Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 20.03.2015 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellerinnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von insgesamt 780,16 EUR monatlich für die Zeit vom 01.03.2015 bis zum 31.08.2015, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, als Darlehen zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerinnen in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerinnen begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab 01.03.2015.
Die am 00.00.1969 geborene Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der am 00.001997 geborenen Antragstellerin zu 2) und lebt mit dieser – nach Trennung vom Lebensgefährten bzw. Vater im März 2014 – in einer Bedarfsgemeinschaft. Nachdem der Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen bis zum 28.02.2015 i.H.v. zuletzt insgesamt 780,16 EUR monatlich bewilligt hatte, lehnte er mit noch nicht bestandskräftigem Bescheid vom 10.03.2015 eine weitere Leistungszahlung ab. Die Antragstellerinnen seien nicht hilfebedürftig, da die Antragstellerin zu 1) in Form eines hälftigen Miteigentumsanteils an einem Hausgrundstück über Vermögen verfüge, das die Freibeträge übersteige.
Am 11.03.2015 haben die Antragstellerinnen – vertreten durch die Antragstellerin zu 1) – beim Sozialgericht Dortmund beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ab 01.03.2015 Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhalts ggfs. als Darlehen zu zahlen. Mit Verfügung vom 13.03.2015 (Freitag), die von der Geschäftsstelle des Sozialgerichts am 16.03.2015 (Montag) ausgeführt wurde, hat der Kammervorsitzende des Sozialgerichts die Antragstellerin zu 1) zur Vorlage verschiedener Unterlagen (Kontoauszüge, Vermögensaufstellung, Bescheinigung des Kreditinstituts über einen Dispositionskredit) bis zum 19.03.2015 (Donnerstag) aufgefordert. Am 20.03.2015 (Freitag) hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Durch ihr Verhalten bringe die Antragstellerin zu 1) deutlich zum Ausdruck, dass sie derzeit auch ohne Leistungen des Antragsgegners auskommen könne. Denn sie verzögere selbst eine zeitnahe, evtl. für sie günstige Entscheidung, indem sie ohne eine nachvollziehbare Begründung auf die der Verfahrensbeschleunigung dienenden Verfügungen des Gerichts nicht reagiere.
Gegen diese Entscheidung haben die Antragstellerinnen am 24.03.2015 Beschwerde eingelegt. Sie haben durch Vorlage des Briefumschlags belegt, dass die Verfügung des Sozialgerichts vom 13.03.2015 durch die Fa. Q am 18.03.2015 bearbeitet worden ist und der Antragstellerin zu 1) erst am 21.03.2015 zugestellt worden ist. Sie haben die vom Sozialgericht geforderten Unterlagen vorgelegt.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Der Senat hat im Interesse der Antragstellerinnen an der Gewährleistung von effektivem Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) davon abgesehen, das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 159 Abs. 1 Satz SGG an das Sozialgericht zurückzuverweisen. Allerdings leidet das erstinstanzliche Verfahren an einem wesentlichen Mangel im Sinne dieser Vorschrift, denn das Sozialgericht hat den Anspruch der Antragstellerinnen auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) und die Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 SGG) in eklatanter Weise verletzt, weshalb die Beweisaufnahme im Beschwerdeverfahren notwendig war:
Die vom Kammervorsitzenden gesetzte ohnehin grenzwertig kurze Frist (Montag bis Donnerstag), deren Verstreichen für die ablehnende Entscheidung des Sozialgerichts von tragender Bedeutung war, war abgelaufen, bevor die Antragstellerinnen überhaupt Kenntnis von der Frist hatten. Eine Einhaltung der Frist war ihnen deshalb unmöglich und das Sozialgericht hat durch die verfrühte Entscheidung die selbst als erforderlich erkannte weitere Aufklärung des Sachverhalts vereitelt. Das Sozialgericht ist, wenn es einen Anordnungsgrund wegen des fruchtlosen Ablaufs einer vom Vorsitzenden gesetzten Frist verneinen will, verpflichtet sicherzustellen, dass die Fristsetzung den Antragsteller zu einem Zeitpunkt erreicht hat, zu dem die Erfüllung der geforderten Mitwirkungshandlungen noch fristgemäß möglich und zumutbar war. Kann das Sozialgericht den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Frist nicht sicher feststellen, ist es verpflichtet, den Antragsteller an die Erledigung der Auflagen zu erinnern.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch insoweit glaubhaft gemacht, als nach summarischer Prüfung ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung als Darlehen besteht. Im Übrigen – Leistung als Zuschuss – ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, so dass die Beschwerde insoweit zurückzuweisen war.
Nach § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Voraussetzung ist Hilfebedürftigkeit. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann (vgl. § 9 Abs. 1 SGB II). Gemäß § 9 Abs. 4 SGB II ist hilfebedürftig auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde; in diesem Falle sind die Leistungen als Darlehen (§ 24 Abs. 5 SGB II) zu erbringen.
Nach summarischer Prüfung geht der Senat davon aus, dass ein Hilfebedarf der Antragstellerin besteht. Die Antragstellerinnen verfügen nach ihren glaubhaften Angaben über kein Barvermögen mehr und sind mit dem Kindergeld und den Einnahmen aus der geringfügigen Beschäftigung nicht in der Lage, ihren Bedarf vollständig zu decken. Von einem solchen Hilfebedarf geht offensichtlich auch der Antragsgegner aus, der bis zum 28.02.2015 Leistungen in Höhe von monatlich 780,16 EUR gewährte, eine weitere Leistungsgewährung aber aufgrund verwertbarem Vermögen ausschloss. Durchgreifende Anhaltspunkte für andere – bislang nicht offen gelegte – Einkommensquellen liegen dem Gericht nicht vor.
Vermögen steht einem Anordnungsanspruch auf Bewilligung von Leistungen als Darlehen nicht entgegen. Der Miteigentumsanteil der Antragstellerin zu 1) an der Doppelhaushälfte stellt Vermögen im Sinne des § 12 SGB II dar. Nach summarischer Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren spricht jedoch mehr dagegen als dafür, dass dieses Vermögen derzeit liquide ist. Einen Käufer allein für den Miteigentumsanteil des von dem ehemaligen Lebensgefährten der Antragstellerin weiterhin bewohnten Hauses zu finden, hält der Senat – unabhängig von den rechtlichen Voraussetzungen für einen Verkauf des Miteigentumsanteils (§ 747 BGB) – jedenfalls in so kurzer Zeit, dass der Bedarf der Antragstellerinnen im tenorierten Zeitraum gedeckt werden kann, für unwahrscheinlich. Gleiches gilt für eine wirtschaftlich sinnvolle anderweitige Verwertung, etwa in Form der Beleihung (§ 1009 BGB) bzw. Geltendmachung einer Auseinandersetzung der Miteigentümergemeinschaft (§ 749 BGB) und anschließendem Gesamtverkauf (§ 753 BGB). Dafür, dass der ehemalige Lebensgefährte dauerhaft bereit und in der Lage wäre, den Miteigentumsanteil der Antragstellerin zu 1) gegen Auszahlung des Werts des Anteils zu übernehmen, ist nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich.
Angesichts dessen kann der Senat offen lassen, ob die Meinung der Antragstellerin zu 1) zutrifft, wonach sie nicht zu Verwertungsbemühungen verpflichtet ist, solange – wie hier – Klageverfahren gegen die Leistungsbewilligung nur als Darlehen – anhängig sind. Dafür spricht allerdings, dass anderweitig Fakten geschaffen würden, die durch eine Entscheidung zugunsten der Antragstellerin in den Klageverfahren nicht mehr zu revidieren wären.
Der Anordnungsgrund ist auch hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu bejahen. Die Auffassung, ein Anordnungsgrund liege insoweit erst vor, wenn Wohnungs- und Obdachlosigkeit drohen, d.h. Räumungsklage erhoben wurde (u.a. noch Beschlüsse des Senats vom 10.09.2014 – L 7 AS 1385/14 B ER; vom 28.02.2013 – L 7 AS 306/13 B ER und vom 25.05.2012 – L 7 AS 743/12 B ER), hat der Senat aufgegeben (vgl. Beschluss vom 04.05.2015 – L 7 AS 139/15 B ER). Die Versagung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung führt ansonsten unmittelbar und sogleich zu einer Bedarfsunterdeckung, die bei glaubhaft gemachter Hilfebedürftigkeit den Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums berührt (in diesem Sinne auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.01.2015 – L 6 AS 2085/14 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.01.2015 – L 11 AS 261/14 B; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.07.2014 – L 10 AS 1393/14 BER, L 10 AS 1394/ B ER PKH).
Angesichts des glaubhaft gemachten akuten Bedarfs der Antragstellerinnen hat der Senat davon abgesehen, die Verpflichtung des Antragsgegners von einer Sicherheitsleistung nach § 24 Abs. 5 Satz 2 SGB II abhängig zu machen. Für spätere Leistungszeiträume steht dem Antragsgegner diese Möglichkeit zur Absicherung eines Darlehensrückzahlungsanspruchs allerdings offen. Mit dieser Möglichkeit kann der Antragsgegner sich insbesondere bei langen Bewilligungszeiträumen dagegen absichern, Rückzahlungsansprüche trotz evtl. Verwertung des Vermögens nicht realisieren zu können.
Hinsichtlich des Zeitraums der Verpflichtung des Antragsgegners hat der Senat sich an § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II (sechs Monate), hinsichtlich der Leistungshöhe an den bisherigen Bewilligungen, bei denen Rechtsfehler nicht ersichtlich sind, orientiert.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 09.06.2015
Zuletzt verändert am: 09.06.2015