Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14.06.2013 geändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Rentenleistungen nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen Impfungen im Jahr 2001.
Die Klägerin kam in der 37. Schwangerschaftswoche am 00.00.1999 per sectio zur Welt. Nach vorherigen Impfungen durch die Kinderärztin Dr. T2 wurde die Klägerin am 29.05.2001 durch den Kinderarzt Dr. L zum insgesamt vierten Mal mit einem Fünffach-Impfstoff gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Haemophilus influenzae und Poliomyelitis sowie mit einem Einzel-Impfstoff gegen Hepatitis B (Gen H-B-Vax K) geimpft. Ob und wann genau im Anschluss an diese Impfungen gesundheitliche Probleme entstanden, ist streitig. In der Patientenkartei von Dr. L finden sich nach dem 29.05.2001 Einträge am 06.08.2001, 04.09.2001 und 12.09.2001 wegen Windeldermatitis, wässrigem Durchfall und Husten. Anlässlich der U7 am 29.11.2001 wurde erstmals ein auffälliges Gangbild dokumentiert, das seit drei Monaten bestehe. Anfang 2003 wurde erstmals der Verdacht einer statomotorischen Entwicklungsverzögerung geäußert. 2004 wurde u.a. nach molekulargenetischer Untersuchung eine hereditäre motorisch-sensible Neuropathie (HMSN) diagnostiziert. In der Folge wurde die Klägerin auf Betreiben der Mutter der Klägerin von diversen Krankenhäusern behandelt, wobei neben der HMSN zum Teil eine chronisch inflammtorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) diagnostiziert wurde, zum Teil nur als Verdachtsdiagnose. Außerdem wurde eine colitis ulcerosa diagnostiziert. 2004 wurden bei einer Liquoruntersuchung oligoklonale Banden festgestellt, in späteren Untersuchungen dagegen nicht mehr. Die Eiweißkonzentration im Liquor wurde wiederholt als erhöht beschrieben. Im MRT der Wirbelsäule fanden sich wiederholt Auffälligkeiten bestimmter Nervenwurzeln. Die Ergebnisse einer Muskelbiopsie wurden zum Teil dahin gedeutet, dass eine CIDP möglich sei, zum Teil dahin, dass eine CIDP unwahrscheinlich sei. Die Wirksamkeit wiederholter Therapieversuche mit Immunglobulinen wurde von der Mutter der Klägerin regelmäßig als positiv beschrieben. Die behandelnden Ärzte konnten eine Besserung durch diese Therapien dagegen nicht objektivieren.
Das Versorgungsamt E stellte 2004 einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen mehrerer Merkzeichen fest, 2007 einen GdB von 90 und das Vorliegen der gesundheitlichen Vorausetzungen weiterer Merkzeichen.
2004 stellte die Klägerin einen ersten Antrag auf Leistungen nach dem IfSG. 14 Tage nach der Impfung am 29.05.2001 sei sie regelmäßig hingefallen. Das damals zuständige Versorgungsamt E lehnte den Antrag nach Beiziehung von Behandlungsunterlagen und Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme der Ärztin für Innere Medizin, Sozialmedizin, Dr. D mit Bescheid vom 12.08.2005 ab. Es liege sicher eine genetische Erkrankung vor. Von einer CIDP, bei deren Vorliegen ein Zusammenhang mit einer Impfung in Frage komme, könne mangels Ansprechen der Klägerin auf eine Therapie mit Immunglobulinen jedoch nicht ausgegangen werden. Nach erfolglosem Vorverfahren erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Dortmund (S 19 VJ 3/06). Das seinerzeit beklagte Land legte ein Gutachten nach Aktenlage des Arztes für Mikrobiologie und Kinder-/Jugendmedizin Prof. Dr. T3 vor, der eine CIDP ebenfalls mangels Ansprechen auf eine Therapie mit Immunglobulinen für unwahrscheinlich hielt. Die Klägerin nahm die Klage zurück.
Am 29.03.2007 stellte die Klägerin unter Vorlage diverser Behandlungsunterlagen und eines Schreibens des Paul-Ehrlich-Institutes (PEI) einen Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Das Versorgungsamt E zog Behandlungsunterlagen bei und holte eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Sozialmedizinerin Dr. C ein. Der zwischenzeitlich im Rahmen der Kommunalisierung der Versorgungsverwaltung zuständig gewordene Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 01.08.2008 ab. Die Klägerin legte am 04.09.2008 Widerspruch ein, den der Beklagte nach Einholung einer weiteren Stellungnahme von Dr. C mit Widerspruchsbescheid vom 31.10.2008, abgesandt am 03.11.2008, zurückwies.
Die Klägerin hat am 02.12.2008 Klage am Sozialgericht Dortmund erhoben und diverse Behandlungsunterlagen vorgelegt. Das Sozialgericht hat die Mutter der Klägerin persönlich angehört, die seinerzeit gültigen Impfempfehlungen und diverse Behandlungsunterlagen beigezogen und von Amts wegen ein Sachverständigengutachten des ehemaligen Direktors der Landeskinderklinik O, Prof. Dr. L, eingeholt. Dieser hat ausgeführt, er habe die Mutter der Klägerin ergänzend befragt. Sie habe unter anderem berichtet, kurz nach der Impfung wiederholt bei Dr. L vorgesprochen zu haben. Sie sei dort aber abgewiesen worden. Aufgrund des Liquorbefundes, des MRT-Befundes, des von der Mutter der Klägerin angegebenen schubweisen Krankheitsverlaufes und des spontanen und schnellen Verlaufes sei von einer CIDP neben einer HMSN auszugehen. Unter Zugrundelegung der Angaben der Mutter der Klägerin sei eine Verursachung der CIDP und der colitis ulcerosa, die häufig zusammen mit einer CIDP auftrete, durch die Impfung am 29.05.2001 wahrscheinlich, wobei als unmittelbare Impfkomplikation eine postvakzinale Encephalopathie anzunehmen sei. Der bioptische Befund und der therapeutische Verlauf würden überbewertet. Dabei berichte die Mutter durchaus von Besserungen. Dass diese nicht besonders ausgeprägt seien, liege an der fortschreitenden HMSN. Der Sachverständige hat zunächst einen Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 70, dann von 80 befürwortet.
Für den Beklagten haben sich Dr. C und der Arzt für Kinder- und Jugendmedizin, der Leiter des Bereichs Neuropädiatrie am Universitätsklinikum Münster, Prof. Dr. L2, nach Aktenlage geäußert. Dr. C hat ausgeführt, es sei nicht nachvollziehbar, dass trotz der von der Mutter der Klägerin behaupteten Beschwerden kurz nach der Impfung keine entsprechenden ärztlichen Behandlungen dokumentiert seien. Zum Teil heiße es in Behandlungsberichten, die Mutter der Klägerin habe Beschwerden ab März 2001 angegeben. Eine colitis ulcerosa werde im Epidemiologischen Bulletin nicht als Impfkomplikation beschrieben. Auch bei einer HMSN bestünden im Liquor und im MRT der Wirbelsäule Auffälligkeiten. Deswegen sei für die Abgrenzung der Therapieerfolg so wichtig, der hier aber nicht belegt werden könne. Prof. Dr. L2 hat ausgeführt, der frühe und schwere Verlauf spreche gegen eine CIDP. Die Klinik passe eher zu einer hereditären Erkrankung. Liquor- und MRT-Befund seien auch mit einer HMSN vereinbar. Oligoklonale Banden seien nur einmalig dokumentiert worden. Ein therapeutischer Erfolg sei nicht dokumentiert, es sei vielmehr eine deutliche Progredienz zu erkennen.
Nachdem der Beklagte einen vom Sozialgericht vorgeschlagenen Vergleich rechtzeitig widerrufen hat, hat das Sozialgericht mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden und den Beklagten mit Urteil vom 14.06.2013 antragsgemäß zur Anerkennung einer CIDP als Impfschaden aufgrund der Impfung vom 29.05.2001und zur Gewährung von Versorgung nach einem GdS von 50 verurteilt.
2009 hat die Klägerin den Kinderarzt Dr. L wegen nicht indizierter Hepatitis B-Impfung beim Landgericht E auf Schmerzensgeld verklagt (4 O 132/09). Das Landgericht hat ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin Dr. L1 eingeholt, der die Impfung als indiziert angesehen und mangels Ansprechen der Klägerin auf eine immunmodulatorische Therapie die Diagnose CIDP verworfen hat. Einige der für eine CIDP angeführten Befunde träten auch bei einer HMSN auf. Die im MRT zu beobachtenden Nervenverdickungen sprächen für einen Krankheitsbeginn noch vor der Geburt. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 09.06.2011 abgewiesen. Die Klägerin hat Berufung beim Oberlandesgericht Hamm eingelegt (3 U 139/11), das ein Sachverständigengutachten des ehemaligen Direktors der Kinderklinik des Universitätskrankenhauses I, Prof. em. Dr. T1 eingeholt hat. Dieser hat ausgeführt, es liege ein konstant progredienter Verlauf vor, der nie therapeutisch beeinflussbar gewesen sei. Die Mutter der Klägerin habe ihm erstmalig von einer Auffälligkeit bereits bei der ersten Vorsorgeuntersuchung berichtet, nämlich von nach innen gestellten Füßen. Der beschriebene fulminante Beginn sei für eine Autoimmunreaktion unwahrscheinlich, zumal wenn sich das Bild vorübergehend wieder gebessert habe. Der Verlauf sei nur scheinbar schubförmig. Es handele sich vielmehr um einen progredienten, treppenförmigen Verlauf. Die Literatur ließe im Fall einer CIDP ein gutes Ansprechen auf Therapie erwarten. Eine CIDP sei unwahrscheinlich. Es fänden sich auch keine sog. ADEM-Herde, die im Zusammenhang mit einer Makrophagischen Myofasciitis (MMF) bzw. dem sog. ASIA-Syndrom stehen könnten. 2011 hat die Klägerin die Berufung zurückgenommen.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 03.07.2013 zugestellte Urteil des Sozialgerichts am 09.07.2013 Berufung eingelegt. Die Angaben der Mutter der Klägerin seien in vielerlei Hinsicht zweifelhaft. Ein Ansprechen auf eine immunmodulatorische Therapie sei nicht belegt. Dass immer wieder die (Verdachts-) Diagnose einer CIDP gestellt werde, könne der Unsicherheit der behandelnden Ärzte geschuldet sein oder der Finanzierung erneuter Therapieversuche dienen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14.06.2013 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise Dr. I nochmals anzuhören.
Die Klägerin trägt vor, ihre Mutter habe den Krankheitsverlauf konsistent geschildert. Diese habe mehrfach bei Dr. L vorgesprochen, sei aber überwiegend abgewimmelt worden. Sie hat aktuelle Behandlungsunterlagen, Ausdrucke eines Kalenders und ein Schreiben ihrer Großmutter vorgelegt. Der Kalender betreffe das Jahr 2001 und sei zufällig wieder aufgetaucht. Daraus ergäben sich ihre häufigen Kontaktaufnahmen mit der Kinderarztpraxis.
Der Senat hat die Mutter der Klägerin angehört und deren damaligen Ehemann T X, Dr. L und dessen damalige Arzthelferin C als Zeugen vernommen. Der Senat hat außerdem diverse Behandlungsunterlagen, die Akten der Stadt E zum GdB und die Gerichtsakten des Landgerichts E 4 0 132/09 = OLG Hamm 3 U 139/11 beigezogen sowie von Amts wegen ein Sachverständigengutachten der Leitenden Ärztin des Bereichs Neuropädiatrie, Entwicklungsneurologie und Sozialpädiatrie des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums F, Prof. Dr. T und auf Antrag der Klägerin ein Sachverständigengutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) des Arztes Dr. I eingeholt.
Prof. Dr. T hat ausgeführt, die Beurteilung der Muskelbiopsie im Referenzlabor in B spreche gegen eine CIDP. Oligoklonale Banden seien nur einmal dokumentiert, in zwei Folgeuntersuchungen dagegen nicht. Es liege kein schubförmiger, sondern ein chronisch progredienter Verlauf mit Plateauphasen vor. Die verschiedenen Therapieversuche hätten keine objektive Besserung ergeben. Schon vor der Impfung seien Auffälligkeiten dokumentiert. Arbeiten aus 2011 und 2015 zeigten, dass hereditäre Erkrankungen frühzeitig aufträten und schwere Verläufe zeigten. Der Liquorbefund sei ebenso wenig wie der radiologische Befund beweisend für eine CIDP. Diese ließe zudem bei der Nervenleitungsmessung einen sogenannten Leitungsblock erwarten, während hier Leitungsverzögerungen gemessen worden seien. Auch die aktuellen Befundunterlagen belegten keine Besserung unter Behandlung und sprächen auch sonst nicht für eine CIDP. Soweit eine vorübergehende Besserung der Lungenfunktion beschrieben werde, sei diese nicht maßgeblich. Auch eine Kann-Versorgung komme nicht in Betracht.
Dr. I hat ausgeführt, die CIDP sei durch MRT- und Liquorbefund, Ansprechen auf Behandlung und den schubweisen Verlauf bewiesen. Es bestehe ein plausibler zeitlicher Zusammenhang zur 4. Hepatitis B-Impfung. Aufgrund der in dem Impfstoff enthaltenen Zusatzstoffe Quecksilber und Aluminium könne es zu einem sog. ASIA-Syndrom und sodann zur CIDP gekommen sein. CIDP und colitis ulcerosa seien mit Wahrscheinlichkeit als Impfschäden anzusehen, ggf. unter dem Gesichtspunkt der Kann-Versorgung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte des Beklagten, der Verwaltungsakte der Stadt E zum GdB, der Gerichtsakte des Sozialgerichts Dortmund S 19 VJ 3/06 und der Gerichtsakte des Landgerichts E 4 0 132/09 = OLG Hamm 3 U 139/11 Bezug genommen, deren jeweiliger wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Nach Auflösung der Landesversorgungsverwaltung und Übertragung der Zuständigkeit für das soziale Entschädigungsrecht auf die Landschaftsverbände mit § 4 Abs. 1 des als Art. 1 des Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007 erlassenen Gesetzes zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen ist der örtlich zuständige Landschaftsverband Westfalen-Lippe richtiger Beklagter (vgl. zur Rechtmäßigkeit dieser Aufgabenübertragung BSG, Urteil vom 23.04.2009 – B 9 VG 1/08 R, Rn 24).
Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, da diese zwar zulässig, aber unbegründet ist. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, da diese rechtmäßig sind. Sie hat keinen Anspruch auf Zahlung von Rentenleistungen nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG i.V.m. §§ 9 Abs. 1 Nr. 3, 31 Abs. 1 Satz 1 BVG, wobei zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass es ihr von Anfang an um Rentenleistungen gegangen ist (vgl. zur Erforderlichkeit der Spezifizierung eines Versorgungsbegehrens BSG, Urteil vom 02.10.2008 – B 9 VG 2/07 R, juris Rn 12).
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG erhält, wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Gemäß § 2 Nr. 11 IfSG ist Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.
Der Anspruch setzt demnach eine unter den Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfolgte Schutzimpfung, den Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine – dauerhafte – gesundheitliche Schädigung, also einen Impfschaden, voraus. Zwischen den jeweiligen Anspruchsmerkmalen muss ein Ursachenzusammenhang bestehen. Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägen ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist. Die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – im sogenannten Vollbeweis – feststehen. Allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge reicht der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit aus, § 61 Satz 1 IfSG. Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 07.04.2011 – B 9 VJ 1/10 R, juris Rn 36 ff.).
Alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, sind auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten. Hierzu konnten die AHP herangezogen werden, die als antizipierte Sachverständigengutachten angesehen wurden. Seit den AHP 2008, die mittlerweile durch die Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung (Versorgungsmedizinische Grundsätze – VMG) ersetzt wurden, sind darin aber keine detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen mehr enthalten. Im Zusammenhang mit der Streichung der betreffenden Teile der AHP wurde darauf hingewiesen, dass die beim Robert-Koch-Institut (RKI) eingerichtete STIKO Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden) entwickelt. Die Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 07.04.2011 – B 9 VJ 1/10 R, juris Rn 39 ff.).
Die vierte Impfung mit dem Fünffachimpfstoff war seinerzeit eine öffentlich empfohlene Impfung i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG, was sich aus den damaligen Impfempfehlungen des RKI (vgl. Epidemiologisches Bulletin Nr. 2 vom 14.01.2000, S. 10, Abb. 1, Fußnote 1 und Nr. 28 vom 13.07.2001, S. 204) in Verbindung mit den aktenkundigen Erlassen des damaligen Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW ergibt, die auf diese Empfehlungen Bezug genommen haben. Ob dies auch für die vierte Impfung gegen Hepatitis B gilt, die nach einhelliger Auffassung der hierzu befragten Ärzte durchaus indiziert war, kann dahinstehen.
Jedenfalls ist weder ein Primärschaden erwiesen, noch eine Schädigungsfolge. Es ist zum einen nicht erwiesen, dass die Klägerin im zeitlichen Zusammenhang mit der streitigen Impfung an einer unüblichen Impfreaktion litt. Zum anderen ist das Vorliegen einer grundsätzlich als Schädigungsfolge in Betracht kommenden CIDP nicht erwiesen.
Soweit die Klägerin im Zusammenhang mit der streitigen Impfung vermehrt geschrien haben, quengelig gewesen sein und es im Bereich der Einstichstelle zu einer Rötung und/oder Schwellung gekommen sein sollte, wären dies übliche Lokal- und Allgemeinreaktionen des Körpers und keine unüblichen Impfreaktionen (vgl. Epidemiologisches Bulletin Nr. 25 vom 22.06.2007, S. 213, 217 f.), worauf auch Prof. Dr. L hingewiesen hat.
Die weitergehenden Behauptungen der Mutter der Klägerin, diese habe nach ein bis zwei Wochen – die Mutter der Klägerin hat insofern unterschiedliche Angaben gemacht – nicht mehr laufen und sprechen können, reichen für einen Vollbeweis nicht aus. Das gilt umso mehr, als die Mutter der Klägerin am Verfahrensausgang ein erkennbares Interesse hat und ausweislich verschiedener ärztlicher Berichte fest vom Vorliegen eines Impfschadens überzeugt ist. Ihre Angaben werden zwar von ihrem damaligen Ehemann, dem Zeugen X und dem Schreiben der Großmutter der Klägerin gestützt. Auch bei diesen Personen besteht aber ein erkennbares Interesse am Verfahrensausgang. Der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen X steht darüber hinaus entgegen, dass er laut der Mutter der Klägerin mehrere Sachverhalte bei seiner Aussage durcheinander brachte und geistig behindert ist. Die erst zuletzt vorgelegten Computerausdrucke, die den damaligen Kalender der Mutter der Klägerin darstellen sollen, enthalten überwiegend nur schwer zuordbare Abkürzungen und sind auf ihre Authentizität nicht überprüfbar. Es ist weiterhin nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin massive Ausfälle gezeigt haben soll, dies vom behandelnden Kinderarzt vollständig ignoriert worden sein sollte und die Mutter der Klägerin keinen anderen Arzt konsultiert haben sollte. Die Mutter der Klägerin hatte schon vor der streitigen Impfung einmal den Kinderarzt gewechselt. Auch im weiteren Verlauf hat sie in auffälliger Häufigkeit die Behandler gewechselt. Es ist daher nicht überzeugend, wenn sie behauptet, sie habe seinerzeit nicht den Arzt gewechselt aus Sorge, ihr werde der erneute Wechsel vorgehalten. Diesem Vorwurf hätte sie im Übrigen bei akuten Beschwerden durch das Aufsuchen der Notaufnahme eines Krankenhauses entgehen können. Gegen die Richtigkeit der Angaben der Mutter der Klägerin spricht zudem die Behandlungsdokumentation des Zeugen Dr. L. Aus dieser Dokumentation ergibt sich, dass die Mutter der Klägerin Dr. L nach der streitgegenständlichen Impfung erstmals am 06.08.2001 wegen Windeldermatitis aufsuchte. Es ist nicht erkennbar, dass diese Dokumentation unvollständig oder sonst unzutreffend ist. Sowohl der Zeuge Dr. L, als auch seine damalige Sprechstundenhilfe, die Zeugin C, haben nachvollziehbar geschildert, dass niemals Patienten abgewiesen und alle erfolgten Besuche stets entsprechend dokumentiert worden seien. Die Zeugin C hat überzeugend darauf hingewiesen, dass ihr selbst die medizinische Kompetenz gefehlt habe, um Patienten abzuweisen. Der Zeuge Dr. L hat hinsichtlich der Dokumentation überzeugend auf sein Abrechnungsinteresse hingewiesen. Dabei hätte er im vorliegenden Verfahren mit abweichenden Angaben nicht zwingend eine erneute Schadensersatzklage der Klägerin befürchten müssen, da es im damaligen Verfahren nicht entscheidend auf diese Fragen ankam.
Eine Erkrankung, die als unmittelbare Folge der streitigen Impfung eine spätere CIDP ausgelöst haben könnte, ist nicht erwiesen. Soweit ein solches Bindeglied überhaupt diskutiert wird, werden von Prof. Dr. L eine Encephalopathie und von Dr. I das sogenannte ASIA-Syndrom angeführt. In beiden Fällen handelt es sich jedoch um bloße Vermutungen, wie die Sachverständigen letztlich auch selbst darlegen. Gegen ein ASIA-Syndrom spricht entsprechend den Ausführungen von Prof. em. Dr. T1 zudem das Fehlen entsprechender Herdbefunde im MRT.
Darüber hinaus ist nicht bewiesen, dass die Klägerin an einer CIDP leidet. Prof. Dr. T hat in ihrem Gutachten nebst ergänzenden Stellungnahmen eingehend und überzeugend dargelegt, dass das Vorliegen einer CIDP nach Anamnese, klinischem Verlauf und fehlender objektivierbarer Besserung unter Cortison- und Immunglobulinbehandlung nicht erwiesen ist.
Oligoklonale Banden waren nur bei einer Untersuchung nachweisbar, bei zwei späteren nicht. Liquor- und MRT-Befund sind nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. T, Prof. Dr. L2 und Dr. L1 auch mit der bei der Klägerin nachweislich bestehenden HMSN vereinbar. Dr. L1 beurteilt die im MRT erkennbaren Nervenverdickungen und deren Folgen sogar dahingehend, dass sie für eine vorgeburtliche Schädigung sprächen. Prof. Dr. T weist darauf hin, dass neurophysiologische Untersuchungen der Klägerin die für eine CIDP typischen Leitungsblöcke nicht gezeigt hätten. Der gesamte Krankheitsverlauf stellt sich entsprechend den Ausführungen von Prof. Dr. T und Prof. em. Dr. T1 als chronisch progredient mit zwischenzeitlichen Plateauphasen dar, die nicht zuletzt durch die kindliche Entwicklung erklärbar sind. Ein für eine CIDP typischer schubweiser Verlauf liegt gerade nicht vor. Prof. Dr. L und Dr. I haben diese Argumente nicht entkräftet. Sie haben einen schubweisen Verlauf lediglich behauptet, ohne ihn mit hinreichenden Befunden belegen zu können. Das Ergebnis der Muskelbiopsie sprach nach der Befundung durch die RWTH Aachen ebenfalls gegen eine CIDP. Dies wurde zwar von Behandlern der Universitätsklinik Freiburg anders gesehen. Prof. Dr. T weist aber darauf hin, dass es sich bei dem Labor in Aachen um das Referenzlabor für neuromuskuläre Erkrankungen handelt, was der dortigen Meinung ein größeres Gewicht gibt.
Von besonderem Gewicht ist außerdem das fehlende Ansprechen auf eine Therapie mit Immunglobulinen. Die Klägerin behauptet zwar eine Besserung unter entsprechender Therapie. Eine solche Besserung konnte aber nie objektiviert werden. Der ständige Wechsel der behandelnden Ärzte, die Nichteinhaltung von Kontrollterminen und das nur selektive Vorlegen früherer Behandlungsunterlagen durch die Mutter der Klägerin haben eine Objektivierung des Behandlungserfolges erschwert. Die über die Jahre mögliche Gesamtbetrachtung des Erkrankungsverlaufes, der trotz wiederholter Immunglobulintherapien eine Verschlechterung und keine Besserung zeigt, spricht deutlich gegen deren Wirksamkeit. Es finden sich zudem in diversen Berichten deutliche Hinweise der Behandler auf ein dezidiertes Behandlungsverlangen der Mutter der Klägerin und eine Distanzierung von deren Beurteilung des Behandlungsverlaufes. Es ist durchaus plausibel, dass die bis zuletzt in den Behandlungsberichten auftauchende Diagnose einer CIDP bzw. eines entsprechenden Verdachts nicht nur diagnostischen Schwierigkeiten und selektiven Angaben Mutter der Klägerin, sondern entsprechend den Überlegungen von Dr. C auch der Ermöglichung weiterer kostenintensiver Therapieversuche geschuldet ist.
Soweit Prof. Dr. L meint, der Aspekt des Therapieerfolgs werde überbewertet und das fehlende Ansprechen auf eine Therapie sei durch die HMSN erklärbar, ist dieser Einschätzung nicht zu folgen, denn sie steht im Widerspruch zu der von Prof. Dr. L2, Prof. em. Dr. T1 und Prof. Dr. T mit Bezug auf aktuelle Literatur vertretenen Auffassung, im Fall einer CIDP sei ein deutliches Ansprechen auf eine entsprechende Therapie zu erwarten. Zum anderen bedeutete die Auffassung von Prof. Dr. L im Ergebnis, dass ausschlaggebend für das aktuelle Krankheitsbild die HMSN wäre, was selbst bei Annahme einer CIDP gegen einen auf diese gründenden Leistungsanspruch spräche.
Die nach Auffassung sämtlicher Sachverständigen und behandelnden Ärzte nachweislich bestehende HMSN ist nicht durch die Impfung verursacht worden. Laut Prof. Dr. L wird ein äußerer Manifestationsfaktor für eine HMSN nicht diskutiert. Auch Prof. Dr. I hat einen ursächlichen Zusammenhang verneint. Prof. Dr. T hat eine Beteiligung der Impfung bei der Auslösung von Symptomen zwar nicht kategorisch ausgeschlossen, einen wahrscheinlichen Zusammenhang aber verneint und war sich sicher, dass sich das Krankheitsbild mit und ohne Impfbeteiligung im Wesentlichen identisch entwickelt hätte (vgl. hierzu Teil C Nr. 1d und Nr. 3d der Versorgungsmedizinischen Grundsätze – VMG).
Eine colitis ulcerosa wird nach den zutreffenden Ausführungen von Dr. C im Epidemiologischen Bulletin nicht als mögliche Impffolge erwähnt. Ein Zusammenhang mit der streitigen Impfung ist unwahrscheinlich. Dies kann aber letztlich dahinstehen, da der erstinstanzliche Klageantrag und das Urteil des Sozialgerichts Dortmund ausdrücklich nur noch auf die Anerkennung einer CIDP gerichtet gewesen sind, so dass der Streitgegenstand des vom Beklagten angestrengten Berufungsverfahrens auf letztere beschränkt ist.
Eine Kann-Versorgung kommt nicht in Betracht, da es hier nicht um Ungewissheiten in der Wissenschaft über Ursachenzusammenhänge geht, sondern Ungewissheiten im Sachverhalt vorliegen (vgl. hierzu Teil C Nr. 4c VMG).
Der Senat durfte sich bei seiner Entscheidungsfindung auch auf die im zivilgerichtlichen Verfahren zwischen der Klägerin und dem Zeugen Dr. L eingeholten Sachverständigengutachten von Prof. em. Dr. T1 und Dr. L1 stützen, jedoch lediglich im Wege des Urkundsbeweises (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 103 Rn 11d und 11e; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rn 8b; BVerwG, Beschluss vom 31.07.1985 – 9 B 71/85, juris Rn 2; BSG, Urteil vom 21.10.1998 – B 9 VG 6/97 R, juris Rn 13; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.11.2012 – L 2 U 71/11, juris Rn 26; BGH, Urteil vom 12.07.2013 – V ZR 85/12, juris Rn 7). Unabhängig davon kommt es auf diese Gutachten nicht entscheidend an, da auch allein aus dem Gutachten von Prof. Dr. T überzeugend folgt, dass eine CIDP nicht erwiesen und ein Zusammenhang von Impfung und HMSN unwahrscheinlich ist.
Der Überzeugungskraft des Gutachtens von Prof. Dr. T steht nicht entgegen, dass diese die Klägerin einmalig 2007 behandelt hat, nach Rücksprache mit den in E behandelnden Ärzten seinerzeit keine Indikation für eine weitere Immunglobulin-Therapie sah und im Entlassungsbrief vom 24.05.2007 Schwierigkeiten im Umgang mit der Mutter der Klägerin schilderte. Eine der Klägerin gegenüber ablehnende Haltung ist diesem Brief nicht zu entnehmen. Im Gegenteil zeigen die Rücksprache mit Vorbehandlern und der ausdrückliche Vorschlag einer Wiedervorstellung das damalige Bemühen um die Klägerin. Außerdem spricht gerade die Kenntnis des Falls aus der Perspektive eines Behandlers ebenso wie der Umstand, dass Prof. Dr. T Präsidentin der Gesellschaft für Neuropädiatrie e.V. ist, für ihre besondere Fachkompetenz.
Zu weiteren Ermittlungen entsprechend dem Hilfsbeweisantrag besteht kein Anlass. Der Sachverhalt ist durch die vorliegenden Gutachten hinreichend geklärt. Die Klägerin hat auch keinen weiteren Aufklärungs- und Ermittlungsbedarf aufgezeigt. Eine erneute Befragung oder eine Ladung des Sachverständigen Dr. I waren nicht erforderlich. Weder hat die Klägerin konkrete Fragen an den Sachverständigen formuliert (vgl. hierzu Keller, a.a.O., § 118 Rn 12d, 12f), noch erläuterungsbedürftige Punkte benannt, noch sind zwischenzeitlich neue relevante Tatsachen zutage getreten, zu denen sich der Sachverständige noch nicht hätte äußern können. Dem nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen muss nicht das letzte Wort verbleiben (Keller, a.a.O., § 109 Rn 10b).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.
Erstellt am: 28.09.2017
Zuletzt verändert am: 28.09.2017