Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 19.03.2014 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller für die Forderung aus Energieschulden in Höhe von 1648,50 EUR vorläufig ein Darlehen zu gewähren. Die Zahlung in Höhe von 1648,50 EUR ist unmittelbar an die Beigeladene zu leisten. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die darlehensweise Übernahme von Stromschulden bei der Beigeladenen durch den Antragsgegner.
Der 1974 geborene Antragsteller bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) von dem Beklagten.
Mit Schreiben vom 21.11.2013 verwies die Beigeladene auf Stromschulden des Antragstellers ganz überwiegend aus zurückliegenden Zeiträumen, drohte eine Stromsperre an und verfügte diese zugleich. Die Beigeladene hat am 21.02.2014 einen Vollstreckungsbescheid aufgrund eines am 19.12.2014 zugestellten Mahnbescheides gegen den Antragsteller erlangt (Forderungen inkl. Wiederinbetriebnahmekosten 1643,27 EUR zzgl. Zinsen bis 19.12.2013 von 210,93 EUR = 1854,20 EUR).
Den Antrag auf Übernahme der Stromschulden vom 05.12.2013 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 10.12.2013 ab. Der Antragsteller habe die Rückstände selbst verschuldet.
Der Antragsteller hat am 13.12.2013 Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beim Sozialgericht (SG) gestellt und die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 1648,50 EUR zur Tilgung von Stromschulden beantragt. Der Strom sei im November 2013 abgestellt worden. Er habe seit Jahren keinen Strom mehr gezahlt. Dies könne er sich nur so erklären, dass wegen seiner Selbstständigkeit immer wieder von ihm als vorrangig eingestufte Forderungen beglichen worden seien. Er befinde sich in einer schwierigen Situation, auch bedingt durch eines schwere Depression. Andere Stromanbieter wären nicht bereit gewesen, mit ihm einen Vertrag abzuschließen.
Der Antragsgegner hat betont, dass es sich um Altschulden des Antragstellers handele. Dies ergebe sich aus dem Kundenkontoauszug vom 22.11.2013, der als Summe der per 17.11.2011 offenen Beträge 1648,50 EUR liste. Der Leistungsträger sei kein "Ausfallbürge des Energieversorungsunternehmens". Zudem habe der Antragsteller nicht (ausreichend) glaubhaft gemacht, dass er keinen Vertrag bei einem alternativen Anbieter abschließen könne.
Das SG hat die T AG mit Beschluss vom 21.02.2014 zum Verfahren beigeladen. Die Belgeladene hat in Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass ein gesetzlich in § 19 Abs. 2 Stromversorgungsverordnung verbrieftes Recht zur Einstellung der Versorgung auch für Altschulden besteht. Die Sicherstellung der Zahlung für den künftigen Verbrauch sei nicht ausreichend. Eine Ratenzahlungsvereinbarung könne nicht getroffen werden. Die Träger der Sozialhilfe seien gehalten, (Alt)Schulden zu übernehmen. Zudem würde ihre Ansicht auch von der zivilgerichtlichen Rechtsprechung geteilt.
Das SG hat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 19.03.2014 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, es fehle an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Zumutbare Selbsthilfemöglichkeiten seien nicht ausgeschöpft. Der Antragsteller habe nach eigenen Angaben bei drei Anbietern erfolglos versucht, einen Vertrag abzuschließen. Weitere Bemühungen seien nicht erfolgt, insbesondere nachdem der Antragsgegner den Hinweis auf den "Strom-Shop in E", der bei Wechsel des Energielieferanten behilflich sei, gegeben habe. Der Antragsteller habe auf Nachfrage des SG insoweit nicht seine Bemühungen geschildert, sondern lediglich mitgeteilt, dass ohne Begleichung der Schulden kein Wechsel möglich sei.
Gegen den am 21.03.2014 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 26.03.2014 Beschwerde eingelegt. Er verfolgt sein Begehren weiter. Ohne Begleichung der Schulden sei keine Stromzufuhr möglich. Dies habe ihm der Herr vom "Strom-Shop" mitgeteilt. Ergänzend hat der Antragsteller Schreiben von "F" vom 10.04.2014 und "M GmbH" vom 14.04.2014 vorgelegt, wonach eine Belieferung des Antragstellers wegen einer negativen Bonitätsprüfung nicht möglich ist.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet.
Gemäß § 86 b Absatz 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dies ist dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere, unzumutbare und nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25.10.1988 – 2 BvR 174/88). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) vom jeweiligen Antragsteller glaubhaft gemacht werden, § 86 b SGG in Verbindung mit den §§ 920 Absatz 2, 294 ZPO. Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache reicht noch nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Es genügt jedoch, dass diese Möglichkeit unter mehreren relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (Bundessozialgericht, Beschluss vom 28.08.2001 – B 9 V 23/01 B). Die mit einer einstweiligen Anordnung auf die Durchführung einer Maßnahme in der Regel zugleich verbundene Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache erfordert darüber hinaus erhöhte Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruches und des Grundes, da der einstweilige Rechtsschutz trotz des berechtigten Interesses des Rechtssuchenden an unaufschiebbaren gerichtlichen Entscheidungen nicht zu einer Verlagerung in das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes führen darf. Erforderlich ist mithin das Vorliegen einer gegenwärtigen und dringenden Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich macht. Soweit es um die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz geht, müssen die Gerichte die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen bzw. wenn dies nicht möglich ist, auf der Basis einer Folgenabwägung auf Grundlage der bei summarischen Prüfung bekannten Sachlage entscheiden (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05; Breithaupt 2005, 830 ff. m.w.N.; Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Auflage 2012, § 86 b Rn. 29 a).
Im Sinne der Folgenabwägung ist der Antrag auf darlehensweise Übernahme der Energieschulden begründet.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Wohnung des Antragstellers ist seit November 2013 nicht mehr mit Strom versorgt. Damit fehlt dem Antragsteller die Möglichkeit, in der Wohnung zu kochen, Lichtquellen zu nutzen, zu waschen etc.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ob ein endgültiger Anspruch auf Gewährung eines Darlehens wegen der Rückstände nach § 22 Abs. 8 SGB II besteht, braucht der Senat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend zu entscheiden.
Nach § 22 Abs. 8 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Wegen der vergleichbaren Notlage bei Energierückständen für sonstigen Haushaltsstrom, der als Teil des Regelbedarfs eigentlich nicht den Unterkunftskosten zuzuordnen ist, können auch Energieschulden im Rahmen des § 22 Abs. 8 SGB II übernommen werden (LSG NRW, Beschluss vom 19.09.2013 – B 7 AS 1591/13 B ER; Beschluss vom 18.07.2012 – L 7 AS 1256/12 B ER; Beschluss vom 15.06.2012 – L 19 AS 728/12 B ER; Beschluss vom 13.05.2013 – L 2 AS 313/13 B ER; Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 22 Rn. 193 m. w. N.; Boerner in Löns/Herold-Tews, 3. Aufl. 2011, § 22 Rn. 125). Die Sperrung der Energieversorgung ist eine Notlage, die die Bewohnbarkeit der Wohnung beeinträchtigt und die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Sicherung der Unterkunft i.S.v. § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II indiziert. Ist die Sperrung nicht nur angekündigt, sondern bereits durchgeführt, entspricht dies drohender Wohnungslosigkeit i.S.v. § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II (LSG NRW, Beschluss vom 25.06.2013 – L 7 AS 765/13 B ER; Beschluss vom 13.05.2013 – L 2 AS 313/13 B ER). Das Jobcenter kann dann die Gewährung eines Darlehens zum Ausgleich der bestehenden Schulden beim Energieversorger nur in atypischen Fällen ablehnen (Luik in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 22 Rn. 244).
Der Antragsgegner erbringt für den Antragsteller laufende Leistungen nach § 22 Abs. 1 SGB II. Dem Grunde nach kommt eine darlehensweise Übernahme der Schulden in Betracht. Die Übernahme der aufgelaufenen Schulden ist im Sinne von § 22 Abs. 8 SGB II objektiv geeignet, die Energieversorgung wieder herzustellen und prognostisch gesehen dauerhaft zu sichern. Die bestehende Notsituation kann durch die darlehensweise Übernahme der Leistungen behoben werden, so dass die Wohnung wieder bewohnbar wäre. Schonvermögen, dass der Antragsteller gem. § 22 Abs. 8 S. 3 SGB II vorrangig zur Behebung der Notlage einzusetzen hätten, besteht nach dem derzeitigen Sachstand nicht. Nicht abschließend klären lässt sich im Rahmen des Eilverfahrens, ob die darlehensweise Übernahme der Schulden nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II endgültig gerechtfertigt ist. Dies wird im Hauptsacheverfahren zu klären sein.
In Betracht kommt die Schuldenübernahme generell nur, wenn diese objektiv geeignet ist, die Energieversorgung (dauerhaft) zu sichern und die Leistungsberechtigten die zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft haben. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung hat der Antragsteller die ihm zumutbaren Möglichkeiten zur Selbsthilfe (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss vom 20.08.2012 – L 2 AS 1415/12 B ER; Beschluss vom 18.07.2012 – L 7 AS 1256/12 B ER; Beschluss vom 16.04.2012 – L 19 AS 556/12 B ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13.03.2012 – L 2 AS 477/11 B ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13.01.2012 – L 3 AS 233/11 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.09.2011 – L 14 AS 1533/11 B ER; Berlit a.a.O. § 22 Rn. 194) ausreichend ausgeschöpft. Bereits im erstinstanzlichen Verfahren hat er dargelegt, dass er bei drei Stromanbietern erfolglos einen Vertrag abschließen wollte. Zudem hat er im Beschwerdeverfahren von zwei weiteren Anbietern das Schreiben über die Ablehnung eines Vertragsabschlusses wegen nicht vorhandener Bonität vorgelegt. Des Weiteren hat die Beigeladene eine Ratenzahlungsvereinbarung ausgeschlossen. Zudem hat der Antragsgegner keine Alternativen aufgezeigt oder dem Antragsteller, wie nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats notwendig, mit Rat und Tat zur Seite gestanden (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss vom 14.08.2013 – L 7 AS 1143/13 B ER).
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II muss ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Leistungsberechtigte hinsichtlich rückständiger Energiekosten stets auf zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz verwiesen werden darf. Denn nach der Rechtsauffassung mehrerer Zivilgerichte ist der Energieversorgungsträger zu einer Wiederaufnahme der unterbrochenen Energieversorgung erst dann verpflichtet, wenn zuvor die gesamten rückständigen Energiekosten getilgt worden sind (vgl. zur zivilrechtlichen Rechtslage Gotzen, ZfF 2007, S. 248, 249 f.). Zudem entbindet eine Mitwirkungsobliegenheit des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach der Rechtsprechung des Senats (LSG NRW, Beschluss vom 15.10.2012 – L 7 AS 1730/12 B ER) den Grundsicherungsträger nicht von seiner in § 17 SGB I begründeten Förderungspflicht. Der Grundsicherungsträger muss dafür Sorge tragen, dass dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nur die Mitwirkung abverlangt wird, die objektiv und subjektiv zumutbar ist. In tatsächlicher Hinsicht ist vorliegend zudem zu beachten, dass bereits ein Vollstreckungsbescheid vorliegt.
Andere Einzelfallumstände, die eine Schuldenübernahme klar als nicht gerechtfertigt erscheinen lassen würden, sind nicht erkennbar. Insbesondere vermag allein die Tatsache, dass der Antragsteller die Entstehung der Rückstände möglicherweise zu einem nicht unerheblichen Teil selbst verursacht hat und diese sich über einen langen Zeitraum summiert haben, einer Schuldenübernahme nicht entgegenzustehen. Die Übernahme von Schulden ist nicht allein bei wirtschaftlich unvernünftigem (vorwerfbarem) Verhalten des Leistungsberechtigten abzulehnen. Die Regelung des § 22 Abs. 8 SGB II liefe sonst leer, weil Schulden im dort genannten Sinn in aller Regel auf ein Fehlverhalten des Leistungsberechtigten zurückzuführen sind (BSG, Urteil vom 17.06.2010 – B 14 AS 58/09 R – Rn. 31). Für einen absichtlichen Leistungsmissbrauch, der die Übernahme der Schulden möglicherweise als missbräuchlich erscheinen lassen würde, bestehen vorliegend jedenfalls keine ausreichenden Anhaltspunkte.
Letztendlich hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass jedenfalls im Zeitpunkt der Beschlussfassung durch den erkennenden Senat keine andere Möglichkeit für die zukünftige Sicherstellung der Versorgung mit Strom außer der Inanspruchnahme eines Darlehens nach § 22 Abs. 8 SGB II besteht.
Ohne die beantragten Leistungen drohen dem Antragsteller existentielle Nachteile, die er aus eigener Kraft nicht abwenden kann. Nicht unberücksichtigt bei der Abwägung blieb für den Senat zudem, dass dem Antragsteller am 14.01.2014 für eine einmonatige Tätigkeit bei B GmbH Lohn in Höhe von 1427,00 EUR zugeflossen ist. Jedoch war dieser Betrag zum einen nicht ausreichend, die sich aus dem Vollstreckungsbescheid ergebende Forderung in Höhe von 1854,20 EUR (bis 19.12.2013) zu begleichen. Zum anderen geht der Senat davon aus, dass dieser Lohn Gegenstand der Anrechnung auf die laufende Grundsicherung sein wird. Demgegenüber hat der Antragsgegner "nur" finanzielle Nachteile zu gewärtigen, wenn der Antragsteller im Hauptsacheverfahren mit seinem Begehren nicht durchdringen sollte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 12.06.2014
Zuletzt verändert am: 12.06.2014