Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 20.06.2012 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der am 00.00.1964 geborene Antragsteller bezog in der Vergangenheit vorübergehend Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Zahlreiche Verwaltungs- und Gerichtsverfahren mit dem Ziel, weitere Leistungen nach dem SGB II zu erlangen, scheiterten im Wesentlichen an fehlender Erreichbarkeit des Antragstellers, der zwar sporadisch bei der Caritas in M vorspricht, jedoch bislang weder über diese noch an einer sonstigen bekannten Anschrift verlässlich erreichbar ist.
Der Antragsteller hat hierzu nach einem Vermerk des Antragsgegners vom 28.11.2011 angegeben, dass er " eigentlich nirgendwo so richtig wohnen würde im Moment".
Ein Antrag auf Leistungen nach dem SGB II vom 03.11.2011 wurde mit nicht angefochtenem Bescheid vom 31.05.2012, der erneut am 31.05.2012 gestellte Antrag mit nicht angefochtenem Bescheid vom 23.07.2012 abgelehnt.
Mit Beschluss vom 20.06.2012, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, hat das Sozialgericht den am 21.05.2012 gestellten Eilantrag abgelehnt, der Antragsteller am 19.07.2012 Beschwerde eingelegt
Eine vom Senat eingeholte Melderegisterauskunft führte zu keinem Ergebnis.
Auf Anfrage des Senats hat der Mitarbeiter I. der Caritas M mitgeteilt, der Antragsteller sei über die Caritas erreichbar, da er in täglichem telefonischen Kontakt stehe. Post bekomme der Antragsteller sofort nach Eingang per Mail. Persönlich spreche er ca. zweimal im Monat vor. Es sei bekannt, dass sich der Antragsteller C bei Frau B. aufhalte. Er bekomme regelmäßig finanzielle Beihilfen und Lebensmittelgutscheine. Weitere Hilfen erhalte der Antragsteller nur in Form von Lebensmitteln und eines Schlafplatzes von Frau B., wofür er sie im Gegenzug pflegen müsse. Sein Gesundheitszustand sei aufgrund der fehlenden Krankenversicherung mittlerweile sehr bedenklich. Als Ergebnis einer amtsärztlichen Untersuchung sei der Antragsteller (sinngemäß) für mindestens sechs Monate arbeitsunfähig geschrieben worden.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB II, weil der hierfür erforderliche Anordnungsanspruch (im Hauptsacheverfahren voraussichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II) nicht glaubhaft gemacht ist.
Ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II besteht nicht, solange die Leistungsvoraussetzungen, insbesondere die Bedürftigkeit des Antragstellers und die verlässliche postalische Erreichbarkeit des Antragstellers für Zwecke der Arbeitsvermittlung nicht geklärt bzw. sichergestellt sind.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung erhalten Leistungen nach diesem Gesetz Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben,
2. erwerbsfähig sind,
3. hilfebedürftig sind und
4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfsbedürftige).
Leistungen nach dem SGB II erhält nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die 1. Änderungsanordnung vom 16. November 2001 (ANBA Nr. 12 vom 28. Dezember 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereichs aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend, § 7 Abs. 4a SGB II.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EAO kann ein Arbeitsloser Vorschlägen zur beruflichen Eingliederung zeit – und ortsnah Folge leisten, wenn er in der Lage ist, unverzüglich
1. von Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich Kenntnis zu nehmen,
2. das Arbeitsamt aufzusuchen,
3. mit einem möglichen Arbeitgeber oder Träger einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme in Verbindung zu treten und bei Bedarf persönlich mit diesem zusammenzutreffen und
4. eine vorgeschlagene Arbeit anzunehmen oder an einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu der bei Ansprüchen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III) ebenfalls geltenden EAO ist es unverzichtbar, dass sich der Arbeitslose zu irgendeiner Tageszeit nach Eingang der Briefpost in seiner Wohnung aufhält, um der Forderung des § § 1 Satz 2 EAO zu genügen. Die Anforderungen des § 1 EAO hat der Arbeitslose jedenfalls erfüllt, wenn er sich einmal werktäglich in seiner Wohnung aufhält, um die Briefpost in Empfang und zur Kenntnis zu nehmen, und dieser Zeitpunkt nach dem Eingang der Briefpost liegt (vgl. BSG Urteil vom 03.05.2001 – Az. B. 11 AL 71/00 R = juris Rn. 20 = SozR 3-4300 § 119 Nr. 2).
Bei Menschen ohne eigenen Wohnsitz, wie dem Antragsteller, können diese Anforderungen mangels Vorhandenseins einer Wohnung nicht erfüllt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie keine Leistungen nach dem SGB II beziehen können.
Der Gesetzgeber hat mit der Einfügung des § 36 Satz 3 in das SGB II zum 01. August 2006 deutlich gemacht, dass auch Nichtsesshafte Arbeitslosengeld II beziehen können sollen. Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/14120, S. 27 zu Nr. 31) lautet folgendermaßen:
"Die Regelung über die örtliche Zuständigkeit stellt bisher ausschließlich auf das Vorhandensein eines gewöhnlichen Aufenthaltsortes ab. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass es Lebensumstände und dementsprechend Leistungsfälle geben kann, in denen ein gewöhnlicher Aufenthaltsort nicht feststellbar ist oder nicht vorhanden ist. Gleichwohl sollen diese Menschen die Möglichkeit haben, an einer Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu partizipieren, ihre persönliche Situation zu stabilisieren und letztlich auch wieder sesshaft zu werden. Es handelt sich insoweit also um eine Regelungslücke, die adäquat geschlossen werden muss, um dem Gesetzeszweck Rechnung zu tragen und zu vermeiden, dass Menschen allein aufgrund ihrer atypischen Lebensgewohnheiten aus dem Grundsatz des Förderns und Forderns ausgeschlossen werden. Im Zweifel muss sich die örtliche Zuständigkeit daher am tatsächlichen Aufenthaltsort orientieren".
Für Wohnungslose müssen die Anforderungen des § 1 Satz 2 EAO daher modifiziert werden. Es muss jedoch sichergestellt werden, dass der Hilfesuchende jeden Tag für den Träger der Grundsicherung erreichbar ist. Dies ist nach Auffassung des Senats möglich durch eine tägliche persönliche Meldung des Hilfesuchenden bei dem Träger der Grundsicherung. Der Senat hat keine Bedenken gegen die von dem Antragsgegner praktizierte Verfahrensweise, nämlich dass sich der Antragsteller täglich bei einer anerkannten Beratungs- und Betreuungseinrichtung, die sich dann im jeweiligen Zuständigkeitsbereich des entsprechenden Trägers der Grundsicherung befindet, meldet (so auch Beschluss des LSG Berlin – Brandenburg vom 03.08.2008 – L 29 B 2228/07 AS; Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 4. Aufl., § 7 Rn. 112; Fachliche Hinweise der BA, Stand 21.05.2012, § 7 (7.79 sowie Anlage 3) ) und die sich verpflichtet, dem Träger der Grundsicherung mitzuteilen, wenn sich der Hilfesuchende dort nicht mehr meldet.
Damit kann den Anforderungen der EAO nachgekommen und gleichzeitig sichergestellt werden, dass der Träger der Grundsicherung erfährt, wenn sich der Hilfesuchende nicht mehr in seinem Zuständigkeitsbereich aufhält.
Dem rechtlichen Erfordernis tragen insbesondere auch die fachlichen Hinweise der BA zu § 7 SGB II (Stand 21.05.2012, § 7., (7.79)) Rechnung, insoweit sie eine Erreichbarkeit i.S.d. EAO auch dann als gegeben ansehen, wenn eine tägliche Vorsprache bei einer Betreuungs- oder Beratungsstelle für Nichtsesshafte oder einer ähnlichen Stelle erfolgt. Zur Unterstützung der verfahrensmäßigen Abwicklung wird hierzu ein Vordruck zur Verfügung gestellt, der nach dem aktenkundigen Sachverhalt auch dem Antragsteller und der Caritas M bekannt ist.
Der Antragsteller muss dem Antragsgegner daher – auch dies ist ihm bekannt – eine entsprechende "Erreichbarkeitsbescheinigung" vorlegen. Vordrucke hierfür sind beim Antragsgegner erhältlich.
Solange der Antragsteller diesen Anforderungen nicht nachkommt, sich also nicht entweder jeden Tag persönlich bei dem Antragsgegner meldet oder eine Beratungs- und Betreuungseinrichtung angibt und sich jeden Tag bei dieser meldet, ist er nicht erreichbar und hat keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.
Die vom Antragsteller zur Stützung seines Begehrens angeführte Entscheidung des Bayerischen LSG vom 02.02.2012 – L 11 AS 853/09 betrifft eine Sachverhaltsgestaltung vor Einführung der Verweisung in § 7 Abs. 4a SGB II auf die Bestimmungen der EAO.
Soweit das Bayerische LSG a.a.O. im Rahmen eines obiter dictums die Meinung vertreten hat, wesentliche Bestimmungen der EAO seien auch nach Einführung der Verweisung in § 7 Abs. 4a SGB II nicht anwendbar, weil das SGB II, anders als das Recht der Arbeitsförderung nach dem SGB III keine subjektive Verfügbarkeit verlange, stellt dies eine vereinzelt gebliebene Meinung dar, die weder den Wortlaut des geltenden Gesetzes- und Anordnungsrechts noch den erkennbaren Willen des Gesetzgebers bei Einführung von § 7 Abs. 4a SGB II hinreichend berücksichtigt.
Bei Einführung von § 7 Abs. 4a SGB II verfolgte der Gesetzgeber – unter ausdrücklicher Anknüpfung an die Leistungsvoraussetzung des gewöhnlichen Aufenthaltes – das Ziel, durch Präzisierung der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung und Ersetzung der bislang alleinigen Möglichkeit eines Teilentzuges durch den Wegfall des Anspruches insgesamt bei Nichterfüllung dieser Voraussetzungen die Motivation zur aktiven Teilnahme an der Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu stärken (BT-Drucks. 16/1696 S. 26 zu Nr.3).
Indem der Antragsteller fordert, auch unabhängig von der Erfüllung der Voraussetzungen nach § 7 Abs. 4a i.V.m. den Bestimmungen der EAO Leistungen nach dem SGB II erhalten zu können, verkennt er den Gesetzeszweck des SGB II insgesamt.
Dieser erschöpft sich nicht darin, Geld an diejenigen zu verteilen, die Mittel benötigen.
Wesentlicher Gesetzeszweck ist es vielmehr – vgl. § 1 SGB II – , bedürftige erwerbsfähige Personen möglichst schnell und vorrangig durch Vermittlung einer Tätigkeit mit existenzsicherndem Ertrag in die Lage zu versetzen, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen bzw. sie durch Gewährung von Eingliederungsleistungen anderer Art künftig hierzu zu befähigen.
Nach § 2 Abs. 2 SGB II müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte müssen ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen einsetzen.
Zur Verfolgung dieses Gesetzeszieles enthält das SGB II ein System des "Förderns und Forderns". In dessen Rahmen ist es nicht Aufgabe des Leistungsträgers, den aktuellen Aufenthalt des Antragstellers und Möglichkeiten der Kontaktaufnahme mit ihm zu ermitteln, vielmehr Sache des Antragstellers, seine Erreichbarkeit für die Arbeitsvermittlung und Eingliederungsangebote anderer Art im vorgenannten Sinne zu offenbaren und sicherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Dieser Beschluss ist nach § 177 SGG endgültig.
Erstellt am: 10.10.2012
Zuletzt verändert am: 10.10.2012