I. Die Widerspruchsbescheide vom 2. März 2006 und 7. März 2006 werden aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage gegen den Bescheid vom 19. Dezember 2005 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 31. Januar 2006 und Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2006 sowie Änderungsbescheid vom 10. Mai 2006 abgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in dem Zeitraum 01.01.2006 bis 30.06.2006 streitig (hier: Höhe der Regelleistung).
Der am 1957 geborene Kläger bezieht seit 01.01.2005 Arbeitslosengeld II (Alg II) von der Beklagten. Mit Bescheid vom 19.12.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg II in der Zeit vom 01.01.2006 bis 31.05.2006 in Höhe von 722,98 EUR und für die Zeit vom 01.06.2006 bis 30.06.2006 in Höhe von 691,98 EUR. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch bei der Beklagten ein. Zur Widerspruchsbegründung hat er in seinem Schreiben vom 20.12.2005 vorgetragen, dass die Regelleistung nicht entsprechend §§ 28, 40 SGB XII errechnet worden sei. Die dort festgelegten Vorschriften zur Errechnung der Regelleistung hätten jedoch Anwendung finden müssen. Denn das SGB II enhalte keine eigenen Bestimmungen zur Errechnung der Regelleistung. Die in § 20 Abs. 2 SGB II durch einen festen Geldbetrag ausgewiesene Regelleistung soll aber denselben Bedarf decken, dessen Deckung auch der gemäß §§ 28, 40 SGB XII zu errechnende Regelsatz diene. Die bewilligte Regelleistung sei tatsächlich nicht geeignet, das Existenzminimum zu sichern. Dadurch werde er in seinen Grundrechten aus Art. 1 und 2 des Grundgesetzes (GG) verletzt.
Mit Änderungsbescheid vom 31.01.2006 bewilligte die Beklagte sodann dem Kläger Alg II in dem Zeitraum vom 01.03.2006 bis 31.03.2006 in Höhe von 722,04 EUR, für die Zeit vom 01.04.2006 bis 30.04.2006 in Höhe von 972,06 EUR, für die Zeit vom 01.05.2006 bis 31.05.2006 in Höhe von 989,92 EUR und in der Zeit vom 01.06.2006 bis 30.06.2006 in Höhe von 958,92 EUR. Hintergrund des Änderungsbescheides war die Anpassung des aktuellen Beitrags zur Kfz-Haftpflicht als Absetzbetrag ab dem 01.03.2006 und der Wegfall des Alg I der Ehefrau des Klägers.
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2006 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19.12.2005 in Fassung des Änderungsbescheids vom 31.01.2006 zurück. Nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes sei die Beklagte als Teil der vollziehenden Gewalt an Recht und Gesetz gebunden. Die Beklagte sei daher verpflichtet, den Bestimmungen des SGB II Folge zu leisten. Sie könne nicht von dem im Gesetz festgelegten pauschalierten Regelungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes abweichen.
Am 02.03.2006 legte der Kläger weiter Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 31.01.2006 ein. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.03.2006 zurück. Mit Schreiben vom 14.02.2006 legte auch der Bevollmächtigte des Klägers Widerspruch gegen den Bescheid vom 31.01.2006 ein. Begründet wurde dieser Widerspruch mit einer nicht zutreffenden Anrechnung von Einkommen des Klägers in Höhe von 120,00 EUR. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2006 zurück.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 01.02.2006 hat der Kläger am 14.02.2006 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Am 21.03.2006 ist dann auch Klage erhoben worden gegen den Widerspruchsbescheid vom 07.03.2006.
Mit Abhilfebescheid vom 10.05.2006 berechnete die Beklagte ab dem 01.05.2006 den Bedarf des Klägers ohne Anrechnung eines Einkommens in Höhe von 120,00 EUR und änderte insoweit die Bescheide vom 19.12.2005 und 31.01.2006 für die Zeit vom 01.05.2006 bis 30.06.2006 ab.
In der mündlichen Verhandlung vom 30.05.2006 beantragt der Kläger durch seine Bevollmächtigte,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19.12.2005 in der Fassung des Bescheids vom 31.01.2006 und der Wider spruchsbescheide vom 01.02.2006, 02.03.2006 und 07.03.2006 sowie Änderungsbescheid vom 10.05.2006 zu verurteilen, dem Kläger eine höhere Regelleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat nur insoweit Erfolg, als die Aufhebung der Widerspruchsbescheide vom 02.03.2006 und 07.03.2006 begehrt wird.
Die zulässige Klage vom 13.02.2006 richtet sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 19.12.2005 in Fassung des Bescheids vom 31.01.2006 und des Widerspruchsbescheids vom 01.02.2006. Gegenstand dieser Klage ist jedoch in analoger Anwendung des § 96 SGG auch die nach Eintritt der Rechtshängigkeit ergangenen Widerspruchsbescheide der Beklagten vom 02.03.2006 und 07.03.2006. § 96 SGG ist direkt nicht anwendbar, da durch die Widerspruchsbescheide vom 02.03.2006 und 07.03.2006 keine Abänderung oder Ersetzung der Bewilligung von Alg II für den Kläger in dem streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.01.2006 bis 30.06.2006 erfolgt ist. Vielmehr bestätigen beide Widerspruchsbescheide wie auch der Widerspruchsbescheid vom 01.02.2006 die in Form des Bescheids vom 19.12.2005 in Fassung des Änderungsbescheids vom 31.01.2006 getroffene Entscheidung der Beklagten. Das Gesetz selbst sieht aber im SGG keine Regelung dafür vor, wie weiter erlassene (insbesondere lediglich bestätigende) Widerspruchsbescheide nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens verfahrensrechtlich zu behandeln sind. Mit dem Erlass des Widerspruchsbescheids endet nämlich das Vorverfahren und damit die Befugnis der Widerspruchsstelle. Ein zweiter Widerspruchsbescheid ist daher unstatthaft und damit rechtswidrig (BSG 75, 241, 245). Ist wie hier aber auch bereits Rechtshängigkeit bezüglich des Streitgegenstandes eingetreten, sind diese Widerspruchsbescheide mit einer Klage jedoch auch nicht mehr anfechtbar, da eine solche unzulässig wäre. Dem steht aber das berechtigte Interesse des Klägers an Aufhebung der rechtswidrigen Widerspruchsbescheide gegenüber. Es ist daher im Hinblick auf die Regelungslücke im Gesetz und im Interesse des Klägers gerechtfertigt, in analoger Anwendung des § 96 SGG diese Widerspruchsbescheide in das bereits anhängige Verfahren einzubeziehen (vgl. BSG 75, 241, 245). Der Bescheid der Beklagten vom 10.05.2006 ist dagegen als Änderungsbescheid im Sinne des § 96 Abs. 1 SGG (die Beschwer des Klägers wurde durch diesen gemindert) ohne weiteres Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden. Die Klage vom 14.02.2006 richtet sich daher zulässigerweise gegen den Bescheid der Beklagten vom 19.12.2005 in Fassung des Änderungsbescheides vom 31.01.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 01.02.2006 sowie den weiteren Widerspruchsbescheiden vom 02.03.2006 und 07.03.2006 und auch gegen den Änderungsbescheid vom 10.05.2006. Die Klage vom 21.03.2006 ist dagegen wegen der bereits eingetretenen Rechtshängigkeit in dieser Streitsache unzulässig.
Die zulässige Klage vom 14.02.2006 ist jedoch unbegründet.
Durch den § 20 SGB II hat der Gesetzgeber gegenüber dem früheren BSHG eine verstärkte Pauschalierung durchgeführt. Grundsätzlich sind Pauschalierungen zulässig (vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht vom 31.05.1988, 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214; zum Regelsatz: Bundesverwaltungsgericht vom 25.11.1993, 5 C 8/90, BVerwGE 94, 326 und auch SGG Schleswig vom 08.03.2005, S 6 AS 70/05 ER). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass mit einer Pauschalierung eine formale Gleichbehandlung sowie Vorhersehbarkeit erreicht wird. Die Leistung wird rational nachvollziehbar und kontrollierbar. Gleichzeitig wird dadurch eine Erleichterung des Verwaltungsvollzugs erreicht und auch das Selbstbestimmungsrecht des Hilfebedürftigen gestärkt (vgl. auch Roscher, in: LPG-BSHG, § 22 RdNr. 12). Die Zulässigkeit einer Pauschalierung setzt jedoch auch voraus, dass diese den Anforderungen, die sich aus den grundgesetzlichen Vorgaben zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebens ergeben, gerecht wird. Es muss also der Bedarf des sozio-kulturellen Existenzminimums gedeckt werden. Im Hinblick darauf hat die Rechtsprechung gefordert, dass bestimmte Bemessungsgrundsätze eingehalten werden müssten, die sich in tatsächlicher Hinsicht auf "ausreichende Erfahrungswerte" stützen, und dass dabei die gebotene Sorgfalt eingehalten werden müsste, sodass die damit verbundene Wertung dann vertretbar sei (Bundesverwaltungsgericht vom 25.11.1993, 5 C 8/90, BVerwGE 94, 326). Darüber hinaus wird für die Zulässigkeit einer Pauschalierung verlangt, dass Öffnungsklauseln für den Einzelfall vorhanden sind (vgl. Kramer, S. 158, Münder, S. 32112; BVerwGE vom 25.11.1993, 5 C 8/90, BVerwGE 94, 326). Dass die o.g. Grundsätze im Fall des Klägers verletzt worden sind bzw. sein könnten, dafür liegen keine Anhaltspunkte vor. Aus dem Vortrag des Klägers in seinen Widerspruchsbegründungen ist nämlich nicht ersichtlich, dass durch die Regelleistung des § 20 SGB II sein sozio-kulturelles Existenzminimum nicht gedeckt werden könne. Auch wenn im sozialgerichtlichen Verfahren gemäß § 103 SGG der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, muss das Gericht nicht nach Tatsachen forschen, für deren Bestehen die Umstände des Einzelfalls keine Anhaltspunkte bieten (BSG 81, 259, 262 f; 86, 107, 110). Das Sozialgericht führt jedoch keine abstrakte Normenkontrolle durch, sondern überprüft, ob im konkreten Fall der Kläger durch die ergangene Entscheidung der Verwaltung in seinen Rechten verletzt worden ist. Öffnungsklausel, durch den ein unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes, der nicht von der Regelleistung abgeckt ist, gedeckt werden kann. Einen Antrag auf Bewilligung weiterer Leistungen nach § 23 SGB II hat der Kläger vorliegend ebenfalls nicht gestellt, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt nicht davon ausgegangen werden kann, dass das sozio-kulturelle Existenzminimum des Klägers nicht durch die bewilligten Leistungen nach dem SGB II gesichert wird.
Die Klage gegen den Bescheid vom 19.12.2005 in Fassung des Änderungsbescheides vom 31.01.2006 sowie in Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2006 und Änderungsbescheides vom 10.05.2006 war daher insgesamt als unbegründet abzuweisen.
Die Berufung wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Höhe des Regelsatzes gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 28.06.2006
Zuletzt verändert am: 28.06.2006