Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 29.05.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2018 verurteilt, der Klägerin eine Mammareduktionsplastik beidseits als Sachleistung zu gewähren. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Mammareduktionsplastik beidseits.
Die am XX.XX.XXXX geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Klägerin beantragte am 23.05.2018 die Gewährung einer Mammareduktionsplastik beidseits. Zur Begründung reichte sie drei ärztliche Bescheinigungen ein. Die Dres. I/L (FÄe für Hautkrankheiten) attestierten am 14.05.2018 die Erforderlichkeit einer Mammareduktionsplastik beidseits wegen rezidivierender, schmerzhafter Entzündungen unter den Brüsten. Eine Therapie mit einer Cortisoncreme sei ohne langanhaltenden Erfolg geblieben. Mit Attest vom 14.05.2018 empfahlen die Dres. I 1/X (FAe Allgemein Medizin, Neurochirurgie, Sportmedizin) ebenfalls die Durchführung einer Mammareduktionsplastik beidseits. Diese sei wegen rezidivierender, eitriger Brustinfektionen bei stark entwickelten Brustdrüsengewebe mit vergrößerter Mammae erforderlich. Auch die Ärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. F-G bescheinigte am 15.05.2018 die Indikation für eine Reduktionsplastik beidseits. Seit Jahren zeichne sich bei der Klägerin bei einem aktuellen Unterbrustumfang von 99,40 cm, einem Brustumfang von 119 cm mit einer Körpergröße von 1,60 m und einem Körpergewicht 82,70 kg eine stetige Volumenzunahme der Mammae beidseits ab. Dadurch komme es wiederholt zu schmerzhaften Einschränkungen der Beweglichkeit der Wirbelsäule mit Verspannungen. Dies führe zu der Erforderlichkeit einer medikamentösen Schmerzbehandlung.
Mit Bescheid vom 29.05.2018 teilte die Beklagte mit, dass noch eine Fotodokumentation, ggf. der Bericht des Operateurs sowie Angaben bereits durchgeführter konventioneller Therapien von einem Orthopäden fehlen würden. Des Weiteren führte sie aus:
"Aufgrund der fehlenden Unterlagen sind die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme durch die X zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben. Eine vollständige Klärung innerhalb der gesetzlichen vorgegebenen Frist ist nicht möglich. Wir müssen Ihren Antrag daher ablehnen. Sofern Ihnen die vollständigen Unterlagen vorliegen, reichen Sie diese bitte verbunden mit einem neuen Antrag oder Widerspruch gegen diese Ablehnung ein. Wir werden dann den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung zur Prüfung einschalten."
Am 28.06.2018 ging bei der Beklagten auf Veranlassung der Klägerin ein "fachärztlich-plastisch-chirurgisches Gutachten" von Dr. N (FA Plastische und Ästhetische Chirurgie sowie für Chirurgie) mit Bildmaterial basierend auf einer Vorstellung der Klägerin vom 12.06.2018 ein. Unter den Diagnosen Makromastie mit Ptosis III° beidseits, rezidivierende Entzündungen/Abszesse beidseits in der Brustumschlagsfalte, therapieresistente Ekzeme beidseits, rezidivierende Rückenschmerzen mit Klinikaufenthalten sowie einem Zustand nach Brust-OP sei eine Mammareduktionsplastik nach Strömbeck-Weiss mit freiem Mamillentransfer zu empfehlen.
Mit Schreiben vom 03.07.2018 informierte die Beklagte die Klägerin über die Weiterleitung des Antrags an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Im Übrigen werde noch ein formales Widerspruchsschreiben benötigt, denn erst, wenn dieser Widerspruch schriftlich vorliege, könne abschließend über das Ergebnis des Gutachtens informiert werden. Daraufhin legte die Klägerin am 05.07.2018 Widerspruch ein.
In der Kurzstellungnahme vom 03.07.2018 stellte der MDK fest, dass zunächst eine Gewichtsabnahme auf einen BMI von ca. 25 kg/m² und ein konsequentes Halten dieses Gewichts über drei Monate erforderlich seien. Parallel sollten eine orthopädische Mitbehandlung und eine adäquate BH-Versorgung erfolgen. Vorher bestehe keine Indikation. Mit Schreiben vom 09.07.2018 wies die Beklagte darauf hin, dass eine Kostenübernahme für die beantragte Mammareduktionsplastik weiterhin nicht in Betracht komme.
Mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2018 wies die Beklagte den Widerspruch unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des MDK als unbegründet zurück. Im Übrigen bestehe laut diversen Gerichtsurteilen kein wissenschaftlich bewiesener Zusammenhang zwischen Brustgröße und Rückenschmerzen.
Mit bei Gericht am 12.09.2018 eingegangener Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Gewährung einer Mammareduktionsplastik beidseits weiter. Zur Begründung der Ausschöpfung konservativer Behandlungsalternativen hat sie eine Übersicht der ihr von der Beklagten in den letzten Jahren gewährten Leistungen übersandt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.05.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2018 zu verurteilen, ihr die beantragte Mammareduktionsplastik beidseits als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Im Rahmen des Verhandlungstermins vom 08.05.2019 hat die Sitzungsvertreterin der Beklagten auf Nachfrage des Vorsitzenden mitgeteilt, dass bei derartigen Leistungsbegehren von den Sachbearbeitern zunächst geprüft werden müsse, ob noch weitere medizinische Ermittlungen erforderlichen seien. Bei einer Operation sei standardmäßig der Bericht eines Operateurs erforderlich und auch eine Fotodokumentation. Die Erfahrung zeige, dass zunächst ein Termin mit dem Operateur vereinbart werden müsse und sodann erst Fotos gefertigt würden, sodass die gesetzlichen Fristen nach dem Patientenrechtegesetz in solchen Fällen standardmäßig nicht eingehalten werden könnten. Es entspreche daher der Abklärung mit der Rechtsabteilung bzw. Unternehmensleitung in solchen Fällen Bescheide, wie den streitgegenständlichen Bescheid vom 29.05.2018, zu erteilen. Sobald ein hinreichend konkretisierter Antrag vorliege, werde dann eine erneute Bescheidung vorgenommen. Für die weiteren Ausführungen wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die erhobene allgemeine Leistungsklage ist zulässig, denn die Klägerin stützt ihr Begehren auf den Eintritt der fingierten Genehmigung ihres Antrags nach § 13 Abs. 3a S. 6 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – (SGB V) und damit auf einen fingierten Leistungsbescheid, der in Bestandskraft erwachsen ist. Nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Hierfür genügt es, dass ein bindender Verwaltungsakt (§ 77 SGG) vorliegt, der Leistungsträger aber gleichwohl nicht leistet (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 27.03.1980, Az.: 10 RV 23/79, Rn. 13, zit. nach juris). Ist die Genehmigung einer beantragten Leistung kraft Fiktion erfolgt, steht dies der Bewilligung der beantragten Leistung durch einen Leistungsbescheid gleich.
Die gegen den Bescheid neben der allgemeinen Leistungsklage erhobene isolierte Anfechtungsklage ist ebenfalls zulässig. Die Beklagte setzte mit ihrer Leistungsablehnung nicht das mit Eintritt der Genehmigungsfiktion beendete, ursprüngliche Verwaltungsverfahren fort, sondern eröffnete ein neues eigenständiges Verfahren (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2017, Az.: B 1 KR 24/17 R, Rn. 9-11, zit. nach juris).
Die Klage ist begründet, weil der Klägerin ein Anspruch auf Durchführung der beantragten Mammareduktionsplastik beidseits als Sachleistung aus § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V zusteht. Aus diesem Grund ist auch der Verwaltungsakt der Beklagten vom 29.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2018 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Nach § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V hat eine Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese nach § 13 Abs. 3a S. 2 SGB V unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (§ 13 Abs. 3a S. 3 SGB V).
Kann die Krankenkasse diese Fristen nicht einhalten, hat sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig mitzuteilen gemäß § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016, Az.: B 1 KR 25/15 R, Rn. 20, zit. nach juris).
Die beantragte Leistung gilt in diesem Sinne wegen Fristablaufs als genehmigt. Die Klägerin ist leistungsberechtigt, weil sie bei der Beklagten krankenversichert ist.
Da der Verwaltungsakt nicht erlassen, sondern fingiert wird, muss sich der Inhalt der fingierten Genehmigung aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Genehmigungsvorschriften hinreichend bestimmen lassen vgl. § 42a Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – (SGB X) hinreichend bestimmt ist (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016, Az.: B 1 KR 25/15 R, Rn. 23, zitiert nach juris).
Dies ist hier der Fall. Bereits aus dem Antrag vom 23.05.2018 gehen hinreichend bestimmt sowohl die Art der begehrten Behandlung (Mammareduktionsplastik) als auch die betroffene Körperregion (Mammae beidseits) hervor.
Die begehrte Mammareduktionsplastik stellt auch eine Leistung dar, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) liegt. Zur Überzeugung der Kammer durfte die Klägerin den beantragten Eingriff auch subjektiv für erforderlich halten. Diese Einschränkungen der Genehmigungsfiktion werden zwar nicht ausdrücklich normiert, ergeben sich aber aus dem Wortlaut, demzufolge sich die Leistungsberechtigten eine "erforderliche" Leistung nach § 13 Abs. 3a S. 7 SGB V selbst beschaffen können. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016, Az.: B 1 KR 25/15 R, Rn. 26, zit. nach juris).
Bereits unter Berücksichtigung der mit dem Antrag vom 23.05.2018 vorgelegten Atteste folgt für die Kammer, dass eine (fach)dermatologische Indikation für den begehrten Eingriff bestehen soll. Eine medizinisch indizierte Mammareduktionsplastik stellt eine Leistung der GKV dar. Aufgrund der eingereichten ärztlichen Bescheinigungen und der geschilderten dermatologischen Probleme einschließlich der beschriebenen, gescheiterten konservativen Behandlungsmaßnahmen durfte die Klägerin die Operation auch subjektiv für erforderlich halten Es handelt sich nicht um eine Fallgestaltung, wonach die Krankenkasse unter keinem Gesichtspunkt sachlich zuständig ist, eine systemfremde Leistung begehrt wird oder der gestellte Antrag willkürlich oder querulatorisch ist (vgl. Sozialgericht [SG] München, Urteil vom 16.06.2016, Az.: S 7 KR 409/15, Rn. 38, zit. nach juris).
Die Beklagte beschied den Antrag nicht innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3a S. 1 Alt. 1 SGB V. Der Antrag ist bei der Beklagten am 23.05.2018 eingegangen. Fristbeginn war damit der 24.05.2018 gemäß § 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Der Ablauf der Drei-Wochen-Frist ist am 13.06.2018 gemäß §°26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB eingetreten. Mit Ablauf des 13.06.2018 gilt die beantragte Mammareduktionsplastik als genehmigt gemäß § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V, weil die Beklagte innerhalb dieser Frist keine den Anforderungen des § 13 Abs. 3a SGB V genügende Sachentscheidung gegenüber der Klägerin bekannt gegeben hat.
Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt der Bescheid vom 29.05.2018 weder eine den Anforderungen des § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V genügende Fristverlängerung noch generell eine hinreichende Sachentscheidung dar, welche den Eintritt der Genehmigungsfiktion verhindert.
Entsprechend des Regelungszwecks, Bewilligungsverfahren zu beschleunigen und nicht hinreichend begründete Verzögerungen zu sanktionieren, genügt eine Krankenkasse ihrer Mitteilungspflicht im Sinne des § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V, wenn sie mindestens einen hinreichenden Grund schriftlich angibt. Ein solcher bewirkt für die von der Krankenkasse prognostizierte, tagegenau anzugebende Dauer des Bestehens, dass die Leistung trotz Ablaufs der Frist noch nicht als genehmigt gilt (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016, Az.: B 1 KR 25/15 R, Rn. 20, zit. nach juris).
Eine Fristverlängerung nach § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V unter Mitteilung eines hinreichenden Grundes liegt erkennbar nicht vor. Vorliegend enthält der Bescheid der Beklagten vom 29.05.2018 gerade keine prognostizierte, tagegenau anzugebende Dauer des Bestehens eines vermeintlichen Hinderungsgrundes für eine fristgerechte Entscheidung innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 13 Abs. 3a S. 1 SGB V. Dies bezweckte die Beklagte mit dem Bescheid auch gar nicht. Letztlich lehnte sie bereits vorsorglich, ohne jegliche Klärung der rechtlichen und medizinischen Leistungsvoraussetzungen und ohne Einleitung von Maßnahmen der Amtsermittlung (etwa Einschaltung des MDK) eine inhaltliche Prüfung des Antrags wegen vermeintlicher von der Klägerin noch zu erfüllender Mitwirkungshandlungen (Einreichung weiterer Unterlagen) ab. Ein derartiges pauschales Vorgehen, wenn – wie hier – vom Leistungsberechtigten Mitwirkungshandlungen verlangt werden, führt weder zu einer Verlängerung der Fiktionsfrist noch zu einem Entfallen der Fiktionswirkung unter dem Gesichtspunkt einer fristgerechten Sachentscheidung. Vielmehr stellt der Bescheid zur Überzeugung der Kammer unter Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont nach § 157 BGB bzw. um überhaupt eine gesetzlich vorgesehene Regelungswirkung entfalten zu können, einen, im Ergebnis rechtswidrigen, Versagungsbescheid im Sinne des § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch – (SGB I) dar. Schließlich verlangt § 66 Abs. 3 SGB I für den Fall einer Versagung oder Entziehung der Leistung wegen fehlender Mitwirkung, dass der Leistungsberechtigte zuvor auf diese Folge (Versagung oder Entziehung der Leistung) schriftlich hingewiesen worden und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist. Eine solche Mitteilung bzw. ein derartiger Hinweis sind nicht erfolgt.
Die Kammer geht unter Berücksichtigung des Wortlauts des § 13 Abs. 3a SGB V und der gesetzlichen Wertung des § 66 Abs. 3 SGB I davon aus, dass auch im Rahmen des § 13 Abs. 3a SGB V bei einem Mitwirkungsverlangen der Krankenkasse die fiktive Genehmigung nur dann nicht eintritt, wenn dem Leistungsberechtigten für seine Mitwirkung eine angemessene Frist gesetzt wurde und er auf die Folgen der fehlenden Mitwirkung hingewiesen wurde. Im Rahmen des § 13 Abs. 3a SGB V bedeutet dies, dass die Genehmigungsfiktion nicht automatisch entfällt oder erst später eintritt, wenn die Krankenkasse von dem Leistungsberechtigten eine Mitwirkung verlangt. Vielmehr tritt die fristgebundene Genehmigungsfiktion bei einer fehlenden Mitwirkung nur dann nicht ein, wenn die Krankenkasse den Leistungsberechtigten vor Ablauf der Drei- bzw. Fünf-Wochenfrist zu einer Mitwirkung auffordert, ihm eine Frist für die Erfüllung der Mitwirkungspflicht setzt und unter Benennung eines konkreten Datums darauf hinweist, dass jedenfalls bis zur Erfüllung der Mitwirkungspflicht die gesetzlich vorgesehene Genehmigungsfiktion nicht eintritt (so auch Landessozialgericht [LSG] Rheinland-Pfalz, Urteil vom 03.11.2016, Az.: L 5 KR 197/15, Rn. 17, SG Frankfurt, Urteil vom 28.11.2016, Az.: S 34 KR 264/14, Rn. 25, jeweils zit. nach juris).
Hier fehlt bereits ein Hinweis auf die Entscheidungsfrist sowie eine Fristsetzung zur Mitwirkung, so dass es bei der Drei-Wochen-Frist verbleibt, bis zur deren Ablauf ist keine Sachentscheidung erfolgte.
Der Klägerin steht auch der begehrte Sachleistungsanspruch aus der Genehmigungsfiktion zu, weil sich der Anspruch aus § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V nicht nur auf eine Erstattung der Kosten erstreckt. Bereits das BSG hat ausgeführt, dass der Naturalleistungsanspruch kraft Genehmigungsfiktion unter Beachtung von Sinn und Zweck der Regelung auch mittellosen Versicherten, die nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, ermöglichen soll, ihren Anspruch zu realisieren (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016, Az.: B 1 KR 25/15 R, Rn. 25, zit. nach juris). Dies ist allein über die Bewilligung als Sachleistung sicherzustellen. Bestätigt wird die Herleitung eines Sachleistungsanspruchs über § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V durch den Umstand, dass diesem andernfalls keine eigenständige Bedeutung gegenüber dem Kostenerstattungsanspruch aus Satz 7 zukommen würde.
Die fingierte Genehmigung hat sich auch nicht erledigt. Der angefochtene Bescheid der Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides lässt die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion unberührt, da die Ablehnung der Leistung im Sinne der §§ 45, 47 SGB°X weder ausdrücklich noch sinngemäß, weder förmlich noch inhaltlich eine Rücknahme oder den Widerruf der fingierten Genehmigung regelt (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016, Az.: B 1 KR 25/15 R).
Die Bescheidung vom 29.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.09.2018 ist rechtswidrig. Sie verletzt die Klägerin in ihrem sich aus der fiktiven Genehmigung ihres Antrags ergebenden Leistungsanspruch.
Ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass sie – sofern den Ausführungen zur Auslegung des Bescheides vom 29.05.2018 als Versagungsbescheid nicht gefolgt wird, sondern in diesem eine den Eintritt der Genehmigungsfiktion hindernde Sachentscheidung gesehen wird – diesen wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB X für nichtig befindet (vgl. noch offenlassend, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.10.2017, Az.: L 1 KR 368/17 B ER, Rn. 28, zit. nach juris)
Ein Verstoß gegen die guten Sitten liegt vor, wenn der Verwaltungsakt gegen das "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" verstößt. Nichtigkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn ein Verwaltungsakt in einem so schwerwiegenden Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und den ihr zugrundeliegenden Wertvorstellungen steht, dass es unerträglich wäre, wenn er die beabsichtigten Rechtswirkungen zeitigen würde (vgl. BSG, Urteil vom 23.06.1994, Az.: 12 RK 82/92, Rn. 29, zit. nach juris). Dies wäre nach Auffassung der Kammer der Fall.
Unter Bezugnahme auf die Einlassung der Beklagten im Verhandlungstermin entspricht es gerade der gängigen Verwaltungspraxis der Beklagten, dass bei der Aufforderung zu Mitwirkungshandlungen die gesetzlichen Fristen nach dem Patientenrechtegesetz in der Regel nicht eingehalten werden könnten und deshalb bereits vorsorglich eine Ablehnungsentscheidung ergehe. Mit dieser Verwaltungspraxis unterläuft die Beklagte bewusst das gesetzlich bezweckte Ziel der Genehmigungsfiktion, Verwaltungsverfahren im Interesse der Versicherten zu beschleunigen und nicht hinreichend begründete Verzögerungen zu sanktionieren. Ferner werden mit diesem Bescheid auch die von Gesetzes wegen vorgesehenen Regularien einer Ablehnung alleine aufgrund fehlender Mitwirkung nach § 66 SGB I umgangen. Eine derartige, nicht nur auf den Einzelfall bezogene, sondern generelle, zielgerichtete Aushöhlung des gesetzgeberischen Willens bzw. eine bewusste Umgehung der gesetzlich angeordneten Voraussetzungen der Möglichkeit zur Fristverlängerung nach § 13 Abs. 3a S. 5 SGB V oder § 66 Abs. 1 und 3 SGB I durch eine gesetzliche Krankenversicherung als Sozialleistungsträger ist mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der öffentlichen Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar. Die Gewährung einer solchen, den eindeutigen Gesetzeswortlaut bzw. die Gesetzessystematik ignorierenden und erklärten Willen des Gesetzgebers bewusst unterlaufenden Verwaltungspraxis ist geeignet, das Vertrauen in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nachhaltig zu erschüttern und verstößt daher gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. In dieser Einstufung sieht sich die Kammer auch unter Würdigung des Einzelfalles bestätigt, da die Beklagte ohne jegliche Würdigung der eingereichten dermatologischen Befunde weitere Unterlagen von der Klägerin angefordert hat, die letztlich durch den MDK gar nicht geprüft wurden. Vielmehr hat der MDK eine Kontraindikation allein aus dem Gewicht der Klägerin hergeleitet, welches bereits aus den mit der Antragstellung eingereichten Befunden hervorging. Mithin diente das Vorgehen der Beklagten allein der Außerkraftsetzung der Fristen des § 13 Abs. 3a SGB V, ohne dabei jedoch die gesetzlich vorgegebenen Voraussetzungen einzuhalten. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und trägt dem Obsiegen der Klägerin Rechnung.
Erstellt am: 18.07.2019
Zuletzt verändert am: 18.07.2019