Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 08.06.2007 geändert. Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgelehnt. Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Antragstellerinnen leben bzw. lebten (die Antragstellerin zu 1) bis Mai 2007) mit ihrer Mutter und deren neuem Ehemann (P.) in einer Haushaltsgemeinschaft. Die Antragsgegnerin bewilligte ihnen bis zum 31.12.2007 anteilig Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Eine Bescheidung des Fortzahlungsantrags ab 01.01.2006 lehnte die Antragsgegnerin mangels Vorlage von Einkommensnachweisen des P. ab.
Die Antragstellerinnen haben am 05.03.2007 beim Sozialgericht (SG) Dortmund den Antrag gestellt, die Antragsgegnerin einstweilig zu verpflichten, ihnen vorläufig Grundsicherungsleistungen zu bewilligen. Sie haben geltend gemacht, P. verweigere seine Unterstützung sowie die Offenlegung seiner Einkommensverhältnisse, da er sich nicht als unterhaltsverpflichtet ansehe. Die vollständige Anrechnung des Einkommens eines Stiefelternteils widerspreche auch der zu dieser Frage zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung. Hinzu komme, dass beim Einkommen des P. Nachtarbeitszuschläge zu Unrecht bisher berücksichtigt worden seien.
Mit Beschluss vom 08.06.2007 hat das SG die Antragsgegnerin vorläufig verpflichtet, den Anspruch der Antragstellerinnen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Kammer und unter dem Vorbehalt des Ausgangs der Hauptsache vorläufig zu bescheiden und Leistungen für die Zeit ab dem 05.03.2007 auszuzahlen mit der Maßgabe, die Anrechnung des Einkommens des Stiefvaters der Antragstellerinnen vorläufig nach Maßgabe des § 9 Abs. 5 SGB II vorzunehmen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, nach dem Willen des Gesetzgebers liege es nahe, dass das Einkommen von Stiefeltern nicht in gleicher Weise wie das leiblicher Eltern zu berücksichtigen sei, sondern nur in dem eingeschränkten Umfang des § 9 Abs. 5 SGB II Anrechnung finden dürfe. Die Berechnung der Leistungen im Einzelnen hat es der Antragsgegnerin vorbehalten.
Die dagegen gerichtete Beschwerde, mit der die Antragsgegnerin eine fehlerhafte Anwendung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II rügt und der das SG nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 18.06.2007), ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). An Letzterem fehlt es hier.
Schon die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs begegnet Bedenken. Nach § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24.03.2006 (BGBl. I S. 558) sind bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder Vermögen beschaffen können, auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners zu berücksichtigen. Dem Wortlaut dieser Vorschriften nach sind daher Einkommen und Vermögen des Stiefvaters auf die Ansprüche der Antragstellerinnen ohne die Privilegierung des § 9 Abs. 5 SGB II i.V.m. § 1 Abs. 2 der Arbeitslosengeld II / Sozialgeld-Verordnung (ALG II-V) anzurechnen. Soweit in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten wird, die weiteren Freibeträge letzterer Bestimmungen seien im Verhältnis von Stiefkindern und Stiefeltern gleichwohl zu berücksichtigen, weil der Gesetzgeber mit der Änderung des § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB V nur die Ungleichbehandlung von verheirateten und unverheirateten Partnern, die mit den leiblichen Kindern ihres Partners in einer Haushaltsgemeinschaft leben, habe beseitigen wollen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen Beschl. v. 18.04.2007 – L 9 AS 139/07 ER -; SG Berlin Beschl. v. 20.12.2006 – S 37 AS 11401/06 ER), überzeugt dies nicht. Allerdings fand nach der bis zum 30.06.2006 gültigen Rechtslage auf erstere § 9 Abs. 5 SGB II Anwendung. Da nur insoweit die Haushaltsgemeinschaft mit Verschwägerten bestehen konnte ( § 1590 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB -), galt dies aber nicht zwischen dem (neuen) unverheirateten Partner von Mutter oder Vater und deren leiblichen Kindern, so dass insoweit eine Vermögens- und Einkommensanrechnung bei den Ansprüchen der Kinder nicht erfolgte. Diese Ungleichbehandlung wurde als verfassungswidrig angesehen (vgl. z.B. Mecke in Eicher/ Spellbrink, SGB II, § 9 Rn 55). Zwar hat der Gesetzgeber diese ausdrücklich beseitigen wollen (BT-Drucks. 16/1410 S. 20); wenn er es aber nicht durch Erweiterung des § 9 Abs. 5 SGB II, sondern durch Änderung des § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II getan hat, zeigt dies jedoch seine Erwartung, dass Stiefeltern (oder Partner von Elternteilen) ihr Einkommen für Stiefkinder (oder Partnerkinder) in gleicher Weise einsetzen wie für leibliche Kinder (vgl. Wenner, SozSich 2006, 146, 150). Ob eine solche Betrachtungsweise Verfassungsrecht, insbesondere Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt, ist umstritten (ablehnend LSG NRW Beschl. v. 25.06.2007 – L 9 B 94/07 AS ER; SG Lübeck Beschl. v. 02.03.2007 – S 29 AS 28/07 ER -; Klaus in jurisPK – SGB II, § 9 Rn 47-49; bejahend Wenner a.a.O., 152; offen gelassen von Brühl / Schoch in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 9 Rn 27). Der Senat kann die Frage hier dahinstehen lassen. Nur die Notwendigkeit der Vorlage nach Art. 100 GG an das Bundesverfassungsgericht rechtfertigt nämlich den Erlass einer einstweiligen Regelung (vgl. BVerfG, DVBl. 1996, 1367; Dumke in Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 361 Rn 85 m.w.N.). Daran fehlt es hier jedoch schon mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.
Der Regelbedarf der Antragstellerin zu 1) wird schon durch das Kindergeld und die ihr seit November 2006 gezahlte Berufsausbildungsbeihilfe gedeckt, wobei dahinstehen kann, ob letztere Leistung nicht ohnehin einen Ausschluss des Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II begründet. Ebenfalls kann offen bleiben, ob sich aufgrund des Auszugs der Antragstellerin zu 1) aus der (stief-)elterlichen Wohnung zusätzliche Ansprüche ergeben können, weil ihr insoweit jedenfalls zuzumuten ist, einen erneuten Antrag bei der Antragsgegnerin zu stellen.
Durch das Kindergeld ist auch der Regelbedarf der Antragstellerin zu 2) im Wesentlichen gedeckt, bezüglich der Antragstellerin zu 3) zumindest in Höhe von mehr als der Hälfte. Da nichts dafür spricht, dass P. für die Kosten der Unterkunft und Heizung nicht aufkommen müsste und könnte (vgl. dazu auch Brühl/Schoch a.a.O., § 22 Rn 15), sind keine schweren und unzumutbaren Nachteile ersichtlich, die ohne Erlass der beantragten einstweiligen Regelungen drohten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Stiefvater nach seinem verfügbaren Nettoeinkommen – selbst ohne Berücksichtigung der Nachtarbeitszuschläge – ohne weiteres für den bestehenden Differenzbetrag zwischen Kindergeld und Regelbedarf der Antragstellerinnen zu 2) und 3) aufkommen kann und er diesen wirtschaftlichen Nachteil ohne weiteres durch Eintrag eines entsprechenden Kinderfreibetrages auf seiner Steuerkarte (vgl. dazu Wenner a.a.O. 150) ausgleichen kann.
Der Beschwerde ist daher mit der auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung stattzugeben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 07.08.2007
Zuletzt verändert am: 07.08.2007