Auf die Beschwerde der Bevollmächtigten des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 28.01.2012 geändert. Die der Bevollmächtigten aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung wird auf 570,90 EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe der nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Landeskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung für ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren.
Der anwaltlich vertretene Antragsteller beantragte am 29.08.2011, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts "nach § 19 ff. SGB II" ab 01.09.2011 zu bewilligen. Der Antragsgegner hatte die Zahlung abgelehnt, weil der Antragsteller bei mehreren unangekündigten Hausbesuchen unter der von ihm angegebenen Adresse nicht erreichbar gewesen sei. Nach Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers, wonach er unter der angegebenen Adresse wohne, erklärte der Antragsgegner sich bereit, für die Zeit vom 01.09.2011 bis zum 29.02.2012 die Regelleistung von monatlich 364,00 EUR darlehensweise zu bewilligen (Schriftsatz vom 13.10.2011). Mit Schriftsatz vom 17.10.2011 erklärte der Antragsteller, das "Anerkenntnis" werde angenommen und der Rechtsstreit werde für erledigt erklärt.
Die im Wege der PKH-Bewilligung (Beschluss vom 23.09.2011) beigeordnete Bevollmächtigte des Antragstellers hat beantragt (Schriftsatz vom 24.11.2011), die Gebühren und Auslagen wie folgt festzusetzen:
– Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV/RVG: 250.- EUR
– Terminsgebühr Nr. 3106 VV/RVG: 200.- EUR
– Auslagenpauschale Nr. 7002 VV/RVG: 20.- EUR
– Ablichtungen Nr. 7000 VV/RVG: 27,40 EUR
– Umsatzsteuer Nr. 7008 VV/RVG: 94,51 EUR
– Gesamt: 591,91 EUR.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Gelsenkirchen hat die Vergütung auf insgesamt 349,27 EUR festgesetzt. Er hat von der beantragten Vergütung die geltend gemachten Aufwendungen für 19 Ablichtungen sowie die Terminsgebühr abgezogen. Kopien von Schriftstücken, von denen der Bevollmächtigte bereits eine Durchschrift besitze, seien nicht erstattungsfähig. Die Terminsgebühr entstehe nur in Verfahren, in denen eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben sei.
Gegen diese Entscheidung hat die Bevollmächtigte des Antragstellers Erinnerung eingelegt. Sie hat nunmehr unter Berufung auf das Urteil des SG Berlin vom 01.09.2009 – S 22 AL 1150/09 – geltend gemacht, dass eine Erledigungsgebühr (Nr. 1006, 1005, 1002 VV/RVG) i.H.v. 190.- EUR entstanden sei und die Festsetzung einer Vergütung i.H.v. insgesamt 580,01 EUR beansprucht.
Mit Beschluss vom 28.12.2011 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Festsetzung der Erledigungsgebühr abgelehnt. Von der Bevollmächtigten des Antragstellers seien keine Bemühungen entfaltet worden, die über das Betreiben des Verfahrens hinausgingen. Die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung sei hierfür nicht ausreichend.
Auch hiergegen hat die Bevollmächtigte Erinnerung eingelegt.
Mit Beschluss vom 28.01.2012 hat das Sozialgericht Gelsenkirchen die Erinnerungen zurückgewiesen. Eine Terminsgebühr falle in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht an. Eine Erledigungsgebühr sei nicht entstanden, weil es an einer besonderen Mitwirkung der Anwältin an der unstreitigen Erledigung fehle. Die Vorlage der eidesstattlichen Versicherung gehöre zu den Tätigkeiten, die erforderlich seien, um ein Verfahren gewissenhaft zu führen. Sie stelle keine besondere Förderung der unstreitigen Erledigung dar. Auch die Höhe der festgesetzten Dokumentenpauschale sei nicht zu beanstanden.
Gegen diese am 17.02.2012 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 01.03.2012 eingelegte Beschwerde der Bevollmächtigten des Antragstellers. Sie meint, die Vorlage der eidesstattlichen Versicherung rechtfertige die Erledigungsgebühr.
II.
Die Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 RVG) ist zulässig, insbesondere statthaft (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 SGG). Die für das Erstattungsverfahren des im Wege der PKH beigeordneten Rechtsanwalts geltenden Spezialvorschriften gehen den Vorschriften des SGG vor, so dass §§ 178, 197 Abs. 2 SGG keine Anwendung finden (vergl. u.a. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.09.2011 – L 19 AS 879/10 B; Beschluss vom 14.o7.2010 – L 1 AS 57/10 B, NZS 2011, 399). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200.- EUR (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Die Umsatzsteuer ist bei der Berechnung des Wertes des Beschwerdegegenstandes zu berücksichtigen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.09.2011 – L 20 SO 424/11 B). Die Bevollmächtigte des Antragstellers ist befugt, gem. § 55 RVG die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung im eigenen Namen zu beantragen und das Beschwerdeverfahren zu führen. Ihr Vorbringen ist entsprechend auszulegen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.07.2010, L 1 AS 57/10 B, NZS 2011, 399; Hartmann, Kostengesetze, § 56 RVG RdNr. 6).
Die Beschwerde ist insoweit begründet, als die Vergütung wie folgt festzusetzen ist:
– Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV/RVG: 250.- EUR
– Einigungsgebühr Nr. 1006/1005/1000 VV/RVG: 190.- EUR
– Auslagenpauschale Nr. 7002 VV/RVG: 20.- EUR
– Ablichtungen Nr. 7000 VV/RVG: 23,50 EUR
– Umsatzsteuer Nr. 7008 VV/RVG: 87,40 EUR
– Gesamt: 570,90 EUR.
Entgegen der angefochtenen Entscheidung ist eine Gebühr nach Nr. 1006, 1005, 1000 VV/RVG in Form der Einigungsgebühr (die von der Bevollmächtigten als Erledigungsgebühr geltend gemacht und lediglich – rechtlich unschädlich – falsch bezeichnet worden ist) entstanden. Die Gebühr fällt an bei einer Einigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen – wie hier – Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG). Einigung ist der Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 VV/RVG). Ein Vertrag nach Nr. 1000 VV/RVG kann auch ein Prozessvergleich sein. Dieser stellt eine Einigung dar, wenn ein Beteiligter einen Rechtsbehelf ohne entsprechende Verpflichtung im Hinblick auf eine Erklärung des Gegners – die allerdings kein Anerkenntnis darstellen darf (hierzu SG Marburg, Beschluss vom 05.08.2011 – S 12 SF 69/11 E) – zurücknimmt. So liegt ein Vertrag i.S.d. Nr. 1000 VV/RVG auch dann vor, wenn auf ein teilweises Anerkenntnis eine Rücknahme des Rechtsbehelfs folgt (Hartmann, Kostengesetze, 40. Aufl., VV 1000 RdNr. 8).
Die Beteiligten des Eilverfahrens haben sich i.S.d. Nr. 1000 Abs. 1 VV/RVG geeinigt: Der Antragsteller hat im Hinblick auf die Bewilligung des Darlehens den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für erledigt erklärt und damit auf eine weitergehende Verpflichtung des Antragsgegners verzichtet.
Die Erklärung des Antragsgegners vom 13.10.2011, für die Zeit vom 01.09.2011 bis zum 29.02.2011 die Regelleistung (ohne Unterkunftskosten) darlehensweise zu bewilligen, stellt kein (vollständiges) Anerkenntnis dar. Der Antragsteller hatte beantragt, ihm Leistungen ohne Einschränkung, d h. als Zuschuss zu bewilligen. Die Bewilligung eines Darlehens bleibt hinter diesem Antrag zurück. Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass im Rahmen eines Eilverfahrens ohnehin nur eine vorläufige Regelung getroffen wird und auch die in einem Eilverfahren zugebilligten Leistungen zurückgezahlt werden müssen, wenn der geltend gemachte Anspruch sich im Hauptsacheverfahren als unbegründet erweist. Denn zum einen ist eine Verpflichtung des Leistungsträgers im Eilverfahren auch möglich, wenn ein Hauptsachverfahren nicht anhängig ist oder gemacht wird. Zum anderen begründet die Bewilligung von Arbeitslosengeld II als Darlehen gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V keine Krankenversicherungspflicht, was ein wesensprägendes Defizit gegenüber der Leistungsbewilligung als Zuschuss darstellt.
Nr. 1000 Abs. 4 VV/RVG steht der Zubilligung einer Einigungsgebühr nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift entsteht die Einigungsgebühr auch bei Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechts, soweit über die Ansprüche vertraglich verfügt werden kann. Hieraus ist nicht zu folgern, dass eine Einigungsgebühr bei öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen nur entsteht, sofern es sich – anders als im vorliegenden Fall – um Ermessensleistungen handelt (so aber LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.09.2011 – L 19 AS 879/10 B). Ein nach Maßgabe des § 54 SGB X zulässiger öffentlich-rechtlicher Vertrag in Gestalt eines Vergleichs ist ausdrücklich nicht auf Ermessensleistungen beschränkt (§ 54 Abs. 2 SGB X, hierzu BSG, Urteil vom 8.10.1998 – B 12 KR 19/97 R, SozR 3-2500 § 257 Nr. 5 = BSGE 83,40). Einigen sich die Beteiligten in einem Eilverfahren, weil Unsicherheit über die maßgebliche Sachlage besteht, und wird dadurch das Verfahren beendet, liegt ein zulässiger Prozessvergleich (zur Zulässigkeit eines öffentlich-rechtlichen Vertrags, durch den eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt wird – Vergleich – s § 54 SGB X) und damit eine zulässige Einigung i.S.d. Nr. 1000 Abs. 4 VV/RVG vor.
Die Bevollmächtigte des Antragstellers hat bei der Einigung auch mitgewirkt (Nr. 1000 Abs 1 VV/RVG). Ebenso wie bei der Erledigungsgebühr (hierzu u.a. BSG, Urteil vom 21.03.2007 – B 11a AL 53/06 R, SGb 2007, 291; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.05.2012 – L 19 AS 2066/10 B) ist auch für die Einigungsgebühr zu fordern, dass eine anwaltliche Mitwirkungshandlung vorliegt, die über die Einlegung und Begründung eines Rechtsbehelfs hinausgeht und kausal für die Erledigung der Rechtssache geworden ist. Denn auch die Einigungsgebühr honoriert das erfolgreiche Bemühen des Rechtsanwalts um die Herstellung des Rechtsfriedens und Entlastung des Gerichts ohne Sachentscheidung (ebenso SG Marburg, Beschluss vom 05.08.2011 – S 12 SF 69/11 E). Anders als bei der Erledigungsgebühr, die den Nachweis einer besonderen Mitwirkung des Anwalts an der Erledigung des Verfahrens erfordert, indiziert jedoch das Vorliegen einer Einigung i.S.d. Nr. 1000 VV/RVG diese Mitwirkung. Denn der Bevollmächtigte muss die Verantwortung dafür übernehmen, dass das Angebot des Gegners, mit dem der geltend gemachte Anspruch nicht voll anerkannt wird, dennoch den Interessen seines Mandanten entspricht und die Vor- und Nachteile einer Einigung aus der Sicht seines Mandanten abwägen, bevor er auf die Sachentscheidung über den ursprünglich gestellten Antrag verzichtet.
Eine Terminsgebühr (Nr. 3106 VV/RVG) ist hingegen nicht entstanden (vergl. nur Senatsbeschlüsse vom 03.01.2011 – L 6 AS 1399/10 B und vom 11.05.2011 – L 6 AS 200/11 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.09.2011 – L 19 AS 879/10 B) und auch von der Bevollmächtigten im Erinnerungsverfahren gegen den Beschluss vom 09.12.2011 nicht mehr geltend gemacht worden.
Bei der Bemessung der Gebührenhöhe ist die Bevollmächtigte des Antragstellers zutreffend jeweils von der Mittelgebühr ausgegangen (§ 14 Abs. 1 RVG). Das Sozialgericht hat die Kosten für nicht erforderliche Ablichtungen zu Recht abgesetzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2, 3 RVG.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Erstellt am: 04.04.2013
Zuletzt verändert am: 04.04.2013