I. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2006 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2007 wird insoweit aufgehoben, als dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis 31. März 2007 mehr als 20 % der Regelleistung versagt wurde und für die Zeit vom 1. April 2007 bis 30. April 2007 wird der genannte Bescheid insgesamt aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte trägt 4/5 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. III. Die Berufung wird für den Kläger nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligen ist ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis 30.04.2007 streitig.
Der am 1975 geborene Kläger ist gelernter Krankenpfleger. Er bezieht seit dem 01.01.2005 mit Unterbrechungen von der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zuvor erhielt er BSHG-Leistungen. Mit Bescheid vom 26.10.2006 in Fassung des Änderungsbescheides vom 01.12.2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 567,00 EUR für die Zeit vom 01.11.2006 bis 30.04.2007. Am 16.11.2006 forderte die Beklagte den Kläger auf, sich bei ihr am 23.11.2006 um 9.00 Uhr zu melden. Hierzu teilte der Kläger mit Schreiben vom 17.11.2006 mit, dass es ihm aufgrund der schweren Erkrankung seiner Mutter und der damit verbundenen Pflege und Beaufsichtigung nicht möglich sei, den Termin wahrzunehmen. Hierzu legte er ein Attest der behandelnden Ärztin der Mutter vor. In dem ärztlichen Attest vom 20.11.2006 bescheinigte die behandelnde Ärztin Frau S., dass sich die Mutter des Klägers, Frau Sch., geboren 1949, seit 1995 in ihrer hausärztlichen Behandlung befinde. Aufgrund der Multimorbidität benötige Frau Sch. kontinuierliche Pflege und Beaufsichtigung. Mit weiterem Schreiben vom 21.11.2006 trug der Kläger sodann noch vor, dass seine Mutter unter einem Hypophysenadenom leide und daher häufig stürze. Sie habe bereits vor einem Jahr eine offene Sprunggelenkfraktur 3. Grades erlitten. Die Pflegegutachter beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen lehnten eine Pflegeeinstufung aus unerfindlichen Gründen jedoch ab. Wenn er dem Termin am 23.11.2006 Folge leisten würde und seiner Mutter in der Zwischenzeit etwas zustoße, würde er das mit seinem ethischen Empfinden nicht vereinbaren können. Zum Termin am 23.11.2006 erschien der Kläger nicht. Hierzu hörte die Beklagte ihn gemäß § 24 SGB X am 24.11.2006 an. Hierauf antwortete der Kläger mit Schreiben vom 27.11.2006. Mit Bescheid vom 05.12.2006 senkte die Beklagte die Regelleistung des Klägers für die Zeit vom 01.01.2007 bis 31.03.2007 um 10 % ab.
Ebensowenig erschien der Kläger zu einem weiteren Meldetermin am 01.12.2006. Hierzu hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 05.12.2006 an. In diesem Schreiben forderte die Beklagte den Kläger sodann auf, am 13.12.2006 um 9.00 Uhr bei ihr zu erscheinen. Sollte der Kläger zu dieser erneuten (letztmaligen) Einladung nicht erscheinen, werde nach Aktenlage entschieden und die Bewilligung der Leistungen endgültig aufgehoben. Nachdem der Kläger auch diesen Termin nicht wahrgenommen hatte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 14.12.2006 ihren Bewilligungsbescheid vom 26.10.2006 in Fassung des Änderungsbescheides vom 01.12.2006 auf und entzog dem Kläger dadurch sämtliche Leistungen nach dem SGB II ab 31.12.2006. Durch sein Nichterscheinen habe der Kläger zum Ausdruck gebracht, dass er an einer Integration in den Arbeitsmarkt und damit an der Beseitigung/Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit nicht interessiert sei. Gemäß § 2 Abs. 1 SGB II müssten erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen jedoch alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Nach § 3 Abs. 3 SGB II dürften Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nur erbracht werden, wenn diese die Integration in den Arbeitsmarkt bezweckten bzw. ermöglichten. Der Bewilligungsbescheid werde gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB II aufgehoben. Hiergegen legte der Kläger am 16.12.2006 Widerspruch bei der Beklagten ein.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.01.2007 zurück. Der Kläger verhindere eine Integration in den Arbeitsmarkt mit der Begründung, seine Mutter pflegen zu müssen. Der Kläger habe weder ein geeignetes Attest noch die Einstufung in eine Pflegestufe als Nachweis für die dauernde Pflegebedürftigkeit der Mutter beigebracht. Vielmehr sei bei einem Hausbesuch der Beklagten am 04.12.2006 festgestellt worden, dass die Mutter augenscheinlich nicht erkrankt sei und sogar über einen Zeitraum von 10 Minuten stehend verbringen konnte, ohne unter Kreislaufproblemen zu leiden. Daher bestehe kein wichtiger Grund die Arbeitsvermittlung zu verweigern und Meldetermine nicht wahrzunehmen.
Dagegen hat der Kläger am 08.01.2007 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Das Gericht hat sodann zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts einen Befundbericht der behandelnden Hausärztin der Mutter vom 03.02.2007 eingeholt. Danach liege der Schwerpunkt der Gesundheits- und Funktionsstörungen der Mutter des Klägers im Bereich der psychiatrischen und orthopädischen Fachbereiche. Frau Sch. leide dauernd an depressiven Angstzuständen mit rezidivierenden Panikattacken, chronischen Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich, Belastungsschmerzen in beiden Kniegelenken und rechtem Sprunggelenk (Zustand Fraktur am 22.09.2005) sowie Bewegungsschmerzen im linken Schultergelenk bei bestimmten Bewegungen, wechselhafte diffuse Schwellungen beider Hände insbesondere nachts, Morgensteifigkeit in den Händen von 2 Stunden Dauer. Seit dem Jahr 2005 habe sich der Allgemeinzustand auf keinen Fall verbessert. Die dysthyme Symptomatik unter Medikamenten sei ausreichend kompensiert. Aus hausärztlicher Sicht könne Frau Sch. bis zu 3 Stunden unbeaufsichtigt allein in der Wohnung verbleiben.
In der mündlichen Verhandlung vom 27.02.2007 beantragt der Kläger,
den Bescheid der Beklagten vom 14.12.2006 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.01.2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) frist- und formgerecht erhobene Klage ist zulässig und teilweise begründet.
Die Beklagte war nicht berechtigt, die Leistungen des Klägers für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis 31.03.2007 um mehr als 20 % der für ihn maßgeblichen Regelleistung abzusenken und dem Kläger für die Zeit vom 01.04.2007 bis 30.04.2007 Leistungen ganz zu versagen.
Die Beklagte kann nämlich die Aufhebung ihrer Leistungsbewilligung durch Bescheid vom 26.10.2006 in Fassung des Änderungsbescheides vom 01.12.2006 nicht auf § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X stützen. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat die Aufhebung eines Bescheides mit Dauerwirkung zu erfolgen, wenn sich entscheidungserheblich tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse nach Erlass des Bescheides geändert haben. Der ursprüngliche Bescheid muss also nach seinem Erlass infolge einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse rechtswidrig geworden sein. Dies ist hier jedoch nicht gegeben. Durch die Meldeversäumnisse des Klägers wurde nämlich der Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 26.10.2006 in Fassung des Änderungsbescheides vom 01.12.2006 nicht rechtswidrig. Die Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen nach dem SGB II sind in Kapitel 2 des SGB II (§ 7 bis § 13 SGB II) geregelt. Aus § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergibt sich sodann, dass die Personen Leistungen erhalten, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutsch- land haben. Sämtliche dieser genannten Voraussetzungen erfüllt der Kläger. Nicht zu den Leistungsvoraussetzungen gehört dagegen, in den Arbeitsmarkt integriert werden zu wollen. Die Leistungen nach dem SGB II stehen zwar unter dem Grundsatz des Förderns und Forderns nach §§ 1 und 2 SGB II, jedoch eröffnen diese Normen keine direkte Sanktionsmöglichkeiten. Der Gesetzgeber hat nämlich zur Durchsetzung dieses Gedankens ein eigenes Sanktionssystem durch § 31 SGB II geschaffen. Insofern kann § 2 SGB II allenfalls als allgemeine Interpretationsfolie bei der Bestimmung und Auslegung der Rechte und Pflichten des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach dem SGB II dienen (Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 2 Rdz 5). Auch ein Verstoß des Klägers gegen die Leistungsgrundsätze nach § 3 SGB II kann nicht zu einer Leistungsaufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X führen. § 3 Abs. 1 SGB II erfasst nicht die vom Kläger begehrten Leistungen. § 3 Abs. 1 SGB II bezieht sich auf Eingliederungsleistungen, also auf Leistungen im Sinne von § 16 SGB II. Streitgegenständlich sind vorliegend jedoch die Regelleistung und die Unterkunftskosten. Auch aus § 3 Abs. 3 SGB II ergibt sich kein Rechtsgrund für die Beklagte, dem Kläger die bewilligten Leistungen nachträglich zu versagen. Abs. 3 greift nach der Gesetzesbegründung (Bundesdrucksache 15/1516, S. 51) "den Grundsatz des Förderns und Forderns auf und legt ausdrücklich die Subsidiarität der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gegenüber einer Erwerbstätigkeit fest". Damit meint der Gesetzgeber, dass sich der erwerbsfähige Hilfebedürftige und seine Bedarfsgemeinschaft zunächst selbst helfen sollen, bevor staatliche Leistungen in Anspruch genommen werden. Allein dadurch dass der Kläger Meldetermine bei der Beklagten nicht wahrgenommen hat, kann noch nicht darauf geschlossen werden, dass der Kläger über ausreichende Selbsthilfemöglichkeiten verfügt. Zum einen hätte es dann der speziellen Sanktionsnorm in § 31 Abs. 2 SGB II nicht bedurft, zum anderen hat der Kläger aus seiner Sicht einen wichtigen Grund für sein Verhalten, nämlich die Pflegebedürftigkeit seiner Mutter, genannt. Insgesamt hat daher das Verhalten des Klägers nicht die Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entfallen lassen. Eine nachträgliche Aufhebung der Bewilligungsbescheide nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X konnte daher durch die Beklagte nicht erfolgen.
Der Bescheid vom 14.12.2006 kann auch nicht auf § 66 Abs. 1 SGB I gestützt werden. Aus § 37 Satz 1 2. Halbsatz SGB I geht nämlich hervor, dass § 31 SGB II als speziellere Regelung den § 66 SGB I verdrängt (vgl. auch – für den insoweit ähnlichen § 25 BSHG – Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung 98, 203, 209 f; Dauber in Mergler § 25 Rdnr. 4; Kunz in Östreicher (Stand: 01.06.2003), § 25 Rdnr. 7 und Schellhorn/Schellhorn § 25 Rdnr. 35). Da also das Verhalten des Klägers – keine Meldetermine bei der Beklagten wahrzunehmen – spezialgesetzlich in § 31 Abs. 2 SGB II geregelt ist, kann bezüglich dieses Verhaltens nicht auf § 66 SGB I zurückgegriffen werden.
Das Verhalten des Klägers erfüllt jedoch die Sanktionsnorm des § 31 Abs. 2 SGB II. Danach wird das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 10 v.H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen einer Aufforderung der Beklagten, sich bei ihr zu melden, nicht nachkommt und hierfür keinen wichtigen Grund nachweist. Unstreitig hat die Beklagte unter Hinweis auf die Rechtsfolgen den Kläger aufgefordert, am 23.11.2006 und am 01.12.2006 bei ihr vorzusprechen. Hierbei sollte die berufliche Situation des Klägers besprochen werden. Die Beklagte hat den Kläger somit aufgefordert, bei ihr persönlich zu erscheinen. Die Berechtigung der Beklagten, dies von dem Kläger zu verlangen, ergibt sich aus § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III. Indem der Kläger bei der Beklagten weder am 23.11.2006 noch am 01.12.2006 erschienen ist, hat er gegen seine Meldepflicht aus § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III verstoßen. Er kann für sein Verhalten auch keinen wichtigen Grund im Sinne von § 31 Abs. 2 SGB II nachweisen. Ein wichtiger Grund für das Nichterscheinen des Klägers stellt nämlich nicht die Pflegebedürftigkeit seiner Mutter dar. Zum einen steht für das Gericht nach dem eingeholten Befundbericht der behandelnden Hausärztin vom 02.03.2007 fest, dass die Mutter zumindest 3 Stunden unbeaufsichtigt in der Wohnung allein bleiben kann. Zudem hat der Kläger auch die Möglichkeit, seine Mutter zumindest zeitweise durch seine Oma betreuen zu lassen. Hierdurch war der Kläger auch in der Lage, persönlich bei Gericht vorzusprechen (siehe hierzu auch Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 30.01.2007, Az. S 6 AS 1001/06 ER), als auch zur mündlichen Verhandlung am 27.02.2007 vor Gericht zu erscheinen. Der Kläger konnte damit nicht beweisen, dass er aufgrund der Pflegebedürftigkeit seiner Mutter nicht fähig war, sich bei der Beklagten am 23.11.2006 und 01.12.2006 zu melden. Die Beklagte hat daher zu Recht mit Bescheid vom 05.12.2006 nach vorheriger Anhörung des Klägers eine Sanktion in Höhe von 10 % der Regelleistung für den Zeitraum 01.01.2007 bis 31.03.2007 festgestellt und ausgesprochen. Da der Kläger wie oben dargelegt auch ohne ausreichenden Entschuldigungsgrund den Meldetermin zum 01.12.2006 nicht wahrgenommen hat, kann der hierauf ergangene Bescheid vom 14.12.2006 insoweit als rechtmäßig angesehen werden, als dieser Bescheid nochmals eine Sanktion von 10 % für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis 31.03.2007 beinhaltete. Insgesamt konnte daher die Beklagte durch ihre zwei erlassenen Bescheide vom 05.12.2006 und 14.12.2006 insgesamt eine Sanktion von 20 % der Regelleistung für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis 31.03.2007 aussprechen. Über eine weitere Sanktion des Klägers für sein Meldeversäumnis am 13.12.2006 konnte das Gericht nicht entscheiden, da es hierzu eines weiteren Sanktionsbescheides bedurft hätte. Vorliegend sind jedoch wie dargestellt nur zwei Sanktionsbescheide ergangen. Insoweit war die Klage daher begründet, als dem Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis 31.03.2007 mehr als 20 % seiner maßgeblichen Regelleistung versagt wurde und als dem Kläger für den Zeitraum 01.04.2007 bis 31.04.2007 gänzlich die Leistungen entzogen wurden. Im Übrigen war die Klage unbegründet und daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Zulassungsgründe gemäß § 144 Abs. 2 SGG für eine Berufung des Klägers liegen nicht vor.
Erstellt am: 09.03.2007
Zuletzt verändert am: 09.03.2007