Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 30.05.2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Klägerin vom 03.07.2006, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 24.07.2006), ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat zu Recht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren abgelehnt und der Klage hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne der §§ 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) abgesprochen. Der Senat verweist hinsichtlich der Begründung zunächst auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG).
Die Klägerin wendet sich gegen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 30.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2005 in der Fassung der Bescheide vom 19.12.2005 und 22.12.2005 hinsichtlich ihrer Bewilligungsbescheide für die Monate Januar bis März 2005. Die Beklagte beruft sich darauf, die Leistungsgewährung habe auf Tatsachen beruht, die unrichtig bzw. falsche gewesen seien. Entgegen der sie treffenden Obliegenheit habe die Klägerin trotz entsprechender Belehrung eine Änderung in den Einkommensverhältnissen der Bedarfsgemeinschaften nicht mitgeteilt.
Rechtsgrundlage des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides sind nach der gebotenen summarischen Prüfung die §§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3, Abs. 4 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) und 50 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Danach kann sich ein Begünstigter hinsichtlich der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit nicht auf Vertrauensschutz berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat ((§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X).
Ausweislich des auf Verlangen des Senats vorgelegten Bescheides der Agentur für Arbeit Hagen vom 07.12.2004, mit dem Leistungen für den Bewilligungszeitraum Januar bis Juni 2005 bewilligt wurden, lag diesem – wie üblich – als Anlage ein Berechnungsbogen bei, der als berücksichtigtes Einkommen neben Kindergeld beim jetzigen Ehemann der Klägerin lediglich einen Betrag von 425,88 EUR aufführte. Zudem ist erläutert, dass sich das damit angegebene Netto-Erwerbseinkommen aus dem Brutto-Einkommen abzüglich der "abzusetzenden Beträge (z.B. Steuern, Sozialversicherungsbeiträge, Werbungskosten)" ergebe. Im Bescheid wird wegen der Zusammensetzung der Höhe der der Bedarfsgemeinschaft monatlich zustehenden Leistungen unter drucktechnischer Hervorhebung auf den Berechnungsbogen verwiesen. Der Senat teilt daher die Auffassung der Klägerin nicht, sie habe die Rechtswidrigkeit des Bescheides nicht erkennen müssen, da es ihr an Vergleichsmöglichkeiten gefehlt habe.
Für die Kenntnis oder das Kennen-Müssen der Rechtswidrigkeit des aufzuhebenden Verwaltungsaktes genügt eine entsprechende Parallelwertung in der Laiensphäre im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes voraus (von Wulffen, SGB X, Kommentar, 4. Auflage, § 45 Rdnr. 23). Insoweit besteht die Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn diese nicht ausdrücklich geregelt ist (BSG, Urteil vom 08.02.2001 – B 11 AL 21/00 R = SozR 3-1300 § 45 Nr 45). Der Senat hält es für erforderlich und zumutbar, einen Berechnungsbogen, der ausdrücklich durch die Beklagte als Bestandteil des jeweils maßgeblichen Bescheides benannt wird, zu lesen. Anders als ein Merkblatt mit lediglich abstrakten Ausführungen etwa zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen (vgl. BSG, a.a.O.) enthält der Berechnungsbogen konkrete Ausführungen zur Leistungshöhe und insbesondere ggf. zu berücksichtigtem Einkommen und Vermögen. Zu Recht hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass das weitere aktenkundige Verhalten der Klägerin auch dafür spricht, dass sie subjektiv in der Lage war, die Fehlerhaftigkeit des Bescheides zu erkennen. Es spricht darüber hinaus viel dafür, dass die Klägerin auch den Berechnungsbogen zur Kenntnis genommen hat und ihr schließlich die Abhängigkeit der Leistungshöhe vom Einkommen der Bedarfsgemeinschaft bewusst ist und war.
Weitere Ausführungen dazu, ob die Klägerin sich auch deshalb nicht auf Vertrauen berufen kann, weil der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die sie vorsätzlich oder grobfahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X) erscheinen daher vorliegend nicht erforderlich.
Die Klägerin übergab aber bei Antragstellung im Oktober 2004 ein Zusatzblatt 2 zur Einkommenserklärung/Verdienstbescheinigung für den Antragsteller sowie für Angehörige, ausweislich dessen ihr Lebenspartner und jetziger Ehemann B H für den Zeitraum 17.08. bis 31.08.2004 ein Bruttoarbeitsentgelt von 892,12 EUR (netto 554,31 EUR) hatte. Nicht zu problematisieren ist hier insoweit, warum nicht bereits zu diesem Zeitpunkt Angaben zum Arbeitsentgelt im Monat September möglich waren. Durch ihre Unterschrift versicherte die Klägerin, dass die von ihr gemachten Angaben zutreffen. Sie erklärte, sie werde Änderungen insbesondere der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse unaufgefordert und unverzüglich mitteilen. Die Beklagte erhielt von höherem Einkommen der Bedarfsgemeinschaft hingegen erst Kenntnis, als die Klägerin aufgrund zwischenzeitlich eingetretener erneuter Arbeitslosigkeit des Herrn H im Februar bzw. März 2005 um höhere Leistungen nachsuchte.
Insoweit spricht derzeit viel dafür, dass die Klägerin die ihr aufgrund der Belehrung bekannten Mitwirkungspflichten entsprechend § 60 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch (SGB I) (vgl. auch Wiesner in: von Wulffen, SGB X, 5. Auflage, 2005, § 45 RdNr. 22) verletzt hat. Sie kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Beklagte hätte ihrerseits erkennen müssen, dass die Einkommensangaben lediglich für den Monat August 2004 Aussagekraft haben konnten. Dies ergibt sich bereits nicht aus der vorgelegten Verdienstbescheinigung, selbst wenn dort aufgeführt ist, die Tätigkeit sei erst am 17.08.2004 aufgenommen worden. Es handelt sich insoweit jedenfalls nicht um eine offensichtliche Unvollständigkeit bzw. Widersprüchlichkeit in den Angaben, die durch die Behörde weiter aufzuklären gewesen wären. Nur ein solcher offenkundiger Fehler kann dem Bürger nicht zum Nachteil gereichen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag auch für die Klägerin erkennbar Wirkung erst für die Zeit nach dem 01.01.2005 entfalten konnte.
Dass die Klägerin über den Zusammenhang von Einkommenshöhe und Leistungshöhe nach dem SGB II durchaus informiert war, hat das Sozialgericht – wie bereits dargelegt – zur Überzeugung des Senats zu Recht bereits dem aktenkundigen Verhalten im Zusammenhang mit der erneuten Arbeitslosigkeit ihres Partners Anfang 2005 entnommen. Auch der Senat hält diesen Zusammenhang im Übrigen für allgemein bekannt. Es kommt auch nicht darauf an, ob sie, wie von ihr vorgetragen, bei Antragstellung die Vorstellung gehabt hat, sie habe " alles richtig" gemacht. Selbst wenn ihr zu diesem Zeitpunkt die Erzielung höherer Einkünfte in den folgenden Monaten nicht bekannt gewesen sein sollte, ändert dies nichts an der Verpflichtung die Änderung in den wirtschaftlichen Verhältnissen anzuzeigen.
Kosten sind nach §§ 73a SGG, 127 Abs. 4 ZPO nicht zu erstatten.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 08.03.2007
Zuletzt verändert am: 08.03.2007