Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.06.2007 aufgehoben und die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Gewährung von Hinterbliebenenrente.
Die Klägerin ist die Witwe des am 00.00.1925 in H geborenen J M (J.M.). Dieser hatte am 9.10.2000 unter anderem Altersrente wegen "im offenen Judenviertel von Lasi" (Lazy, Bezirk Kielce), Polen, zurückgelegter Beitragszeiten (§ 17 Abs. 1 b des Fremdrentengesetzes (FRG), § 1 der Versicherungsunterlagenverordnung (VUVO)) beantragt und am 15.10.2002 einen Rentenanspruch nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) geltend gemacht. Unter dem 28.8.2000 hatte er insbesondere angegeben, von Ende 1939 bis Anfang 1942 in einer Tischlerei in Lazy, die unter deutscher Treuhandschaft gestanden habe, gearbeitet zu haben; dann sei er noch Ottmuth deportiert worden. Er ergänzte später seinen Vortrag dahin, er sei aus eigenem Willensentschluss und gegen Entgelt tätig gewesen; er habe "12 Zloty wöchentlich oder R.M." als Entgelt erhalten.
Die Beklagte zog die J.M. betreffenden Entschädigungsakten bei und lehnte den Antrag vom 15.10.2002 mit Bescheid vom 3.12.2004 ab. Unter Berücksichtigung der Angaben des J.M. im Entschädigungsverfahren sei davon auszugehen, dass er seine Arbeiten im Rahmen eines Zwangsarbeitsverhältnisses verrichtet habe. Den am 15.12.2004 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 30.3.2006 als unbegründet zurück: Die Existenz eines Ghettos in Lazy sei nicht nachweisbar gewesen. Nach den ihr vorliegenden Unterlagen habe sich dort ein Zwangsarbeitslager befunden. Da der Ort in der Provinz Ostoberschlesien liege, könne eine Anerkennung von Arbeitszeiten ohnehin nicht vor Herbst 1942 erfolgen. Denn eine gezielte Ghettobildung sei nach dem Gutachten des Sachverständigen Bodek erst nach den ersten großen Deportationsmaßnahmen im August 1942 erfolgt.
Am 26.4.2006 ist dagegen im Namen des J.M. anwaltlich Klage beim Sozialgericht Düsseldorf (SG) erhoben worden. Die Klägerin hat am 30.5.2006 mitteilen lassen, dass ihr Ehemann bereits am 00.07.2004 gestorben sei und dass sie das Verfahren fortsetze. Sie hat sich auf die Widerspruchsbegründung und auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 14.12.2006 – B 4 R 29/06 R – bezogen.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 21.6.2007 wörtlich beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 3.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.3.2006 zu verurteilen, dem Kläger unter Anerkennung von Ghettobeitragszeiten von Januar 1940 bis August 1942, zurückgelegt im Ghetto Lazy/Ostoberschlesien, Regelaltersrente ab 1.7.1997 zu zahlen.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 12.5.2006 beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat im September 2006 die Kopie ihres Bescheides vom 8.9.2006 übersandt, mit dem sie den Antrag der Klägerin vom 30.5.2006 auf Witwenrente mangels Erfüllung der erforderlichen Wartezeit abgelehnt hat. Dieser Bescheid enthält den Zusatz, dass er nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des anhängigen sozialgerichtlichen Verfahrens werde.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG am 29.6.2007 ist für die Beteiligten niemand erschienen. Nach mündlicher Verhandlung, die ausweislich der Sitzungsniederschrift von 11:15 Uhr bis 11:17 Uhr gedauert hat, hat das SG unter Abweisung der Klage im übrigen die Beklagte
"unter Aufhebung des Bescheides vom 3.12.2004 und des Widerspruchsbescheides vom 30.3.2006 verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 1.1.1940 bis 31.5.1942 und Ersatzzeit nach Maßgabe des ZRBG ab dem 1.7. 1997 zu gewähren."
Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe Anspruch auf Gewährung einer "Hinterbliebenenrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres" ab 1.7.1997 unter Berücksichtigung einer Beitragszeit ihres verstorbenen Ehemannes vom 1.1.1940 bis zum 31.5.1942 sowie anzurechnender Ersatzzeiten. Nach § 35 SGB VI hätten Versicherte Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit, die gemäß § 50 SGB VI 5 Jahre betrage, erfüllt haben.
Diese Voraussetzungen habe der verstorbene Ehemann der Klägerin erfüllt. Pflichtbeiträge fänden hier nach § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG Berücksichtigung. Der Ehemann der Klägerin habe sich im Ghetto Lazy aufgehalten und dort eine Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt. Es sei auch glaubhaft, dass er die Beschäftigung im Ghetto Lazy aus freiem Willensentschluss aufgenommen habe. Da die Klägerin durchgehend angegeben habe, dass ihr verstorbener Ehemann bis Mai 1942 im Ghetto gewesen sei, sei die Klage im Übrigen abzuweisen gewesen.
Das Urteil enthält keine Ausführungen zum Anspruch auf Altersrente und erwähnt den Bescheid vom 8.9.2006 nicht.
Gegen das ihr am 26.7.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 3.8.2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Es sei nicht feststellbar, dass in Lazy, Bezirk Kielce, ein Ghetto bestanden habe. Außerdem seien die Angaben des verstorbenen Ehemannes der Klägerin zur Entlohnung zu ungenau. Nach den Angaben im Entschädigungsverfahren sei ohnehin nicht von einer aus eigenem Willensentschluss aufgenommen Beschäftigung auszugehen. Gerügt werde auch die Verurteilung zur Gewährung einer Hinterbliebenenrente ab 1.7. 1997. Beantragt worden sei von der Klägerin Versichertenrente. Weil der Ehemann der Klägerin am 28.7.2004 verstorben sei, könne die Hinterbliebenenrente ohnehin nicht schon ab 1.7.1997 beginnen. Das Urteil leide außerdem an dem weiteren schwerwiegenden Mangel, dass in ihm die Wartezeit von fünf Jahren bejaht werde, die vom SG zugesprochen Ghettoarbeitszeiten jedoch nur ein Zeitraum von 29 Kalendermonaten umfassten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.6.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagte verurteilt wird, ihr als Witwe und Sonderrechtsnachfolgerin ihres am 28.7.2004 verstorbenen Ehemannes K N, die diesem vom 1.7.1997 bis August 2004 zustehende Regelaltersrente sowie die sich anschließende Hinterbliebenenrente ab 1.8.2004 unter Aufhebung des Bescheides vom 3.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.3.2006 sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 8.9.2006 zu gewähren,
hilfsweise die Revision zuzulassen,
hilfsweise den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Nach der Entscheidung des erkennenden Senats vom 15.12.2006 – L 3 RJ 112/04- sei von einer Ghettoisierung in Ostoberschlesien bereits ab 1.1.1941 auszugehen. Zur Frage, ob in Lazy beziehungsweise in Ottmuth ein Ghetto existiert habe, müsse gegebenenfalls von Amts wegen ermittelt werden. Die Arbeiten ihres Ehemannes seien aus eigenem Willensentschluss zu Stande gekommen und entgeltlich gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten, der Verwaltungsakten der Beklagten und der Entschädigungsakten des bayerischen Landesamtes für Finanzen – Landesentschädigungsamt-, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in Abwesenheit der Klägerin und ihrer Bevollmächtigten verhandeln und entscheiden, weil die Bevollmächtigte mit der ihr ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist und Anlass zur Vertagung nicht bestanden hat.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.
Gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Verfahrensmangel im Sinne dieser Vorschrift ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift oder aber ein Mangel der Entscheidung selbst. Gleichermaßen kommt eine Zurückverweisung bei Verstößen gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung oder bei unzureichender Begründung der angefochtenen Entscheidung in Betracht (vgl. Jansen, SGG, 2. Auflage 2005, § 159 Rz 6 m.w.N.).
Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf leidet an mehreren schwerwiegenden Verfahrensfehlern. Die Sache ist auch noch nicht entscheidungsreif, so dass die Zurückverweisung geboten ist.
Das angefochtene Urteil ist einer inhaltlichen Überprüfung durch den Senat nicht zugänglich. Es bleibt letztlich unklar, worüber das SG entschieden hat und welcher Streitgegenstand beim Landesozialgericht angefallen ist (vgl. BSG, Urteil vom 23.6.1981 – 7 Rar 31/80 = SozR 1500 § 136 Nr. 6).
Ausweislich des Tenors hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 3.12.2004 und den Widerspruchsbescheid vom 30.3.2006 aufgehoben und die Beklagte zur Gewährung einer "Hinterbliebenenrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres" verurteilt. Dieser Tenor ist nur vordergründig klar (zum wesentlichen Verfahrensfehler bei unklaren Tenor vgl. Jansen, SGG, 2.Aufl. 2005, § 136 Rz 6 m.w.N.).
Auch die Heranziehung des weiteren Urteilsinhalts zu seiner Auslegung (vgl. BSG, rv 1987,14; BSG, SozR § 136 Nr. 1,7; BVerwG, NVwZ 1996,175) lässt nämlich nicht erkennen, worüber das SG entschieden hat. Das beruht zunächst darauf, dass das SG eine Leistung zugesprochen hat, die – zumal mit den vom SG "geprüften" Tatbestandsvoraussetzungen- dem geltenden Recht fremd ist. Nicht nur die zugesprochene Leistung, sondern Hinterbliebenenrente überhaupt war auch nicht Gegenstand der vom SG aufgehobenen Bescheide gewesen. Mit ihnen hatte die Beklagte vielmehr über den Anspruch des J.M. auf RAR entschieden. Gleichzeitig erwähnt das SG den Bescheid über die Ablehnung der Hinterbliebenenrente vom 8.9.2006 weder im Tatbestand noch in den Entscheidungsgründen, übergeht ihn also offensichtlich. Gleichwohl kann das Urteil nicht als falsch bezeichnete Entscheidung über den Anspruch auf RAR ausgelegt werden.
Die Bevollmächtigte der Klägerin hatte mit der vor der mündlichen Verhandlung übermittelten Klagebegründung einen Antrag formuliert, aus dem das materielle Klageziel "Gewährung einer RAR ab 1.7. 1997" unmissverständlich hervorging. Einen Ausspruch über den Anspruch auf RAR (als Rechtsnachfolgerin) enthält das angefochtene Urteil jedoch nicht. Es hebt zwar die dazu (nach dem ZRBG) ergangenen Bescheide der Beklagten auf, nennt jedoch diese Anspruchsart überhaupt nicht sondern spricht in den Entscheidungsgründen wie im Tenor von einer Hinterbliebenenrente. Andererseits gibt das SG als Anspruchsgrundlage des von ihm angenommenen Anspruchs auf Hinterbliebenenrente § 35 SGB VI an, welcher nur als Regelung eines Anspruchs auf RAR verstanden werden kann. Es verurteilt außerdem ab dem 1.7.1997, was ebenfalls zu einem Altersrentenanspruch (in Verbindung mit dem ZRBG) passen würde, zumal es sich mit den vom SG angenommenen tatbestandlichen Voraussetzungen um eine Hinterbliebenenleistung handeln würde, die nicht den Tod eines Versicherten voraussetzen und hier Hinterbliebenenleistungen schon sieben Jahre vor dem Tod des J.M. ermöglichen würde. Mit der Annahme, das SG habe über RAR entschieden wäre- abgesehen von dem kaum so auslegungsfähigen Tenor des Urteils – aber wiederum unvereinbar, dass die Leistung über den Todesmonats des J.M. hinaus zugesprochen worden ist. Es lässt sich damit für den Senat nicht feststellen, ob über RAR unter falscher Bezeichnung der Rentenart oder über Hinterbliebenenrente unter Aufhebung der diese Leistung nicht regelnden Bescheide entschieden worden sein sollte. Aus diesem Grunde lässt das angefochtene Urteil letztlich auch keine Entscheidung des Senats darüber zu, ob die Berufungserwiderung eine Anschlussberufung der Klägerin darstellt und ihr auf Zahlung einer Hinterbliebenenrente ausgedehnter Antrag lediglich eine Klarstellung (§ 96 SGG), Klageerweiterung oder Klageänderung (§ 99 SGG) beinhaltet.
Selbst wenn man das Urteil als Entscheidung über den Anspruch auf Hinterbliebenenrentenanspruch auslegen wollte, was es nach dem Tenor vordergründig betrachtet ist, wäre eine Verletzung des § 123 SGG gegeben (Zusprechen von etwas, was nicht beantragt war (ne ultra petita) einerseits / Nichtentscheidung über einen Anspruch, der erhoben war, andererseits). Ein Verstoß gegen § 123 SGG stellt einen Verfahrensmangel dar.
Gemäß § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Interpretiert das Gericht das klägerische Begehren falsch und spricht es entgegen dem Grundsatz des "ne ultra petita" mehr oder etwas anderes zu als beansprucht war, so hat es damit über keinen vom Kläger erhobenen Anspruch, also nicht über das wirkliche Klagebegehren entschieden und gegen § 123 SGG verstoßen (vgl. zum Verstoß gegen § 123 SGG BSG, Urteil vom 3.4.2001 – B 4 RA 90/00 R; Beschluss vom 29.3.2001 – B 7 AL 214/00). Übergeht das Gericht bewusst, wenn auch rechtsirrtümlich einen Anspruch, handelt es ebenfalls verfahrensfehlerhaft (vgl. BSG, Beschluss vom 5.8.2000 – B 14 KG 3/99). Beides wäre hier bei der Entscheidung über den Hinterbliebenenrentenanspruch anstelle des ausdrücklich zur Entscheidung gestellten des RAR-Anspruchs gegeben.
Ferner verletzt das Urteil § 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG.
Gemäß § 136 SGG enthält das Urteil u.a. die Entscheidungsgründe (Nr.6). § 136 nennt selbst nicht die Anforderungen, die an die Entscheidungsgründe eines Urteils zu stellen sind. Gemäß dem nach § 202 entsprechend anwendbaren § 313 Abs. 3 ZPO enthalten die Entscheidungsgründe eine kurze Zusammenfassung der Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Ihre Funktion besteht darin, deutlich zu machen und sicherzustellen, dass das Gericht alle wesentlichen Gesichtspunkte, insbesondere das Vorbringen der Beteiligten im Rahmen des ihm zukommenden rechtlichen Gehörs berücksichtigt und sich mit ihnen in der gebotenen Weise auseinander gesetzt hat, dass ferner den Beteiligten die Einschätzung der Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels und dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der Entscheidung ermöglicht werden (vgl. BVerwG , Buchholz § 117 VwGO Nr.31). Die Entscheidungsgründe müssen deshalb nach der Rechtsprechung des BSG zu § 136 Abs. 1 Nr.6 SGG zu allen entscheidungserheblichen Streitpunkten die Erwägungen, die zum Urteilsausspruch des Gerichts geführt haben, enthalten (vgl. bei Jansen, SGG, 2.Aufl. 2005, § 136 Rz 12).
Diesen Anforderungen entspricht das angefochtene Urteil nicht. Die Beklagte hatte im Klageverfahren wie im Vorverfahren dezidiert behauptet, in Lazy habe kein Ghetto, sondern nur ein ZAL existiert. Das SG geht im Urteil von der Existenz eines dortigen Ghettos aus, ohne zu begründen, worauf es diese Auffassung stützt. Hierzu fehlen im Urteil die Entscheidungsgründe und auch die Verletzung der Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 SGG) tritt zu Tage.
Das Urteil verletzt damit zugleich das rechtliche Gehör (§§ 128, 62 SGG) der Beklagten, denn der Vortrag der Beklagten zu einem offenkundig entscheidenden Punkt wird vom SG ignoriert.
Eine Verletzung des § 128 SGG ist ferner darin begründet, dass das SG den Inhalt der Akten auch im Übrigen nur bruchstückhaft berücksichtigt hat.
Gemäß § 128 Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind. § 128 SGG ist verletzt, wenn das Gericht nicht alle bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragenen oder bekannt gewordenen Umstände berücksichtigt.
Das angefochtene Urteil lässt erkennen, dass der Inhalt der beigezogenen Akten zu großen Teilen keine Berücksichtigung gefunden hat. Nicht nur die Diskussion der Frage der Existenz eines Ghettos findet im Urteil keinen Niederschlag, sondern es wird z.B. auch überhaupt nicht darauf eingegangen, dass J.M. im Entschädigungsverfahren angegeben hatte, er sei 1939 zu Zwangsarbeit herangezogen worden und 1940/41 ins Zwangsarbeitslager Ottmuth gekommen, oder dass auch die Auskunft des Internationalen Roten Kreuzes vom 11.8.1960 für einen Aufenthalt in KZ Ottmuth u. a. sprechen könnte. Es fehlt zudem jede Auseinandersetzung etwa damit, dass im Gutachten vom 21.1.1964 keine Tischlerarbeit, sondern Zwangsarbeiten (Reinigungsarbeiten) genannt werden und erneut für 1940 oder 1941 die Verbringung ins ZAL Ottmuth (dort Straßenarbeiten) berichtet wird. Unbeachtet geblieben ist schließlich das noch nicht ins Deutsche übersetzte psychiatrische Gutachten des Dr. T vom 31.7.1994, welches Hinweise darauf enthalten könnte, dass J.M. als unbezahlter Helfer in einem Schuhmacherladen gewesen ist und sich auf diese Weise vor Zwangsarbeit und Deportation geschützt hat.
Da bereits wegen der vorbezeichneten Verfahrensfehler die Zurückverweisung an das SG geboten war, sieht der Senat von einer näheren Prüfung der Frage ab, ob durch die offen dokumentäre lediglich zweiminütige Verhandlung § 124 SGG verletzt ist. Jedenfalls ist dem Senat unerfindlich, wie in zwei Minuten der Sachverhalt vorgetragen und das Vorliegen der einzelnen Tatbestandsmerkmale geprüft werden konnte.
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das SG auch § 96 SGG zu prüfen haben.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des SG vorbehalten.
Anlass zur Revisionszulassung hat nicht bestanden.
Erstellt am: 22.01.2008
Zuletzt verändert am: 22.01.2008