Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 05.05.2014 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe des Regelbedarfs nach dem SGB II ab dem 17.04.2014 bis zum 31.08.2014 zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Dem Antragsteller wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Q aus C beigeordnet. Kosten diesbezüglich sind nicht zu erstatten. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Q aus C beigeordnet. Der Antragsgegner trägt 90 Prozent der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz ausschließlich über die Bewilligung von Leistungen in Form des Regelbedarfs nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Der Antragsteller bewohnte zunächst bis 31.10.2012 zusammen mit der Zeugin Frau S eine Wohnung in P. Zum 01.11.2012 zog der Antragsteller gemeinsam mit Frau S in die aktuelle Wohnung in I. Die Zeugin S schloss hierzu den Hauptmietvertrag und verpflichtet sich zur Zahlung von Mietkosten und Mietnebenkosten in Höhe von insgesamt 500 EUR. Der Antragsteller schloss am 01.11.2012 dann einen Untermietvertrag mit Frau S ab und verpflichtete sich zur Übernahme von Mietkosten und Mietnebenkosten in Höhe von insgesamt 269 EUR. Auf den Hauptantrag zu Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II vom 09.10.2013 bewilligte der Beklagte zunächst Leistungen mit Bescheid vom 14.11.2013 für den Zeitraum Oktober 2013 bis März 2014.
Mit Schreiben vom 11.12.2013 teilte das Bundeszentralamt für Steuern auf ein Kontenabrufersuchen des Antragsgegners mit, dass der Antragsteller Verfügungsberechtigter über zwei Konten der Frau S bei der ING DiBa sei; die Konten haben die Kto.-Nr. 000 und 001. Die Konten waren Ende 2008 und Anfang 2009 eingerichtet worden. Ein drittes Konto mit Verfügungsberechtigung des Antragstellers war im März 2012 aufgelöst worden. Außerdem verfügte der Antragsteller selber über ein Konto bei der Landesbank Berlin. Mit schriftlicher Erklärung von Frau S vom 11.01.2014 erklärte diese, bei dem einen Konto handele es sich um ein Sparkonto (Kto.-Nr. 000), zu dem der Antragsteller keinen Zugang über Karte oder TAN habe. Das zweite Konto (Kto.-Nr. 001) bei der ING DiBa sei mit einer Kreditkarte gekoppelt. Mit der Kreditkarte sei seit einem Jahr kein Umsatz mehr getätigt worden. Das Konto werde nicht mehr genutzt. Zu diesem Konto überreichte die Zeugin die Kontoauszüge vom 11.01.2014 mit den Kontobewegungen für den Zeitraum Mitte Juli 2013 bis Mitte Oktober 2013. Am 14.01.2014 führte der beauftragte Außendienst eine Hausbesichtigung der Wohnung des Antragstellers und der Frau S durch und verfasste hierzu den entsprechenden Prüfbericht. Der Antragsgegner ging daraufhin von einer Einstandsgemeinschaft des Antragstellers mit der Zeugin S aus. Eine Bewilligung von Leistungen für die Zeit ab April 2014 auf den Weiterbewilligungsantrag vom 28.02.2014 erfolgte nicht.
Den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 17.04.2014 lehnte das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen mit Beschluss vom 05.05.2014 mit der Begründung ab, es sei von einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft auszugehen. Gegen den am 08.05.2014 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 06.06.2014 Beschwerde eingelegt.
Der Antragsteller beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 05.05.2014 wird dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, dem Antragsteller vorläufig Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe nach dem SGB II vom 01.04.2014 bis 31.08.2014 zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte und der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerden des Antragstellers sind weitgehend zulässig und begründet.
Der Antrag war unter Berücksichtigung der Einlassungen des Bevollmächtigten des Antragstellers gemäß §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auszulegen und auf die Leistungen des Regelbedarfs gemäß § 20 SGB II zu beschränken. Der Prozessbevollmächtigte hat sowohl im Schriftsatz vom 29.04.2014 und vom 10.07.2014 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich der Antrag auf den Regelbedarf beschränkt. Außerdem beschränkt sich das Begehren ausweislich des Schriftsatzes des Bevollmächtigten vom 25.08.2014 auf den Zeitraum 01.04.2014 bis 31.08.2014; also auf fünf Monate. Außerdem wendet sich der Antragsteller auch gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe im ersten Rechtszug. Dies ergibt sich auch aus dem Antrag auf Prozesskostenhilfe im Beschwerdeverfahren.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 -1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5,237 = NVwZ 2005, Seite 927¸ Keller in: Meyer-Ladewig u.a., Kommentar zum SGG, 10. Auflage 2012 zu § 86 b Rn. 29 a).
Soweit der Antragsteller rückwirkende Leistungen ab 01.04.2014 begehrt, fehlt bis zum Zeitpunkt der Antragstellung beim SG am 17.04.2014 der erforderliche Anordnungsgrund. Dies folgt aus dem allgemein anerkannten Grundsatz, dass kein Anordnungsgrund für das Verlangen von Geldleistungen für die Vergangenheit anzunehmen ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 9. Auflage, 2008, § 86b, Rdn. 28). Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d.h. gegenwärtig noch bestehenden Notlage erforderlich sind.
Für den weiter geltend gemachten Zeitraum vom 17.04.2014 bis 31.08.2018 ist die Folgenabwägung geboten und fällt im vorliegenden Verfahren zu Gunsten des Antragstellers aus. Nach summarischer Prüfung sind die allgemeinen Voraussetzungen der Leistungsgewährung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II gegeben. Der Antragsteller ist am 08.06.1962 geboren und hat damit das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht; § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II. Der Antragsteller ist erwerbsfähig i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 8 Abs. 1 und Abs. 2 SGB II. Der Antragsteller hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II. Der Antragsteller ist grundsätzlich auch i.S.v. §§ 7 Abs. 1 S.1 Nr. 3, 9, 11 ff SGB II hilfebedürftig.
Es ist abschließend jedoch noch nicht geklärt, ob der Antragsteller in einer Bedarfsgemeinschaft mit der Zeugin S steht und mit dieser eine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft i.S.d. § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II bildet. Es ist abschließend nicht geklärt, ob nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
Allein die Ermittlungsergebnisse des Außendienstes anlässlich der Wohnungsbesichtigungen am 14.01.2014 sprechen für sich genommen nicht zwangsläufig für eine Einstandsgemeinschaft. Der Antragsteller verfügt danach über ein eigenes, abgetrenntes und vom Flur aus zu betretendes Zimmer. Zur Ausstattung wird auf die Niederschrift des Außendienstes vom 14.01.2014 Bezug genommen. Das Zimmer verfügt über eine Schrankwand, eine Schlafcouch, einen Couchtisch, einen Schreibtisch mit Stuhl, einen Wäschetrockner sowie über eine offene Abstellkammer.
Der Außendienst hat festgestellt, dass eine Lebensmitteltrennung nicht ersichtlich war und Nahrungsmittel des Antragstellers im gemeinsamen Kühlschrank aufbewahrt wurden. Verderbliche Lebensmittel werden regelmäßig im Kühlschrank aufbewahrt. Da die Anschaffung eines zweiten Kühlschranks regelmäßig unwirtschaftlich ist, spricht alleine das Aufbewahren von Lebensmittel in einem gemeinsamen Kühlschrank nicht für eine Einstandsgemeinschaft. Gleiches gilt im Übrigen für das Waschen von Wäsche in einer gemeinsamen Waschmaschine. Auch das Aufbewahren von weiteren Kleidungsstücken im Kleiderschrank von Frau S spricht nicht zwangsläufig für eine Einstandsgemeinschaft. Der Antragsteller hatte mitgeteilt, dass er einige wenige Kleidungsstücke mangels eigener Kapazitäten dort aufbewahrt. Insbesondere die Kleidungsstücke aus dem Intimbereich – insbesondere die Unterwäsche – bewahrt der Antragsteller in seinem Zimmer auf.
Auch die Verfügungsberechtigungen des Antragstellers über die beiden Konten bei der ING DiBa sprechen nicht zwangsläufig für die Einstandsgemeinschaft. Aus der jeweils eingeräumten Verfügungsbefugnis des Antragstellers allein lassen sich solche Rückschlüsse nicht ziehen. Die Zeugin Frau S hat mit schriftlicher Erklärung vom 11.01.2014 erklärt, bei dem einen Konto handele es sich um ein Sparkonto (Kto.-Nr. 000), zu dem der Antragsteller keinen Zugang über Karte oder TAN habe. Für den Antragsteller bestehe daher faktisch keine Möglichkeit, von seiner rechtlich eingeräumten Verfügungsbefugnis Gebrauch zu machen. Das steht der Annahme eines gemeinsamen Wirtschaften und Haushalten entgegen. Infolgedessen lässt sich daraus auch nicht schließen, dass die Zeugin und der Antragsteller gegenseitig füreinander einstehen wollen. Das zweite Konto bei der ING DiBa (Kto.-Nr. 001) wird nicht mehr genutzt, wie sich auch aus den überreichten Kontoauszügen vom 11.01.2014 ergibt. Die letzten Kontobewegungen fanden im Oktober 2013 statt. Die Kontobewegungen im Oktober beschränken sich jedoch im Wesentlichen auf einen Lastschrifteinzug und dessen Retour-Gutschrift. Insoweit liegen die letzten Kontobewegungen im September 2013 vor, die ausschließlich von Frau S veranlasst sind. Gehaltszahlungen innerhalb des Zeitraums Juli 2013 bis Oktober 2013 sind den Kontobewegungen nicht zu entnehmen. Dies deckt sich mit dem Vortrag des Antragstellers in der Begründung der Beschwerde vom 06.06.2014, wonach die Zeugin Frau S bereits zum 01.11.2012 ein weiteres Girokonto für die laufenden Gehaltszahlungen eingerichtet hat. Tatsächliche Verfügungsmasse bestand daher nicht mehr, ein tatsächlicher Zugriff des Antragstellers ist ebenfalls nicht ersichtlich. Das Konto ist damit bereits vor der ersten Antragstellung des Antragstellers auf Leistungen im Oktober 2013 nicht mehr benutzt worden. Die Verfügungsberechtigung des Antragstellers greift damit praktisch ins Leere.
Ein etwaiger Widerruf der Verfügungsbefugnisse spielt nach Ansicht des Senats keine maßgebliche Rolle.
Gegen die Einstandsgemeinschaft des Antragstellers mit Frau S sprechen darüber hinaus alle abgegebenen eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers, der Frau S und der neuen Lebenspartnerin des Antragstellers, Frau Altkrüger. Insbesondere Frau Altkrüger erklärt mit ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 11.07.2014, mit dem Antragsteller seit Ende 2012 partnerschaftlich verbunden zu sein. Dies deckt sich mit dem Vortrag des Antragstellers, mit dem Umzug Ende 2012 in die aktuelle Wohnung auch die partnerschaftliche Verbindung zu Frau S aufgegeben zu haben. Im vorliegenden Fall sprechen gegen diese Annahme ebenfalls die insoweit übereinstimmenden abgegebenen eidesstattlichen Versicherung der Frau S vom 30.03.2014 und 11.07.2014, mit denen Frau S wiederholt an Eides statt versichert hat, keine Bedarfsgemeinschaft mit dem Antragsteller mehr zu unterhalten, sondern lediglich im Rahmen eines Untermietvertrages dem Antragsteller Wohnraum zu gewähren. Bei dem Kriterium einer bestehenden Partnerschaft, die eine gewisse Ausschließlichkeit der Beziehung voraussetzt, handelt es sich um eine objektive Tatbestandsvoraussetzung, die nach der Systematik des § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II kumulativ zu der subjektiven Voraussetzung des Einstehens- und Verantwortungswillens gegeben sein muss (BSG, Urteil vom 23.08.2012 – B 4 AS 34/12 R
In einem Hauptsacheverfahren sind gegebenenfalls im Rahmen eines Beweistermins unter Beteiligung der Zeuginnen S und Altkrüger die partnerschaftlichen Beziehungen weiter aufzuklären. Außerdem sind die Verfügungsberechtigungen des Antragstellers über die Konten der Zeugin S weiter zu hinterfragen, insbesondere im Hinblick auf das Konto mit der Kto.-Nr. 000, zu dem nach summarischer Prüfung keine Kontoauszüge vorliegen. Auch wird zu klären sein, warum der Antragsteller geringfügig mehr als die Hälfte der anfallenden Mietkosten und Mietnebenkosten trägt. Ausweislich des Hauptmietvertrages der Zeugin S betragen die Mietkosten und die Mietnebenkosten insgesamt 500 EUR, während der Antragsteller ausweislich des Untermietvertrages 269 EUR zu tragen hat. Allein diese Tatsache begründet jedoch nicht die Annahme einer Einstandsgemeinschaft mit Frau S.
Unter Berücksichtigung des existenzsichernden Charakters der Leistungen nach dem SGB II und der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei nicht möglicher abschließender Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen Folgenabwägung ist daher vorliegend der Erlass einer einstweiligen Anordnung gerechtfertigt.
Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe so wie die Anwaltsbeiordnung beruht sowohl für das Verfahren des ersten Rechtszugs als auch für das Beschwerdeverfahren auf §§ 73 a SGG, 114, 121 Abs. 2 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 09.10.2014
Zuletzt verändert am: 09.10.2014