Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 24. September 2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die 1944 geborene Klägerin begehrt einen höheren Grad der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX).
Mit Abhilfebescheid vom 03.06.1998 hatte der Beklagte bei der Klägerin wegen der Gesundheitsstörungen
1.Harnblasenmuskelschwäche
2.Fibromyalgiesyndrom,
3.Funktionsstörung der Wirbelsäule,
4.Psychovegetative Störungen einen GdB von 30 festgestellt.
Am 06.11.2000 beantragte die Klägerin einen höheren GdB. Zur Begründung gab sie an, dass eine chronische Halswirbelsäulen-Erkrankung und eine Skoliose hinzugetreten seien, zudem sei eine Bluthochdruckerkrankung zu berücksichtigen. Der Beklagte zog von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. T einen Befundbericht bei, dem Fremdarztberichte beigefügt waren. Nach vorsorgungsärztlicher Auswertung der Unterlagen lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin mit auf § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gestütztem Bescheid vom 09.01.2001 mit der Begründung ab, dass sich zwar die Funktionsstörungen der Wirbelsäule verschlimmert hätten, aber die Auswirkungen der insgesamt vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen nicht so schwerwiegend seien, dass sie den bisher festgestellten GdB erhöhten. Mit ihrem Widerspruch führte die Klägerin ergänzend an, dass sie an einer Bänderschwäche im linken Fuß leide, die bei längerem Gehen und Stehen zu starken Schmerzen führe. Die Beklagte zog daraufhin Befundberichte von dem Arzt für Frauenheilkunde Dr. F und dem Facharzt für Orthopädie Dr. E bei. Nach gutachtlicher Stellungnahme wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 27.04.2001 zurück. Zur Begründung führte er u.a. aus, die Gesundheitsstörung "Minderbelastbarkeit des linken Fußes" sei keine Funktionsbeeinträchtigung im Sinne des Schwerbehindertengesetzes, weil sie keinen GdB von wenigstens 10 bedinge.
Mit ihrer Klage vom 22.05.2001 hat die Klägerin vorgetragen, der Beklagte sei auf die neu hinzugetretene Skoliose nicht eingegangen. Deshalb sei von einem höheren GdB auszugehen; dafür spreche auch das chronische Halswirbelsäulensyndrom. Ferner seien die gravierende Minderbelastbarkeit des linken Fußes, der Verlust der Gallenblase und eine Stressinkontinenz nach zweimaliger Blasenhebung zu berücksichtigen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 09.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2001 zu verurteilen, den GdB ab November 2000 mit 50 zu bewerten.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei ein GdB von 40 angemessen.
Das Sozialgericht (SG) Detmold hat zunächst Befund- und Behandlungsberichte von dem Arzt für Innere Medizin und Kardiologie Dr. S, dem Arzt für Urologie Dr. G, dem Facharzt für Orthopädie Dr. E, dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. T und dem Arzt für Neurologie und Psychiaterie X und sodann Gutachten von dem Facharzt für Orthopädie Dr. P und dem Facharzt für Innere Medizin Dr. A eingeholt. Dr. P (Gutachten vom 14.03.2002) hat ausgeführt, dass ein Fibromyalgie-Syndrom nicht vorliege; den Funktionsstörungen der Wirbelsäule hat er einen GdB von 20 und denen des linken Fußes einen GdB von 10 zugemessen. In seinem Gutachten vom 22.04.2002 hat Dr. A zusätzlich "Blasenentleerungsstörung, Harninkontinenz" und "Psychovegetative Störungen, psychosomatische Störungen" mit einem GdB von jeweils 20 beschrieben; "Herz- und Kreislaufstörung, Bluthochdruck" und "Magen- und Zwölffingerdarmschleimhautfunktionsstörung" hat er jeweils einen GdB von 10 zugemessen. Den Gesamt-GdB hat er mit 40 beurteilt und dazu angeben, dieser liege im oberen Ermessensbereich; er bewege sich zwischen 30 und 40, näherungsweise bei 40. Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ferner ein Gutachten von dem Oberarzt der Orthopädischen Abteilung des Asklepios X-Klinik in I1, Dr. I, eingeholt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 25.11.2002 unter Beibehaltung der übrigen GdB-Bewertungen mittelgradigen funktionellen Störungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten einen GdB von 30 zugemessen. Den Gesamt-GdB hat er ebenfalls mit 40 bewertet und dazu angegeben, die Funktionsstörung "Blasenentleerungsstörung und Harninkontinenz" führe zu einer Erhöhung des durch die Wirbelsäulenfunktionsstörungen hervorgerufenen GdB auf insgesamt 40. Die Funktionsstörung "psychovegetative und psychosomatische Störung" führe zu keiner weiteren Erhöhung, da Überschneidungen mit den übrigen Funktionsstörungen bestünden. Ebenso würden die Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 10 den Gesamt-GdB nicht erhöhen.
Das SG hat den Beklagten mit Urteil vom 24.09.2003 unter Aufhebung des Bescheides vom 09.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2001 verurteilt, den GdB ab November 2000 mit 40 festzustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. In seiner Urteilsbegründung hat es unter Darlegung der Bewertungsmaßstäbe der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" – früher "? nach dem Schwerbehindertengesetz" – (AHP) für die Wirbelsäulenschäden einen GdB von 30, die Blasenentleerungsstörung mit Harninkontinenz ebenso wie für die psychovegetativen Störungen einen GdB von jeweils 20 und für die übrigen Gesundheitsstörungen (Funktionsbeeinträchtigungen des linken Fußes, Blutdruckschwankungen mit Herz-Kreislauf-Symptomatik, Entzündungen der Magen- und Zwölffingerschleimhaut) einen GdB von jeweils 10 in Ansatz gebracht. Den Gesamt-GdB hat es entsprechend der Beurteilung des Dr. I mit 40 beurteilt.
Gegen das am 27.10.2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25.11.2003 Berufung eingelegt.
Der Beklagte hat dem Urteil des SG entsprochen und mit Bescheid vom 20.11.2003 einen GdB von 40 festgestellt.
Die Klägerin ist der Auffassung, es sei ein GdB von 50 festzustellen. Dr. A habe nämlich den orthopädischen GdB, der zunächst mit 20 bewertet worden sei, aus internistischer Sicht um 20 auf 40 erhöht. Da aber der orthopädische GdB, wie auch das SG ausgeführt habe, 30 betrage, müsse die Erhöhung um 20, die Dr. A vorgenommen habe, nun zu einem GdB von 50 führen.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des SG Detmold vom 24.09.2004 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 09.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2001 und des Bescheides vom 20.11.2003 zu verurteilen, den GdB ab November 2000 mit 50 zu bewerten.
Der Beklagte hat keine Stellungnahme abgegeben.
Der Senat hat Dr. A auch im Berufungsverfahren zum Sachverständigen ernannt und von diesem eine ergänzende Stellungnahme zu der Bildung des Gesamt-GdB eingeholt. Der Sachverständige hat den Gesamt-GdB mit 40 beurteilt und dazu ausgeführt, dass bei dessen Bildung die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit und unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehung zueinander zu berücksichtigen seien. Da sich die Auswirkungen der somatischen Gesundheitsstörungen mit den psychovegativen und psychosomatischen Störungen überschnitten, betrage der Gesamt-GdB – wie vom SG auch im Einzelnen zutreffend dargelegt – 40. Dabei handele es sich jetzt allerdings um einen sog. "mittleren" Wert.
Der Senat hat die Beteiligten auf seine Absicht hingewiesen, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
II.
Der Senat kann über die Berufung der Klägerin nach § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheiden, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung entbehrlich ist. Der Senat hat die Beteiligten hierzu mit Schreiben vom 05.04.2004, 26.04.2004 und 03.08.2004 angehört.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das SG hat die auf Feststellung eines höheren GdB als 40 gerichtete Klage zu Recht abgewiesen; denn die Klägerin ist durch den Bescheid des Beklagten vom 09.01.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2001 und den Bescheid vom 20.11.2003, der nach § 96 SGG Gegenstand des Rechtsstreits ist, insoweit nicht beschwert. Sie hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40.
In den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin sind seit Juni 1998 (Bescheid vom 03.06.1998) zwar Änderungen i.S.d. § 48 SGB X eingetreten; diese rechtfertigen aber nur die Erhöhung des GdB auf 40. Zur Begründung – und Vermeidung von Wiederholungen – nimmt der Senat auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils (§ 153 Abs. 2 SGG) Bezug und führt ergänzend aus:
Soweit die Klägerin mit ihrer Berufung die Bildung eines Gesamt-GdB von 50 letztlich mit einer eher mathematischen Betrachtung begründet, verkennt sie bereits die gesetzlichen Vorgaben. Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist der Gesamt-GdB, wenn – wie hier bei der Klägerin – mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vorliegen, nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Dementsprechend geben die AHP, die rechtsnormähnliche Wirkung haben und wie untergesetzliche Normen von der Verwaltung und den Gerichten anzuwenden sind (BSG, Urteil vom 09.04.1997, 9 RVs 4/95 m. w. N., zuletzt auch BSG, Urteile vom 18.09.2003 – B 9 SB 3/02 R und B 9 SB 6/02 R -), in der Nr. 19 vor: "Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so sind zwar (unter Berücksichtigung der Nr. 18 Absatz 4) Einzel-GdB/MdE-Grade anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB/MdE-Grades durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB/MdE-Grades ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander."
Davon ausgehend ist die Beurteilung der Sachverständigen Dr. A und Dr. I zutreffend. Sie haben der Verschlechterung der Wirbelsäulenschäden der Klägerin Rechnung getragen und zudem berücksichtigt, dass die Auswirkungen des Harnblasenleidens der Klägerin mit einem GdB von 20 das Ausmaß der Beeinträchtigung der Wirbelsäulenschäden, das nunmehr mit einem GdB von 30 zu bewerten ist, auf 40 erhöht, weil diese Gesundheitsstörungen voneinander unabhängig sind und verschiedene Bereiche im Ablauf des Lebens betreffen (AHP Nr. 19 Abs. 3). Davon abzuweichen, besteht kein Anlass. Vielmehr ist es nach den AHP Nr. 19 Abs. 4 bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 sogar vielfach nicht gerechtfertigt, überhaupt auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Dies gilt auch für das psychische Leiden mit einem GdB von 20; denn dessen Auswirkungen sind – im Gegensatz zu den Auswirkungen des Harnblasenleidens – nicht von den anderen Gesundheitsstörungen unabhängig, sondern überschneiden sich mit deren Auswirkungen zumindest weitgehend.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 1 und 2 SGG).
Erstellt am: 22.09.2004
Zuletzt verändert am: 22.09.2004