Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 23.05.2011 geändert. Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin L beigeordnet.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde ist begründet, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) gemäß § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) vorliegen.
Die im Verfahren auf Bewilligung von PKH regelmäßig zugrunde zu legende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt eine hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung. Für die Annahme einer hinreichenden Erfolgsaussicht genügt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit. Diese kann schon dann bejaht werden, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 73a Rn. 7, 7a m.w.N.).
Zwar ist der Senat der Auffassung, dass es angesichts der Gesamtumstände des Falles wenig glaubhaft ist, dass dem Kläger die vom Konto abgehobenen 300 Euro tatsächlich gestohlen wurden und dass es vielmehr naheliegt, dass der Kläger anderweitig mit den ihm aus Steuermitteln gewährten Sozialleistungen zweckwidrig umgegangen ist.
Ungeachtet dessen ergeben sich jedoch in mehrfacher Hinsicht Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 09.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2010.
In formell-rechtlicher Hinsicht ist der angefochtene Bescheid zumindest derzeit wegen Verstoßes gegen die Anhörungspflicht nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) rechtswidrig. Eine Anhörung ist vor Erlass des Bescheides nicht erfolgt. Die Anhörung vom 12.04.2010 erfolgte zur beabsichtigten Gewährung von Sachleistungen, nicht aber zu einer Absenkung der Leistungen. Dieser Verfahrensmangel der mangelnden Anhörung ist auch nicht nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X durch Nachholung geheilt worden. Eine wirksame Nachholung setzt voraus, dass diese den Anforderungen an eine Anhörung nach § 24 SGB X entspricht und insbesondere der Beteiligte über die entscheidungserheblichen Tatsachen in Kenntnis gesetzt wurde sowie Gelegenheit zur Äußerung hatte. Für eine Heilung im Gerichtsverfahren genügt nicht die schlichte Klageerhebung ggf. in Verbindung mit der Klageerwiderung. Vielmehr ist ein eigenständiges, nicht notwendigerweise förmliches Verwaltungsverfahren notwendig (Bundessozialgericht, Urteil vom 07.07.2011, Az. B 14 AS 144/10 R m.w.N.). Eine solche nachholende Anhörung im Laufe des Gerichtsverfahrens vor dem SG kann den Akten nicht entnommen werden.
Zweifelhaft in materiell-rechtlicher Hinsicht ist zunächst, ob der verhängten Sanktion eine ausreichende Rechtsfolgenbelehrung im Sinne des § 31 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vorausging. Die im Verwaltungsvorgang des Beklagten enthaltenen schriftlichen Belehrungen vom 14.07.2009 und vom 09.07.2010 sind jedenfalls unrichtig. Die Belehrungen stellen eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II um 30 % für drei Monate in Aussicht. § 31 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 SGB II in der bis zum 31.03.2011 geltenden Fassung sieht jedoch eine Absenkung nur um 30 vom Hundert der maßgebenden Regelleistung vor. Die konkrete Höhe des Absenkungsbetrages wird in der Belehrung nicht benannt. Zudem ist die Belehrung vom 09.07.2011 ohnehin nicht geeignet, die mit einer Rechtsfolgenbelehrung verbundene Warnfunktion zu entfalten; denn sie ist zeitlich, wenn auch am selben Tag, dem dem Kläger vorgeworfenen Verhalten nachgefolgt. Hinsichtlich des Inhalts einer etwaig mündlich erteilten weiteren Belehrung lässt sich dem Verwaltungsvorgang nichts entnehmen, so dass hier weiterer Sachaufklärungsbedarf besteht. Weiter ist fraglich, ob die schriftlichen Belehrung vom 14.07.2009 aufrecht erhalten wurde oder ob der Beklagte durch die Erläuterungen in der Niederschrift vom 10.09.2009 und in dem Anhörungsschreiben vom 12.04.2010 deutlich gemacht hat, weiteres Fehlverhalten werde nicht die Absenkung von Leistungen, sondern lediglich die Leistungsgewährung in Form von Gutscheinen zur Folge haben. Schließlich bestehen Zweifel, ob die Rechtsfolgenbelehrungen in ausreichender zeitlicher Nähe zum sanktionierten Verhalten erfolgt sind.
Außerdem bestehen Bedenken am Vorliegen der Voraussetzungen einer Absenkung gemäß § 31 SGB II insoweit, als fraglich ist, ob ein unwirtschaftliches Verhalten des Klägers tatsächlich vorgelegen hat. Es ist bereits nicht geklärt, ob der Kläger seine Geldbörse verloren hat oder ob sie ihm entwendet wurde. Hinsichtlich des vom Kläger behaupteten Diebstahls sind den Verwaltungsvorgängen ebenfalls keine Einzelheiten zu entnehmen; auch hier besteht weiterer Sachaufklärungsbedarf. Mehr als fraglich ist, ob das bloße Abheben eines Geldbetrages von 300 Euro dem Begriff des unwirtschaftlichen Verhaltens unterfällt. Unwirtschaftliches Verhalten liegt vor, wenn der Leistungsempfänger unter Berücksichtigung der ihm durch die Allgemeinheit gewährten Hilfe jede wirtschaftlich vernünftige Betrachtungsweise vermissen lässt und hierbei ein Verhalten zeigt, das vom Durchschnitt wesentlich, d.h. auf eine die Sparsamkeitsvorgaben krass missachtende Weise, abweicht (vgl. Rixen in Eicher / Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 31 Rn. 29 unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung). Dass die weit überwiegende Mehrheit der Leistungsempfänger die ihnen gewährten Leistungen nicht in hälftigen Monatsbeträgen, sondern in erheblich kleineren Beträgen abheben würde, liegt nach Auffassung des Senats jedenfalls nicht auf der Hand.
Eine hinreichende Erfolgswahrscheinlichkeit der Klage kann daher insgesamt nicht ausgeschlossen werden.
Ohne dass es hierauf ankäme, weist der Senat darauf hin, dass angesichts der Drogenproblematik des Klägers und seines äußerst unzuverlässigen Verhaltens eine Prüfung angezeigt sein könnte, ob der Kläger überhaupt erwerbsfähig im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II ist.
Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung ratenfreier PKH gemäß § 115 ZPO liegen vor und sind mit der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers glaubhaft gemacht.
Die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erscheint erforderlich (§ 73a SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO).
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 05.12.2011
Zuletzt verändert am: 05.12.2011