I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Änderungsbescheids vom 17. Februar 2010 in Fassung des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2010 verurteilt, dem Kläger auch für den Zeitraum vom 17. November 2009 bis 9. Dezember 2009 Arbeitslosengeld II zu bewilligen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Berufung ist nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld II im Zeitraum vom 17.11.2009 bis 09.12.2009 streitig.
Der am 1984 geborene Kläger beantragte am 17.11.2009 bei der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Hierbei gab er an, am 11.11.2009 aus der Justizvollzugsanstalt N. entlassen worden zu sein. Bei der Entlassung habe er 1.113,02 EUR erhalten. Davon seien 815,53 EUR als Überbrückungsgeld zu behandeln. Dieses unterliege dem besonderen Pfändungsschutz gemäß Art. 51 Abs. 2 Bayerisches Strafvollzugsgesetz (BayStVollzG). Am selben Tag habe er sich noch in die Fachklinik J. zu einer stationären Langzeitentwöhnungstherapie begeben. Mit Bescheid vom 15.01.2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Es liege der Leistungsausschlussgrund des § 7 Abs. 4 SGB II vor. Dagegen richtet sich der Widerspruch des Bevollmächtigten vom 09.02.2010. Mit Änderungsbescheid vom 17.02.2010 bewilligte daraufhin die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II ab 10.12.2009 bis 31.12.2009 (vom 10.12.2009 bis 31.12.2009 Leistungen in Höhe von 263,27 EUR und für die Zeit vom 01.01.2010 bis 31.05.2010 in Höhe von monatlich 359,00 EUR an Regelleistungen). Im Übrigen wies sie den Widerspruch des Bevollmächtigten mit Widerspruchsbescheid vom 02.03.2010 zurück. Der Kläger sei am 11.11.2009 aus der Haft entlassen worden und habe bei der Entlassung insgesamt 1.113,02 EUR erhalten. Hierin enthalten sei ein Überbrückungsgeld in Höhe von 815,53 EUR, welches gemäß Art. 51 Abs. 1 BayStVollzG den notwendigen Lebensunterhalt für die ersten vier Wochen nach der Entlassung sichern solle. Infolgedessen käme eine Bewilligung von Arbeitslosengeld II erst ab 10.12.2009 in Betracht.
Hiergegen hat der Bevollmächtigte am 31.03.2010 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Zur Klagebegründung hat er vorgetragen, dass die Beklagte verkenne, dass es sich beim am 11.11.2009 zugeflossenen Haftentlassungsgeld bei Antragstellung am 17.11.2009 um nicht anrechenbares Vermögen gehandelt habe. Einkommen sei alles das, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazu erhalte, und Vermögen das, was er in der Bedarfszeit bereits habe. Dabei sei grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, es sei denn, rechtlich ist ein anderer Zufluss als maßgeblich zu bestimmen (normativer Zufluss). Die Zuflusstheorie sei im Bereich des SGB II maßgebend, weshalb auch vorliegend kein Einkommen vorliege. Dies ergebe sich u.a. aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.07.2008 – B 14/7b AS 12/07 R -. Hierin habe das BSG ausdrücklich festgestellt, dass anders als im Recht der Sozialhilfe die so genannte "Bedarfszeit" im Bereich des SGB II erst mit der Antragstellung beginne. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Unterscheidung von Einkommen und Vermögen im SGB II sei damit die Antragstellung gemäß § 37 SGB II und nicht der jeweilige Kalendermonat, in der der Bedarf bestand. Dies gelte deshalb, weil anders als bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), für die es nach § 5 BSHG keines Antrags bedurfte, § 37 SGB II ein konstitutives Antragserfordernis statuiere. Folglich sei es ausgeschlossen, eine einmalige Einnahme, die vor Beginn des Leistungsbezuges zugeflossen sei, anzurechnen. Damit sei eine Anrechnung des dem Kläger vor Antragstellung zugeflossenen Überbrückungsgelds als einmalige Einnahme ebenfalls ausgeschlossen. Insgesamt habe daher der Kläger mangels Einkommens und eines die Freibeträge übersteigenden Vermögens ab Antragstellung einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Darauf hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 30.04.2010 erwidert, dass in Art. 51 Abs. 1 BayStVollzG ausdrücklich bestimmt sei, dass das Überbrückungsgeld den notwendigen Lebensunterhalt des Gefangen und seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach seiner Entlassung sichern solle. Damit sei das Überbrückungsgeld grundsätzlich bei der Bedarfsberechnung nach dem SGB II zu berücksichtigen. In den ersten vier Wochen nach der Haftentlassung sei es als Einkommen anzurechnen. Eine längere Anrechnung auf nachfolgende Zeiträume sei indes ausgeschlossen. Die höherrangige gesetzliche Regelung des Art. 51 BayStVollzG beschränke den Anrechnungs- und Verteilzeitraum bezüglich einmaliger Einnahmen, der in der Regel des § 2 Abs. 4 Arbeitslosengeld-II/Sozialgeldverordnung (ALG II-V) festgelegt sei. Aus dieser zeitlichen Begrenzung der Zweckbestimmung folge, dass das Überbrückungsgeld in den ersten vier Wochen als Einkommen anzurechnen sei und lediglich eine längere Anrechnung auf Nachfolgezeiträume ausgeschlossen sei (vgl. Bundesverwaltungsgericht – BVerwG vom 21.06.1990, Az: 5 C 64/86). Das an den Kläger ausgezahlte Überbrückungsgeld im Sinne des Art. 51 BayStVollzG stelle mithin erst für den Zeitraum ab dem 10.12.2009 kein anrechenbares Einkommen gemäß § 11 SGB II dar.
In der mündlichen Verhandlung vom 20.05.2010 beantragt der Bevollmächtigte,
die Beklagte unter Abänderung ihres Änderungsbescheids vom 17.02.2010 in Fassung des Widerspruchsbescheids vom 02.03.2010 zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 17.11.2009 bis 09.12.2009 Arbeitslosengeld II zu bewilligen.
Der Bevollmächtigte der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) frist- und formgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld II auch in dem Zeitraum vom 17.11.2009 bis 09.12.2009. Das dem Kläger am 11.11.2009 zugeflossene Überbrückungsgeld stellt keine anrechenbare einmalige Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II dar, sondern ist als die Freibeträge nicht übersteigendes Schonvermögen gemäß § 12 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB II zu behandeln.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist bei der Unterscheidung zwischen anrechenbarem Einkommen gemäß § 11 Abs. 1 SGB II und Vermögen gemäß § 12 SGB II darauf abzustellen, wann der Hilfebedürftige seinen Antrag gemäß § 37 SGB II gestellt hat. Einkommen ist damit alles das, was jemand nach der Antragstellung beim Grundsicherungsträger wertmäßig dazu erhält und Vermögen das, was er vor der Antragstellung beim zuständigen Träger der Grundsicherung bereits hatte (siehe Urteile des BSG vom 30.07.2008 – B 14 AS 26/07 R und B 14/7b AS 17/07 R). Da dem Kläger sein Über-brückungsgeld vor Antragstellung unstreitig am 11.11.2009 zugeflossen ist, war es nach der zitierten Rechtsprechung des BSG als Vermögen gemäß § 12 SGB II zu behandeln und nicht als einmalige Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II. Auch wenn das Überbrückungsgeld gemäß Art. 51 BayStVollzG dazu bestimmt ist, den Lebensunterhalt des Entlassenen innerhalb der ersten vier Wochen nach Haftentlassung zu sichern, kam eine Bewertung des Überbrückungsgelds als einmalige Einnahme entgegen der Rechtsprechung des BSG nicht in Betracht. Ein rechtfertigender Ausnahmegrund liegt nämlich dafür nicht vor. Zum einen handelt es sich bei Art. 51 BayStVollzG nicht wie von der Beklagten angenommen um eine höherrangige gesetzliche Regelung, die die Bestimmungen des SGB II verdrängen könnte. Auch kann die von der Beklagten zitierte Entscheidung des BVerwG vorliegend keine Anwendung finden, da entgegen der Regelungen im BSHG der Bedarfszeitraum nach der ständigen Rechtsprechung des BSG mit der Antragstellung beginnt und nicht mit Beginn des Monats, in dem der Bedarf entstanden ist. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass auch Erwerbseinkommen, das ebenfalls dazu dient, den Lebensunterhalt zu sichern, dann nicht als Einkommen behandelt wird, wenn es vor Antragstellung zugeflossen ist. Auch in einem solchen Fall gilt es als Vermögen. Dasselbe ist anzunehmen bei sonstigen Wertzuwächsen vor Antragstellung etwa bei einer Abfindung, die anlässlich einer Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gezahlt wurde, oder bei Nachzahlungen von Sozialleistungen vor Antragstellung (z.B. Kindergeld). Es ist damit nicht erkennbar, dass bei einem Zufluss von Überbrückungsgeld vor Antragstellung eine rechtfertigende Notwendigkeit bestünde, von der Rechtsprechung des BSG abzuweichen (dies wird im Übrigen in den Durchführungshinweisen der Bundesagentur für Arbeit für die Anwendung des SGB II ebenfalls anerkannt, siehe nämlich Durchführungshinweise 11.6 und 11.57).
Die Beklagte war damit zu verurteilen, dem Kläger unter Abänderung ihres Änderungsbescheids vom 17.02.2010 auch für den Zeitraum vom 17.11.2009 bis 09.12.2009 Arbeitslosengeld II zu bewilligen.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Da der Beschwerdewert nicht über 750 EUR liegt (in Betracht kommen nämlich nur weitere Regelleistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum), war über die Zulassung der Berufung gemäß § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG zu entscheiden. Zulassungsgründe im Sinne des § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor, so dass die Berufung nicht zuzulassen war.
Erstellt am: 08.06.2010
Zuletzt verändert am: 08.06.2010