Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19.06.2009 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Streitig ist die Höhe der von der Staatskasse im Rahmen der Prozesskostenhilfe zu erstattenden Vergütung des Beschwerdegegners, insbesondere die Frage der Anrechnung der hälftigen Gebühr für die im Verwaltungsverfahren gewährte Beratungshilfe auf die Gebühren für das gerichtliche Verfahren.
Mit Schreiben vom 08.08.2007 hatte der Beschwerdegegner bei der Beklagten unter Vollmachtvorlage angezeigt, die rechtlichen Interessen des Klägers zu vertreten und bezüglich eines Bescheides der Beklagten vom 22.06.2007 einen Antrag gemäß § 44 Sozialgesetzbuch 10. Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) gestellt. Der Antrag war gerichtet auf Übernahme der tatsächlichen Heizkosten.
Zugleich hatte er bei dem Amtsgericht H angezeigt, Beratungshilfe gewährt zu haben. Das Amtsgericht H hatte zuvor unter dem 31.07.2007 festgestellt, dass der Kläger berechtigt sei, die Beratung eines Rechtsanwalts eigener Wahl für die Angelegenheit "Heizkostenübernahme durch das J für Arbeit H/Übernahme der Kosten aus der Jahresrechnung 2006" in Anspruch zu nehmen.
Mit Bescheid vom 13.08.2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchbescheid vom 12.10.2007 zurückgewiesen. In dem daraufhin beim Sozialgericht (SG) anhängig gemachten Klageverfahren wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Beschwerdegegners bewilligt. Nach Erledigung des Rechtstreits, in dem am 18.02.2008 ein Erörterungstermin durchgeführt worden war, durch Klagerücknahme vom 10.06.2008 hat der Beschwerdeführer am selben Tag beantragt, die zu erstattenden Gebühren und Auslagen mit 500,99 EUR (170,00 EUR Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG); 200,00 EUR Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG; 20,00 EUR Pauschale Nr. 7002 VV RVG; 31,00 EUR Dokumentenpauschale für 90 Ablichtungen; 79,99 EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG) festzusetzen.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 429,65 EUR festgesetzt. Zur Begründung hat er ausgeführt, "für das in Umfang, Bedeutung und Komplexität der anwaltlichen Tätigkeit unterdurchschnittliche Verfahren im Vergleich zu allen anderen sozialgerichtlichen Verfahren konnte nur eine unterdurchschnittliche Verfahrensgebühr festgesetzt werden. Die Terminsgebühr wurde antragsgemäß im Billigkeitsrahmen festgesetzt. Es konnten nur 57 Kopien festgesetzt werden, da die weiteren Kopien dem Kläger in Ur-/Durchschrift vorliegen."
Mit Erinnerung vom 20.06.2008 hat der Beschwerdegegner ausgeführt, die Festsetzung der Vergütung könne insbesondere im Hinblick auf die Verfahrensgebühr aus Nr. 3103 VV RVG nicht akzeptiert werden. Der Gebührenrahmen beinhalte insoweit schon eine Kürzung der Mittelgebühr in erheblichem Maße. Dies habe der Gesetzgeber damit begründet, dass die Widerspruchsgebühr gemäß Nr. 2400 VV RVG in Höhe von 240,00 EUR zur Anrechnung gelange. Eine entsprechende Berechnung der Widerspruchsgebühren könne jedoch in SGB II-Verfahren regelmäßig nicht erfolgen, da eine anwaltliche Tätigkeit nur durch die Beratungshilfevergütung vergütet werden könne. Bei dem Kläger hätten keine Gebühren in entsprechender Höhe für das Widerspruchverfahren berechnet werden können. Vielmehr seien nur "die üblichen 70,00 EUR für das Beratungshilfeverfahren" berechnet worden. Wenn dann noch eine weitere Kürzung der Gebühr Nr. 3103 VV RVG auf 115,00 EUR vorgenommen werde, könne eine kostendeckende Bearbeitung der sozialrechtlichen Angelegenheit nicht mehr erfolgen. Darüber hinaus sei die Angelegenheit auch von erheblichem Arbeitsaufwand anwaltlicherseits geprägt gewesen.
Schließlich seien die Ausführungen hinsichtlich der geltend gemachten Kopierkosten nicht nachvollziehbar.
Der Beschwerdeführer hat beantragt, die PKH-Vergütung auf 453,45 EUR festzusetzen. Die Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG könne mit 170,00 EUR angesetzt werden, jedoch sei die hälftige Beratungshilfegebühr mit einem Betrag von 35,00 EUR abzusetzen. Die Terminsgebühr sei mit 200,00 EUR einzusetzen. Zur Höhe der Abgeltungskosten könne nicht vorgetragen werden, da die gefertigten Ablichtungen nicht vorgelegen hätten.
Der Beschwerdegegner hat einer Anrechnung der hälftigen Beratungshilfegebühr mit dem Argument widersprochen, die Beratungshilfe sei für etwas völlig anderes, nämlich einen Antrag nach § 44 SGB X verbraucht und abgerechnet worden, nicht jedoch für das Widerspruchverfahren.
Mit Beschluss vom 19.07.2009 hat das SG die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 499,74 EUR festgesetzt. Im Übrigen hat es die Erinnerung zurückgewiesen. Die Beschwerde hat es zugelassen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, die von dem Beschwerdegegner angesetzte Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG sei nicht unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 4 RVG. Zu Recht sei der Beschwerdegegner insoweit von der Mittelgebühr ausgegangen. Die Verfahrensgebühr stehe dem Beschwerdegegner auch ohne Anrechnung einer hälftigen Beratungshilfegebühr nach Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG zu. Dabei könne dahinstehen, ob eine Anrechnung bereits deshalb ausscheidet, weil die Beratungshilfegebühr in einem Antragsverfahren nach § 44 SGB X angefallen sei, welches vor dem den Änderungsverfahren zu Grunde liegenden Klageverfahren durchgeführt worden sei. Der mit Nr. 2503 VV RVG angestrebte Zweck werde im sozialgerichtlichen Verfahren bereits durch die Vorschrift der Nr. 3103 VV RVG erfüllt. Durch den soweit reduzierten Gebührenrahmen solle berücksichtigt werden, dass die Tätigkeit in einem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren die anschließende Tätigkeit in einem gerichtlichen Verfahren durchaus erleichtere, weil sich der Rechtsanwalt bereits mit der Sache befasst habe (BT-Drs 15/1971, S. 212). Die Anrechnungsregelung in Nr. 2503 Abs. 2 VV RVG trete entsprechend hinter die speziellere Vorschrift in Nr. 3103 VV RVG zurück.
Von den beantragten 90 Kopien könnte im Rahmen der Nr. 7000 VV RVG 83 Kopien, mithin ein Betrag von 29,92 EUR berücksichtigt werden.
Gegen den ihm am 11.07.2009 zugegangenen Beschluss vom 19.06.2009 richtet sich die Beschwerde des Beschwerdeführers vom selben Tag. Die Beschwerde sei beschränkt auf die Nichtanrechnung der hälftigen Beratungshilfegebühr. Vor dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen seien hierzu mehrere Musterbeschwerdeverfahren anhängig. Es werde angeregt, die Erledigungen zunächst abzuwarten und in der Sache (noch) nicht zu entscheiden. Der Beschwerdeführer hat nachfolgend auf Rechtsprechung des LSG (Beschluss vom 29.10.2009 – L 1 B 6/09 AS) verwiesen. Er hat an seiner Auffassung auch in Kenntnis entgegenstehender Rechtsprechung des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschlüsse vom 16.12.2009 – L 19 B 179/09 AS und L 19 B 190/09 AS) festgehalten.
Der Beschwerdegegner hält den Beschluss des SG hinsichtlich der Anrechnung der Beratungshilfegebühr für zutreffend. Er hat erneut darauf hingewiesen, dass die Beratungshilfegebühr bereits deshalb nicht in Ansatz gebracht werden könne, weil im Rahmen des Beratungshilfemandats ausschließlich ein Antrag nach § 44 SGB X gestellt worden sei. Das Verfahren nach § 44 SGB X sei als reines behördliches Überprüfungsverfahren so weit entfernt von dem gerichtlichen Verfahren, dass keinerlei Parallelen dafür erkennbar seien, warum diese Tätigkeit sich im Verfahren bezüglich der Gebühren nach Nr. 3103 VV RVG noch gebührenverringernd auswirken könne. Eine hälftige Anrechnung der Beratungshilfegebühr werde "als grob rechtswidrig und einen Angriff auf die anwaltlichen Berufsfreiheit gesehen".
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen, der der Entscheidung zu Grunde liegt.
II. Die Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat (§§ 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. 33 Abs. 4 S. 1 RVG), ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das SG hat die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage zugelassen (§§ 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. 33 Abs. 3 S. 2 RVG). Die Beschwerde ist fristgerecht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses des SG von dem Beschwerdeführer erhoben worden (§§ 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. 33 Abs. 3 S. 3 RVG). Beschwerdeführer ist das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch den Bezirksrevisor für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Nordrhein-Westfalen, Beschwerdegegner ist nicht der Kläger, sondern dessen Prozessbevollmächtigter (§§ 56 Abs. 1 und 2 i.V.m. 33 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 RVG, 45 RVG). Das Rubrum ist von Amts wegen zu berichtigen gewesen.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das SG die Kosten mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19.06.2009 auf 499,74 EUR festgesetzt und von einer Anrechnung der Beratungshilfegebühr auf die Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG abgesehen.
Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen des SG im angefochtenen Beschluss Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG), denen sich der Senat nach eigener Überprüfung anschließt. Auch zur Überzeugung des Senats verbietet sich eine Anwendung der Nr. 2503 Abs. 2 S. 1 VV RVG nach Sinn und Zweck dieser Regelung sowie in Ansehung des Regelungszwecks von Nr. 3103 VV RVG. Der Senat sieht sich insoweit im Einklang mit der herrschenden sozialgerichtlichen Rechtsprechung (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.11.2010 – L 6 AS 52/10 B im Anschluss an LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.12.2009 – L 19 B 180/09 AS; vgl. auch SG Fulda, Beschluss vom 03.01.2011 – S 3 SF 43/10 E; SG Berlin, Beschluss vom 25.01.2010 – S 165 SF 1315/09 E; Houben in Baumgärtel u.a., RVG, 11. Auflage 2006, Nr. 2503 VV RVG Rn. 5). Er hält die einschränkende Auslegung der Nr. 2503 VV RVG schon zur Vermeidung einer nicht zu begründenden gebührenrechtlichen Benachteiligung des Beratungshilfeanwalts (vgl. eingehend Schneider in "Anrechnung der Beratungshilfe-Geschäftsgebühr in sozialgerichtlichen Verfahren – ein preußisches Problem ?", Mitteilungen des Münchner Anwaltvereins e.V., August/September 2008 S. 8; vgl. auch Houben a.a.O.), auch wenn der Wortlaut für eine entsprechende Auslegung nichts hergibt (unter Verweis auf den Wortlaut daher a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.02.2007 – L 12 B 8/06 AS; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.10.2009 – L 1 B 6/09 AS), für geboten.
Nach alledem kann dahinstehen, ob eine Anrechnung der Beratungshilfegebühr deshalb ausscheidet, weil die Beratungshilfe für das Antragsverfahren gemäß § 44 SGB X gewährt worden war. Die Argumentation des Beschwerdegegners dürfte jedoch verkennen, dass das SG ihm Prozesskostenhilfe für das nachfolgende, gegen die eine Zugunstenentscheidung gemäß § 44 SGB X ablehnenden Bescheide gerichtete Klageverfahren, gewährt hat. Ohne dass es hier entscheidend darauf ankommt, weist der Senat jedoch darauf hin, dass zwar der Wortlaut der Nr. 2503 VV RVG ("für ein anschließendes gerichtliches oder behördliches Verfahren") dafür sprechen könnte, dass eine Anrechnung im Klageverfahren von vornherein ausgeschlossen ist, wenn sich an das Verwaltungsverfahren, in dem Beratungshilfe gewährt wurde, erst ein Widerspruchsverfahren anschließt. Andererseits könnte es ausreichen, einen gewissen zeitlichen Zusammenhang zu dem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren ausreichen zu lassen. Insoweit wird vertreten, dass – diesen zeitlichen Zusammenhang voraussetzend – es unerheblich sei, ob der Anwalt in demjenigen gerichtlichen oder behördlichen Verfahren tätig wird, das sich an das außergerichtliche oder außerbehördliche Verfahren unmittelbar anschließt, oder ob er erst in einem zeitlich nachfolgenden weiteren gerichtlichen oder behördlichen Folgeverfahren tätig wird (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 40. Auflage 2010, 2503 VV Rn. 18).
Kosten sind gemäß § 56 Abs. 2 S. 3 RVG nicht zu erstatten.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 56 Abs. 2 S. 2 i.V.m. 33 Abs. 4 S. 3 RVG).
Erstellt am: 25.05.2011
Zuletzt verändert am: 25.05.2011