Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine auf Entschädigung gerichtete Klage nach §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Er macht eine unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens S 5 AS 463/11 Sozialgericht (SG) Münster geltend.
In diesem Rechtsstreit hat der Kläger am 21.06.2011 Klage gegen das Jobcenter des Kreises X im Wesentlichen mit dem Begehren erhoben, ihm unter Abänderung der Entscheidungen des Beklagten vom 18.05.2011 und 08.06.2011 für die Zeit vom 01.02.2011 bis 31.07.2011 weiterhin um monatlich 87,69 EUR höhere Leistungen zu den Kosten der Unterkunft zu bewilligen. Am 16.04.2013 hat der Kläger Verzögerungsrüge erhoben und dabei die lange bisherige Laufzeit unter Hinweis auf die Mitteilung des SG vom 14.03.2013, dass mit einer Terminierung erst in der zweiten Jahreshälfte zu rechnen sei, beanstandet. Am 07.11.2013 hat der Kläger "Verzögerungsklage" erhoben und zu deren Durchführung die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.
II.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe, weil der Entschädigungsklage keine Aussicht auf Erfolg zuzumessen ist (§ 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Satz 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO)).
Für ein Klageverfahren wegen einer Entschädigung auf Grund einer unangemessenen Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens sind die Vorschriften des § 198 Abs. 1 GVG sowie die §§ 183, 197a und 202 SGG in der ab 03.12.2011 geltenden Fassung durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) vom 24.11.2011 (BGBl. I S. 2302), zuletzt geändert durch das Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06.12.2011 (BGBl. I S. 2554) maßgebend.
Davon ausgehend ergibt sich:
Nach Art. 23 S. 1 ÜGG gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die wie vorliegend bei seinem Inkrafttreten am 03.12.2011 bereits anhängig waren.
Für die Entscheidung über eine Klage i.S.d. §§ 198 ff. GVG ist das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen zuständig. Nach § 200 S. 1 GVG haftet das Land für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Landes eingetreten sind. Für Klagen auf Entschädigung gegen ein Land ist nach § 201 Abs. 1 S. 1 GVG das Oberlandesgericht (OLG) zuständig, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Für sozialgerichtliche Verfahren ergänzt § 202 S. 2 SGG diese Regelung dahin, dass die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§ 198 – 201 GVG) u.a. mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden sind, dass an die Stelle des OLG das LSG und an die Stelle der ZPO das SGG tritt.
Daraus folgt die Zuständigkeit des LSG Nordrhein-Westfalen; das streitgegenständliche Gerichtsverfahren S 5 AS 463/11 SG Münster wird und wurde im Bezirk des LSG Nordrhein-Westfalen durchgeführt.
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG statthaft, sie ist aber unbegründet.
Anspruchsgrundlage für einen Entschädigungsanspruch wegen einer unangemessenen Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens ist § 198 Abs. 1 GVG i.V.m. § 202 SGG. Nach § 198 Abs. 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrens-beteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG).
Entschädigung wird für materielle und immaterielle Schäden geleistet. Für immaterielle Schäden erleichtert § 198 Abs. 2 GVG die Geltendmachung. Danach wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.
Entschädigung enthält ein Verfahrensbeteiligter aber nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Andernfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 GVG).
Nach Art. 23 ÜGG gilt für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des ÜGG am 03.12.2011 schon verzögert sind, § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss. In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum.
Das gerichtliche Verfahren S 5 AS 463/11 SG war am 03.11.2011 noch anhängig und noch nicht abgeschlossen, so dass der Kläger unverzüglich nach Inkrafttreten des ÜGG am 03.12.2011 zur Wahrung seiner Rechte aufgrund bereits eingetretener unangemessener Verfahrensdauer eine Verzögerungsrüge hätte erheben müssen. Daran fehlt es indes, so dass mögliche Entschädigungsansprüche wegen überlanger Verfahrensdauer zumindest bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ÜGG präkludiert sind (Bundesfinanzhof (BFH), Zwischenurteil vom 07.11.2013 – X K 13/12; Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 10.04.2014 – III ZR 335/13 -).
Auf eine positive Kenntnis des Klägers von den Regelungen des ÜGG kommt es schon wegen der Publizitätswirkung formeller Gesetze nicht an. Im Übrigen kann dem Kläger wegen der Fristversäumnis auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) gewährt werden. Bei der Frist des Art. 23 ÜGG handelt sich um eine materiell-rechtlich wirkende Ausschlussfrist, die unabhängig von der Kenntnis des Anspruchsinhabers beginnt (vgl. zur Frist des Art. 23 letzter Satz ÜGG: Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 19.12.2012 – 2 K 22/12 – m.w.N; Senat, Beschluss vom 30.06.2014 – L 11 SF 364/12 VE AS -).
Nach h.M. in der Rechtsprechung und Literatur (BGH, Urteil vom 10.04.2014 a.a.O. m.w.N. "wohl einhelliger Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur"; anders aber wohl BFH, Zwischenurteil vom 07.11.2013 a.a.O.) ist bei nicht unverzüglich erhobener Verzögerungsrüge auch die Zeit ab Inkrafttreten des ÜGG bis zum Zeitpunkt der Verzögerungsrüge präkludiert. Ob dieser h.M. zu folgen ist, kann vorliegend dahinstehen. Denn im gesamten Rechtsstreit S 5 AS 463/11 SG Münster ist keine entschädigungspflichtige Verzögerung des Rechtsstreits eingetreten, so dass es letztlich auch nicht auf die vorab erörterte Frage der Unverzüglichkeit der Verzögerungsrüge ankommt.
Bis Juni 2012 wurde das mit Klageeingang am 21.06.2011 begonnene sozialgerichtliche Verfahren systematisch und zielgerichtet vom SG betrieben, indem es die Beteiligten wiederholt nicht nur zur Stellungnahme zu gegnerischen Schriftsätzen, sondern auch zur Beantwortung gerichtlicher Anfragen angehalten hat. Erst im Mai bzw. Juni 2012 hat das SG den Rechtsstreit für insoweit "ausgeschrieben" erachtet, als dass es die Anberaumung eines Erörterungstermins für sachdienlich erachtet hat. Von Juni 2012 bis zum 29.05.2013 (mithin rechnerisch annähernd ein Jahr) wurde der Rechtsstreit nicht weiterbetrieben. Ab 29.05.2013 (Schriftsatz vom 28.05.2013) und nachfolgend nahezu durchgehend hat der Kläger neuen Vortrag, wie z.B. eine fehlerhafte Wohnflächenberechnung oder Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, eingebracht, zu dem dem Beklagten rechtliches Gehör und auch umfangreich genutzte Gelegenheit zur Gegenäußerung gewährt werden musste bzw. auch gewährt wurde. Auf diese Art und Weise wurde der Rechtsstreit zumindest bis zum 07.11.2013 (Erhebung der Entschädigungsklage) fortbetrieben.
Im Ergebnis ist also lediglich für die knapp 12 Monate von Mai/Juni 2012 bis Mai 2013 ein rein rechnerischer Stillstand des Verfahrens zu vermerken, der den Kläger im April 2013 durchaus berechtigt veranlasst hat, eine Verzögerungsrüge zu erheben. Denn es bestand zu diesem Zeitpunkt hinreichender Anlass zur Besorgnis, dass der Rechtsstreit nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen werden wird.
Indes rechtfertigt der o.a. Stillstand von ca. 12 Monaten keine Entschädigung i.S.d. § 198 GVG; denn dadurch ist keine unangemessene Dauer des Verfahrens eingetreten. Dabei kommt es nicht darauf an, dass das SG in der allein rechnerisch bestimmten Zeit eines Stillstands von knapp 12 Monaten zweimal der Beklagten die Verwaltungsakten zur Verfügung stellen musste oder dass das SG nach seiner Mitteilung vom 17.04.2013 wegen hoher Arbeitsbelastung keinen früheren Erörterungstermin hat anberaumen können. Entscheidend ist, dass die vorgenannte Zeit keine Entschädigung trägt.
Allein aufgrund einer Zeitdauer kann nicht auf eine unangemessene Verfahrensdauer geschlossen werden. Denn § 198 GVG, der wiederum auf den Vorgaben der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, s. z.B. BVerfG, Beschluss vom 14.12.2010 – 1 BvR 404/10 -) beruht (vgl. dazu Oberverwaltungsgericht (OVG) des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25.07.2012 – 7 KE 1/11 – m.w.N.), gibt keine gesetzlich definierte Grenze für die Angemessenheit der Verfahrensdauer vor, sondern knüpft im Gegenteil an eine im Einzelfall unangemessene Verfahrenslänge an. Mit § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG hat der Gesetzgeber ausdrücklich von einer "Fristenlösung" abgesehen, weil sie der Vielfältigkeit prozessualer Situationen nicht gerecht würde (u.v.a. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.07.2013 – 5 C 27/12 -; OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25.07.2012 a.a.O.; OLG Köln; Urteil vom 21.03.2013 – 7 SchH 5/12 -; vgl. auch Scholz, Rechtsschutz gegen überlange Verfahrens-dauer in SGb 2012, 19, 21 f.). Im Übrigen ist eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, auch nicht möglich, weil die Zügigkeit von Verfahren kein absoluter Wert, sondern stets im Zusammenspiel mit den übrigen Verfahrensgrundsätzen und dem Interesse an einer gründlichen Bearbeitung durch das Gericht zu sehen ist (BT-Drs. 17/3802 S. 18). § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt deshalb nur beispielhaft und ohne abschließenden Charakter Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind (BT-Drs. a.a.O.): die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Zu beachten ist bei der Bewertung eines Zeitraums als unangemessen i.S.d. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG überdies, dass Zeiten, die u.a. für eine Meinungsbildung des angerufenen Gerichts (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 21.02.2013 – B 10 ÜG 1/12 KL -) erforderlich sind, nicht als Verzögerungszeit zu berücksichtigen sind. Gleichermaßen besteht auch kein Anspruch darauf, dass ein Rechtsstreit, auch wenn er entscheidungsreif ist, sofort bzw. unverzüglich vom Gericht entschieden wird. Der Staat ist nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass jedes anhängige Verfahren sofort und ausschließlich von einem Richter bearbeitet werden kann. Vielmehr muss ein Rechtsuchender damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Verfahren zu bearbeiten hat. Insofern ist ihm eine gewisse Wartezeit zuzumuten (BSG, Urteil vom 21.02.2013 a.a.O.). Die Verfahrensdauer ist damit als unangemessen anzusehen, wenn eine Abwägung aller Umstände ergibt, dass die aus den §§ 198 ff. GVG folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen, verletzt ist (OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25.07.2012 a.a.O.). Davon ausgehend ist nicht ausgeschlossen, dass ein rein rechnerisch ermitteltes Jahr Verfahrensstillstand zu einer unangemessenen Verfahrensdauer führen kann. Zu berücksichtigen ist aber, dass jeder Rechtssuchende eine gewisse, keineswegs unbeträchtliche Wartezeit (s.o.) hinzunehmen hat, die je nach Lage des Falles auch ein Jahr betragen kann. Eine genaue Festlegung der hinzunehmenden Wartezeit ist vorliegend nicht erforderlich; denn ob ein Erörterungstermin ggf. um zwei oder drei Monate hätte früherer stattfinden müssen, letztlich also eine Verzögerung von 2 oder 3 Monaten eingetreten ist, ist wegen ihrer Geringfügigkeit unerheblich. Darauf, dass – wie der weitere Verfahrenslauf aufzeigt – ein früherer Erörterungstermin schon wegen des nachfolgenden neuen bzw. ggf. dezidierten Vorbringen des Klägers auch nicht in der Sache weitergeführt hätte, kommt es damit schon nicht mehr an.
Das Verfahren ist auch nicht auszusetzen. Nach § 201 Abs. 3 Satz 1 GVG kann das Entschädigungsgericht das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 GVG abhängt, noch andauert. Dafür besteht indes kein Anlass, da bis zur Erhebung der Entschädigungsklage kein i.S.d. §§ 198 ff. GVG entschädigungspflichtiger Tatbestand eingetreten ist. Es ist auch nicht Aufgabe des Senats, solange zu warten, bis ggf. in dem Hauptverfahren "irgendwann" doch ein entschädigungspflichtiger Tatbestand entstanden ist (BGH, Urteil vom 23.01.2014 – III ZR 37/13 -).
III.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 10.09.2014
Zuletzt verändert am: 10.09.2014