Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 08.07.2019 geändert und die Klagen abgewiesen. Die Berufung der Klägerinnen wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden für den Zeitraum von Dezember 2015 bis August 2016.
Die Klägerin zu 1), geb. am 00.00.1964, ist die Mutter der Klägerin zu 2), geboren am 00.00.1997. Die Klägerinnen wohnten im streitigen Zeitraum gemeinsam unter der Anschrift T Str. 00 in H. Für die 59 qm große Mietwohnung zahlte die Klägerin zu 1) eine Kaltmiete i.H.v. 395,00 Euro monatlich (310,00 Euro Grundmiete + 85,00 Euro Nebenkosten). Die Warmwasseraufbereitung erfolgte zentral über eine gasbetriebene Heizungsanlage. Die Abschläge an das Energieversorgungsunternehmen betrugen im streitigen Zeitraum 73,00 Euro monatlich. Die Klägerin zu 1) bezog Kindergeld i.H.v. 184,00 Euro im Jahr 2015 und i.H.v. 190,00 Euro im Jahr 2016 und zudem ab 01.03.2015 Arbeitslosengeld I für 249 Tage und für den Zeitraum ab dem 02.11.2015 durchgehend Krankengeld.
Die Klägerin zu 1) stellte in Kenntnis der volljährigen Klägerin zu 2) unter dem 20.07.2015 einen Weiterbewilligungsantrag auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Dabei gab sie an, dass sie kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit mehr erhalte, sie aber bis zum 09.11.2015 Arbeitslosengeld I sowie Kindergeld für die Klägerin zu 2) i.H.v. 184,00 Euro beziehe. In dem Antrag heißt es: "Sollten Sie falsche bzw. unvollständige Angabe machen oder Änderungen nicht oder nicht unverzüglich mitteilen, müssen Sie und die Mitglieder Ihrer Bedarfsgemeinschaft mit der Rückforderung der zu viel gezahlten Leistungen rechnen".
Mit Bescheid vom 14.08.2015 bewilligte der Beklagte den Klägerinnen Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für den Zeitraum von 01.09.2015 bis 31.08.2016, u.a. für die Monate Dezember 2015 bis August 2016 einen Betrag i.H.v. insgesamt 1.043,00 Euro, d.h. 638,00 Euro für die Klägerin zu 1) sowie 405,00 Euro für die Klägerin zu 2). Als Kosten der Unterkunft und Heizung berücksichtigte er insgesamt einen Betrag i.H.v. 478,00 Euro (310,00 Euro Grundmiete + 85,00 Euro Nebenkosten + 83,00 Euro Heizkosten). Auf den Bedarf der Klägerin zu 2) rechnete er das Kindergeld an. Weiteres Einkommen der Klägerin zu 1) berücksichtigte er nicht. Dem Bescheid waren ergänzende Erläuterungen beigefügt, in denen u.a. ausgeführt wurde:
"Mitteilungspflichten. Ändert sich Ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen etwas, das sich auf Ihre Leistung auswirken kann, müssen sie diese ohne Aufforderung dem Jobcenter unverzüglich mitteilen … – Änderung der Einkommens-/Vermögensverhältnisse "
Nach Vorlage des Steuerbescheides für das Jahr 2014, der eine Einkommenssteuererstattung i.H.v. 177,12 Euro auswies, setzte der Beklagte mit Bescheid vom 16.09.2015 die bewilligten Grundsicherungsleistungen für Oktober 2015 von 401,00 Euro auf 223,88 Euro herab.
Mit Änderungsbescheid vom 19.11.2015 trug der Beklagte der zum Jahreswechsel erfolgenden Erhöhung des Regelbedarfs und des Kindergeldes Rechnung und gewährte ab dem 01.01.2016 bis zum 31.08.2016 monatlich der Klägerin zu 1) 643,00 Euro und der Klägerin zu 2) 403,00 Euro.
Am 03.03.2016 legte die Klägerin zu 1) dem Beklagten eine Heizkostenabrechnung des Energieversorgers vom 19.10.2015 sowie eine Betriebskostenabrechnung des Vermieters vom 18.02.2016 vor. Die Heizkostenabrechnung des Energieversorgers bezog sich auf den Abrechnungszeitraum 01.10.2014 bis 30.09.2015 und endete mit einem Guthaben von 108,60 Euro. Der neue monatliche Abschlag wurde auf 73,00 Euro monatlich festgesetzt. Die Betriebskostenabrechnung des Vermieters betraf den Abrechnungszeitraum 01.01.2015 bis 31.12.2015 und endete mit einer Nachzahlung von 202,62 Euro mit Fälligkeit zum 22.03.2016.
Am 22.07.2016 reichte die Klägerin zu 1) eine Bescheinigung der Deutschen Rentenversicherung Bund über die Bewilligung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für die Dauer von voraussichtlich 5 Wochen ein.
Im Weiterbewilligungsantrag vom 04.08.2016 für die Zeit ab dem 01.09.2016 gab die Klägerin zu 1) an, dass die Klägerin zu 2) am 01.09.2016 ausziehe und sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehe. Sie erhalte Entgeltersatzleistungen in Form von Krankengeld i.H.v. 586,56 Euro monatlich. Aus den eingereichten Kontoauszügen betreffend die letzten drei Monate ergaben sich Eingänge i.H.v. 560,79 Euro am 10.06.2016 und 586,56 Euro am 07.07.2016, überwiesen durch die BARMER GEK. Im Übrigen vermerkte die zuständige Sachbearbeiterin am 19.08.2016, dass die übrigen Kontoauszüge vernichtet worden seien; Auffälligkeiten habe es nicht gegeben.
Mit Bescheid vom 19.08.2016 teilte der Beklagte mit, dass nach Prüfung der Heizkostenabrechnung vom 19.10.2015 eine Überzahlung i.H.v. 184,00 Euro entstanden sei (988,00 Euro gewährte Heizkosten – 804,00 Euro tatsächliche Heizkosten). Zudem sei nach Prüfung der Betriebskostenabrechnung vom 18.02.2016 eine Nachzahlung i.H.v. 202,62 Euro zu gewähren (1147,62 Euro tatsächliche Betriebskosten – 945,00 Euro gewährte Betriebskosten). Der Klägerin zu 1) werde nach Verrechnung der beiden Beträge ein Betrag von 18,62 Euro ausgezahlt (202,62 Euro – 184,00 Euro).
Mit Schreiben vom 19.08.2016 forderte der Beklagte die Klägerin zu 1) dazu auf, bis zum 14.09.2016 die folgenden Unterlagen vorzulegen:
– Bescheide der BARMER GEK zu den Krankengeldzahlungen von 560,79 am 10.06.2015 und 586,56 Euro am 07.07.2016;
– mitzuteilen, auf welcher Grundlage der Krankengeldanspruch bestehe, da sie weder einer Beschäftigung nachgehe noch Arbeitslosengeld I erhalte;
– mitzuteilen, ob für die am 28.06.2016 von der Deutschen Rentenversicherung bewilligte medizinische Rehabilitation ein Anspruch auf Übergangsgeld bestehe;
– aktuelle Beitragsrechnung der KfZ-Haftpflichtversicherung.
Am 14.09.2016 ging bei dem Beklagten ein Schreiben der BARMER GEK ein. Im Schreiben vom 11.12.2015, adressiert an die Klägerin zu 1) teilte die Krankenkasse mit, dass die Klägerin zu 1) aufgrund der Arbeitsunfähigkeit ab dem 21.09.2015 Krankengeld i.H.v. 20,77 Euro netto pro Tag, jeweils zu zahlen für einen vollen Kalendermonat erhalte. Aus einem weiterem Schreiben vom 29.08.2016 ergaben sich die Höhe des gezahlten Krankengeldes (02.11.- 09.11.2015: 789,26 Euro, 18.12.2015 – 14.01.2016: 560,79 Euro, 15.01. – 11.02.2016: 560,79 Euro, 12.02. – 11.03.2016: 623,10 Euro, 12.03. – 08.04.2016: 560,79 Euro, 09.04.- 09.05.2016: 643,87 Euro, 10.05.- 06.06.2016: 560,79 Euro, 07.06.- 04.07.2016: 581,56 Euro und 05.07.- 21.07.2016: 353,09 Euro).
Zugleich reichte die Klägerin zu 1) einen Bescheid der Deutschen Rentenversicherung vom 05.08.2016 ein, wonach ein Anspruch auf Übergangsgeld für die Dauer der mit Bescheid vom 28.06.2016 bewilligten Leistungen ab dem 25.07.2016 in Höhe von kalendertäglich 20,77 Euro bestand. Zudem legte die Klägerin eine Beitragsrechnung der E für eine KfZ-Haftpflichtversicherung vor, wonach der Beitrag für das Jahr 2015 sich auf 106,29 Euro belief.
Mit Schreiben vom 14.11.2016 forderte der Beklagte die Klägerin zu 1) unter Fristsetzung und Hinweis auf bestehende Mitwirkungspflichten auf folgende Unterlagen vorzulegen:
– unter Bezugnahme auf die Bestätigung der BARMER GEK vom 29.08.1016 mitzuteilen, ob auch für den Zeitraum vom 10.11. bis zum 17.12.2015 Krankengeld bezahlt bzw. für welchen Zeitraum der Betrag von 789,26 Euro bezahlt worden sei;
– zu welchen Terminen das Übergangsgeld vom 24.07.2016 und 26.08.2016 zugeflossen sei. Es werde um Vorlage der Kontoauszüge oder eine schriftliche Mitteilung gebeten;
– Beitragsrechnung der KfZ-Haftpflichtversicherung für das Jahr 2016:
– Zufluss der Einkommenssteuererstattung für das Jahr 2015 in Höhe von 96,16 Euro.
Unter dem 01.12.2016 reichte die Klägerin zu 1) das erste Blatt der vierseitigen Kontoauszüge (Auszug Nr. 12, 10.08. – 15.08.2016) für den Zeitraum 10.08.2016 bis 30.08.2016 ein, aus dem sich ein Zufluss von 519,25 Euro (für den Zeitraum 25.07.- 19.08.2016) am 10.08.2016 von der Deutschen Rentenversicherung ergab. Sie überreichte zudem Seite 2 des dreiseitigen Kontoauszuges Nr. 13 (01.09.- 13.09.2016), der einen Zufluss der Steuerrückerstattung unter dem 02.09.2016 belegte. Die Klägerin zu 1) fügte ein weiteres Schreiben der BARMER GEK vom 29.08.2016 bei. Darin bestätigte die Versicherung, dass der Betrag von 789,26 Euro für den Zeitraum vom 10.11.- 17.12.2015 gezahlt worden sei.
Der Beklagte forderte die Klägerin zu 1) mit Schreiben vom 13.03.2017 auf, einen Nachweis für den Zugangszeitpunkt des Übergangsgeldes vom 20.08.2016 bis 26.08.2016 sowie die Beitragsrechnung der KfZ-Haftpflichtversicherung ab dem 01.01.2016 und ab 01.01.2017 einzureichen.
Die Klägerin zu 1) übersandte mit Schreiben vom 30.03.2017 erneut den Bescheid der Deutschen Rentenversicherung vom 05.08.2016 sowie die Beitragsrechnung der E betreffend den Beitrag für die KfZ-Haftpflichtversicherung für das Jahr 2016 i.H.v. 115,63 Euro.
Der Beklagte forderte mit Schreiben vom 24.05.2017 erneut die Bekanntgabe des Zuflusszeitpunktes in Bezug auf das Übergangsgeld an.
Die Klägerin übersandte nochmals den Bescheid der Deutschen Rentenversicherung vom 05.08.2016 und das erste Blatt der vierseitigen Kontoauszüge (Auszug Nr. 12, 10.08. – 15.08.2016) für den Zeitraum 10.08.2016 bis 30.08.2016 ein
Der Beklagte forderte die erbetene Information mit Schreiben vom 23.08.2017 nochmals an.
Am 25.08.2017 übersandte die Klägerin zu 1) die erste Seite (betreffend die Zeit vom 31.08. – 01.09.2016) des dreiseitigen Kontoauszuges Nr. 13 (vom 14.09.2016 bzgl. 31.08.2016 – 13.09.2016), die einen Zufluss von 124,62 Euro Krankengeld durch die BARMER GEK am 31.08.2016 und von 145,39 Euro Übergangsgeld (vom 20.08.- 26.08.2016) von der Deutschen Rentenversicherung belegte.
Unter dem 21.02.2018 schrieb der Beklagte die BARMER GEK an und forderte diese auf in Bezug auf die in der Zeit vom 10.11.2015 bis 29.08.2016 mitzuteilen, wann die jeweiligen Krankengeldbeträge an die Klägerin zu 1) ausgezahlt worden seien.
Die Auszahlungszeitpunkte teilte die BARMER GEK sodann mit am 21.03.2018 eingehendem Schreiben mit:
– 10.11.- 17.12.2015: 789,26 Euro – 21.12.2015,
– 18.12.2015 – 14.01.2016: 560,79 Euro – 15.01.2016,
– 15.01. – 11.02.2016: 560,79 Euro – 24.02.2016,
– 12.02. – 11.03.2016: 623,10 Euro – 16.03.2016,
– 12.03. – 08.04.2016: 560,79 Euro- 12.04.2016,
– 09.04. – 09.05.2016: 643,87 Euro – 11.05.2016,
– 10.05. – 06.06.2016: 560,79 Euro – 08.06.2016,
– 07.06.- 04.07.2016: 581,56 Euro – 05.07.2016,
– 05.07.- 21.07.2016: 353,09 Euro – 25.07.2016,
– 22.07. – 29.08.2016: 124,62 Euro – 30.08.2016.
Der Beklagte hörte die Klägerinnen jeweils mit Schreiben vom 16.08.2018 dazu an, dass beabsichtigt sei, für den Zeitraum Dezember 2015 bis einschließlich August 2016 zuviel gezahlte Grundsicherungsleistungen i.H.v. insgesamt 3.387,22 Euro von der Klägerin zu 1) bzw. 2.128,94 Euro von der Klägerin zu 2) zurückzufordern. Die Klägerinnen hätten die ihnen obliegende Mitteilungspflicht betreffend dem Zufluss von Krankengeld und Übergangsgeld grob fahrlässig verletzt.
Mit Bescheiden vom 13.09.2018 jeweils adressiert an die Klägerin zu 1) und zu 2), hob der der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 14.08.2016 in Form des Änderungsbescheides vom 29.11.2015 für den Zeitraum von Dezember 2015 bis August 2016 teilweise auf und forderte von der Klägerin zu 1) einen Betrag von insgesamt 3.387,22 Euro) bzw. von der Klägerin zu 2) von 2.128,94 Euro zurück. Er führte aus, dass die Klägerin zu 1) während des genannten Zeitraumes Anspruch auf Krankengeld und Übergangsgeld gehabt habe. Unter Berücksichtigung dieser nachgewiesenen Einkommensverhältnisse habe die Hilfebedürftigkeit nur in geringerer als der bisher angenommenen Höhe bestanden. Eine Aufhebung für die Vergangenheit sei daher nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 3 SGB X erfolgt. Die Klägerinnen hätten die Änderungen der Verhältnisse jedenfalls grob fahrlässig entgegen bestehender Mitwirkungspflichten nicht mitgeteilt, zumal die Bewilligungsentscheidung wegen der Erzielung von Einkommen ganz oder teilweise aufzuheben sei.
Hiergegen erhoben die Klägerinnen Widerspruch. Der Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheiden vom 07.11.2018 als unbegründet zurück. Die Begründung im Widerspruchsbescheid stützte der Beklagte ausschließlich auf den Aufhebungstatbestand des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.
Die Klägerin zu 1) hat am 20.11.2018 gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 13.09.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2018 Klage, S 50 AS 3235/18, erhoben.
Die Klägerin zu 2) hat gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 13.09.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2018 am 21.11.2018 Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 8 AS 3252/18, dann S 50 AS 312/19, geführt worden ist.
Die Klägerinnen sind der Ansicht gewesen, dass der Beklagte nicht zur Rückforderung berechtigt sei. Insbesondere habe der Beklagte die Jahresfrist der §§ 45 Abs. 4, 48 SGB X nicht eingehalten.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 05.02.2019 die Verfahren S 50 AS 312/19 (zuvor S 8 AS 3252/18) und S 50 AS 3235/18 miteinander verbunden. Die Verfahren wurden unter dem Aktenzeichen S 50 AS 3235/18 fortgeführt.
Die Klägerinnen haben beantragt,
die Bescheide vom 13.09.2018 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 07.11.2018 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen
Mit Urteil vom 08.07.2019 hat das Sozialgericht den an die Klägerin zu 1) gerichtete Bescheid vom 13.09.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2018 insoweit aufgehoben, als damit von der Klägerin zu 1) für den Monat Juni 2016 eine Erstattung in Höhe von 309,89 Euro, für den Monat August 2016 eine Erstattung in Höhe von 448,86 Euro und für den Monat Juli 2016 eine über den Betrag von 182,21 Euro hinausgehende Erstattung verlangt wird. Den an die Klägerin zu 2) gerichtete Bescheid vom 13.09.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2018 hat das Sozialgericht insoweit aufgehoben, als damit von der Klägerin zu 2) für den Monat Juni 2016 eine Erstattung in Höhe von 194,22 Euro, für den Monat August 2016 eine Erstattung in Höhe von 283,72 Euro und für Juli 2016 eine über den Betrag von 114,20 Euro hinausgehende Erstattung verlangt wird. Im Übrigen hat es die Klage der Klägerinnen zu 1) und zu 2) abgewiesen.
Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 13.09.2018 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 07.11.2018 seien rechtmäßig, insoweit von der Klägerin zu 1) und der Klägerin zu 2) jeweils eine Erstattung für die Monate Dezember 2015, Januar 2016 bis einschließlich Mai 2016 verlangt werde. Insoweit von der Klägerin zu 1) und der Klägerin zu 2) jeweils eine Erstattung für die Monate Juni 2016 und August 2016 verlangt werde, seien die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide rechtswidrig. Die Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidungen folge aus § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II, § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III. Entscheidend sei nicht die durch den Beklagten gewählte Rechtsgrundlage, die dieser sowohl in § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 als auch in § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X gesehen habe, zumal ein Austausch der Rechtsgrundlage im Rahmen der rechtlichen Prüfung durch das Gericht möglich sei. Die Aufhebungsentscheidungen seien in Bezug auf die Monate Juni und August 2016 in Gänze und in Bezug auf den Monat Juli 2016 teilweise rechtswidrig, weil der Beklagte die maßgebliche Jahresfrist nicht eingehalten habe. Diese Frist sei eine Entscheidungsfrist und würde im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X nicht erst mit der Anhörung beginnen, sondern bei Vorliegen der Kenntnis vom Zufluss des Einkommens – hier bereits im Jahr 2016 – durch die Behörde. Im Übrigen, d.h. in Bezug auf die Monate Dezember 2015 bis einschließlich Mai 2016, seien die Aufhebungsentscheidungen rechtmäßig, da der Beklagte Kenntnis vom Zufluss des Einkommens erst am 21.02.2018 gehabt habe. Auf die weiteren Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das am 11.07.2019 und 12.07.2019 zugestellte Urteil haben der Beklagte am 30.07.2019 und die Klägerinnen am 02.08.2019 Berufung eingelegt.
Der Beklagte wendet sich gegen die Aufhebung der Bescheide vom 13.09.2018 soweit die Monate Juni, Juli und August 2016 betroffen sind. Er habe seine Aufhebung im Widerspruchsbescheid ausschließlich auf die Vorschrift des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X gestützt. Dies sei geboten, weil dies Einfluss auf Folgeentscheidungen, wie z.B. über die Aufrechnung § 43 Abs. 2 S. 1 SGB II habe. Er habe Anlass gehabt, die subjektiven Voraussetzungen für eine Aufhebungsentscheidung zu ermitteln. Vor diesem Hintergrund komme es für den Beginn der Jahresfrist des § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X auf die erfolgte Anhörung an. Erst mit Vorliegen der Übersicht der Zuflüsse der Krankengeldzahlungen ab dem 10.11.2015 bis 29.08.2016 der Barmer GEK vom 13.03.2018 seien ihm alle objektiven Tatsachen bekannt gewesen, die zu einer Aufhebungsentscheidung berechtigt hätten. Dies gelte im Übrigen auch dann, wenn man die Aufhebung auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X stützen würde. Auch hier setze der Ablauf der Anhörungsfrist die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X in Gang (LSG NRW, Urteil vom 27.01.2005 – L 9 AL 134/04).
Die Klägerinnen führen aus, dass es auf subjektive Elemente nicht ankomme. Rechtsgrundlage sei allein § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X. Insoweit seien die Ausführungen des Beklagten zur Aufrechnungsnorm des § 43 SGB II irrelevant. Es werde auf die Entscheidung des Sozialgerichts Schleswig vom 02.07.2019 – S 1 AS 111/17 – , hingewiesen, wonach ein Ablauf der Jahresfrist vorliege, wenn die Betroffenen nicht i.S.d. §§ 60 ff SGB I mitgewirkt hätten. Die Klägerin zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass ihr bewusst gewesen, dass die von ihr bezogenen Sozialleistungen zusammenspielen. Sie habe daher einen Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit aufgesucht. Den habe sie so verstanden, dass Angaben über den Bezug von Arbeitslosengeld und Krankengeld automatisch an den Beklagten weitergeleitet werden.
In der mündlichen Verhandlung vom 27.02.2019 hat der Beklagte die Bescheide vom 13.09.2018 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 07.11.2018 insoweit aufgehoben, als er im Monat März 2016 die Bewilligung für die Klägerin zu 1) um mehr als 248,77 EUR und für die Klägerin zu 2) um mehr als 139,40 EUR aufgehoben und eine entsprechender Erstattung verlangt hat. Die Klägerinnen haben das Teilanerkenntnis angenommen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 08.07.2019 abzuändern und die Klage abzuweisen, sowie die Berufung der Klägerinnen zurückzuweisen.
Die Klägerinnen beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 08.07.2019 abzuändern und die Bescheide vom 13.09.2018 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 07.11.2018 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 27.02.2020 aufzuheben und die Berufung des Beklagte zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Die Berufung der Klägerinnen nach Abgabe des Teilanerkenntnisses vom 27.02.2020 unbegründet.
Gegenstand des Verfahrens sind die an die Klägerinnen gerichteten beiden Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 13.09.2018 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 07.11.2018 und des Teilanerkenntnisses vom 27.02.2020, mit welchen der Beklagte die Bewilligungen von Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum vom 01.12.2015 bis 31.08.2016 teilweise aufgeboben und die Erstattung der zuviel gezahlten Grundsicherungsleistungen gefordert hat. Da sowohl die Klägerin zu 1) als auch die Klägerin zu 2) Klage gegen die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide erhoben haben, liegt eine subjektive Klagehäufung i.S.v. § 74 SGG i.V.m. §§ 59 f. ZPO vor.
Die nach § 54 Abs. 1 S. 1 SGG zulässigen Anfechtungsklagen sind unbegründet.
Die Klägerinnen sind – nach Abgabe des Teilanerkenntnisses des Beklagten vom 27.02.2020 – durch die angefochtenen Bescheide i.S.d. § 54 Abs. 2 S. 1 SGG nicht beschwert, da diese rechtmäßig sind.
Der Beklagte ist berechtigt gewesen, die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen an die Klägerinnen für die Monate Dezember 2015 bis August 2916 nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X aufzuheben (A) und die zuviel gezahlten Leistungen nach § 50 SGB X (B) zurückzufordern.
A. Der Beklagte hat die teilweise Aufhebung der Bewilligungsbescheide in den Bescheiden vom 13.09.2018 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 07.11.2018 auf die Vorschrift des § 40 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III, § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB gestützt. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X haben vorgelegen. Es ist wegen des Zuflusses von Einkommen eine wesentliche Änderung i.S.v. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X eingetreten (I). Die Klägerinnen haben ihre Mittteilungspflicht über den Einkommenszufluss grob fahrlässig verletzt (II). Sie sind angehört worden (III). Die Jahresfrist ist gewahrt (IV).
Ein Rückgriff auf die Rechtsgrundlage des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X, so wie es das Sozialgericht vorgenommen hat, scheidet aus, da der Beklagte seine Aufhebung im Rahmen der Widerspruchsbescheide ausschließlich auf die Regelung des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X gestützt hat. Gegenstand des Verfahrens ist, wenn ein Vorverfahren stattgefunden hat, der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§ 95 SGG). Liegen die Voraussetzungen mehrerer Alternativen für die Aufhebung nach § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X – wie im vorliegenden Fall – nebeneinander vor, kann der Beklagte die Aufhebung ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse auf verschiedene Tatbestände stützen (vgl. Merten in: Hauck/Noftz, SGB, 11/18, § 48 SGB X, Rn. 32). Insoweit ist zunächst für das gerichtliche Verfahren maßgebend, auf welchen Aufhebungstatbestand der Beklagte seine Entscheidung gestützt hat (§ 35 SGB X). Das Auswechseln von Rechtsgrundlagen, das sog. "Nachschieben von Gründen", durch ein Sozialgericht – vorliegend der Austausch des Aufhebungstatbestandes des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X durch § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X – ist erst zulässig, wenn die von einer Behörde genannte Eingriffsnorm nicht einschlägig ist. Denn die Sozialgerichte haben die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen. Das schließt die Berücksichtigung auch solcher Rechtsgründe ein, welche die Behörde zur Begründung des angefochtenen Bescheids nicht angeführt hat, es sei denn, durch die neue Begründung würde der Verwaltungsakt nach Voraussetzungen, Inhalt und Wirkungen wesentlich verändert und die Rechtsverteidigung des Betroffenen in nicht zulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert (BSG, Urteil vom 20.10.2005 – B 7a AL 18/05 R) Den Entscheidungsgründen ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen die Kammer angenommen hat, zum Auswechselten der Rechtsgründen berechtigt zu sein, insbesondere ist keine Prüfung des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X erfolgt.
I. Nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt ist mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene nach Erlass des Verwaltungsaktes einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.
Bezogen auf den Bewilligungsbescheid vom 14.08.2015 ist erst nach dessen Bekanntgabe die Gutschrift von Krankengeld im Dezember 2015 auf das Konto der Klägerin zu 1) erfolgt, sodass unter Berücksichtigung der maßgebenden objektiven tatsächlichen Verhältnisse, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Denn auf die für Dezember 2015 bewilligten Grundsicherungsleistungen ist das Krankengeld als Einkommen nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II anzurechnen, so dass der Anspruch auf Grundsicherungsleistungen für diesen Monat teilweise entfällt. Ebenso sind bezogen auf den Änderungsbescheid vom 19.11.2015 erst nach dessen Bekanntgabe die Gutschriften von Krankengeld und Übergangsgeld in den Monaten Januar bis August 2016 auf das Konto der Klägerin zu 1) erfolgt, sodass unter Berücksichtigung der maßgebenden objektiven tatsächlichen Verhältnisse, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist.
Das bezogene Krankengeld und Übergangsgeld stellen Einkommen i.S.d. §§ 11 ff. SGB II dar, das auf den Hilfebedarf der Klägerinnen i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 SGB II anzurechnen ist. Nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II i.d.F. der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBl. I 850) sind als Einkommen Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen zu berücksichtigen. Bei dem Krankengeld und Übergansgeld handelt es sich um Einkommen in diesem Sinne und nicht um privilegiertes Einkommen i.S.d. § 11a SGB II (vgl. BSG, Urteile vom 27.09.2011 – B 4 AS 180/10 R – [Krankengeld] und vom 07.05.2009 – B 14 AS 13/08 R – [Übergangsgeld]). Das Krankengeld und Übergangsgeld sind mithin zur Minderung des Hilfebedarfs einzusetzen und daher bei der Berechnung der Grundsicherungsleistungen zu berücksichtigen. Von dem zugeflossenen Kranken- und Übergangsgeld ist nach § 11b Abs. 1 Nr. 3 SGB II neben der Versicherungspauschale von monatlich 30,00 Euro (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgII-V), die auch bei der Berücksichtigung des Kindergeldes als Einkommen der Klägerin zu 2) zum Tragen kommt (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgII-V), der Beitrag der KfZ-Haftpflichtversicherung abzuziehen. Insoweit hat der Beklagte die Höhe des anrechenbaren Einkommens zutreffend ermittelt. Auf die Ausführungen des Beklagten im Widerspruchsbescheid wird Bezug genommen. Dieses Einkommen ist auf den Bedarf der Klägerinnen anzurechnen, der sich aus dem Regelbedarf und den Kosten für Unterkunft und Heizung zusammensetzt. Die Höhe des für die Klägerinnen anzusetzenden Regelbedarfs ergibt sich aus § 20 Abs. 2 SGB II i.d.F. der Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für die Zeit ab 01.01.2015 vom 15.10.2014 (RBBeK 2015, BGBl. I S. 1620), wonach der Regelbedarf für Alleinstehende monatlich 399,00 Euro beträgt und für Erwachsene im Haushalt anderer 320,00 Euro sowie für die Zeit ab 01.01.2016 vom 22.10.2015 (RBBeK 2016, BGBl. I S. 1792), wonach der Regelbedarf für Alleinstehende monatlich 404,00 Euro und für Erwachsene im Haushalt anderer 324,00 Euro beträgt. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Mehrbedarfs nach § 21 SGB II sind nicht ersichtlich und werden auch von den Klägerinnen nicht vorgetragen. Der laufende Bedarf für Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist im streitigen Zeitraum auf 471,65 monatlich anzusetzen. Er setzt sich aus 395,00 Euro Bruttokaltmiete sowie 73,00 Euro Heizkostenabschlag und 3,65 Euro Heizstrom zusammen. Der Beklagte hat im streitigen Zeitraum nicht berücksichtigt, dass die Kosten für Heizstrom zu übernehmen sind. Da kein separater Zähler oder Zwischenzähler für den sog. Heizungsstrom im streitigen Zeitraum existiert hat und damit der Verbrauch an Heizstrom nicht konkret nachweisbar ist, sind die Kosten für den Heizstrom nach § 202 SGG i.V.m. § 287 ZPO zu schätzen (BSG, Urteil vom 07.07.2011 – B 14 AS 51/10 R). Als Schätzungsgrundlage sind nach Auffassung des Senats die mietrechtlichen Grundsätze über die Schätzung der Kosten für Heizstrom in der Betriebskostenabrechnung heranzuziehen. Ein Vermieter ist bei der Heizkostenabrechnung in einem Mietverhältnis berechtigt, die als Teil der Heizkosten abzurechnenden Stromkosten für die Heizungsanlage (§ 7 Abs. 2 Heizkostenverordnung) zu schätzen, wenn gesonderte Zähler dafür nicht vorhanden sind. Eine Schätzung, die sich auf die Erfahrungswerte stützt, dass die Kosten des Heizungsstroms/Betriebsstroms 5% der Brennstoffkosten betragen, sieht der Senat als sachgerecht an (vgl. Urteile des Senats vom 09.01.2020 – L 19 AS 245/19 und vom 24.09.2012 – L 19 AS 773/12). Dies zugrunde gelegt, bemisst sich der Heizstrom i.H.v. 5% des Abschlags für Erdgas, was einem Betrag von 3,65 Euro (5% von 73,00 Euro) entspricht (vgl. zum Heizstrom BSG, Beschluss vom 26.05.2010 – B 4 AS 7/10 B – und Urteil vom 07.07.2011 – B 14 AS 51/10 R; Urteile des Senats vom 09.01.2020 – L 19 AS 245/19 und vom 24.09.2012 – L 19 AS 773/12). Im März 2016 ist als einmaliger Bedarf die Betriebskostennachforderung i.H.v. 202,62 Euro hinzurechnen. Dies zugrunde gelegt ergibt sich unter Berücksichtigung des anrechenbaren Einkommens in den streitigen Monaten folgende wesentliche Änderung der Verhältnisse:
Bedarf im Monat 12/15: Gesamteinkommen 735,66
Tabelle im Original
Die wesentliche Änderung der Verhältnisse für Dezember 2015 berechnet sich wie folgt:
Tabelle im Original
Bedarf in den Monaten Januar, Februar, April, Mai und Juni 2016:
Tabelle im Original
Die wesentliche Änderung der Verhältnisse in den fünf Monaten berechnet sich wie folgt:
Tabelle im Original
Bedarf im Monat Mai 2016:
Tabelle im Original
Die wesentliche Änderung der Verhältnisse im Monat Mai 2016 berechnet sich wie folgt:
Tabelle im Original
Bedarf im Monat Juli 2016:
Tabelle im Original
Die wesentliche Änderung der Verhältnisse im Monat Juli 2016 berechnet sich wie folgt:
Tabelle im Original
Bedarf im Monat August 2016:
Tabelle im Original
Die wesentliche Änderung der Verhältnisse im Monat August 2016 berechnet sich wie folgt:
Tabelle im Original
Dass der Beklagte in den streitigen Monaten (mit Ausnahme des Monats März 2016) die Bewilligungen in zu geringer Höhe aufgehoben hat, geht wegen des Verböserungsverbots nicht zu Lasten der Klägerinnen.
II. Die Klägerinnen haben ihre Mitteilungspflicht betreffend des Zuflusses von Einkommen während des Bewilligungszeitraums i.S.v. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X grob fahrlässig verletzt.
Die Klägerin zu1) ist nach § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB I verpflichtet gewesen, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind – vorliegend Zufluss von Krankengeld und Übergangsgeld – unverzüglich dem Beklagten mitzuteilen. Diese Pflicht hat sie grob fahrlässig verletzt.
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Maßgebend hierfür ist die persönliche Einsichtsfähigkeit des Begünstigten (subjektiver Sorgfaltsmaßstab; vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2001 – B 11 AL 21/00 R m.w.N.). Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Werden gesetzliche Vorschriften, auf die der Leistungsträger den Leistungsempfänger gesondert hingewiesen hat, außer Acht gelassen, ist in der Regel von grober Fahrlässigkeit auszugehen, es sei denn, dass der Betroffene nach seiner Persönlichkeitsstruktur und nach seinem Bildungsstand die Vorschrift nicht verstanden hat (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.1977 – 8/12 RKg 8/76).
Der Beklagte hat der Klägerin zu 1) in den Hinweisen in den Formularen zur Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II wie auch nochmals in den Bewilligungsbescheiden (etwa auf Seite 3 des Bescheides vom 14.08.2015) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie verpflichtet ist, Änderungen in ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen (z.B. Änderungen der Einkommensverhältnisse), die sich auf die Leistungen auswirken können, unverzüglich ihm mitzuteilen. In diesen Erläuterungen ist die besondere Bedeutung von Einkommen eindeutig und deutlich hervorgehoben. Dass die Klägerin zu 1) nicht in der Lage gewesen wäre, diese Hinweise zu verstehen und danach zu handeln, ist weder vorgetragen noch ergeben sich irgendwelche Anhaltspunkte hierfür. Vielmehr hat die Klägerin zu 1) nach ihren eigenen Angaben im Hinblick auf das Auslaufen des Arbeitslosengeldes I und der Möglichkeit des Bezuges von Krankengeld versucht, den Sachverhalt bei der Bundesagentur für Arbeit, und damit bei der falschen Behörde zu klären. Zudem war aus dem Bewilligungsbescheid auch deutlich erkennbar, dass sich die bewilligten Leistungen nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes I deutlich erhöhten und sich auch nicht nach Aufnahme der Krankengeldzahlungen wieder reduzierten.
Der Klägerin zu 2) ist die grobe Fahrlässigkeit der Klägerin zu 1) als Verschulden zuzurechnen. Eine Zurechnung von Verschulden unter volljährigen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft kann zwar nicht nach § 38 SGB II erfolgen. Denn es handelt sich nicht um einen Fall gesetzlicher Vertretung, sondern allein um die Vermutung des Vorliegens einer Vollmacht, die nur die Antragstellung und die Entgegennahme der Leistungen erfasst, aber darüber hinaus keine Wirkungen entfaltet (BSG, Urteil vom 07.07.2011 – B 14 AS 144/10 R). Ein Betroffener muss sich aber das grob fahrlässige oder gar vorsätzliche Verhalten seines Bevollmächtigten analog § 278 BGB zurechnen lassen ( LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 02.11.2011 – L 4 KR 39/08; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.04.2017 – L 8 R 1083/14; Merten in: Hauck/Noftz, SGB, 04/18, § 45 SGB X, Rn. 82; Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl., § 38 (Stand: 26.09.2016), Rn. 36). Dies gilt in Fällen einer ausdrücklich erteilten Vollmacht ebenso wie in Fällen der Anscheins- oder Duldungsvollmacht (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 10.08.2011 – L 15 AS 1036/09; LSG Hamburg, Urteil vom 20.10.2011 – L 5 AS 87/08; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 10.10.2016 – L 6 AS 97/14).
Zwar liegt hier eine ausdrückliche Vollmacht, dass die Klägerin zu 1) für die Klägerin zu 2) in ihrem Namen Leistungen beantragt, nicht vor. Jedoch hat eine Duldungsvollmacht bestanden. Die Klägerin zu 2) hat in der mündlichen Verhandlung bekundet, dass sie gewusst habe, dass die Klägerin zu 1) auch für sie Leistungen beantragt und bezogen hat. Sie hat auch gewusst, dass sie über die rechtliche Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft selbst zur Leistungsbezieherin wird. Damit hat sie Kenntnis vom Handeln ihrer Mutter gehabt und dies geduldet.
III. Der Beklagte hat die Klägerinnen vor Erlass der Bescheide vom 13.09.2018 mit Schreiben vom 16.08.2018 ordnungsgemäß nach § 24 Abs. 1 SGB X angehört.
IV. Die Jahresfrist des §§ 48 Abs. 4 S. 1, 45 Abs. 4 S. 2 SGB X ist gewahrt. Danach muss die Behörde einen Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen aufheben, welche die Rücknahme des Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigen.
Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X dient nicht dem Vertrauensschutz des Betroffenen, sondern der Rechtssicherheit (BSG, Urteil vom 31.01.2008 – B 13 R 23/07 R). Sie ist auch nicht als reine Bearbeitungszeit konzipiert (BSG, Urteil vom 08.02.1996 – 13 RJ 35/94) Die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis ist dann anzunehmen, wenn mangels vernünftiger objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht (BSG, Urteil vom 26.07.2016 – B 4 AS 47/15 R m.w.N.). Das verlangt jedenfalls eine Kenntnis des rechtserheblichen äußeren Sachverhalts sowie darüber hinaus auch eine Kenntnis sog innerer Tatsachen, sofern diese ebenfalls zu den normierten Tatbestandsvoraussetzungen gehören. Bei einer Aufhebungsentscheidung, die sich auf Vorwurf der groben Fahrlässigkeit i.S.v. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X stützt, beginnt die Jahresfrist daher erst dann zu laufen, wenn die Behörde Kenntnis davon hatte, dass der Betroffene seine Mitteilungspflicht vorsätzlich oder infolge grober Fahrlässigkeit verletzt hat. Bei der Beurteilung, ob grobe Fahrlässigkeit gegeben ist, kann die Behörde nicht allein auf den Akteninhalt abstellen, sondern die Behörde muss vor einer Aufhebungsentscheidung dem Betroffenen zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu den entscheidungserheblichen Tatsachen geben (BSG, Urteile vom 25.04.2002 – B 11 AL 69/01 R und vom 27.07.2000 – B 7 AL 88/99 R). Daher beginnt die Jahresfrist im Fall des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X erst ab Ablauf der Anhörungsfrist zu laufen.
Der Beklagte hatte hinsichtlich der Monate Dezember 2015 bis Mai 2016 eine sichere Tatsachengrundlage erst mit Schreiben der Barmer GEK vom 21.03.2018 erlangen, da erst mit diesem Schreiben der Zeitpunkt der Zuflüsse des Krankengeldes geklärt gewesen ist. Die Jahresfrist hat damit erst mit Ablauf der Anhörungsfrist im Schreiben vom 16.08.2018 zu laufen begonnen, so dass die Aufhebungsentscheidungen vom 13.09.2018 innerhalb der Frist ergangen sind.
Es sind auch keine Anhaltspunkte für eine treuwidrige Verzögerung der weiteren Ermittlungen durch den Beklagten bzw. ein missbräuchliches Verschließen vor der Erkenntnis erkennbar, die die Annahme eines früheren Beginns der maßgeblichen Jahresfrist bzw. der Verwirkung des Aufhebungsrechts rechtfertigen würde (vgl. hierzu Merten, a.a.O. § 48 Rn. 121 m.w.N.). Lässt sich eine Aufhebung auf mehrere Tatbestandsalternativen des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X stützen, so beginnt die Frist für die einzelnen Aufhebungstatbestände erst zu laufen, wenn die Kenntnis der Tatsachen betreffend des maßgeblichen Aufhebungstatbestandes vorgelegen haben. Der Senat lässt offen, ob bei einer solchen Fallgestaltung die Jahresfrist erst zu laufen beginnt, wenn die Behörde Kenntnis von den Voraussetzungen sämtlicher Alternativen des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X hat (vgl. hierzu Merten, a.a.O., § 48 Rn. 121).
B. Der Beklagte ist – nach Abgabe des Teilanerkenntnisses vom 27.02.2020 – berechtigt, von der Klägerin zu 1) einen Betrag i.H.v. 3376,96 Euro (3387,22 Euro – 10,26 Euro) und von der Klägerin zu 2) i.H.v. 2124,11 Euro (2128,94 Euro – 4,83 Euro) nach § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X zurückzufordern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Erstellt am: 04.06.2020
Zuletzt verändert am: 04.06.2020