Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. Februar 1997 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Altersruhegeld aus der deutschen Rentenversicherung.
Die am …1922 in R …Polen geborene jüdische Klägerin, die als Verfolgte im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt ist und seit 1946 als israelische Staatsangehörige in P …Israel lebt, beantragte im November 1990, ihr unter Anerkennung von Fremdrentenzeiten und nach Zulassung zur Nachentrichtung bzw. zur Weiterversicherung von freiwilligen Beiträgen Rente zu gewähren. Dazu gab sie in dem Fragebogen vom 26.05.1991 und in einer eigenen schriftlichen Erklärung vom 26.05.1991 an, daß sie von 1937 (1934?) bis 1939 das Technische Gymnasium K … besucht habe, um Lehrerin für Modellschneiderei zu werden; außerdem sei sie von 1938 bis zum Kriegsausbruch im Jahre 1939 Schneiderin in der … gewesen. Ob sie ein Arbeitsentgelt erhalten habe, wisse sie nicht mehr. Nach dem Krieg habe sie von 1945 bis Mai 1946 als Schneiderin in …Italien gearbeitet und von 1946 bis 1949 als Schneiderin in …Israel.
In dem Fragebogen zur Feststellung ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) vom 26.05.1991 teilte die Klägerin zusätzlich mit, daß sie von 1939 bis 1945 der Verfolgung ausgesetzt gewesen sei; sie sei im KZ Auschwitz, im Ghetto und in Arbeitslagern gewesen. Sie habe im Herkunftsgebiet bis 1945 deutsch gesprochen und danach deutsch, polnisch; die jiddische oder hebräische Sprache habe sie nicht gebraucht. Ihre Eltern seien ebenfalls in deutscher Muttersprache aufgewachsen und hätten im persönlichen Lebensbereich überwiegend deutsch gesprochen.
In der vorgelegten Erklärung vom 28.05.1991 bestätigte der 1926 in R … geborene Zeuge L … aus Israel, daß die Klägerin als Schneiderin in der C …beschäftigt gewesen sei. 1940 seien sie ins Ghetto … gekommen; 1943 seien sie nach B … abtransportiert worden und anschließend nach Auschwitz.
Die 1926 in … geborene Zeugin … gab in ihrer schriftlichen Erklärung vom 26.05.1991 an, daß sie die Klägerin seit Kindheit gut kenne. Von daher wisse sie, daß in deren Elternhaus deutsch gesprochen worden sei. Nach dem Kriegsausbruch seien sie ins Ghetto … gekommen, anschließend ins Arbeitslager … und 1943 nach Auschwitz.
Die Beklagte zog die die Klägerin betreffenden Entschädigungsakten des Amts für Wiedergutmachung in Saarburg bei. Danach hatte die Klägerin (die im Entschädigungsverfahren mit dem Geburtstag …1922 geführt wurde) in ihrem Antrag auf Entschädigung für NS-Verfolgungsopfer vom 20.12.1953 u.a. erklärt, daß sie im Januar 1941 ins Ghetto … und ab Oktober 1943 ins KZ … verbracht worden sei.
Laut Bericht über die Feststellung ihrer Zugehörigkeit zum dSK vom 07.02.1965 hatte die Klägerin bei ihrer Prüfung am 02.02.1965 mitgeteilt, daß sie bis 1939 die Volks- und Mittelschule in …besucht habe. Zur Frage ihrer Berufsausbildung und Berufstätigkeit hatte sie nichts ausgefüllt. Abschließend war der Sprachprüfer zu dem Schluß gelangt, daß die Klägerin mühelos deutsch rede, schreibe und lese; ihre Muttersprache sei Deutsch; sie habe dem dSK angehört.
In dem Antrag auf Entschädigung für Schaden an Körper oder Gesundheit vom 07.08.1963 hatte die Klägerin ausgeführt, daß sie nach der Besetzung ihrer Heimatstadt sofort schwerste Zwangsarbeit mit elender Ernährung habe leisten müssen. Sie habe eine Reihe der schwersten Lager durchgemacht. Auf die Frage nach ihrer Zugehörigkeit zu Krankenkassen vor der Verfolgung hatte sie ausgefüllt: "entfällt". Sie habe von 1929 bis 1939 die Volksschule und das Gymnasium besucht. Angaben bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse vor der Verfolgung wurden nur zu den Einkünften ihres Vaters gemacht.
Die 1926 in … geborene Zeugin … und die 1919/1920 in …geborene Zeugin …hatten in "Eidlichen Erklärungen" vom 08.08.1963 bzw. vom 22.09.1963 die Angaben der Klägerin bestätigt, daß sie nach der Besetzung R …durch die Deutschen zur Zwangsarbeit herangezogen worden sei; in deren Elternhaus sei deutsch gesprochen worden. Die Zeuginnen … und … führten in "Eidlichen Erklärungen" vom 07.09.1955 zusätzlich aus, daß sie ab Ende 1940 mit der Klägerin in dem von der SS bewachten Ghetto … inhaftiert gewesen seien. Sie hätten den Judenstern tragen und verschiedene Zwangsabeiten verrichten müssen.
Laut Anamnese in einem ärztlichen Gutachten vom 27.12.1970 hatte die Klägerin angegeben, sie habe im Ghetto …in einer Schneiderei … ohne Bezahlung gearbeitet. Eine zeitlang sei sie auch beim Bahnbau eingesetzt gewesen.
Während des Verwaltungsverfahrens reichte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung von Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres vom 01.03.1992 ein. Darin gab sie nunmehr an, daß sie von 1928 bis 1935 eine Schulausbildung und von 1935 bis 1937 eine abgeschlossene Fachschulausbildung durchlaufen habe. Von Januar 1937 bis September 1939 habe sie als Schneiderin in der … gearbeitet. Sie habe ein Entgelt von 150,– Zloty erhalten und Beiträge zur staatlichen Versicherung abgeführt. Die Heimatauskunftsstelle Polen II in Hannover berichtete mit Schreiben vom 21.09.1992, daß die Stadt R …bei der polnischen Volkszählung vom 09.12.1931 insgesamt 26.902 Einwohner gehabt habe. Davon hätten u.a. 20.187 Polnisch, 6.570 Jiddisch bzw. Hebräisch und 10 Deutsch als Muttersprache deklariert. R …habe in einem Gebiet gelegen, in dem der überwiegende Teil der Israeliten jiddisch gesprochen habe, ein Teil auch polnisch. Es habe auch in der Umgebung zu keiner Zeit deutsche Vereinigungen oder deutsche Schulen bzw. Schulen mit deutscher Unterrichtssprache gegeben. An den öffentlichen Schulen G …s sei seit 1867 Polnisch die Unterrichtssprache gewesen und zu österreichischer Zeit bis 1918 Deutsch die zusätzlich unterrichtete Fremdsprache an allen höher organisierten Schulen.
Durch Bescheid vom 27.01.1993 lehnte die Beklagte den Antrag vom 07.11.1990 auf Gewährung einer Rente aus der Arbeiterrentenversicherung ab, weil die Klägerin keine anrechenbaren Versicherungszeiten zurückgelegt habe. Die geltend gemachten ausländischen Zeiten könnten nur dann nach dem Fremdrentengesetz (FRG) angerechnet werden, wenn die Klägerin zu Beginn ihrer nationalsozialistischen Verfolgung (§ 17 a FRG) oder zur Zeit des Verlassens ihres Vertreibungsgebiets (§ 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung, WGSVG) dem dSK angehört hätte. Im konkreten Fall werde eine Anerkennung abgelehnt, weil die behauptete Beschäftigung wegen widersprüchlicher Angaben der Klägerin nicht glaubhaft gemacht worden sei. So habe die Klägerin – bestätigt durch Zeugenerklärungen – im Kontenklärungsantrag vom 26.05.1991 mitgeteilt, daß sie von 1938 bis 1939 als Schneiderin in der C … in … gearbeitet und gleichzeitig ein Technisches Gymnasium besucht habe, um Lehrerin für Modellschneiderei zu werden. Dagegen habe sie in ihrem Entschädigungsverfahren in dem Fragebogen vom 07.08.1963 nur Angaben zum Beschäftigungsverhältnis und dem Einkommen ihres Vaters gemacht, obwohl sie auch nach ihrer Berufstätigkeit befragt worden sei und die Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern nur dann gemacht werden sollten, wenn die Antragsteller bei Beginn der Verfolgung noch in Schul- oder Berufsausbildung gestanden hätten. Desgleichen habe die Klägerin in ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 28.07.1963 (richtig: 27.07.1963) lediglich die Einkünfte ihres Vaters mitgeteilt. Darüber hinaus habe sie in einer weiteren "Eidlichen Erklärung" – ohne Datum – im Entschädigungsverfahren ausgeführt, daß ihr Vater bei Kriegsausbruch Uhrmacher und Inhaber eines Juweliergeschäftes gewesen sei; sie habe das Gymnasium besucht. Die Behauptung, neben dem täglichen Schulbesuch noch 60 Stunden wöchentlich gearbeitet zu haben, sei nicht glaubhaft.
Über den Antrag auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge werde in Kürze ein weiterer Bescheid erteilt.
Gegen diesen am 04.02.1993 zur Post gegebenen Bescheid hat die Klägerin am 08.03.1993 (Montag) Widerspruch eingelegt. Zur Begründung hat sie eine anwaltlich beurkundete Erklärung vom 26.05.1991 übersandt, deren jetziger Inhalt nachträglich in Maschinenschrift eingesetzt wurde (vgl. Bl. 24 VA mit Bl. 121 VA) und mit der sie nunmehr zusätzlich angegeben hat, daß sie eine Lehre von 1934 bis 1939 ausgeübt habe. Außerdem hat die Klägerin bereits mit ihrem Rentenantrag vorgelegte Erklärungen des …vom 28.05.1991 und der … vom 26.05.1991 übersandt, die ebenfalls nachträglich in Maschinenschrift ausgefüllt worden sind.
In einer weiteren eigenen schriftlichen Erklärung hat die Klägerin vorgetragen, daß sie von 1934 bis 1939 ein technisches Gymnasium besucht und gleichzeitig in der Schneiderei … dieses Gymnasiums garbeitet habe. Zu dieser Zeit habe es noch keine Krankenkasse gegeben.
Durch Bescheid vom 25.11.1993 wies der Widerspruchsausschuß der Beklagten den Widerspruch aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Ergänzend führte er aus, es sei nicht glaubhaft, daß die Klägerin 1938 und 1939 neben dem Besuch des Gymnasiums noch ganztägig als angestellte Schneiderin gearbeitet habe.
Hiergegen hat die Klägerin unter Wiederholung ihrer bisherigen Ausführungen am 16.12.1993 Klage erhoben. Sie habe vom Schuljahr 1934/1935 an bis September 1939 den Beruf der Schneiderei in einem technischen Gymnasium in R … erlernt. Gleichzeitig habe sie nach dem Schulunterricht jeweils von 15.00 bis 22.00 Uhr in der der Schule angeschlossenen Schneiderei … versicherungspflichtig gearbeitet. In Übereinstimmung damit habe der Zeuge L. in der schriftlichen Erklärung vom 28.05.1991 bestätigt, daß sie gleichzeitig das technische Gymnasium besucht und als Schneiderin beschäftigt gewesen sei. Im übrigen habe sie keineswegs widersprüchliche Angaben zu ihrer Berufstätigkeit bei Beginn der Verfolgung gemacht. Denn da damals ihre Schul- und Berufsausbildung noch nicht beendet gewesen sei, habe sie 1963 im Entschädigungsverfahren wahrheitsgemäß nur zu dem Beschäftigungsverhältnis und den Einkünften ihres Vaters Stellung genommen.
Zur weiteren Bestätigung hat die Klägerin schriftliche Erklärungen der Zeugen … aus … vom 04.12.1993, … aus … vom 15.12.1993 und C … aus …/Israel vom 12.12.1994 übersandt.
Darin teilte die Zeugin G … mit, daß sie mit der Klägerin zusammen in die Schule gegangen sei. Nach dem Schulabschluß hätten beide von 1937 bis 1939 in der …earbeitet.
Die Zeugen F … führten aus, daß sie die Klägerin von frühester Kindheit her kennen würden. Sie habe von 1934 bis 1939 gleichzeitig eine technische Schule besucht und nach dem Lernen täglich in einer dem Gymnasium angeschlossenen Schneiderei … gearbeitet. Der Zeuge … fügte hinzu, er wisse, daß ihr Lohn etwa 150 Zl. betragen habe und dass von ihrem Lohn Beiträge abgezogen worden seien.
Demgegenüber hat die Beklagte weiter die Ansicht vertreten, daß die behauptete Beschäftigung von 1934 bis 1939 wegen widersprüchlicher Angaben nicht anerkannt werden könne. Die Klägerin habe im Entschädigungsverfahren nie angegeben, daß sie schon vor der Verfolgung versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Sie habe immer nur den Schulbesuch von 1929 bis 1939 mitgeteilt. Aus den jetzt vorgelegten Zeugenerklärungen ergäben sich keine wesentlichen neuen Gesichtspunkte.
Das Sozialgericht hat eine Vernehmung der Zeugen Z … aus …/Israel, … aus …/Israel und L … aus T …/Israel zu den von der Klägerin besuchten Schulen und ihren bis 1939 verrichteten Tätigkeiten durch das Friedensgericht zu Tel Aviv angeordnet.
Die Zeugin … hat am 13.08.1996 ausgesagt, daß sie als Nachbarin der Klägerin, die mit ihrer Schwester befreundet gewesen sei, in der Stadt R … aufgewachsen sei. Von daher wisse sie, daß die Klägerin im Anschluß an die Volksschule die Berufsschule für Mädchen in R …besucht habe, um den Beruf der Schneiderin zu erlernen. Nachdem die Ausbildung an der Berufsschule von ihr erfolgreich abgeschlossen gewesen sei, habe sie bis zum Kriegsausbruch als angestellte Schneiderin in der … in R … gearbeitet. Welchen Lohn sie erhalten habe und ob Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden seien, wisse sie nicht. Sie habe damals gehört, daß es zwischen der von der Klägerin besuchten Berufsschule und der C … eine Regelung gegeben habe, wonach die Schülerinnen nach ihrer Ausbildung in der Berufsschule in der C … eingestellt worden seien.
Der Zeuge R … hat am 13.08.1996 erklärt, daß er im selben Freundeskreis wie die Klägerin in R … verkehrt habe und mit ihr in dieselbe Schule gegangen sei. Sie habe sieben Jahre lang die Volksschule besucht, wohl bis 1934. Danach habe sie von 1934 bis 1937 drei Jahre auf einer Berufsschule in R … die als Gymnasium gegolten habe, den Beruf der Schneiderin erlernt. Nach Beendigung der Ausbildung habe sie ab 1937 bis zum Kriegsausbruch entsprechend einer Regelung zwischen der Schule und der Cooperative als Schneiderin in der C … begonnen. Hierfür sei sie entlohnt und – wie damals üblich – in der polnischen Sozialversicherung versichert worden.
Der Zeuge … hat am 13.08.1996 bekundet, daß er sich zwar von der Stadt … her an die Klägerin erinnere, aber keine Aussagen über ihr Beschäftigungsverhältnis und ihre Ausbildungen machen könne
Mit Urteil vom 14.02.1997 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Altersruhegeld aus der deutschen Rentenversicherung, weil sie keine nach dem Fremdrentengesetz anrechenbaren Zeiten glaubhaft gemacht habe. Wegen eigener widersprüchlicher Angaben lasse sich nämlich nicht mit der notwendigen überwiegenden Wahrscheinlichkeit feststellen, daß sie die behaupteten polnischen Versicherungszeiten tatsächlich zurückgelegt habe. So habe sie im Entschädigungsverfahren nie erwähnt, daß sie schon vor ihrer Verfolgung einer Beschäftigung nachgegangen sei, sondern immer nur den Schulbesuch angegeben. Außerdem seien ihre Angaben im jetzigen Rentenverfahren äußerst widersprüchlich. Danach habe sie stets behauptet, daß sie während des Besuchs der Schule gleichzeitig als Schneiderin gearbeitet habe. Im Rentenantrag (Fragebogen) habe sie noch angegeben, daß sie sich nicht mehr an die Höhe ihres damaligen Arbeitsentgelts und daran erinnern könne, ob Sozialversicherungsbeiträge entrichtet worden seien. Dagegen habe sie später genaue Angaben zur Höhe ihres Lohns und zur Leistung von Versicherungsbeiträgen gemacht. Es falle darüber hinaus auf, daß die Klägerin im Entschädigungsverfahren auf die Frage nach den wirtschaftlichen Verhältnissen bei Beginn ihrer Verfolgung nur die Einkünfte des Vaters mitgeteilt habe, obwohl dies nur habe geschehen sollen, wenn sich die Antragstellerin zu dieser Zeit noch in Schul- oder Berufsausbildung befunden habe. Schließlich hätten auch die vernommenen Zeugen – im Widerspruch zu der Klägerin – übereinstimmend bekundet, daß diese erst nach Abschluß ihrer Berufsausbildung in dem technischen Gymnasium eine Arbeit als Schneiderin aufgenommen habe. Möglicherweise habe es sich bei der schulischen Ausbildung um eine Art Praktikum gehandelt. Das polnische Sozialversicherungsgesetz vom 28.03.1933 habe jedoch keine Versicherungspflicht für Praktikanten vorgesehen.
Dieses ihr am 16.05.1997 zugestellte Urteil hat die Klägerin unter Wiederholung ihrer bisherigen Ausführungen mit der am 16.06.1997 eingelegten Berufung angefochten. Wie die Zeugin Grubel bestätigt habe, sei sie (die Klägerin) nach Abschluß der Schule von 1937 bis 1939 als Schneiderin in einer Genossenschaft beschäftigt gewesen. Außerdem macht die Klägerin nunmehr geltend, daß auch die Zeit von Mai 1940 bis Januar 1943 im Ghetto R … als Beitragszeit berücksichtigt werden müsse. Falls die Beklagte bereit sein sollte, diese Zeiten als Fremdbeitragszeiten anzuerkennen, könnte auf die Vorkriegsarbeitszeiten verzichtet werden. Sie sei unmittelbar nach dem Einmarsch der Deutschen in R … ins dortige Ghetto …gekommen, wohin man die arbeitsfähigen Juden verbracht habe. Hier habe es verschiedene Werkstätten gegeben. Um sich neben dem kärglichen Essen etwas dazu zu verdienen, hätten die Frauen die Möglichkeit gehabt, eine Arbeit aufzunehmen. Als gelernte Schneiderin sei sie in die Schneiderwerkstatt gegangen, wo sie täglich acht bis zehn Stunden gearbeitet habe. Bei dieser Tätigkeit habe es sich um kein versicherungsfreies Zwangsarbeitsverhältnis gehandelt, das aufgrund öffentlich-rechtlichen Zwang zustande gekommen sei. Es sei vielmehr – ähnlich den "Ghetto-Lodz-Fällen"- aufgrund einer freien Vereinbarung mit Lohnanspruch begründet worden. Anders als im Ghetto L … sei ihnen der Lohn allerdings nicht in Reichsmark-Quittungen, sondern direkt in Reichsmark ausgezahlt worden.
Zur Bestätigung dieser Behauptung überreicht die Klägerin schriftliche Erklärungen der Zeugen … vom 10.02.1998, … vom 08.02.1998 und … vom 10.02.1998, alle aus Israel, in denen übereinstimmend bekundet wurde, daß sie ab Ende 1939/1940 mit der Klägerin zusammen im Ghetto … gewohnt hätten; die Klägerin habe hier als Näherin gearbeitet.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. Februar 1997 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Januar 1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. November 1993 zu verurteilen, ihr unter Anerkennung von Beitragszeiten von September 1934 bis September 1939 und von Mai 1940 bis Januar 1943 sowie von Ersatzzeiten Altersruhegeld aus der deutschen Rentenversicherung zu gewähren,
hilfsweise, die Zeuginnen
1) …
2) …
3) …
zur Entgeltzahlung ihrer Tätigkeit im Ghetto zu vernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Außerdem ist sie der Auffassung, daß auch die jetzt geltend gemachten Ghettozeiten in der Stadt R …, die nicht zu den eingegliederten Ostgebieten gehört habe, nicht anerkannt werden könnten. Denn nach der 2. Durchführungsvorschrift vom 12.12.1939 zur Verordnung vom 26.10.1939 habe für alle im Generalgouvernement lebenden Juden grundsätzlich Arbeitszwang bestanden. Zwangsarbeit habe aber zu keiner Zeit der Rentenversicherungspflicht unterlegen. Daß beispielsweise durch die Notdienstverordnung auch im Reichsgebiet Verpflichtungen zu Arbeitsleistungen angeordnet gewesen seien, stehe dem nicht entgegen, weil in dieser Verordnung auch geregelt worden sei, unter welchen Voraussetzungen Rentenversicherungspflicht gegeben sei. Die Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) zu den in den ostoberschlesischen Ghettos zurückgelegten Arbeitszeiten seien, nicht einschlägig; denn es gehe hier um Zeiten in einem im Generalgouvernement gelegenen Ghetto mit Arbeitszwang.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozeßakten, der die Klägerin betreffenden beigezogenen Entschädigungsakten des Amts für Wiedergutmachung in Saarburg und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht keine Rente aus der deutschen Arbeiterrentenversicherung zu; denn sie hat keine anrechenbaren Versicherungszeiten zurückgelegt.
Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres richtet sich noch nach § 1248 Abs. 5 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum 31.12.1991 geltenden Fassung (vgl. § 300 Abs. 2 Sozialgesetzbuch VI, SGB VI). Danach muß u.a. geprüft werden, ob sie die Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt hat (§ 1248 Abs. 7 Satz 3 RVO), wobei eine Rentenleistung aus der deutschen Versicherung unter Anrechnung evtl. Ersatzzeiten nur gezahlt werden kann, wenn überhaupt Versicherungszeiten im Sinne des § 1250 Abs. 1 RVO vorhanden sind.
Da die behaupteten Beschäftigungen bei einem nichtdeutschen Versicherungsträger zurückgelegt worden wären, beurteilt sich ihre Anrechenbarkeit nach § 15, 16 FRG. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind bei der Klägerin jedoch nicht erfüllt. Es ist bereits zweifelhaft, ob das Fremrentengesetz überhaupt zu Gunsten der Klägerin eingreift, weil sich nicht eindeutig feststellen läßt, daß sie zur Zeit des Beginns ihrer Verfolgung (§ 17 a FRG) oder zur Zeit des Verlassens des Vertreibungsgebietes (§ 20 WGSVG) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dem dSK zuzurechnen war. Das Sozialgericht konnte diese Frage aber dahingestellt sein lassen; denn die Klägerin hat nicht glaubhaft gemacht (§ 3 WGSVG, 4 FRG), daß sie zur streitigen Zeit versicherungspflichtig beschäftigt war. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen in vollem Umfang auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz, SGG).
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, daß die Klägerin auch in ihrer Sprachprüfung durch das israelische Finanzministerium vom 02.02.1965 nichts über eine Berufsausbildung oder Berufstätigkeit vor ihrer Verfolgung ausgesagt hat, sondern für die Zeit bis 1939 lediglich über ihren Besuch der Volks- und Mittelschule in R … informierte. In Übereinstimmung damit hat sie in ihrem Entschädigungsverfahren in dem Antrag auf Gewährung für Schaden an Körper oder Gesundheit vom 07.08.1963 die Frage nach ihrer Berufsausbildung vor der Verfolgung nicht ausgefüllt und mitgeteilt, daß sie damals keiner Krankenkasse angehört habe.
Desgleichen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Anerkennung der von ihr erstmals im Berufungsverfahren geltend gemachten Beschäftigungszeiten im Ghetto … von Mai 1940 bis Januar 1943. Dafür wäre nämlich Voraussetzung, daß es dabei um ein nach dem damaligen Recht des § 1226 Abs. 1 Nr. 1 ff RVO rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis gehandelt hat, das durch eine Vereinbarung über den Austausch von Arbeit und Lohn zwischen ihr und einem deutschen Arbeitgeber zustandegekommen ist (vgl. BSG SozR 5070 § 14 Nrn. 14; 16; BSG, Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 71/98 R). Das war jedoch nicht der Fall. Die Klägerin hat im Ghetto R …keine freiwillige Tätigkeit ausgeübt, sondern eine ihr aufgezwungene Arbeit verrichtet.
Bei der Abgrenzung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung gegenüber anderen Formen der Verrichtung von Arbeit ist auf den Grad der persönlichen Abhängigkeit des Arbeiters, das Weisungsrecht des Arbeitgebers und das Eingebundensein des Arbeitnehmers in den organisatorischen Ablaufs des Betriebes abzustellen, wobei diejenigen Umstände, die keinen entscheidenden Einfluß auf die einzelnen Merkmale haben, wie z.B. die Beweggründe zur Aufnahme einer Arbeit sowie allgemeine Lebensumstände des wohnungs- und aufenthaltsmäßigen Umfeldes, nicht der Annahme einer versicherungspflichtigen Tätigkeit entgegenstehen. Deshalb kommt es z.B. im Falle eines Ghetto-Aufenthalts nicht darauf an, daß sich der Betroffene in einem Lager aufhalten mußte oder sonstwie zwangsweise ortsgebunden war (BSG, Urteil vom 14.07.1999, B 13 RJ 75/98 R). Allerdings unterliegen unter Zwang zustandegekommene Arbeiten (etwa als Strafgefangener oder als KZ-Häftling) bei denen der Arbeitnehmer keinerlei Einfluß hinsichtlich der Aufnahme des Arbeitsverhältnisses und dessen Ausgestaltung hatte, nicht der Rentenversicherungspflicht. Typisch für solche Zwangsarbeiten ist der obrigkeitliche Zwang zur Aufnahme der Tätigkeit, außerdem das Vorliegen keiner oder nur einer geringen Entlohnung und die obrigkeitlich angeordnete Bewachung.
Bei Beachtung dieser Grundsätze kommt es für die Beurteilung der Versicherungspflicht des Arbeitsverhältnisses der Klägerin im Ghetto R … zwar nicht darauf an, daß sie sich zwangsweise im Bereich des dort bewachten Bezirkes aufhalten mußte. Für die Bejahung als versicherungspflichtige Beschäftigung muß aber gefordert werden, daß sie bei Aufnahme oder zumindest bei der Ausgestaltung ihrer Arbeit in der Schneiderei – … einen – wenn auch geringen – Einfluß nehmen konnte. Entgegen ihrer Behauptung ist der Senat jedoch davon überzeugt, daß das nicht der Fall war. Denn anders als in den vom BSG entschiedenen ostoberschlesischen Ghettofällen der eingegliederten Ostgebiete galt im Generalgouvernement, zu dem … gehörte, die "Verordnung über die Einführung des Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung des Generalgouvernement", aufgrund derer die Juden durch obrigkeitliche Anordnungen zur Zwangsarbeit herangezogen und in Zwangsarbeitertruppen zusammengefaßt wurden. Durch die 2. Durchführungsvorschrift vom 12.12.1939 zu dieser Verordnung vom 26.10.1939 wurde zusätzlich bestimmt, daß die Zangsarbeitspflichtigen nach Möglichkeit entsprechend etwa erlernter Berufe bei lagermäßiger Unterbringung zur Arbeit eingesetzt werden. Die Dauer des Arbeitsverhältnisses betrage in der Regel zwei Jahre; sie werde verlängert, wenn innerhalb dieser Zeit ihr erzieherischer Zweck nicht erreicht sein sollte.
Zwar behauptet die Klägerin, daß sie freiwillig als gelernte Schneiderin die Tätigkeit in der Schneiderei …im Ghetto von … aufgenommen habe und dafür vereinbarungsgemäß entlohnt worden sei. Doch erscheint diese Angabe angesichts der entgegenstehenden damaligen Gesetzeslage im Generalgouvernement nicht überzeugend. Es dürfte vielmehr so gewesen sein, wie es die Klägerin in ihrem früheren Antrag auf Entschädigung für Schaden an Körper und Gesundheit vom 07.08.1963 und in ihrer "Eidlichen Erklärung" vom 27.07.1963 mitgeteilt hat, daß sie nämlich nach Besetzung ihrer Heimatstadt sofort schwerste Zwangsarbeit bei elender Ernährung habe verrichten müssen. Dies wurde von den Zeuginnen … und … in den Erklärungen vom 08.08.1963, 22.09.1963 und 07.09.1955 bestätigt. Dem entspricht es auch, daß die Klägerin laut Anamnese im ärztlichen Gutachten vom 27.12.1970 angegeben hat, sie habe für ihre Ghetto-Tätigkeit in der Schneiderei – … keine Bezahlung erhalten und sei eine Zeit lang auch im Außenkommando beim Bahnbau eingesetzt gewesen (ebenso schon zum letzten Punkt in ihrer Eidlichen Erklärung vom 07.09.1955 (Bl. 4 R, 5 ihrer Entschädigungsakten).
Demgegenüber kann die Klägerin nicht erfolgreich einwenden, daß auch Deutsche aufgrund der Notdienstverordnung vom 10.10.1939 zu Zwangsdiensten im Deutschen Reich verpflichtet worden seien, ohne daß deshalb von einem nichtversicherungspflichtigen Zwangsarbeitsverhältnis ausgegangen werde. Denn wie das Sozialgericht klar herausgestellt hat, handelte es sich bei den Notdienstverordnungen um Ausnahmeregelungen, wobei gleichzeitig genau bestimmt wurde, in welchen Fällen dennoch Versicherungspflicht bestanden hat (vgl. auch BSG, B 13 RJ 71/98 R).
Angesichts der eindeutigen Gesetzeslage im Generalgouvernement und angesichts der nicht aufzuklärenden Widersprüche in den Aussagen der Klägerin ist nicht zu erwarten, daß die von ihr beantragte Vernehmung der Zeuginnen …, die ohnehin nur im Wege der Rechtshilfe und daher ohne die Möglichkeit eines persönlichen Eindrucks durch das erkennende Gericht vernommen werden könnten, zu einer weiteren Sachaufklärung führen würde. Dies muß umsomehr gelten, als von diesen Zeuginnen bereits schriftliche Erklärungen vorliegen, in denen die behauptete Beschäftigung als Näherin im Ghetto R …bestätigt wurde. Deshalb hat der Senat in Übereinstimmung mit den vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 14.06.1967 (BGH in RzW 1967, 500) aufgestellten Grundsätzen von der beantragten Zeugenvernehmen abgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für eine Zulassung der Revision besteht kein Anlaß.
Erstellt am: 13.08.2003
Zuletzt verändert am: 13.08.2003