Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 06.12.2000 geändert. Die Beklagte wird ihrem Teilanerkenntnis gemäß unter Änderung des Bescheides vom 13.11.1992 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.06.1993 verurteilt, der Klägerin unter Anerkennung von Beitragszeiten im Ghetto S … für den Zeitraum Februar 1941 bis Mai 1942 sowie Ersatzzeiten wegen Verfolgung von Oktober 1939 bis Januar 1941 und von Juni 1942 bis August 1945 Altersruhegeld auf den am 27.12.1989 gestellten Antrag, ggf. nach erfolgter Nachentrichtung von Beiträgen, nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das gesamte Verfahren. Die Revision wird nicht zugelassen. Soweit die Beklagte ihrem Anerkenntnis gemäß verurteilt worden ist, wird nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 313b Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) auf die Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe verzichtet.
Tatbestand:
Im Anschluss an das Teilanerkenntnis der Beklagten streiten die Beteiligten noch, ob für das zu gewährende Altersruhegeld der Klägerin weitere Beitragszeiten von Juli 1937 bis September 1939 und von November 1940 bis Januar 1941 sowie weitere Ersatzzeiten wegen Verfolgung von September 1945 bis Dezember 1948 zu berücksichtigen sind.
Die am …1922 in Dortmund geborene und in S … (Sosnowiec/Polen) aufgewachsene Klägerin ist Jüdin. Sie ist als Verfolgte i.S.d. § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt. Seit 1948 lebt sie in Israel, dessen Staatsbürgerschaft sie besitzt.
Am 27.12.1989 beantragte sie bei der Beigeladenen die Anerkennung von Versicherungszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) sowie die Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge.
Mit Bescheid vom 27.05.1991 lehnte die Beigeladene den Antrag auf Anerkennung von Versicherungszeiten ab, weil die Klägerin keine Unterlagen beigebracht habe.
Mit Bescheid vom 29.05.1991 lehnte die Beigeladene auch den Antrag auf Beitragsnachentrichtung nach § 21 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) ab.
Die Klägerin legte gegen beide Bescheide Widerspruch ein.
Am 06.11.1990 beantragte sie bei der Beigeladenen erneut Rente aus der deutschen Rentenversicherung. Sie machte Versicherungszeiten von Juni 1937 bis September 1939 als Verkäuferin bei der Firma G … (Grejcar) in S … mit gleichzeitiger Abendhandelsschule sowie von November 1940 bis Mai 1942 als Näherin im H … im Ghetto S … geltend.
Mit Bescheid vom 03.03.1992 hob die Beigeladene die Bescheide vom 27. und 29.05.1991 wegen Unzuständigkeit auf und gab den Vorgang an die Beklagte ab.
Die Klägerin legte eine schriftliche Erklärung der am 15.08.1925 geborenen M … (M …) J … vom 07.01.1992 vor, welche angab, die Klägerin aus S … zu kennen, wo sie im gleichen Haus gewohnt hätten. Sie seien auch zusammen ins Ghetto gekommen und hätten dort beide vom 01.11.1940 bis Mai 1942 im Nähschop von H … H … gearbeitet, bis sie ins Lager gekommen seien. Sie hätten Uniformen für die deutsche Armee genäht. Entgelt hätten sie in Ghettomarken erhalten, und es sei ihnen gesagt worden, es werde für sie die Versicherung bezahlt.
Die Beklagte zog die Entschädigungsakten der Klägerin vom Bayrischen Landesentschädigungsamt bei:
Aus den im Jahre 1965 vom Internationalen Suchdienst Arolsen übersandten DP-2-Karten mit dem Ausstellungsdatum 20.08.1945 geht hervor, dass die Klägerin nach dem Krieg im DP-Lager Landsberg gelebt hat. Im CM/1-Fragebogen hat die Klägerin unter dem 22.01.1948 angegeben, sie habe von 1928 bis 1938 die Volks- und Handelsschule in S … besucht. Von 1935 bis 1940 sei sie dort im Haushalt gewesen, von 1940 bis 1943 Schneiderin in einem Wäschereibetrieb, von 1943 bis 1945 Arbeiterin im KZ und von 1945 bis 1948 Strickerin in Landsberg.
In einer eidlichen, in Tel Aviv am 10.10.1954 abgegebenen Versicherung im Verfahren Landgericht München I – 14552/53 hatte die Klägerin u.a. angegeben, die Besatzungsbehörden hätten sie nach Errichtung des Ghettos S … ab Anfang 1940 gezwungen, im Ghetto zu leben. Sie habe dort zwangsweise tagtäglich unentgeltlich im Schneider-Ressort Held arbeiten müssen. Die Verpflegung im Ghetto hätten sie auf Karten erhalten.
In einem Fragebogen zum Schaden an Körper und Gesundheit hatte die Klägerin vor einem israelischen Anwalt am 24.07.1958 u.a. erklärt, sie sei bei Kriegsausbruch noch Schülerin gewesen und habe den Lebensunterhalt von ihrem Vater erhalten.
In einer eidlichen Erklärung vom 14.03.1965 zur Feststellung der – von der Klägerin seinerzeit reklamierten – Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis ist als Schulbidlung Volks- und Handelsschule genannt; letztere sei wegen Kriegsausbruchs unterbrochen worden. In einer eidlichen Erklärung vom gleichen Tage hatte die Klägerin ausgeführt, sie habe bei Kriegsausbruch in S … die Handelsschule besucht und habe nach deren Abschluss noch eine Höhere Handelsschule besuchen wollen; durch Kriegseinwirkung habe sie den Schulbesuch unterbrechen müssen.
In einer eidlichen Erklärung vom 13.02.1966 hatte die Klägerin u.a. ausgeführt, sie sei nach der Volksschule zunächst ein halbes Jahr zu Hause geblieben und habe dann ab ca. Ostern 1937 die Handelsschule in S … besucht. Diese Schule hätte sie eigentlich drei Jahre besuchen müssen, habe sie aber nach Kriegsausbruch nicht mehr besuchen dürfen. Eigentlich hätte sie im Anschluss daran die Handelsakademie besuchen wollen, um Bilanzbuchhalterin zu werden. Wie die Angaben über eine Tätigkeit im Haushalt von 1935 bis 1940 in den CM/1-Bogen gekommen sei, wisse sie nicht; sie habe das nie angegeben, da sie 1935 noch im schulpflichtigen Alter gewesen sei. Sie hätte es damals auch nie nötig gehabt, in fremde Dienste zu gehen, da es ihrem Vater wirtschaftlich sehr gut gegangen und er absolut in der Lage gewesen sei, ihr Handelsschulstudium zu bezahlen.
In einem nervenärztlichen Gutachten des Dr. L. L … (Jerusalem) vom 18.07.1960 ist ausgeführt worden, die Klägerin sei von sehr guter Intelligenz und spreche gut Polnisch und Deutsch; sie habe ferner in Israel gut Hebräisch gelernt.
Die Klägerin gab im Rentenverfahren in einer "wahrheitsgemäßgen Erklärung" vom 18.05.1992 u.a. an, sie sei von Juni 1937 bis September 1939 bei der Firma G … Manufakturwaren und Konfektionen in S … als Verkäuferin angestellt gewesen. Sie sei drei Monate angelernt worden.
Mit Bescheid vom 13.11.1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.1993 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Anrechenbare Versicherungszeiten seien nicht vorhanden. Eine Fremdbeitragszeit von Juni 1937 bis September 1939 sei auf Grund widersprüchlicher Angaben im jetzigen Rentenverfahren im Vergleich zum damaligen Entschädigungsverfahren nicht glaubhaft gemacht. Die geltend gemachten Tätigkeiten im Ghetto S … seien als Zwangsarbeiten anzusehen, die nicht im Rahmen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses verrichtet worden seien.
Hiergegen hat die Klägerin am 28.06.1993 Klage erhoben, mit der sie lediglich die Gewährung von Altersrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit während des Ghettoaufenthalts (November 1940 bis Mai 1942) verfolgte, während derer sie im Schneider-Ressort H … gearbeitet habe. Es sei unwahrscheinlich, dass sie keinen Lohn bezogen haben solle, während zahlreiche andere Verfolgte für die gleiche Arbeit entlohnt worden seien. In einer "wahrheitsgemäßen Versicherung" vom 27.05.1999 gab sie u.a. an, es habe sich damals herumgesprochen, dass es als Verfolgter besser sei zu arbeiten. So habe man sie als Näherin bei H … H … genommen. Durch diese Arbeit habe sie sich geschützter gefühlt, weil sie mit der Uniformherstellung für das deutsche Militär eine wichtige Arbeit geleistet habe. In ihrer damaligen Aussage sei ihr die Bedeutung von "unentgeltlich" nicht genau bekannt gewesen; sie erkläre, dass sie damals entlohnt worden sei. Eine Anfrage des Sozialgerichts nach näheren Angaben hierzu ist unbeantwortet geblieben; der Bevollmächtigte der Klägerin wies hierzu darauf hin, sie sei schwer nervenkrank, und dem israelischen Korrespondenten sei es nicht gelungen, von der Klägerin eine Erklärung zu erhalten.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.11.1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.06.1993 zu verurteilen, der Klägerin unter Anerkennung von (fiktiven) Beitragszeiten für den Zeitraum von November 1940 bis Mai 1942 Altersruhegeld nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer Entscheidung festgehalten. Da die Klägerin im Entschädigungsverfahren eine unentgeltliche Beschäftigung bei H … H … angegeben habe und in der Erklärung der Zeugin J … lediglich der Erhalt von Ghetto-Marken bekundet werde, habe es sich nicht um ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gehandelt.
Das Sozialgericht hat die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) beigeladen (Beschluss vom 06.01.1994). Die Beigeladene hat vorgetragen, eine Beitragszeit von Juni 1937 bis September 1939 als Verkäuferin sei mangels Nachweises bzw. Glaubhaftmachung abzulehnen. Die von der Klägerin gemachten jetzigen Angaben und vorgelegten Zeugenerklärungen stünden im Widerspruch zum Inhalt der Entschädigungsakte. Damals habe die Klägerin versichert, Schülerin gewesen zu sein und nicht gearbeitet zu haben.
Mit Beschluss vom 21.04.1994 hat das Sozialgericht das Ruhen des bisher unter dem Az. S 8 J 152/93 geführten Verfahrens angeordnet. Grund hierfür war, dass in anderen Verfahren geschichtswissenschaftliche Gutachten von Andrzej Bodek zur Klärung der tatsächlichen Arbeitsverhältnisse in verschiedenen Ghettos in Auftrag gegeben worden waren, die abgewartet werden sollten. Im April 1998 wurde das Verfahren unter neuem Aktenzeichen fortgesetzt.
Das Sozialgericht hat die Entschädigungsakten der Klägerin bei gezogen, ferner die Akte EK … M … vs. Freistaat Bayern (Entschädigung) des Landgerichts München I.
In der Akte des Landgerichts befindet sich eine eidliche Versicherung vom 10.10.1954 der D … P … geb. F … (geb. 10.10.1911), die u.a. angegeben hatte, sie habe bei Kriegsausbruch in S … gewohnt, habe in das Ghetto übersiedeln müssen und dort im Schneider-Shop H … die Klägerin tagtäglich getroffen. Diese sei dort wie sie selbst zwangsweise und unentgeltlich beschäftigt gewesen.
Die am 27.04.1927 geborene P … O … geb. S … hat unter dem 10.10.1954 in einer eidlichen Versicherung u.a. angegeben, sie habe bei Kriegsausbruch in S … gewohnt. Im Ghetto habe sie täglich Zwangsarbeit verrichten müssen. Sie habe dort die Klägerin getroffen, die unentgeltlich im Schneider-Ressort habe arbeiten müssen.
Mit Urteil vom 06.12.2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das am 17.01.2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30.01.2001 Berufung eingelegt. Mit der Berufung verfolge sie auch die Anerkennung einer Beitragszeit von Juli 1937 bis September 1939 sowie einer Ersatzzeit vom 01.06.1945 bis zur Auswanderung nach Israel im Jahre 1948. Sie trägt vor, wenn das Sozialgericht Zweifel hinsichtlich einer Unterscheidungsfähigkeit zwischen den Begriffen "entgeltlich" und "unentgeltlich" habe, so scheine es ausschließlich eine Barzahlung im Auge zu haben. Die Zeugin J … habe jedoch von Ghetto-Marken berichtet. Das Sozialgericht habe diesen Begriff im Sinne von Lebensmittelkarten verstanden. Das sei jedoch ein Irrtum. Es sei bekannt, dass in verschiedenen Ghettos – z.B. Lodz – noch nicht in Reichsmark oder Zloty entlohnt worden sei, sondern in Ghettogeld als Währungser satz mit Währungscharakter. Wenn sie seinerzeit mit "entgeltlich" also eine reguläre Währung – z.B. Reichsmark – gemeint habe, habe sie nichts Falsches gesagt. Denn die Ghetto-Marken habe sie nicht als "Entgeltlichkeit" im Sinne einer regulären Entlohnung angesehen. Inzwischen sei längst geklärt, dass Ghettobewohner, die im Unternehmen H … tätig waren, entlohnt worden seien. Es bestehe kein Grund anzunehmen, dass sie selbst nicht entlohnt worden sei.
In einem späteren Schriftsatz trägt die Klägerin vor, sofern sie selbst einmal von Ghetto-Geld gesprochen habe, sei dies irrtümlich geschehen; wenn eine Zeugin Ghetto-Marken erwähnt habe, so sei dies eine persönliche Interpretation der Zeugin gewesen. Im Schneider-Ressort H … sei, wie aus zahlreichen anderen Fällen bekannt, lediglich gegen Reichsmark gearbeitet worden. Zur Verwechslung der Begriffe unentgeltlich und entgeltlich werde aus Israel vorgehalten, dass jemand, dessen Muttersprache nicht Deutsch gewesen sei, diese Begriffe nicht unbedingt verstehen müsse. Wenn die Tätigkeit von 1937 bis 1939 im Entschädigungsverfahren nicht präzisiert worden sei, liege das daran, dass in diesem Verfahren nur allgemeine Informationen zu Tätigkeiten gegeben worden seien, ohne präzise jede einzelne Tätigkeit zu nennen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 06.12.2000 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.11.1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.06.1993 zu verurteilen, der Klägerin unter Anerkennung von Beitragszeiten für den Zeitraum von Juli 1937 bis September 1939 und von November 1940 bis 31.05.1942 sowie Ersatzzeiten wegen Verfolgung von Oktober 1939 bis Oktober 1940 und von Juni 1942 bis Dezember 1948 Altersruhegeld zu gewähren.
Die Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung das aus dem Tenor ersichtliche Teilanerkenntnis abgegeben. Sie beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, soweit sie über das erteilte Teilanerkenntnis hinausgeht.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Der Senat hat die Klägerin unter dem 15.03.2002 darauf hingewiesen, dass nach Auswertung der Akten die Zeuginnen P … und Oberlaender sowie eine weitere Zeugin S … F … geb. G … (geb. 03.11.1920) im Ghetto S … mit der Klägerin zu sammengetroffen sein wollten. Die Klägerin möge mitteilen, ob es noch Zeugen für die von ihr behaupteten Tätigkeiten gebe. Nachdem die Klägerin zunächst angekündigt hat, sie werde darauf noch zu rückkommen, hat sie sich hierzu im weiteren Verfahrensverlauf nicht mehr geäußert. Der Senat hat den Beteiligten am 16.07.2002 gegen 14.40 Uhr per Fax einen Aufsatz von N … E … S … über die Vernichtung der Juden des Ghettos in S … in deutscher Übersetzung übermittelt (Original: Zaglada Zydow Sosnowca, Katowice 1946). Darin ist u.a. ausgeführt, dass in den Jahren 1941 und 1942 in S … zahlreiche sog. Schuppen entstanden seien, die Juden beiderlei Geschlechts beschäftigt hätten. Der erste dieser Schuppen sei im Februar 1941 entstanden; sein deutscher Inhaber sei H … H … gewesen. Dort hätten insgesamt ca. 4.000 Personen gearbeitet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Aufsatz von S … Bezug genommen.
Mit einem Schriftsatz vom 18.07.2002, der am 22.07.2002 beim Landessozialgericht eingegangen ist, hat die Klägerin eine viel zu kurzfristige Übersendung des gerichtlichen Schreibens vom 16.07.2002 gerügt. S … habe sich möglicherweise um ein Jahr geirrt, wenn er angebe, dass das Schneider-Ressort H … ab Februar 1941 bestanden habe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der beigezogenen Entschädigungsakten des Landesausgleichsamts Bayern sowie der beigezogenen Akte EK 14552/53 des Landgerichts München I Bezug genommen. Dieser Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung entscheiden, obwohl weder die Klägerin noch ihr Bevollmächtigter den Termin wahrgenommen haben. Denn der Bevollmächtigte der Klägerin ist in der Terminsmitteilung auf diese sich aus §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 1, 126 SGG ergebende Möglichkeit hingewiesen worden. Die Terminsmitteilung ist dem Bevollmächtigten ausweislich seines Empfangsbekenntnisses vom 26.06.2002 ordnungsgemäß zugestellt worden.
Die Berufung ist, soweit sie die Berücksichtigung weiterer als der mit dem Teilanerkenntnis der Beklagten anerkannten rentenrechtlichen Zeiten begehrt, zulässig, aber nicht begründet.
Eine weitere Beitragszeit von Juli 1937 bis September 1939 ist nicht glaubhaft gemacht. Die Klägerin hat erstmals im Rentenverfahren für diesen Zeitraum eine Tätigkeit als Verkäuferin in einem Geschäft G … Manufakturwaren und Konfektionen in S … behauptet. Für eine solche Beschäftigung liegen bis auf diese eigenen Angaben der Klägerin im Rentenverfahren keinerlei Indizien vor; insbesondere wurden insoweit keine Zeugen benannt oder Zeugenerklärungen vorgelegt. Die eigenen Angaben der Klägerin widersprechen jedoch ihren früheren Angaben. So hat sie schon 1948 im CM/1-Fragebogen diese Tätigkeit nicht erwähnt, sondern eine bis 1938 dauernde Schulbildung sowie von 1935 bis 1940 eine Tätigkeit oder einen Aufenthalt im Haushalt. In ihrer Erklärung vom 14.03.1965 hat sie von einem Schulbesuch bis Kriegsausbruch berichtet, der eigentlich sogar noch habe fort gesetzt werden sollen. In ihrer Erklärung vom 13.02.1966 hat sie für die Zeit ab Ostern 1937 den Besuch der Handelsschule angegeben, dem eigentlich der Besuch der Handelsakademie habe folgen sollen. Von einer nur abends besuchten Handelsschule war in beiden Erklärungen nicht die Rede. Im übrigen hat die Klägerin in der Erklärung vom 13.02.1966 eigens darauf hingewiesen, dass es ihrem Vater wirtschaftlich sehr gut gegangen sei und sie es nie nötig gehabt habe, in fremde Dienste zu gehen. Insgesamt geht der Senat deshalb davon aus, dass der Vortrag im Rentenverfahren über die Verkäuferinnentätigkeit nicht der Wahrheit entspricht.
Eine weitere Beitragszeit von November 1940 bis Januar 1941 ist ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Die Klägerin will bereits in diesem Zeitraum entgeltlich im H …-Nähshop im Ghetto S … beschäftigt gewesen sein. Die von ihr selbst zur Glaubhaftmachung vorgelegte Erklärung der Zeugin J … benennt zwar genau den von der Klägerin geltend gemachten Zeitraum, wobei Entgelt in Ghetto-Marken gezahlt und auch gesagt worden sei, es werde "Versicherung bezahlt". Diese Angaben widersprechen jedoch zum einen den eigenen Angaben der Klägerin im Entschädigungsverfahren, wonach sie zwangsweise unentgeltlich habe arbeiten müssen. Sie hat in der Erklärung vom 10.10.1954 allerdings eine Verpflegung auf Karten angegeben. Dies wäre zwar mit den "Ghetto-Marken" der Zeugin J … in Einklang zu bringen, würde der Entlohnung jedoch den Entgeltcharakter nehmen. Die Unentgeltlichkeit und der Zwangscharakter der Tätigkeit sind im übrigen im Entschädigungsverfahren auch von den Zeuginnen P … und O … bestätigt worden. Wenn die Klägerin hinsichtlich der "Unentgeltlichkeit" ein sprachliches Missverständnis geltend macht, so erscheint dies nicht glaubhaft. Zum einen müssten auch die beiden Zeuginnen dem gleichen Missverständnis erlegen sein, zum anderen hat die Klägerin seinerzeit selbst ihre Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis geltend gemacht. Sie spricht dem Gutachten des Dr. L … vom 18.07.1960 zufolge auch gut Deutsch. Eine entgeltliche, nicht zwangsweise Tätigkeit vor dem durch die Beklagte bereits anerkannten Zeitraum ist deshalb durch die Erklärungen der Klägerin und der Zeugin J … nicht glaubhaft gemacht, weil sie bereits danach jedenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich erscheint.
Der Senat ist vielmehr sogar der Überzeugung, dass eine entgeltliche Tätigkeit im Shop H … vor Februar 1941 widerlegt ist.
Insofern stützt er sich auf die bereits 1946 von S … in seinem Aufsatz "Zaglada Zydow Sosnowca" aufgezeichneten historischen Abläufe. Danach war der H …-Shop der erste der sog. Schuppen, die in S … als für die deutsche Wehrmacht produzierende Betriebe errichtet worden sind. S … datiert diese Errichtung erst auf Februar 1941. Der Senat sieht keinen Anhaltspunkt dafür, dass diese Datierung nicht den Tatsachen entsprochen habe. Denn der Aufsatz wurde im Jahr nach Kriegsende geschrieben, zu einem Zeitpunkt also, als die Erinnerung an den Kriegsausbruch im September 1939 und an die genauere Chronologie der damit einsetzenden nationalsozialistischen Judenverfolgung in Polen noch besonders detailliert bestand. Wäre insbesondere eine Errichtung der Schuppen im Ghetto S … erheblich früher erfolgt, so hätte zwischen Kriegsausbruch und der Errichtung nur ein kurzer Zeitraum gelegen. Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass sich S … im Jahre 1946 insoweit in der zeitlichen Festlegung erheblich geirrt hat. Eine Erinnerungstäuschung hinsichtlich der genauen Chronologie ist vielmehr bei der Klägerin und der Zeugin J … viele Jahre nach den in Frage stehenden Ereignissen nicht unwahrscheinlich.
Schließlich sind auch die Voraussetzungen für eine Ersatzzeit von September 1945 bis Dezember 1948 nicht glaubhaft gemacht. Nach § 1251 Abs. 1 Nr. 4 Reichsversicherungsordnung (RVO) setzt eine solche Ersatzzeit u.a. eine Krankheitszeit oder unverschuldete Arbeitslosigkeit voraus. Die Klägerin hat jedoch 1948 im CM/1-Bogen angegeben, von 1945 bis 1948 Strickerin in Landsberg gewesen zu sein. Laut den DP2-Karten ist sie bereits im August 1945 im DP-Lager Landsberg/Lech registriert worden. Der Senat geht deshalb davon aus, dass sie spätestens ab September 1945 die von ihr selbst angegebene Tätigkeit als Strickerin ausgeübt hat. Ob dies auch eine beitragspflichtige Tätigkeit gewesen ist, muss der Senat nicht entscheiden. Denn die Klägerin hat insoweit keine Beitragszeit geltend gemacht; im übrigen ist insoweit auch eine Beitragsentrichtung weder behauptet noch nachgewiesen oder glaubhaft gemacht.
Der Schriftsatz der Klägerin vom 18.07.2002 wurde erst im Anschluss an den Termin gefertigt und übersandt; er konnte deshalb bei der Entscheidung des Senats keine Berücksichtigung mehr finden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Anlass zur Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG besteht nicht.
Erstellt am: 14.08.2003
Zuletzt verändert am: 14.08.2003