Das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 08.07.1998 wird abgeändert. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 23.06.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.1994 verurteilt, eine "terminale Niereninsuffizienz auf dem Boden einer chronischen Glomerulonephritis mit renaler, arterieller Hypertonie, Zustand nach Nierentransplantation mit erneuter Dialysepflichtigkeit" als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und dem Kläger ab Februar 1991 Versorgung nach einer MdE um 100 v.H. zu gewähren. Der Beklagte trägt die erstatttungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1955 geborene Kläger begehrt wegen einer Nierenerkrankung und deren Folgen Versorgung nach §§ 80, 81 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) in Verbindung mit § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Er leistete vom 01.01.1975 bis 31.03.1976 Wehrdienst im Pionierbataillon 110 in M … Bei seiner Musterung am 08.05.1974 wurden im Rahmen der Vorgeschichte sanierungsbedürftiger Zahnstatus, Struma, Wirbelsäulenverbiegung und Akne aufgenommen. Angaben über Vorerkrankungen insbesondere von Lunge, Herz, Magen, Darm, Leber, Nieren und Blase machte der Kläger nicht. Die Urinuntersuchung ergab einen unauffälligen Befund ohne Nachweis von Eiweiß, Zucker, Gallenfarbstoff oder Blut.
Nach seiner Grundausbildung wurde der Kläger als Taucherhelfer eingesetzt. Er übte dabei vorrangig unterstützende Tätigkeiten für die ausgebildeten Taucher aus, wie z.B. Gerätewartung, Bereitstellung von Bekleidung, Führen von Taucherleinen. Im Rahmen der Infanteriegefechtsausbildung nahm der Kläger alle drei Monate an ein- oder mehrtägigen Übungen teil.
Anläßlich einer routinemäßigen Umgebungsuntersuchung wurde bei ihm am 27.01.1976 im Bundeswehrkrankenhaus D … ein auffälliger Urinbefund (Proteinurie und Hämaturie = Ausscheidung von Proteinen und roten Blutkörperchen) erhoben. Bei der Untersuchung gab der Kläger gegenüber dem Leiter der Fachärztlichen Untersuchungsstelle des Bundeswehrkrankenhauses Dr. O … an, er meine, keinen nachhaltigen Auskühlungen ausgesetzt gewesen zu sein. Wegen des Verdachts auf eine interstitielle Nephritis bzw. eine Glomerulonephritis wurden eingehende diagnostische Maßnahmen empfohlen. Bei der folgenden Untersuchung am 26.02.1976 erklärte der Kläger, vor 3 bis 4 Jahren an einer "Nierenbeckenentzündung", die zu Hause behandelt worden sei, gelitten zu haben. Es wurden weiterhin eine signifikant ausgeprägte Proteinurie und Hämaturie festgestellt. Zur diagnostischen Abklärung wurde der Kläger sodann im März 1976 stationär im Bundeswehrkrankenhaus D … untersucht. Außer einer geringen Senkniere rechts mit Kippung konnte keine Ursache für die konstante Hämaturie gefunden werden. Im Hinblick auf das anstehende Ende seines Wehrdienstes wurde der Kläger aus der stationären Behandlung mit dem Hinweis entlassen, eine baldige internistische und urologische Abklärung des bestehenden pathologischen Befunde herbeiführen zu lassen.
Im Anschluss an den Wehrdienst nahm der Kläger seine Tätigkeit als Elektroinstallateur wieder auf; die empfohlenen Untersuchungen veranlasste er nicht. Auch in den folgenden Jahren fanden keine spezifischen Untersuchungen statt, obwohl 1987 bei einer Einstellungsuntersuchung der Firma N … wiederum pathologische Urinwerte festgestellt worden waren. Erst im Mai 1990 begab sich der Kläger wegen Schmerzen in ärztliche Behandlung. Es wurden ein massiverarterieller Bluthochdruck und eine Nierenfunktionseinschränkung festgestellt. Ab Januar 1991 war der Kläger wegen einer terminalen Niereninsuffizienz auf eine Dialysetherapie angewiesen; im September 1995 erfolgte eine Nierentransplantation. Wegen einer chronischen Abstoßung des Transplantats wird seit April 1998 wieder eine Hämodialyse durchgeführt.
Im Februar 1991 beantragte der Kläger, den Grad seiner Behinderung nach dem Schwerbehindertengesetz festzustellen. Er gab dabei an, dass seine Erkrankung auf einer nicht erkannten bzw. falsch behandelten Nierenbeckenentzündung während der Bundeswehrzeit beruhe. In dem ihm daraufhin zugeleiteten Antragsvordruck nach dem SVG führte er ergänzend aus, die Nierenerkrankung sei auf eine Erkältung durch Unterkühlung bzw. durch feuchte oder nasse Kleidung während einer Übung zurückzuführen.
Das Versorgungsamt B … zog u.a. medizinische Unterlagen aus der Wehrdienstzeit des Klägers sowie eine Aufstellung der Innungskrankenkasse H … über vor dem Wehrdienst erlittene Erkrankungen bei und holte sodann ein internistisch-nephrologisches Gutachten von Prof. Dr. Sch …, Abteilung Nephroplogie und Rheumatologie der Universitätsklinik G …, ein (14.08.1992).
Bei der Untersuchung gab der Kläger an, er habe 1972 wegen Brennens beim Wasserlassen einen Arzt aufgesucht; Fieber, Rückenschmerzen oder auffällige Urinveränderungen hätten damals nicht bestanden. Im Herbst 1975 habe er im Bereich der ehemaligen Zonengrenze im Rahmen einer Übung bei ausgesprochen regnerischem und kühlem Wetter etwa eine Woche im Freien gezeltet. An einem dieser Tage habe er Rückenschmerzen bekommen, und ihm sei eine Dunkel-braun-Verfärbung seines Urins aufgefallen. Der von ihm deshalb aufgesuchte Sanitäter habe diesen Beschwerden keine wesentliche Bedeutung zugemessen und ihm Tabletten mitgegeben. Die Beschwerden seien nach ein paar Tagen verschwunden und der Urin sei wieder klar gewesen.
Prof. Dr. Sch … gelangte zu dem Ergebnis, dass im Herbst 1975 eine im Verlauf chronische glomeruläre Erkrankung, die später zu einem weitgehenden Versagen der Nierenfunktion geführt hat, mit einem akuten Schub begonnen habe. Es handele sich am Wahrscheinlichsten um eine chronische Glomerulonephritis; eine weitere Differenzierung des Krankheitsbildes sei nicht möglich, da eine bioptische Untersuchung der jetzt bei dem Kläger vorliegenden Schrumpfnieren nicht weiter führend sei. Es bestehe mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ein gewisser ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Erkrankung und dem Wehrdienst. Eine eindeutige Zuordnung sei jedoch nicht möglich, da über die Ursache einer chronischen Glomerulonephritis in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit bestehe. Andere Ursachen, wie z.B. eine angeborene Nierenerkrankung, ein Diabetes mellitus, ein Hypertonus, eine Systemerkrankung oder ein Schmerzmittelabusus seien unwahrscheinlich bzw. ausgeschlossen.
Das Versorgungsamt B … schloss sich – nach Stellungnahmen der Sozialmedizinerin Dr. H … – der Beurteilung des Prof. Dr. Sch … dem Grunde nach an und leitete den Vorgang an das Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen (LVAmt) mit der Bitte weiter, die für eine Anerkennung der Nierenerkrankung als Schädigungsfolge erforderlich erachtete Zustimmung des Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) einzuholen. Auf Weisung des LVAmt s wurde der Kläger ergänzend zu den körperlichen Belastungen und Witterungseinflüssen insbesondere während der Übung im Herbst 1975 befragt. Er bestätigte dabei die schon gegenüber Prof. Dr. Sch … gemachten Angaben, die die Versorgungsverwaltung als absolut glaubhaft bezeichnete. Das LVAmt holte sodann eine weitere versorgungsärztliche Stellungnahme ein. In dieser führte der Arzt für Urologie Dr. S … aus, dass eine Anerkennung des Leidens als Wehrdienstbeschädigung nicht in Frage komme. Die Diagnose einer Glomerulone phritis sei nicht gesichert und ein Fehlverhalten der Bundeswehrärzte nicht feststellbar. Die von dem Kläger geschilderten Umstände seien nicht geeignet, die Resistenz erheblich herabzusetzen. Die Urinverfärbung im Herbst 1975 sei nicht bewiesen. Wahrscheinlicher sei, dass die Krankheit bereits 1972 begonnen habe.
Auf Weisung des LVAmtes lehnte das Versorgungsamt B … den Antrag des Klägers nunmehr mit Bescheid vom 23.06.1994 ab. Der dagegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid des LVAmtes vom 14.10.1994).
Mit seiner Klage vom 17.11.1994 hat der Kläger darauf hingewiesen, dass seine Urinwerte bei der Musterungsuntersuchung normal gewesen seien. Bei der Übung im Herbst 1975 sei er nicht darüber aufgeklärt worden, an welcher Erkrankung er leide; bei der stationären Untersuchung 1976 habe man ihm gegenüber die pathologischen Nieren- bzw. Urinwerte verharmlost. Ihm sei nicht hinreichend deutlich gemacht worden, dass eine weitere Abklärung dringend erforderlich gewesen sei; die nunmehr vorliegende Niereninsuffizienz sei deshalb ggf. auch auf eine Fehlbehandlung zurückzuführen.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 23.06.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.1994 zu verurteilen, eine chronische Niereninsuffizienz mit der Notwendigkeit der Dialysebehandlung als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v. H. zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat ausgeführt, dass der Kläger bei der Routineuntersuchung im Januar 1976 angegeben habe, keinen nachhaltigen Auskühlungen ausgesetzt gewesen zu sein. Deshalb erscheine sein Vortrag, er habe im Herbst 1975 an einer Braunfärbung des Urins und Rückenschmerzen gelitten, nicht glaubhaft, zumal er sich an andere Einzelheiten aus der Zeit des Wehrdienstes nicht erinnern könne. Ferner sei nach wie vor die Diagnose nicht gesichert. Glomerulonephriti den wiesen verschiedene Erscheinungsformen und damit auch unterschiedliche Ätiologien auf. Eine Anerkennung der Nierenerkrankung sei deshalb auch im Rahmen der Kannversorgung nicht möglich.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Sozialgericht (SG) Detmold die vom Kreiswehrersatzamt D … über den Kläger vorhandenen Restunterlagen beigezogen. Es hat ferner – allerdings erfolglos – versucht, weitere Unterlagen vom Wehrbereichsgebührnisamt III beizuziehen und Informationen zum Gesundheitszustand des Klägers von Dr. O …, der diesen vor und nach dem Wehrdienst behandelt hat, zu erhalten. Ebenso verlief eine Anfrage bei der H …-v …-B …-Kaserne und dem Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen, welcher Sanitäter den Kläger bei der Übung im Herbst 1975 behandelt habe, ergebnislos. Zudem hat das SG ein internistisch-nephrologisches Gutachten von Prof. Dr. K …, Abteilung Nephrologie der Medizinischen Hochschule H …, nebst ergänzenden Stellungnahmen eingeholt (06.05.1995, 11.09.1995, 04.03.1996). Prof. Dr. K … hat ausgeführt, die Diagnose einer Glomerulonephritis sei eindeutig. Die Erstmanifestation der Erkrankung sei in der glaubhaft geschilderten Hämaturie nach Nässe- und Kälteexposition im Rahmen der Wehrübung im Herbst 1975 zu sehen. Vor dem Wehrdienst habe ausweislich des Urinbefundes bei der Musterung keine entsprechende Erkrankung bestanden; auch 1972 sei keine Hämaturie festgestellt sondern lediglich ein Brennen beim Wasserlassen beschrieben worden. Auch andere Ursachen für die jetzt bestehende Erkrankung, insbesondere sekundär chronische Nephritiden aufgrund anderer Systemerkrankungen, seien ausgeschlossen. Die Voraussetzungen für eine Kannversorgung seien gegeben, da die geschilderte Kälte- und Nässeexposition als mögliche atiologische Faktoren vorgelegen hätten. Die schädigungsbedingte MdE aufgrund der terminalen Niereninsuffizienz betrage seit Januar 1991 100 vom Hundert (v.H.).
Das SG ist dem Sachverständigen nicht gefolgt und hat die Klage mit Urteil vom 08.07.1998 abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, es sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger solchen Belastungen ausgesetzt gewesen sei, die seine Resistenz gegenüber Infekten hätten erheblich herabsetzen können. Das sei nur bei kriegsähnlichen Verhältnissen der Fall. Daran fehle es. Im übrigen habe der Kläger bei der Untersuchung durch Dr. O … am 30.01.1976 selbst erklärt, sich an nachhaltige Auskühlungen nicht erinnern zu können. Darüber hinaus habe auch er keine genauen Angaben zum Zeitpunkt der Übung machen können.
Mit seiner gegen das am 29.08.1998 zugestellte Urteil eingelegten Berufung vom 24.09.1998 hat der Kläger sich im Wesentlichen auf die Gutachten des Prof. Dr. Sch … und des Prof. Dr. K … berufen. Er hat ergänzend (Anhörung vom 28.06.2000) angegeben, Gegenstand der Übung im Herbst 1975 sei normale Infanteriegefechtsausbildung mit "5. Gangart" gewesen. Während der Übung sei es regnerisch und kalt gewesen; die Kleidung sei nass bzw. klamm gewesen und auch nicht richtig trocken geworden; es habe auch keine Möglichkeit bestanden, die Kleidung zu trocknen. Er sei während der Übung in nicht ausreichend beheizten Baracken bzw. nicht beheizbaren 2-Mann-Zelten ohne Boden untergebracht gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 08.07.1998 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 23.06.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.1994 zu verurteilen, eine "terminale Niereninsuffizienz auf dem Boden einer chronischen Glomerulonephritis mit renaler, arterieller Hypertonie, Zustand nach Nierentransplantation mit erneuter Dialysepflichtigkeit" als Wehrdienstbeschädigung anzu erkennen und ab Februar 1991 Versorgung nach einer MdE um 100 v. H. zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass der Beginn der Nierenerkrankung nicht sicher festgestellt werden könne und keine körperlichen Belastungen und Witterungseinflüsse nachgewiesen seien, die nach Art, Dauer und Schwere die Resistenz hätten erheblich herabsetzen können.
Die beigeladene Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das BMA, schließt sich dem Antrag des Beklagten an.
Sie ist der Auffassung, dass bei dem Kläger vor dem Wehrdienst keine glomeruläre Nierenerkrankung bestand. Belegt sei ein pathologischer Urinbefund als Ausdruck einer glomerulären Nierenerkrankung erst Ende Januar 1976; eine enge zeitliche Verbindung zu den relevanten Belastungen der Grundausbildung habe zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bestanden. Die für den Herbst 1975 geschilderte Braunfärbung des Urins, aus der ggf. auf einen Leidensbeginn geschlossen werden könne, sei nicht belegt. Die Urinveränderung sei auch nicht anzunehmen, da eine derartige Harnveränderung in der Regel als so beeindruckend erlebt werde, dass entweder sofort ein Arzt aufgesucht oder das Ereignis bei anamnestischen Angaben wie bei der zeitnahen Untersuchung durch Dr. O … im Januar 1976 nicht verschwiegen werde.
Der Senat hat – vorsorglich nochmals – die über den Kläger während seiner Bundeswehrdienstzeit geführten medizinischen Unterlagen vom Institut für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen beigezogen. Zudem wurde vom Deutschen Wetterdienst H … eine Aufstellung über die Klimadaten im Raum L … für die Zeit von September bis November 1975 eingeholt. Weitere Ermittlungen nach Unterlagen über das aufgelöste Pionierbataillon 110 in M … bzw. von diesem durchgeführte Übungen blieben erfolglos. Dr. O …, der den Kläger am 30.01.1976 untersucht hat, hat schriftlich mitgeteilt, dass der Kläger bei der Untersuchung keine spezifischen Klagen über einen Harnwegsinfekt erhoben habe. Eine aktuelle Auskühlung habe er verneint, vorherige Auskühlungen könnten jedoch möglich gewesen sein.
Es wurde ein Gutachten nebst ergänzender Stellungnahme (18.10.1999 bzw. 03.03.2000) von Prof. Dr. P …, Direktor der Abteilung für Nieren- und Hochdruckkrankheiten des Universitätsklinikums E …, eingeholt. Der Sachverständige, der zusammen mit dem ebenfalls zum Sachverständigen ernannten Oberarzt Dr. W … am 28.06.2000 vernommen wurde, hat ausgeführt, dass die nicht weiter spezifierbare Glomerulonephritis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit während der Wehrdienstzeit des Klägers entstanden sei. Aufgrund des Musterungsbefundes habe die Erkrankung zum Zeitpunkt der Musterung mit Gewissheit noch nicht vorgelegen; die in der Zeit von Januar bis März 1976 erhobenen Befunde belegten hingegen absolut sicher das Bestehen der Erkrankung. Die von dem Kläger für Herbst 1975 geschilderten Symptome Rückenschmerzen und Veränderung des Urins seien für den Mediziner ein Alarmsignal dafür, dass sich hier eine Nierenerkrankung erstmalig zeige. Deshalb könne auch mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Krankheitsbeginn im Herbst 1975 gewesen sei. Die von dem Kläger geschilderten Belastungen seien gerade wegen der Kombination von Kühle und Nässe nach Art, Dauer und Schwere geeignet, die Resistenz erheblich herabzusetzen, so dass die Voraussetzungen für eine Kannversorgung erfüllt seien.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die vorgelegen haben und Gegenstand mündlicher Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.
Der Senat konnte in der Sache entscheiden, denn das beklagte Land ist ungeachtet der Auflösung des Landesversorgungsamtes (Art. 1 § 3 Satz 2 des gem. Art. 37 Abs. 2 zum 01.01.2001 in Kraft getretenen 2. ModernG (GVBl. NRW, S. 412 ff)) und Übertragung von dessen Aufgaben auf die Bezirksregierung Münster jedenfalls derzeit noch prozessfähig (vgl. Urteil des BSG vom 21.06.2001 – Az.: B 9 V 5/00 -; Urteil des Senats vom 31.01.2000 – Az.: L 10 Vs 28/00 – NWVBl. 10/2001 S. 401).
Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 23.06.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.1994 beschwert den Kläger rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn der Kläger hat Anspruch auf Anerkennung der Folgen sei ner Nierenerkrankung als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung und auf Zahlung einer Versorgungsrente nach einer MdE von 100 v.H …
Nach § 80 SVG erhält ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Wehrdienstbeschädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Eine Wehrdienstbeschädigung ist eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs. 1 SVG). Nach § 81 Abs. 6 Satz 1 SVG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des BMA die Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden (§ 81 Abs. 6 Satz 2).
Der Kläger leidet seit 1991 im Wesentlichen an einer terminalen Niereninsuffizienz mit Dialysepflichtigkeit. Nach Auffassung der Sachverständigen Pof. Dr. K … und Prof. Dr. P … und auch des von dem Beklagten zu Rate gezogenen Prof. Dr. Sch … ist diese gesundheitliche Beeinträchtigung auf eine chronische Glomerulonephritis zurückzuführen. Alternativ dazu in Betracht kommende tubolo-interstitielle oder vorwiegend vaskuläre Nierenerkrankungen (s. die empfohlene Einteilung in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP), Nr. 111 Abs. 1, S. 282) sind nach der Beurteilung des Prof. Dr. Sch … (S. 85 f der B-Akte) sowie der Sachverständigen Prof. Dr. K … (S. 59 ff der Gerichtsakte Band I) und Prof. Dr. P … (S. 291 f der Gerichtsakte Band II) ausgeschlossen und werden auch vom Beklagtem bzw. der Beigeladenen nicht vorgetragen.
Die Ätiologie der chronischen Glomerulonephritis ist in der medizinischen Wissenschaft noch nicht ausreichend geklärt (s. die Angaben der Sachverständigen, insbesondere aber AHP Nr. 111, Abs. 3), so dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den hier allein in Betracht kommenden wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen und chronischer Glomerulonephritis nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit i.S.d. § 81 Abs. 6 Satz 1 SVG beurteilt werden kann und somit nur eine Kannversorgung i.S.d. § 81 Abs. 6 Satz 2 in Betracht kommt.
Deren Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Nach Nummer 111 Abs. 3 AHP ist bei einer primär chronisch entstandenen Glomerulonephritis eine "Kannversorgung" in Betracht zu ziehen, wenn ein Krankheitsbeginn in enger zeitlicher Verbindung mit körper lichen Belastungen und Witterungseinflüssen, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet waren, die Resistenz erheblich herabzusetzen, angenommen werden kann.
Die Voraussetzungen sind erfüllt, denn der Kläger war während seines Wehrdienstes körperlichen Belastungen und Witterungseinflüssen aus gesetzt, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet waren, die Resistenz erheblich herabzusetzen.
Für die Zeit der allgemeinen Grundausbildung ist regelhaft davon auszugehen, dass der Soldat in dieser Zeit solchen körperlichen Belastungen ausgesetzt ist (vgl. dazu die Niederschriften über die Tagung der Sektion "Versorgungsmedizin" des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMA vom 23.04.1986, Punkt 1.1, vom 21. bis 22.03.1994, Punkt 1, vom 28. bis 29.04.1999, Punkt 4.1). Auf einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der von Januar bis März 1975 absolvierten Grundausbildung und der erstmals im Herbst 1975 in Erscheinung getretenen Glomerulonephritis kann jedoch mit dem BMA wegen des längeren zeitlichen Abstandes nicht mehr geschlossen werden; ein solcher Zusammenhang wurde von keinem der gehörten Sachverständigen auch nur in Betracht gezogen.
Der Kläger war aber auch während der von ihm angegebene Übung im Herbst 1975 körperlichen Belastungen ausgesetzt, die nach übereinstimmender Beurteilung der Sachverständigen K … und P … sowie der im Verwaltungsverfahren gehörte Gutachters Sch … geeignet waren, seine gesundheitliche Widerstandsfähigkeit erheblich herabzusetzen. Der Kläger hat nämlich glaubhaft bekundet, während dieser Übung erheblichen Kälte- und Nässeeinwirkungen ausgesetzt gewesen zu sein; seine Kleidung sei nass bzw. klamm gewesen, ohne dass er die Möglichkeit gehabt hätte, die Kleidung zu trocknen. Diese andauernde Kombination von einwirkender Kühle und Nässe bei starker körperlicher Belastung durch die Infanteriegefechtsausbildung führt – wie die Sachverständigen dargelegt haben – zu einer erheblichen Schwächung der körperlichen Abwehrkräfte.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sind schon nach dem Wortlaut der Nummer 111 Abs. 3 AHP keine kriegsähnlichen Verhältnissen gleichzustellende Belastungen Voraussetzung für eine Kannversorgung. Das ergibt sich auch aus den o.a. Niederschriften des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, nach denen bereits die Belastungen während des Grundwehrdienstes regelhaft resistenzmindernd sind. Im übrigen kann auch nach den Feststellungen des Sachverständigenbeirats generell jeder Außendienst versorgungsrelevante Belastungen mit sich bringen, wobei die konkrete Belastungssituation im Einzelfall (z.B. Geländedienst bei ungünstiger Witterung, mehrtägige Übung im Gelände und dergleichen) entscheidend ist (s. Erlass des BMA vom 14.04.1987, S II 7, Az. 20-08-00/25 = Anlage zur Niederschrift vom 21. bis 22.03.1994).
Beklagter und Beigeladene weisen zwar zu Recht daraufhin, dass die Angaben des Klägers über seine Belastungen nicht belegt sind. Dies führt jedoch nicht dazu, dass sie nicht beachtet werden dürfen. Vielmehr sind nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung die Angaben des Antragstellers, der sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers verloren gegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (hierzu eingehend BSG vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01 B -).
An der Glaubwürdigkeit des Klägers bestehen für den Senat keine Zweifel. Jeder der den Kläger in dem Verfahren untersuchenden Ärzte hat ihn, ebenso wie die Versorgungsverwaltung nach unmittelbarer Befragung im Verwaltungsverfahren, als glaubwürdig eingeschätzt. Auch aus den Umständen des vorliegenden Falles ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben des Klägers unrichtig sein könnten. Das Gegenteil ist der Fall.
Infanteriegefechtsübungen, auch unter widrigen Umständen, liegen in der Natur des Wehrdienstes. Weder Beklagter noch Beigeladene haben dementsprechend darzulegen vermocht, dass der Kläger an keiner Übung teilgenommen und dass er dabei keinen Belastungen ausgesetzt war.
Soweit gegen die Glaubwürdigkeit des Klägers angeführt wird, er habe bei seiner ersten Befragung an 27.01.1976 angegeben, keinen nachhaltigen Auskühlungen ausgesetzt gewesen zu sein, ist diese Aussage im Gesamtzusammenhang zu würdigen. Bereits die Antwort des Klägers auf die Frage des Senats, ob er meine, nachhaltigen Auskühlungen ausgesetzt gewesen zu sein, "Ich habe da Dienst gemacht wie alle anderen auch. Ich kann es nicht beurteilen." zeigt auf, dass er die Belastungen, denen er während des Wehrdienstes ausgesetzt war, als normal, eben dem Wehrdienst eigentümlich und nicht besonders beklagens- oder erwähnenswert empfunden hat. Darüber hinaus bezog sich die dem Kläger bei der Untersuchung am 27.01.1976 gestellte Frage nach einer Auskühlung ausweislich der Auskunft des untersuchenden Dr. O … auf eine – bei einer akuten Erkrankung auch auf der Hand liegend – aktuelle, also eine unmittelbar vor der Untersuchung erfolgte Auskühlung. Eine länger zurückliegende Vorgeschichte wurde bei der Untersuchung nicht erhoben; ein selbständiger Rückgriff auf mehrere Monate zuvor durchgemachte Belastungen kann von dem Kläger nicht erwartet werden. Dies gilt umso mehr, als er diesen Umständen zunächst auch keine nachhaltige Bedeutung zugemessen hat.
Erstmals konkrete Angaben zu Belastungen durch den Wehrdienst und Auftreten der Symptome Rückenschmerzen und Urinverfärbung hat der Kläger 1992 bei der Untersuchung durch Prof. Dr. Sch … gemacht. Gerade der Umstand, dass diese – zeitnächsten – Angaben im Rahmen der ersten gezielten Erhebung der Krankenvorgeschichte durch Prof. Dr. Sch … erfolgten, belegt die Richtigkeit der Angaben des Klägers. Zur Gewissheit wird dies, weil nahezu ausgeschlossen ist, dass sich der Kläger als medizinischer Laie der Bedeutung seiner Angaben bewusst war, also auch kein Grund ersichtlich ist, der ihn zu unrichtigen Angaben hätte veranlassen können.
Ebenso spricht auch die Überlegung, aus welchen Gründen der Kläger sich nach mehr als 15 Jahren insbesondere an eine Verfärbung des Urins zu erinnern vermag, nicht gegen ihn. Zum einen wurde dieser Umstand erstmals bei der Befragung durch Prof. Dr. Sch … relevant. Erfahrungsgemäß ruft gerade eine konkrete Befragung nicht bewusste Erinnerungen erst wieder ins Gedächtnis. Zum anderen gibt die Beigeladene selber an, dass eine solche Harnveränderung in der Regel als so beeindruckend erlebt wird, dass ein Arzt konsultiert wird. Dies erklärt nicht nur das noch vorhandene Erinnerungsvermögen des Klägers, es bestärkt sogar sein Vorbringen. Er hat nämlich nach seinen lange zuvor gemachten Angaben wegen der Beschwerden zumindest einen Sanitäter aufgesucht.
Auch die Auskunft des Deutschen Wetterdienstes erweckt keine Zweifel an den Bekundungen des Klägers. Unabhängig davon, dass die Auskunft schon wegen der darin enthaltenen Unsicherheiten aufgrund der Unkenntnis der genauen Lage des Übungsortes nur bedingt aussagekräftig ist, wird durch sie nicht ausgeschlossen, dass im Herbst 1975 zumindest an einer Reihe von Tagen regnerische und kühle Witterung herrschte.
Der Senat ist ferner davon überzeugt, dass die Nierenerkrankung des Klägers auch in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit seinen geschilderten Belastungen, nämlich noch während der Übung im Herbst 1975, erstmals aufgetreten ist. Der Senat folgt den glaubhaften Angaben des Klägers, in dieser Zeit an einigen Tagen an Rückenschmerzen gelitten und eine Dunkel-braun-Färbung des Urins bemerkt zu haben.
Diese Symptome sind in ihrer Kombination, wie der Sachverständige Prof. Dr. P … ausgeführt hat und wie sich auch aus den Gutachten des Prof. Dr. Sch … ergibt, für Mediziner ein Alarmsignal dafür, dass sich erstmalig eine Nierenerkrankung zeigt. Soweit Prof. Dr. P … den Herbst 1975 nur deshalb nicht mit letzter Sicherheit als den Zeitpunkt des Krankheitsbeginns zu bezeichnen vermag, weil zu diesem Zeitpunkt keine Urinuntersuchung erfolgt ist, steht dem Anspruch nichts entgegen. Denn es besteht an diesem Zeitpunkt des Krankheitsbeginns kein vernünftiger Zweifel, so dass sich die von dem Sachverständigen angeführte hohe Wahrscheinlichkeit zur Gewissheit verdichtet.
Der Kläger hat zwar 1976 angegeben, ca. vier Jahre zuvor an einer "Nierenbeckenentzündung" erkrankt zu sein. Hintergrund für diese Erklärung, die bereits von dem untersuchenden Arzt Dr. O … lediglich in Anführungszeichen referiert wurde, war ein Brennen beim Wasserlassen, ohne dass dabei Fieber, Rückschmerzen oder auffällige Urinverfärbungen bestanden. Diese Symptomatik belegt in keiner Weise eine bereits ca. 1972 vorhandene Nierenerkrankung, sondern nach der Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. Phillip allenfalls eine Blasenentzündung. Insbesondere kann jedoch durch die bei der Musterung 1974 durchgeführte Urinuntersuchung ausgeschlossen werden, dass bereits zu diesem Zeitpunkt eine wesentliche Nierenerkrankung, also eine solche, die schließlich zu einem Nierenversagen führt, bestand. Ein absolut normaler Urinbefund, wie er bei der Musterung erhoben wurde, ist nämlich bei einer chronischen Glumeronephritis undenkbar.
Die anschließend in der Zeit von Januar bis März 1976 erhobenen Urinbefunde (zweifach positive Eiweiße und Erys) belegen hingegen – auch unter Berücksichtigung des nachfolgenden charakteristischen Krankheitsverlaufs -, dass die Glumeronephritis dann aber bereits im Januar 1976 bestand.
In der Zeit zwischen Musterung und Untersuchung im Januar 1976 sind wiederum nur die von dem Kläger geschilderten Symptome im Herbst 1975, die markantes Zeichen der Erstmanifestation der Erkrankung sind, festzustellen.
Der Anerkennung des Leidens des Klägers i.S.d. Kannversorgung steht auch die fehlende Zustimmung des BMA nicht entgegen. Im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle eines die Kannversorgung ablehnenden Bescheides ist nämlich auch die Versagung der Zustimmung des BMA, die ein verwaltungsinterner Vorgang und an die das Land gebunden ist, auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Kommt das Gericht dabei – wie hier – zu dem Ergebnis, dass die Ablehnung des begehrten Verwaltungsakts und der Zustimmung rechtswidrig ist, so ist das beklagte Land entsprechend zu verurteilen (Urteil des BSG vom 12.12.1969, 8 RV 469/67, in VersorgB 1970, 96).
Folgen der Wehrdienstbeschädigung sind die bei dem Kläger vorliegen den Gesundheitsstörungen terminale Niereninsuffizienz auf dem Boden einer chronischen Glomerulonephritis mit renaler, arterieller Hypertonie, Zustand nach Nierentransplantation mit erneuter Dialysepflichtigkeit; diese bedingen bereits aufgrund der seit Antragstellung bestehendenden Notwendigkeit der Behandlung mit Blutreinigungsverfahren eine MdE von 100 v.H.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 1 und 2 SGG).
Erstellt am: 15.08.2003
Zuletzt verändert am: 15.08.2003