahren 2008 bis 2011 hat der Kläger zumindest 30 gerichtliche Verfahren vor dem SG Duisburg, 49. Kammer, eingeleitet (u.a. S 49 (32, 38) AS 494/08, S 49 (32, 38) AS 15/09, S 49 (32, 38) AS 45/09, S 49 (38) AS 229/09, S 49 (38) AS 370/09, S 49 (38) AS 1129/10, S 49 (38) AS 1162/10, S 49 (38) AS 1311/10, S 49 (38) AS 1416/10, S 49 (38) AS 3004/10, S 49 (38) AS 3513/10, S 49 (38) AS 3883/10, S 49 (38) AS 4464/10, S 49 (38) AS 1429/11, S 49 (38) AS 1633/11, S 49 AS 2369/11, S 49 AS 3068/11, S 49 AS 3099/11, S 49 AS 3121/11, S 49 AS 3436/11, S 49 AS 3531/11, S 49 AS 3532/11, S 49 AS 3573/11, S 49 AS 3713/11, S 49 AS 4121/11, S 49 AS 4165/11, S 49 AS 4425/11, S 49 AS 4695/11, S 49 AS 4747/11, S 49 AS 4790/11), in denen im Wesentlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), aber auch Untätigkeit des beklagten Jobcenters Kreis X Streitgegenstand waren. Im nachfolgenden Jahr 2012 hat der Kläger vor der 49. Kammer des SG Duisburg entsprechende weitere Verfahren anhängig gemacht.
In dem Rechtsstreit S 49 (32, 38) AS 494/08 hat der Kläger am 12.12.2008 Klage gegen das Jobcenter Kreis X erhoben, mit der er sich gegen die vorläufige Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 02.04.2008 bis 31.10.2008 (Bescheid vom 18.06.2008) gewandt und um 1.037,00 EUR höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch begehrt hat. Am 14.01.2009 hat der Kläger Klage gegen das Jobcenter Kreis X mit dem sinngemäßen Begehren erhoben, den Bescheid vom 18.06.2008 über die vorläufige Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 02.04.2008 bis 31.10.2008 in Einzelbescheide aufzuteilen und diese für endgültig zu erklären (S 38 (32) AS 15/09). Am 29.03.2010 hat der Kläger Klage gegen das Jobcenter Kreis X im Hinblick auf die zwischenzeitlich erfolgte endgültige Festsetzung der Leistungen für den Zeitraum vom 02.04.2008 bis 31.10.2008 (Bescheid vom 28.08.2009, Widerspruchsbescheid vom 22.03.2010) erhoben (S 38 AS 1311/10). Das SG hat die drei Gerichtsverfahren mit Beschluss vom 31.03.2011 verbunden und ist sodann der Bitte des Beklagten vom 19.05.2011, die wegen der Vielzahl der von dem Kläger geführten Verfahren wiederholt aufgeteilten Leistungsakten zur Herstellung einer übersichtlichen Leistungsakte aus allen Verfahren zu übersenden, nachgekommen. Mit Schriftsatz vom 13.09.2011 hat der Beklagte zu 18 Verfahren des Klägers zusammenfassend Stellung genommen. Dem Vorbringen des Beklagten ist der Kläger entgegengetreten (Schriftsatz vom 24.10.2011); am 27.12.2011 hat er gegenüber dem SG die überlange Dauer des Verfahrens gerügt (Schriftsatz vom 22.12.2011).
Nach weiterem Schriftwechsel der Beteiligten hat das SG am 30.03.2012 Termin zur Erörterung des Sachverhalts anberaumt. In diesem Termin vom 07.05.2012 wurden zehn Rechtsstreitigkeiten des Klägers erörtert; im Rechtsstreit S 49 (32, 38) AS 494/08 wurde dem Kläger aufgegeben, das Fahrtenbuch für das als betrieblich geltend gemachte Fahrzeug vorzulegen. Nachdem sich der Kläger dazu am 24.10.2012 abschließend geäußert hatte, hat das SG am 09.11.2012 Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt und die Beklagte in diesem Termin vom 10.12.2012 unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, dem Kläger 388,35 EUR zu zahlen.
Bereits am 18.09.2012 hat der Kläger Klage wegen unangemessener Verfahrensdauer Klage erhoben.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Beklagten zu verurteilen, Entschädigung zumindest in Höhe von 1.200,00 EUR wegen unangemessener Dauer des Gerichtsverfahrens S 49 (32, 38) AS 494/08 Sozialgericht Duisburg zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält die Klage für nicht begründet; wesentliche Bearbeitungslücken seien nicht erkennbar und auch vom Kläger nicht vorgetragen. Im Hinblick auf die Komplexität der Verfahren – der Kläger habe eine Vielzahl weiterer Verfahren in der 49. Kammer des SG Duisburg anhängig – könne eine unangemessene Verfahrensdauer nicht festgestellt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten einschließlich der Akten des SG Duisburg S 49 (32, 38) AS 494/08, S 38 (32) AS 15/09 und S 38 AS 1311/10 und der Akten des Rechtsstreits L 11 SF 369/12 VE AS LSG Nordrhein-Westfalen, die den von dem Kläger wegen unangemessener Dauer des Verfahrens S 49 (32, 38) AS 45/09 SG Duisburg geführten Entschädigungsrechtsstreit betreffen, Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz des Ausbleibens des Klägers aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 09.07.2014 entscheiden, weil der Kläger ordnungsgemäß zum Termin geladen und mit der Ladung darauf hingewiesen worden war, dass auch im Falle seines Nichterscheinens verhandelt und entschieden werden kann (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Die Klage ist nicht begründet.
Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Entschädigung wegen einer unangemessenen Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens S 49 (32, 38) AS 494/08 SG Duisburg.
Für das Klageverfahren wegen einer Entschädigung auf Grund einer unangemessenen Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens sind die Vorschriften des § 198 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) sowie die §§ 183, 197a und 202 SGG in der ab 03.12.2011 geltenden Fassung durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) vom 24.11.2011 (BGBl. I S. 2302), zuletzt geändert durch das Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06.12.2011 (BGBl. I S. 2554) maßgebend.
Davon ausgehend ergibt sich:
Nach Art. 23 S. 1 ÜGG gilt dieses Gesetz u.a. auch für Verfahren, die wie vorliegend bei dessen Inkrafttreten am 03.12.2011 bereits anhängig waren.
Für die Entscheidung über eine Klage i.S.d. § 198 GVG ist das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen zuständig. Nach § 200 S. 1 GVG haftet das Land für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Landes eingetreten sind. Für Klagen auf Entschädigung gegen ein Land ist nach § 201 Abs. 1 S. 1 GVG das Oberlandesgericht (OLG) zuständig, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Für sozialgerichtliche Verfahren ergänzt § 202 S. 2 SGG diese Regelung dahin, dass die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§ 198 – 201 GVG) u.a. mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden sind, dass an die Stelle des OLG das LSG und an die Stelle der Zivilprozessordnung das SGG tritt.
Daraus folgt die Zuständigkeit des LSG Nordrhein-Westfalen; das streitgegenständliche Verfahren S 49 (32, 38) AS 45/09 wurde im Bezirk des LSG Nordrhein-Westfalen durchgeführt.
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG statthaft.
Die Klage ist unbegründet.
Anspruchsgrundlage für einen Entschädigungsanspruch wegen einer unangemessenen Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens ist § 198 Abs. 1 GVG in Verbindung mit § 202 SGG. Nach § 198 Abs. 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten des Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 S. 2 GVG).
Entschädigung wird für materielle und immaterielle Schäden geleistet. Für immaterielle Schäden erleichtert § 198 Abs. 2 GVG die Geltendmachung. Danach wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4, so z.B. durch Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1.200 EUR für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.
Entschädigung enthält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Andernfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 GVG).
Nach Art. 23 ÜGG gilt für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜGG schon verzögert sind, § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss. In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum.
Diesen Anforderungen wird die "Verzögerungsrüge" des Klägers vom 27.12.2011 (Schriftsatz vom 22.12.2011) nicht gerecht. Infolgedessen sind Entschädigungsansprüche wegen unangemessener Verfahrensdauer zumindest bis zum Inkrafttreten des ÜGG präkludiert (nach Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 10.04.2014 – III ZR 335/13 – Präklusion sogar bis zum tatsächlichen Rügezeitpunkt). Im Übrigen ist die Rüge zur Unzeit erhoben und trägt damit einen Entschädigungsanspruch auch für die Zeit nach Inkrafttreten des ÜGG nicht.
Mit Schriftsatz vom 22.12.2011 hat der Kläger angesichts des Wortlauts "wird überlange Verfahrensdauer gerügt" eine Verzögerungsrüge im o.a. Sinne erhoben. Diese Verzögerungsrüge war auch "unverzüglich". "Unverzüglich" bedeutet nach der im bürgerlichen Recht geltenden Legaldefinition des § 121 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch "ohne schuldhaftes Zögern". Die Gesetzesbegründung zum ÜGG legt es nahe, diese allgemeine Bestimmung auch im vorliegenden Zusammenhang heranzuziehen (vgl. BT-Drucks 17/3802 S 31). Damit gehört zum Begriff der Unverzüglichkeit ein nach den Umständen des Falles beschleunigtes Handeln, das dem Interesse des Empfängers der betreffenden Erklärung an der gebotenen Klarstellung Rechnung trägt. Demnach ist "unverzüglich" nicht gleichbedeutend mit "sofort". Vielmehr ist dem Verfahrensbeteiligten eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, ob er seine Rechte durch eine Verzögerungsrüge wahren muss (Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 27.06.2013 – B 10 ÜG 9/13 B – m.w.N.). Bei der Bemessung der angemessenen Überlegungsfrist ist vor allem der Zweck des Gesetzes zu beachten, durch die Einräumung eines Entschädigungsanspruchs gegen den Staat bei überlanger Verfahrensdauer eine Rechtsschutzlücke zu schließen und eine Regelung zu schaffen, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) als auch denen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 6 Abs. 1, Art. 13 EMRK) gerecht wird. Hinzu kommt, dass das Gesetz nur einen Tag vor seinem Inkrafttreten verkündet worden ist (Art. 24 ÜGG). Davon ausgehend ist der Begriff der Unverzüglichkeit in Art. 23 Satz 2 ÜGG weit zu verstehen; eine zu kurze, wirksamen Rechtsschutz in Frage stellende Frist wäre mit den Erfordernissen eines effektiven Menschenrechtsschutzes nur schwer vereinbar. Der Senat hält deshalb in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -) und des BGH (Urteil vom 10.04.2014 – III ZR 335/13 – ) eine Drei-Monats-Frist für erforderlich, um den Anforderungen des Art. 13 EMRK zu entsprechen, aber auch für ausreichend, damit Betroffene in allen Fällen prüfen können, ob eine entschädigungspflichtige Verzögerung bereits eingetreten und eine Rügeerhebung deshalb geboten ist.
Diese großzügig bemessene Frist hat der Kläger mit seiner am 27.12.2011 eingegangenen Eingabe vom 22.12.2011 eingehalten. Indes bestand weder Anlass zu einer Verzögerungsrüge noch war eine i.S.d. § 198 GVG entschädigungspflichtige Verzögerung eingetreten.
Nach § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird. Die Verzögerungsrüge ist u.a. materielle Anspruchsvoraussetzung für den Entschädigungsanspruch (BSG, Beschluss vom 27.06.2013 a.a.O.). Wird die Rüge zur Unzeit erhoben, ist der Anspruch nicht begründet und die Klage abzuweisen. Die Gesetzesbegründung formuliert, dass die Rüge "ins Leere" gehe (BT-Drs. 17/3802 S. 20). Sie ist damit endgültig unwirksam und wird auch dann nicht wirksam, wenn später tatsächlich eine unangemessene Verfahrensdauer eintritt.
Das Vorbringen des Klägers in seiner Verzögerungsrüge vom 27.12.2011 ("wird überlange Verfahrensdauer gerügt"), mithin der inzidenter enthaltene bloße Hinweis auf eine nach Auffassung des Klägers zu lange Laufzeit des Rechtsstreits, trägt weder eine Verzögerungsrüge noch eine Entschädigungsklage.
Die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben ist mit § 198 Abs. 1 GVG nicht vereinbar, die Vorschrift lässt es grundsätzlich nicht zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit gerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen (BGH, Urteil vom 13.03.2014 – III ZR 91/13 – und vom 05.12.2013 – II ZR 73/13 -; BFH, Urteil vom 07.11.2013 – X K 13/12 -; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 11.07.2013- 5 C 27/12 D – und 11.07.2013 – 5 C 23/12 D; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.12.2013 – L 37 SF 82/12 EK R -; Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe, Urteil vom 19.12.2013 – 23 SchH 2/13 EntV -; OLG Celle, Beschluss vom 23.09.2013 – 23 SchH 3/13 -; Oberverwaltungsgericht (OVG) Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 04.06.2013 – 2 K 9/12 -; OLG Köln, Urteil vom 21.03.2013 – 7 SChH 5/12 -; OVG Sachsen, Urteil vom 15.01.2013 – 11 F 1/12 -; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29.11.2012 – L 10 SF 5/12 ÜG -). Dies ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, nach der sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer "nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter" richtet. Dabei obliegt es zunächst dem nach seiner Auffassung Betroffenen, vorzutragen, worin die unangemessene Dauer liegen soll (OLG Köln, Urteil vom 21.03.2013 a.a.O. m.w.N.). Dazu verhält sich das Vorbringen des Klägers, der lediglich eine lange Laufzeit des von ihm geführten Rechtsstreits behauptet, indes nicht. Eine entschädigungsrelevante Verzögerung vermag aber auch der Senat nicht zu erkennen.
Bei der erforderlichen Beurteilung ist zunächst stets zu beachten, dass Zeiten, die u.a. für eine Meinungsbildung des angerufenen Gerichts (s. BSG, Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -) erforderlich sind, nicht als Verzögerungszeit zu berücksichtigen sind. Gleichermaßen besteht kein Anspruch darauf, dass ein Rechtsstreit, auch wenn er entscheidungsreif ist, sofort bzw. unverzüglich vom Gericht entschieden wird. Der Staat ist nämlich nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass jedes anhängige Verfahren sofort und ausschließlich von einem Richter bearbeitet werden kann. Vielmehr muss ein Rechtsuchender damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Verfahren zu bearbeiten hat. Insofern ist ihm regelmäßig eine gewisse Wartezeit zuzumuten (BSG a.a.O.).
Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Kläger vor der 49. Kammer des SG Duisburg in den Jahren 2008 bis 2011 zumindest 30 gerichtliche Verfahren anhängig gemacht hat, die allein schon aufgrund ihres Streitgegenstandes, entweder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder auch Untätigkeit des für die Leistungen zuständigen Leistungsträgers, inhaltlich miteinander weitgehend verbunden bzw. sich überschneidend waren. Bereits allein dadurch ist ein höchstkomplexes Streitgeschehen entstanden, das eingehender Erarbeitung aller Sachverhalte und damit eines erheblichen Zeitaufwandes bedurfte, die die vorgenannten, nicht als Verzögerungszeit zu berücksichtigenden Zeiten u.a. für die Meinungsbildung des Gerichts ganz erheblich vergrößert haben.
Darüber hinaus ist der Verfahrensverlauf im Einzelnen zu analysieren. Dabei ergibt sich: Gegenstand der am 12.12.2008 erhobenen Klage war die vorläufige Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 02.04.2008 bis 31.10.2008 durch den Beklagten. Dieser Streitgegenstand wurde zwangläufig und erwartungsgemäß (so schon der Kläger in seinem Schriftsatz vom 04.09.2009) durch die endgültige Festsetzung dieser Leistungen mit Bescheid vom 28.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 22.03.2010 und die am 29.03.2010 von dem Kläger dagegen erhobene Klage überholt bzw. vollständig obsolet, so dass bis dahin von einer dem SG zuzurechnenden Verfahrensverzögerung nicht die Rede sein kann. Gleiches gilt für die Folgezeit bis September 2010, in der das SG wiederholt den Beklagten zu Vervollständigung der Verwaltungsakten auffordern musste (Schreiben vom 20.05.2010, 30.06.2010, 05.08.2010, 02.09.2010), und die anschließende Zeit ab November 2010, in der der Kläger der sinngemäßen Aufforderung des SG, Belege über sein Einkommen einzureichen, nicht nachgekommen ist (Schreiben vom 08.11.2010, 10.12.2010, 14.01.2001, 09.02.2011) bis zur Zeit der Verbindung der drei Streitverfahren S 49 (32, 38) AS 494/08, S 38 (32) 15/09 und S 38 AS 1311/10 durch im April 2011 den Beteiligten zugestellten Beschluss vom 31.03.2011. Unabhängig von der Säumigkeit des Klägers hat der Beklagte nahezu parallel dazu die ihm vom SG zur Verfügung gestellten Verwaltungsvorgänge (Verfügung vom 25.05.2011) ausgewertet und den Streitstoff aus 18 Verfahren des Klägers mit 14seitigem engzeilig geschriebenen Schriftsatz vom 13.09.2011 umfangreich aufbereitet, zu dem dann der Kläger am 25.10.2011 (Schriftsatz vom 24.10.2011) umfangreich Stellung genommen hat.
Angesichts all dessen kann zunächst bis zu diesem Zeitpunkt von einer i.S.d. § 198 SGG dem Gericht zuzurechnenden Verzögerung des Rechtsstreits nicht die Rede sein. Es erschließt sich damit auch kein nur im Ansatz begründbarer Anlass für eine Verzögerungsrüge am 27.11.2011.
Unabhängig davon, dass die Verzögerungsrüge des Klägers vom 27.11.2011 "ins Leere" geht, weil bis zu diesem Zeitpunkt keine i.S.d. § 198 SGG dem Gericht zuzurechnende Verzögerung des Rechtsstreits eingetreten ist, mithin bereits die materielle Anspruchsvoraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nicht gegeben ist, liegt auch hinsichtlich der nachfolgenden Zeit ab der Verzögerungsrüge des Klägers vom 27.11.2011 bis zum Zeitpunkt des Abschlusses des Rechtstreits S 49 (32, 38) AS 494/08 SG Duisburg durch das Urteil vom 10.12.2012 keine unangemessene Verfahrensdauer vor.
Auf die Stellungnahme des Klägers in seinem Schriftsatz vom 24.10.2011 erfolgter weiterer umfangreichen Schriftwechsel der Beteiligten, der u.a. auch Vergleichsregelungen zum Gegenstand hatte (Schriftsätze vom 27.01.2012, 11.02.2012, 28.02.2012 und, 17.02.2102,) und schließlich nach Ablehnung eines Vergleichs durch den Kläger (Schriftsatz vom 07.03.2012) zur Anberaumung eines Termin zur Erörterung des Sachverhalts (Ladungsverfügung vom 30.03.2013) und Erörterung von zehn Rechtsstreitigkeiten des Klägers am 07.05.2012 führte. Der in diesem Termin ihm im Rechtsstreit S 49 (32, 38) AS 494/08 aufgegeben Auflage, das Fahrtenbuch für das als betrieblich geltend gemachte Fahrzeug vorzulegen, ist der Kläger abschließend erst mit Schriftsatz vom 24.10.2012 nachgekommen, so dass das SG am 09.11.2012 Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt und in diesem Termin vom 10.12.2012 über das Begehren des Klägers entschieden hat.
Bei diesem Verfahrensablauf können unter Beachtung o.a. Grundsätze auch für die Zeit ab Verzögerungsrüge des Klägers am 27.12.2011 nicht einmal im Ansatz eine Verzögerung bzw. eine unangemessene Verfahrensdauer und damit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 198 Abs. 1 GVG festgestellt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 29.10.2014
Zuletzt verändert am: 29.10.2014