Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 22.09.2011 geändert. Den Klägern wird für die Zeit ab Antragstellung ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt C, C, bewilligt. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
In der Hauptsache begehren die Kläger höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab 01.01.2011.
Der im Jahre 1986 geborene Kläger zu 1) und die im Jahre 1973 geborene Klägerin zu 2) leben mit ihren drei Kindern (-2006, -2008, -2009), den Klägern zu 3) bis 5), in einer Bedarfsgemeinschaft und beziehen laufend Leistungen nach dem SGB II.
Mit Änderungsbescheid vom 26.03.2011 bewilligte der Beklagte den Klägern in Abänderung des Bescheides vom 22.10.2010 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 31.01.2011 in Höhe von 910,50 Euro im Hinblick auf die zum 01.01.2011 neu festgesetzten Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts. Hiergegen legten die Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, dass verfassungswidrige Regelsätze benutzt worden seien. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2011 zurück. Die Höhe der zugrunde gelegten Regelleistung entspreche den geltenden gesetzlichen Bestimmungen.
Die Kläger haben am 18.07.2011 Klage erhoben. Zu deren Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, dass die Ermittlungen des Regelbedarfs nicht den Anforderungen entsprechen, die das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben habe.
Das Sozialgericht Dortmund hat den zeitgleich mit der Klageerhebung gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts mit Beschluss vom 22.09.2011 abgelehnt. Das Klagebegehren habe keine Aussicht auf Erfolg. Die von dem Beklagten festgesetzten Leistungen entsprächen dem Gesetz. Die Kammer teile die verfassungsrechtlichen Bedenken der Kläger gegen die gesetzlichen Regelungen nicht. Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, dass die Kläger selbst bei Verfassungswidrigkeit des Zustandekommens der gesetzlichen Regelungen einen Anspruch auf höhere Leistungen haben könnten. Denn auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 habe keineswegs entschieden, dass die damalige gesetzliche Leistungshöhe verfassungswidrig sei und die dortigen Kläger mehr an Leistungen erhielten.
Gegen den am 29.09.2011 zugestellten Beschluss haben die Kläger am 14.10.2011 Beschwerde eingelegt. Sie wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Der Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) ist nach § 73a Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) unter anderem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung den Standpunkt des Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 73a Rz. 7a; st. Rspr. des erkennenden Senats, z.B. Beschluss vom 23.03.2010, L 6 B 141/09 AS). Der Erfolg braucht nicht sicher zu sein, muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Dabei dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht überspannt werden. Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Auflage 2012, § 73a Rz. 7). Das PKH-Verfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Ein Fachgericht, das § 114 Satz 1 ZPO dahin auslegt, dass auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren "durchentschieden" werden können, verkennt damit die Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit (vgl. BVerfG vom 14.06.2006 – 2 BvR 626/06 -, vom 08.11.2004 – 1 BvR 2095/04 – und 04.02.2004 – 1 BvR 596/03 – alle juris). Wird eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist, muss PKH bewilligt werden. Klärungsbedürftig in diesem Sinn ist nicht bereits jede Rechtsfrage, die noch nicht höchstrichterlich entschieden ist. Vielmehr ist maßgeblich, ob die entscheidungserhebliche Rechtsfrage im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen schwierig erscheint (vgl. BVerfG Beschluss vom 13.03.1990 – 2 BvR 94/88 – juris Rz. 29 – BVerfGE 81, 347). Ist dies der Fall, muss die bedürftige Person die Möglichkeit haben, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren zu vertreten und ggf. Rechtsmittel einlegen zu können (BVerfG Beschluss vom 10.12.2001 – 1 BvR 1803/97 – juris Rz. 9 – NJW-RR 2002, 793).
Vorliegend sind die für den Monat Januar 2011 bewilligten Regelleistungen im Streit, für welche die Kläger geltend machen, dass die der Berechnung der Regelleistungen zugrunden liegenden Normen (§§ 19 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB II) nicht mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG sowie den Vorgaben des BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 – in Einklang zu bringen seien. Bei der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe in der Neugestaltung durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (BGBl. I S. 453ff) handelt es sich nach Auffassung des Senats um eine schwierige, bisher nicht höchstrichterlich geklärte Rechtsfrage (so auch: LSG NRW Beschluss vom 31.05.2012 – L 12 AS 1862/11 B -; Beschluss vom 12.07.2012 – L 7 AS 813/12 B -; Beschluss vom 06.08.2012 – L 19 AS 734/12 B -). Das gilt auch vor dem Hintergrund, dass das BSG laut seiner Terminsmitteilung vom 12.07.2012 (Terminbericht Nr. 40/12) keinen Anlass gesehen hat, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG zur Vereinbarkeit von § 19 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 1 und Abs. 2 Abs. 1 SGB II (neue Fassung) mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG einzuholen. Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass letztlich das BVerfG zu entscheiden haben wird, ob der Gesetzgeber den von ihm postulierten hohen Anforderungen an die Ermittlung und Begründung der Regelbedarfe unter Berücksichtigung des Gestaltungsspielraums gerecht geworden ist. In der besonderen Situation, in der das BVerfG bereits die Rahmenbedingungen für die Herleitung und Bestimmung der Regelbedarfe ab Januar 2011 aufgezeigt und skizziert hat, wird nur das BVerfG abschließend über die Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelungen mit der Verfassung befinden können (LSG NRW Beschluss vom 12.07.2012 – L 7 AS 813/12 B -). Im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG vom 18.07.2012 zu den Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes (Aktenzeichen: 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 -; Pressemitteilung Nr. 56/2012 vom 18. Juli 2012) kann zudem nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Kläger selbst bei unterstellter Verfassungswidrigkeit der seit 01.01.2011 geltenden Regelbedarfe keine höheren Leistungen für die Vergangenheit zu erwarten hätten. Das BVerfG hat in der zitierten Entscheidung eine Übergangsregelung dergestalt getroffen, dass die Höhe der Geldleistungen auch im Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes entsprechend den Grundlagen der Regelungen für den Bereich des Zweiten und Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches zu berechnen seien. Dies gelte rückwirkend für nicht bestandskräftig festgesetzte Leistungen ab 2011 und im Übrigen für die Zukunft, bis der Gesetzgeber seiner Pflicht zur Neuregelung nachgekommen ist. Aus den vorgenannten Gründen kann daher dem Verfahren der Kläger nicht vornherein die hinreichende Erfolgsaussicht abgesprochen werden.
Die Kläger sind ausweislich ihrer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bedürftig. Sie verfügen über kein im Rahmen des § 115 ZPO einzusetzendes Einkommen oder Vermögen, so dass ihnen (ratenfrei) Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu bewilligen ist.
Die Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten der Kläger ist auch erforderlich i.S.v. § 73a SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO. Die Erforderlichkeit im Sinne des § 121 Abs. 2 ZPO beurteilt sich nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache sowie nach der Fähigkeit des Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken (vgl. BVerfG Beschluss vom 12.04.1983 – 2 BvR 1304/80, 2 BvR 432/81 – juris Rz. 39). Entscheidend ist, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (vgl. BVerfG Beschluss vom 24.03.2011 – 1 BvR 1737/10 – juris Rz. 16 m.w.N.). Zu berücksichtigen ist ferner, ob dem Beteiligten rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüberstehen (vgl. BVerfG Beschluss vom 06.05.2009 – 1 BvR 439/08 – juris Rz. 18). In einem solchen Fall wird ein vernünftiger Rechtsuchender regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten, wenn er nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um das Verfahren in jedem Stadium durch sachdienlichen Vortrag und Anträge effektiv fördern zu können (vgl. BVerfG Beschluss vom 24.03.2011 – 1 BvR 1737/10 – juris Rz. 18). Eine andere Bewertung kann allerdings dann gelten, wenn der Rechtsuchende mehrere parallel gelagerte Verfahren betreibt. Lässt sich die anwaltliche Beratung ohne wesentliche Änderungen auf alle übrigen Fälle übertragen, so gebietet es das Grundrecht auf Rechtsschutzgleichheit nicht, dem unbemittelten Rechtsuchenden für jeden einzelnen Gegenstand erneut einen Rechtsanwalt beizuordnen (vgl. BVerfG Beschluss vom 30.05.2011 – 1 BvR 3151/10 – juris Rz. 16).
Nach Auffassung des Senats ist den Klägern bezogen auf das erste von ihnen geführte Klageverfahren, das die Verfassungswidrigkeit der Regelsätze zum Inhalt hat, ein Rechtsanwalt beizuordnen. Dabei kann den Klägern nicht entgegengehalten werden, dass es bereits "Musterverfahren" gibt, die beim BSG anhängig sind (so: LSG NRW Beschluss vom 06.08.2012 – L 19 AS 734/12 B -). Die Erforderlichkeit der Beiordnung ist aus der individuellen Sicht des unbemittelten Rechtsuchenden zu prüfen. Diesem kann auch bei bereits anhängigen "Musterverfahren" nicht das Recht abgesprochen werden, seinen Rechtsstandpunkt unter Zuhilfenahme eines Rechtsanwalts zu vertreten. Das beinhaltet die rechtliche Prüfung und Entscheidung, ob das eigene Verfahren im Hinblick auf ein Musterverfahren ruhen kann oder ob es angesichts individueller Besonderheiten doch eigenständig geführt werden soll. Für weitere Verfahren gleichen Inhalts gilt das hingegen nicht. Denn für solche ist zu unterstellen, dass auch ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise keinen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragen würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 17.10.2012
Zuletzt verändert am: 17.10.2012