I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 5. Juni 2008 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2008 verurteilt, den Bescheid vom 28. Januar 2008 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2008 zurückzunehmen und dem Kläger vorläufig Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 8. Januar 2008 bis 6. April 2008 zu bewilligen.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Zurücknahme eines Ablehnungsbescheides im Wege des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) streitig und damit verbunden ein Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in dem Zeitraum vom 08.01.2008 bis 06.04.2008.
Der am 1978 geborene Kläger ist seit 01.12.2005 selbstständig erwerbstätig. Ergänzend erhält er von der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Den Fortzahlungsantrag des Klägers vom 08.01.2008 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28.01.2008 ab. Trotz mehrfacher Aufforderung seien zum Nachweis der Hilfebedürftigkeit eine qualifizierte Gewinnermittlung für den Zeitraum von August 2007 bis einschließlich Dezember 2007 und das Zusatzblatt 2.1 nicht vorgelegt worden. Damit sei insgesamt die Hilfebedürftigkeit des Klägers nicht nachgewiesen.
Am 06.03.2008 reichte der Kläger bei der Beklagten die angeforderten Unterlagen für die Bewilligung ab Januar 2008 ein. Gegen den Ablehnungsbescheid vom 28.01.2008 legte der Kläger mit Schreiben vom 26.02.2008, der bei der Beklagten am 03.04.2008 eingegangen war, Widerspruch ein. Den Widerspruch begründete er damit, dass er der Aufforderung der Beklagten vom 10.01.2008, die noch fehlenden Unterlagen vorzulegen, am 15.01.2008 nachgekommen sei. Er sei davon ausgegangen, dass bei der Beklagten nichts verloren gehe. Zur Sicherheit werde er aber nochmals sämtliche Unterlagen der Beklagten zukommen lassen. Dies werde unverzüglich geschehen. Er könne dies aber erst in der 10. Kalenderwoche erledigen, da der Umfang der Unterlagen nicht unerheblich sei und alle Belege in Kopie nochmals aufwendig erstellt werden müssten. Sämtliche bisher erstellten Unterlagen zur Gewinnermittlung und Einkommensteuererklärungen lägen bereits dem Steuerberater vor. Auch diese würden unverzüglich an das Finanzamt und an die Beklagte weitergeleitet. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.03.2008 als unzulässig zurück. Der Widerspruchsbescheid ist bestandskräftig. Auf Fortzahlungsantrag vom 07.04.2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger anhand der eingereichten Unterlagen Arbeitslosengeld II vorläufig ohne Anrechnung von Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit von der Zeit vom 07.04.2008 bis 30.06.2008 in Höhe von monatlich 546,41 bzw. 682,64 EUR.
Am 29.03.2008 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X hinsichtlich des Ablehnungsbescheides vom 28.01.2008 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2008. Er habe die fehlenden Unterlagen bis auf die Unterlagen vom Finanzamt bereits am 15.01.2008 eingereicht. Nochmals eingereicht worden seien diese am 06.03.2008. Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.06.2008 ab. Die angeforderten Unterlagen seien nicht fristgerecht zum 15.01.2008 vorgelegt worden. Nachweise für den Vortrag, dass diese nicht erst am 06.03.2008 nachgereicht worden seien, lägen nicht vor. Dagegen legte der Kläger am 30.06.2008 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.2008 zurückwies. Der Widerspruchsbescheid beruhe auf einer Umsetzung einer DA des kommunalen Trägers vom 18.01.2008 sowie auf § 37.3 der Durchführungshinweise der BA.
Hiergegen hat der Kläger am 24.07.2008 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. In der Klagebegründung hat er ausgeführt, dass er unter Einhaltung seiner Mitwirkungspflichten immer die angeforderten Unterlagen an die Beklagte geschickt habe. Leider seien verschiedentliche Unterlagen, im Speziellen die Gewinnermittlung, Raumkosten, Selbsteinschätzung, trotz ausführlicher Dokumentation nicht anerkannt worden. Es sei aber auch nie konkret erklärt worden, wie eine Gewinnermittlung nach dem Einkommen- steuergesetz aussehen solle. Das Formblatt zur Erstellung seiner Gewinnermittlung habe er erst am 29.11.2007 erhalten. Ab 01.01.2008 seien dann komplett neue Unterlagen eingeführt worden.
In der mündlichen Verhandlung vom 28.10.2008 beantragt der Kläger,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 05.06.2008 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2008 zu verurteilen, den Bescheid vom 28.01.2008 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2008 aufzuheben und ihm für die Zeit vom 08.01.2008 bis 06.04.2008 vorläufig Arbeitslosengeld II zu bewilligen.
Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte und Gerichtsakte im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) frist- und formgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger hat Anspruch auf Zurücknahme des Ablehnungsbescheides vom 28.01.2008 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2008 und Anspruch auf eine vorläufige Bewilligung von Leistungen nach dem SGB X vom 08.01.2008 bis 06.04.2008.
Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers ist § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II iVm § 44 Abs. 1 SGB X. Durch die generelle Verweisung des § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf das im SGB X geregelte Verfahrensrecht ist § 44 SGB X auch im Rahmen der Leistungsgewährungen nach dem SGB II anzuwenden. Dies ergibt sich auch aus § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, der auf § 330 Abs. 1 SGB III verweist. Diese Verweisung hätte jedoch dann keinen Sinn, wenn der Gesetzgeber § 44 SGB X im Rahmen der Grundsicherungsleistungen hätte nicht für anwendbar erklären wollen. § 44 SGB X ist daher für den Bereich des SGB II im vollen Umfang anwendbar (Eicher in Eicher-Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 40 Rdz. 5, M. Mayer in Oestreicher, SGB II, § 40 Rdz. 28). Die Rücknahmevorschrift des § 44 SGB X setzt dabei über den 31.12.1980 hinaus eine sozialrechtliche Tradition fort, dass eine rechtswidrige Bescheidbelastung auch nach Unanfechtbarkeit grundsätzlich zwingend zurückzunehmen ist. Der sozialrechtliche Gesetzgeber stellt damit bewusst die materielle Richtigkeit im Einzelfall vor den Rechtsfrieden aus Unanfechtbarkeit und Bestandskraft des Verwaltungsaktes (vgl. Steinwedel, FS-BSG 50, 2004, S. 783 (785)). Soweit im Einzelfall die Voraussetzungen einer Rücknahme nach § 44 Abs. 1 SGB X erfüllt sind, erwächst sodann für den Betroffenen daraus ein Anspruch auf eine entsprechende Korrekturentscheidung der zuständigen Behörde (vgl. BSG 20.06.2002, B 7 AL 108/01 R, SozR 3-4300, § 43 Nr. 4). Die Korrektur eines Verwaltungsaktes über § 44 SGB X ist selbst dann zwingend vorgesehen und statthaft, wenn der nun zu korrigierende Bescheid in einem Rechtsbehelfsverfahren "judizielle" Bestätigung gefunden hatte. Ein früherer erfolgloser Widerspruch oder eine erfolglose Anfechtungsklage hindern also nicht die spätere Rücknahme über § 44 SGB X (BSG 29.05.1991, 9a/9 RVs 11/89, Breithaupt 1992, S. 477, 478). Entscheidend für den Anspruch des Klägers auf Zurücknahme des Ablehnungsbescheides vom 28.01.2008 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2008 ist also unter Berücksichtigung der Modifikation des § 330 Abs. 1 SGB III, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit gemäß § 44 Abs. 1 SGB X vorliegen. § 44 Satz 1 SGB X bestimmt, dass ein Verwaltungsakt, bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, auch nachdem der Verwaltungsakt unanfechtbar geworden ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, da sich aus den spätestens am 06.03.2008 eingereichten Unterlagen ergeben hat, dass der Kläger auch in dem Zeitraum vom 08.01.2008 bis 06.04.2008 die Leistungsvoraussetzungen für eine Gewährung von Grundsicherungsleistungen gemäß § 7 Abs. 1 iVm § 9 Abs. 1 SGB II erfüllt hat. Die Annahmen der Beklagten, dass der Kläger in diesem Zeitraum nicht hilfebedürftig war und deshalb Leistungen ab dem Zeitpunkt des gestellten Fortzahlungsantrages zum 08.01.2008 nicht zu erbringen seien, haben sich damit als unrichtig erwiesen. Die Beklagte ist somit rückblickend von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Hierbei ist ergänzend festzustellen, dass der Kläger wirksam zum 08.01.2008 einen Fortzahlungsantrag im Sinne des § 37 SGB II gestellt hat. Voraussetzung für einen solchen Antrag ist nicht, dass bereits hier sämtliche Unterlagen zum Nachweis der Hilfebedürftigkeit vorgelegt werden. Vielmehr kommt es für einen wirksamen Antrag nach § 37 Abs. 1 SGB II allein darauf an, dass in einer einseitigen, empfangsbedürftigen öffentlich-rechtlichen Willenserklärung erklärt wird, dass Leistungen nach dem SGB II begehrt werden. Der Antrag kann daher in jeglicher Form gestellt werden (vgl. etwa BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 53; Krasney in Kasseler Kommentar § 18 SGB X Rdnr. 9 sowie von-Wulffen, SGB X, 5. Auflage 2005, § 18 Rdnr. 5, Link in Eicher-Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 37, § 20 SGB II und M. Mayer in Oestreicher SGB II, § 37 Rdz. 9). Der Zeitpunkt der wirksamen Antragstellung bestimmt sich somit danach, wann die Willenserklärung des Hilfebedürftigkeiten, Leistungen nach dem SGB II zu wollen, der Beklagten zugeht. Keine Auswirkungen auf diesen Zeitpunkt haben nachgeforderte oder nachgereichte Unterlagen. Hieraus ergibt sich nur der Zeitpunkt, zu welchem im Bewilligungsverfahren eine Entscheidungsreife eintritt. Weder im SGB II noch im SGB X existieren Ausschlussfristen in dem Sinne, dass die Leistungsvoraussetzungen bis zum einem bestimmten Zeitpunkt nachgewiesen werden müssten, um noch Leistungen ab Antragstellung zu erhalten. Fehlen Unterlagen zum Nachweis der Hilfebedürftigkeit, hat die Beklagte dann die Möglichkeit, entweder Leistungen wegen fehlender Mitwirkung gemäß § 66 SGB I vorläufig zu versagen oder aber Leistungen (zunächst) endgültig wegen fehlenden Nachweises der Hilfebedürftigkeit abzulehnen. Im ersteren Fall kann anschließend der Kläger gemäß § 67 SGB I unter Nachholung der geforderten Mitwirkung Leistungen ab Antragstellung erhalten und im zweiten Fall aufgrund eines erfolgreichen Widerspruchsverfahrens bzw. Klageverfahrens oder im Rahmen des § 44 SGB X.
Da vorliegend der Kläger wirksam einen Fortzahlungsantrag zum 08.01.2008 gestellt hat und nach Aktenlage lediglich (verspätet) zum 06.03.2008 die Nachweise für seine Hilfebedürftigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum erbracht hat, lag hier auch kein verspäteter Antrag im Sinne der Durchführungshinweise der BA zum SGB II § 37.3 vor.
Insgesamt war also die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 05.06.2008 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2008 zu verurteilen, den Ablehnungsbescheid vom 28.01.2008 in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2008 zurückzunehmen und dem Kläger ab Antragstellung (08.01.2008) vorläufig Arbeitslosen- geld II bis 06.04.2008 zu bewilligen (§ 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II iVm § 328 SGB III).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Erstellt am: 14.11.2008
Zuletzt verändert am: 14.11.2008